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Literatur

Paul Nizon: Das Jahr der Liebe

Fortsetzung aus Nr. 09, 10/2008

und dann im Bett dieses ganze Sich-aneinander-Reiben und Streicheln und Küssen und immer mehr und dieses ganze Mädchen, diese Frau im Mädchen namens Dorothée, wenn sie nachher so daliegt, legt sie die Hände über Brust und Bauch, eine oben über die Brust, eine unten über den Bauch, aber nicht eigentlich als Geste des Sich-Schützens, weil sie ja unten frei und gelöst und mit entspannt gespreizten Beinen daliegt, frei und gelöst, was machst du denn mit deinen Händen, das ist hübsch, sage ich, aber warum das. Das, sagt sie, so liege ich immer, wenn ich schlafe oder besser, wenn ich aufwache, sehe ich mich so liegen. Es ist fast ein bißchen eine kleinkindliche Selbstkosungshaltung, möglicherweise, aber davon verstehe ich nichts

das ist doch Liebe, sage ich mir, einfach darum, weil alles da ist, was in der richtigen Liebe dazugehört, das Küssen bis zum Nichtmehraufhörenkönnen und jede Form des Umschlingens und dann das von vielen Japsern und Seufzern und kleinen Schreien und von beider Schnaufen begleitete richtige Stück Lieben, und dabei hat man sich lieb, wenn man sich mag und die Glieder und bei der Haut einander mögen, denn sonst würde man sich doch nicht gehen lassen und

und nun sitze ich an diesem frühsonntagmorgendlichen Tischchen, Place Clichy, im September, einem strahlend klaren und beißend kalten Morgen, und sehe die Rue d’Amsterdam abstrahlen mit ihrem eigenen herrlichen Himmel im Straßenkanal, noch wenig Verkehr, und wir sitzen in der Glasverschalung der Caféterrasse, Beat und ich, Beat in seinem Burbery, er kann das tragen. er ist groß und schlank, wenn auch recht breit in den Schultern, so daß der englische Mantel richtig fällt und gar schlottern kann beim Gehen, Beat mit seinem Watussi-Schädel und den dunkel forschenden und ein klein wenig ironischen Augen hinter der stahlgefaßten Brille, sitzen da, er ein Besucher, ich der Ansässige, aber was heißt schon ansässig in einer solchen Stadt, besser ist: ich bin der Verschwindende, die Fliege, die Laus, das Atom hier, der Entkommene, und ich sage, ich bin ja so froh, Beat, daß ich das geschafft habe, mich endlich abzunabeln und überzusetzen, findest du nicht, es ist wie ein Lebensneubeginn, mit bald fünfzig, findest du nicht, sage ich und kolportiere ihm, was jene anderen meinen, das ganze Abmelden, bürokratische Abmelden und offiziell sanktionierte Auswandern hätte es nicht gebraucht, das sei bloß Gestik, bei all den Nachteilen, die es mit sich bringe wie etwa dem Verlust von Krankenkasse und Alters- und Hinterbliebenen-Rente, alles offensichtliche Nachteile, meinen sie, sage ich Beat. Es ist wie ein Heiratspapier, es ist die Schaffung einer unzweideutigen Zwangslage, es ist das ganz andere Risiko, sagt er, und das macht einen Unterschied, ganz klar. Er meint den Unterschied zum Urlauber, der ja doch in der Heimat bleibt, auch wenn er immer wieder sich absetzt zu längeren oder kürzeren Auslandsaufenthalten. Es ist das Abbrechen von Brücken, es ist das Wagnis, sagt mein lieber Beat, und nun ist mir, wie wenn ich ihn hier empfangen und bewirten könnte, ich am anderen Ufer, frei, mein freier Fuß,schrieb ich einmal sehnsüchtig

Beat hatte erst diese schläfrig verklebten Augen, diese teigig-blasse Haut, diesen Teint des Übernächtigten, hast wohl gefeiert, gestern nacht, Beat. Hat er, wenn ich es auch nur brockenweise aus ihm herausbekomme.

