Главная страница «Первого сентября»Главная страница журнала «Немецкий язык»Содержание №1/2007

Bildung und Erziehung

Krankheit macht Schule

Kinder mit chronischen Leiden werden von Lehrern und Mitschülern oft diskriminiert. Ein pädagogisches Projekt möchte das ändern

Der Diabetes hätte beinahe über Liskas schulische Zukunft entschieden. Das Mädchen benötigt seit seinem dritten Lebensjahr viermal am Tag eine Insulininjektion. Der Schulleiter befand, das Kind sei am besten auf einer Sonderschule aufgehoben – trotz seiner normalen Intelligenz. Es war nicht das erste Mal, dass Liska zu spüren bekam, dass ihre Krankheit Unbehagen1 auslöst. Schon im Kindergarten hatten sich die Erzieher geweigert, ihren Blutzucker zu messen und ihr das Insulin zu spritzen.

Kindern soll der Weg von der Klinik in die Regelschule geebnet werden

Die Gründe dafür, dass viele Pädagogen die Krankheiten ihrer Schützlinge ignorieren, sind meistens Unwissen und Überforderung. Dabei treten chronische Krankheiten bei Kindern und Jugendlichen nicht selten auf. In einer Lehrerbefragung an etwa 200 Schulen in Baden-Württemberg ermittelte Astrid Kimmig, Kinderonkologin der Universität Tübingen, dass fast 15 Prozent der Schüler an einer chronischen Erkrankung leiden. Zu den häufigsten Diagnosen gehören Allergien, orthopädische Probleme, Asthma, Diabetes, Mukoviszidose, Neurodermitis, Herz- und Krebserkrankungen sowie psychische Störungen.

Schüler, die an einer Krankheit leiden, schneiden – das zeigen Studien – oft auch in der Schule schlechter ab. Dabei steht gerade ihnen besondere Unterstützung zu. Doch viele Lehrer wissen nicht einmal, dass in Deutschland für kranke Kinder die so genannten Nachteilsausgleiche geregelt sind. Betroffenen wird mehr Zeit für eine Klausur eingeräumt, oder sie müssen weniger Aufgaben lösen. Auch kann ein Schuljahr in zwei Jahren absolviert werden, sollten dem chronisch kranken Schüler die Kräfte für die erforderlichen Leistungen fehlen.

Damit Pädagogen endlich lernen, auf Kranke Rücksicht zu nehmen, ist mit Unterstützung der Robert-Bosch-Stiftung das Projekt «Interklinikschule» ins Leben gerufen worden. Zwar haben in Deutschland größere Krankenhäuser eine eigene Schule, damit Kinder und Jugendliche während längerer stationärer Aufenthalte nicht so viel verpassen. Doch diese Zwergschulen in der Klinik sind nicht mehr als ein erster Schritt zurück in den Alltag.

Das Projekt unter der Leitung des Sonderschulpädagogen Christoph Ertle versuchte in den vergangenen zwei Jahren, eine Brücke in den «normalen» Unterricht zu schlagen. Sieben Klinikschulen schlossen sich bundesweit zu diesem Forschungsprojekt zusammen. Die Versuchsphase wird in nächster Zeit abgeschlossen; nun soll die Initiative von den Kultus- und Gesundheitsministern der Länder aufgegriffen und weitergeführt werden.

Denn noch fehlt es an geeigneten Strategien, um den Übergang von der «Schule für Kranke» in die Regelschule einfacher zu gestalten. Im Versuchsprojekt wurden die Lehrer darin geschult, auf die Leiden ihrer Schüler besser eingehen zu können. Ertle stieß dabei nicht nur auf offene Ohren. Viele Lehrer sehen sich jetzt schon als «Rundumtherapeuten», die sich mit Konzentrationsstörungen und Verhaltensauffälligkeiten ihrer Schüler herumschlagen müssen, und weigern sich, auch noch chronisch Kranke zu betreuen.

Wie es anders geht, zeigt eine der Kooperationen der Interklinikschule: In Herdecke arbeiten die universitäre Kinder- und Jugendpsychiatrie und das Friedrich-Harkort-Gymnasium zusammen. Für den Schulleiter Wolfgang Jähme ist die Übernahme von Jugendlichen aus der Klinikschule selbstverständlich.

