Wissenschaft und Technik
Jetzt aber!
Wer sich nicht motivieren kann, braucht mehr Vorstellungskraft. Mit den richtigen Tricks verlieren auch unangenehme Dinge ihren Schrecken – und dann macht sogar die Steuererklärung auf einmal Spaß.
Fortsetzung aus Nr. 11/2009
Oettingen empfiehlt deshalb eine dritte Technik, das mentale Kontrastieren. «Eine Person denkt an etwas, das sie sich wünscht. Sie setzt dem Hindernisse entgegen, die sie an der Realisierung dieses Wunsches hindern.» Auf diese Weise lässt sich erkennen, was einen tatsächlich daran hindert, den Wunsch umzusetzen.
Ist das Hindernis erkannt, werden Sätze formuliert, die dabei helfen sollen, das Hindernis zu überwinden: «Sobald ich nach Hause komme, setze ich mich auf den Hometrainer.» Oder: «Sobald ich die nächste Ausrede parat habe, wieso ich nicht laufen gehen kann, ziehe ich die Laufschuhe an und gehe joggen.» Durchführungsvorsätze nennen Psychologen solche Pläne.
«Ich habe immer viel Sport getrieben», sagt Monika Beckmann, die an Oettingens Programm teilgenommen hat. «Als ich vor einigen Jahren nach Hamburg gezogen bin, waren die Möglichkeiten zwar da, ich habe sie aber nicht genutzt.» Sie wollte zweimal in der Woche schwimmen gehen, aber es gab ein Hindernis: Jedes Mal, wenn sie gerade Zeit gehabt hätte, hatte sie die Sportsachen nicht dabei. Die Lösung: «Ich bin dann immer mit einer gepackten Sporttasche herumgefahren, damit ich nach der Arbeit nicht erst nach Hause musste. Dort hätte ich sonst das Sofa gesehen und hätte mich nicht mehr motivieren können.» Wenn sie an einem Schwimmbad vorbeikam, stieg sie aus und ging schwimmen.
Sobald die Schwimmbadsaison vorbei war, legte sie die Laufschuhe ins Auto. Und als sie eine Weile so viel arbeiten musste, dass sie immer erst gegen 21 Uhr nach Hause kam, stellte sie sich ein Ergometer ins Wohnzimmer. «Das mache ich jetzt immer dienstagabends: Dr. House darf nur auf dem Ergometer geguckt werden. Da weiß jeder, dass er nicht anrufen darf.» Mit der gleichen Technik gewöhnte sie sich vor einem Jahr, «an einem Mittwochabend um halb sechs», das Rauchen ab. «Wenn ich etwas nicht schaffe, habe ich nicht den richtigen Grund gefunden, der mich daran hindert», sagt Beckmann. «Oder ich habe mir ein Ziel gesetzt, das einfach utopisch ist.»
Die Durchführungsvorsätze bewähren sich sogar bei Menschen mit Hirnverletzungen am Frontallappen. Das zeigten Studien des Psychologen Peter Gollwitzer von der New York University. Diese Patienten haben meist Probleme mit bewussten Handlungen, automatisierte funktionieren jedoch unverändert. Mithilfe der Vorsätze konnten sie beinahe problemlos handeln. Das lässt laut Gollwitzer darauf schließen, dass die Vorsätze sehr rasch zu gewohnheitsmäßigem, automatisiertem Verhalten verhelfen.
Wer die Methode ausprobieren will, sollte konkret formulieren, wann er was wie tun möchte: «Wenn ich morgen ins Büro komme, dann räume ich als Erstes meinen Schreibtisch auf.» Diesen Moment sollte er sich genau ausmalen. Dadurch bleibe das Gehirn für die Situation auf «Stand-by» geschaltet und könne schneller reagieren, wenn sie eintritt, erklärt Gollwitzer.
Solche Wenn-dann-Sätze funktionieren laut der Psychologin Gabriele Oettingen sogar bei Kindern. Sie müssten sich nur darüber klar sein, was sie wollen (eine gute Note) und was sie daran hindert (der Banknachbar, der immer schwatzen will). Vorausgesetzt, das Kind ist nicht zuvor dem Korruptionseffekt zum Opfer gefallen. So bezeichnen Psychologen Belohnungen, die als Anreiz von außen eingesetzt werden und die in Schul- und Berufsleben gang und gäbe sind. «In einem Experiment wurde eine Gruppe von Kindern fürs Spielen belohnt, die andere nicht», erzählt Hugo Kehr. «Sobald der Versuchsleiter aus dem Zimmer gegangen war, hörten die belohnten Kinder zu spielen auf.» Sie hatten vergessen, dass ihnen Spielen eigentlich Spaß macht, und sahen darin nur noch ein Mittel zum Zweck.
Deshalb hält Kehr nicht viel von den üblichen Geldprämien für verdiente Mitarbeiter. Je passender die Belohnung zur Leistung ausgesucht werde, desto nachhaltiger sei der motivierende Effekt: Wer beispielsweise in der Schule einen guten Biotest geschrieben hat, wird zusätzlich motiviert, wenn er dafür ein Mikroskop geschenkt bekommt.
Für die Streetworkerin Benthe Müller wirken schon kleine Erfolge wie große Belohnungen°– wenn ein Jugendlicher mit ihr Kaffee trinken geht, zum Beispiel. «Ich habe gelernt, die kleinen Schritte zu schätzen», sagt sie. Und wenn sich die Jugendlichen doch wieder von ihr abwenden? «Dann fange ich eben wieder von vorne an.»
Von Sigrid Neudecker
Der Text ist entnommen aus: http://www.spiegel.de