Ich sitze an diesem Tischchen wie in der Neuen Welt, wie der Auswanderer, vogelfrei fühle ich mich jetzt und dankbar meiner Nährmutter, dieser großen alten Stadt gegenüber und ein bißchen stolz auch, weil sie sich so herrlich präsentiert an diesem kaltstrahlenden Septembermorgen, Place Clichy, und nur um mich ein wenig stolzierend zu bewegen, überquere ich nun den Platz, um Zigaretten holen zu gehen. Die beiden Briefe, die ich spät nachts noch in einer unsinnigen Freude geschrieben habe, während die Jazz-Sendung lief, habe ich in Beats vornehmem Hotel am Empfang aufgegeben, jetzt fühle ich mich uneingeschränkt disponibel. Wir werden bald zum Essen aufbrechen, Beat, iß jetzt nicht zu viel, denn ich will ihn in die portugiesische Kantine entführen, die ich vor kurzem erst entdeckt habe, draußen schon fast bei der Porte de Clignancourt.

Fortsetzung folgt

Jap|ser, der; -s, - (ugs.): japsender Atemzug: mit einem J. blieb er stehen. jap|sen <sw. V.; hat> [aus dem Niederd. < (m)niederd. gapen = den Mund aufsperren; das j beruht auf mundartl. (md.) Aussprache des g im Anlaut] (ugs.): a) schwer, stoßweise atmen; mit offenem Mund mühsam Luft zu bekommen versuchen: nach Luft j.; kaum noch j. können (am Ende seiner Kraft sein); b) japsend (a) sagen, fragen: «Ich kann nicht mehr», japste er.

ab|strah|len <sw. V.; hat>: in Form von Strahlen, Wellen aussenden: der Ofen strahlt behagliche Wärme ab; Sonnenwärme a.; diese Programme werden über Satelliten abgestrahlt.

schlot|tern <sw. V.; hat> [mhd. slot(t)ern, Intensivbildung zu: sloten = zittern, urspr. = schlaff herabhängen]: 1. (vor Kälte od. durch eine heftige Gefühlsbewegung, bes. Angst, Aufregung o. Ä., bewirkt) heftig zittern: die Kinder schlotterten [vor Angst, vor Kälte]; sie schlotterte am ganzen Leib; mit schlotternden Knien ging er hinaus. 2. (bes. von zu weiten Kleidungsstücken o. Ä.) lose, schlaff (am Körper, einem Körperteil) herabhängen, sich (bei einer Bewegung des Trägers) schlenkernd hin u. her bewegen: die Hosen schlottern ihm um die Beine.

an|säs|sig <Adj.> [zu frühnhd. anseß = fester Wohnsitz, zu mhd., sesshaft]: mit festem Wohnsitz wohnend, lebend: eine in England -e französische Familie; die -e (eingesessene) Bevölkerung; in Düsseldorf a. sein.

ab|na|beln <sw. V.; hat>: 1. (ein neugeborenes Kind) von der Nabelschnur trennen: ich nab[e]le das Neugeborene ab. 2. <a. + sich> (salopp scherzh.) sich von etw. lösen: sich vom Elternhaus a.; <auch ohne «sich»:> von diesem Traum konnte er nur schwer a.

kol|por|tie|ren <sw. V.; hat> [frz. colporter = hausieren, älter: comporter < lat. comportare = zusammentragen] (bildungsspr.): eine ungesicherte, unzutreffende Information verbreiten: ein Gerücht, eine Anekdote k.

ab|set|zen <sw. V.; hat>: <a. + sich> a) (ugs.) sich [heimlich] davonmachen: ich hatte mich nach Österreich, ins Ausland, über die Grenze abgesetzt; b) (Milit.) sich zurückziehen.

Wag|nis, das; -ses, -se [zu wagen]: a) gewagtes, riskantes Vorhaben: ein kühnes, großes, gefährliches W.; ein W. unternehmen, versuchen; b) Gefahr, Möglichkeit des Verlustes, des Schadens, die mit einem Vorhaben verbunden ist: ein großes W. auf sich nehmen, eingehen.

Aus: Paul Nizon: Das Jahr der Liebe. Suhrkamp Verlag, Frankfurt/M. 1981. S. 7–17.