Vier Jahre ist es her, dass er den neuen Schüler Jakob fragte, ob er über seinen Klinikaufenthalt sprechen wolle. Der damals 13-Jährige war auf diesen Moment vorbereitet worden. Entschlossen stellte er sich vor die Klasse und erzählte ohne Umschweife, dass er wegen Schlägereien von der alten Schule geflogen und deshalb für ein paar Monate in der Psychiatrie gelandet sei. «Es gab dann eine ziemlich gedrückte Stimmung, doch irgendwie haben die anderen das akzeptiert», sagt Jakob heute.

Anfangs wurde der Neue beschimpft: «Du kommst doch aus der Klapse!»

Erstaunlicherweise kann er sich nicht mehr an die Reaktionen der Klassenkameraden in den darauf folgenden Monaten erinnern. Eine Mitschülerin weiß es aber noch sehr genau: «Er wurde total schlimm behandelt und oft beschimpft: ‹Du kommst doch aus der Klapse und hast sowieso nichts drauf.› Mir tut es Leid, dass ich damals nichts dagegen unternommen habe.» Da lächelt der schüchtern wirkende Junge: «Ich habe mich jedenfalls nur mit Worten gewehrt und nie mehr mit den Fäusten.»

«Ich kann nicht verstehen, dass einige Kollegen da abblocken», sagt Wolfgang Jähme. Der einfühlsame Umgang mit kranken Kindern müsse Normalität sein. Um Problemkinder vor Aggressionen durch Altersgenossen zu schützen, setzt Jähme ältere Schüler als Streitschlichter ein, die auch gegen Mobbing vorgehen. Denn schnell werden auf dem Schulhof Diabetiker zu Fixern, Rheumatiker zu Krüppeln oder Aufmerksamkeitsgestörte zu Psychos.

Den Kranken werden jedoch nicht nur die Mitschüler zur Qual. Oft sind es die Lehrer, die keine Rücksicht nehmen. «Kinder, denen man die Einschränkungen nicht ansieht, haben es am schwersten», sagt der Sonderschulpädagoge Ertle. Wer nach einer Chemotherapie ohne Haare zur Schule kommt, findet schnell Verständnis. Schwerer hat es dagegen ein Junge, dessen Gelenke wegen einer rheumatologischen Erkrankung morgens steif sind. Er kommt oft zu spät zur Schule und wird beim Lehrer sein Image des faulen Morgenmuffels nicht los – trotz mehrfacher Erklärungen der Eltern.

Und selbst wenn die Einschränkung offensichtlich ist, reagieren manche Lehrer falsch. Als die Klasse der rheumakranken Silvia eine Abi-Reise nach Prag plante, meinte der Lehrer: «Mit deiner Gehbehinderung bleibst du besser zu Hause.» Die Klasse protestierte. Silvia kam mit – und ihr Rollstuhl auch.

Bisher erhielten nur wenige Lehrer im Rahmen des Interklinikschulen-Projekts eine spezielle Fortbildung, die sie für die Belange kranker Kinder sensibilisiert. Christoph Ertle verlangt eine solche Schulung für alle Pädagogen. Sie müsse fester Bestandteil der Lehrerausbildung werden.

Mit der Ausbildung allein ist es allerdings nicht getan. Noch gilt es, einige juristische Hürden zu nehmen. Kindergarten-Erzieher, die sich auf eigene Initiative in der Klinik haben schulen lassen und bereits heute diabeteskranken Kindern Spritzen geben, bewegen sich haftungsrechtlich noch immer in einer Grauzone. Wer übernimmt die Verantwortung, wenn ein Kind wegen falscher Insulindosierung unterzuckert ist?

Von Achim Wüsthof

1Un|be|ha|gen, das; -s: jmds. Wohlbehagen störendes, beeinträchtigendes, unangenehmes, Verstimmung, Unruhe, Abneigung, Unwillen hervorrufendes Gefühl: ein körperliches, leichtes, tiefes, wachsendes U. befiel ihn; U. an der Politik; ein leises U. [ver]spüren, empfinden; etw. mit U. betrachten, verfolgen.

Der Text stammt aus:

http://www.zeit.de/2006/26/M-Klinikschule