Wissenschaft und Technik
Der Mogeldoktor
Doktor Faust, das Vorbild berühmter Dramen, Opern und Romane, hat um 1500 gelebt. Aber wer war der legendäre Astrologe und Experimentator wirklich?
Fortsetzung aus Nr. 01/2010
«Ein bloßer Prahler und Narr»
Faust rühme sich also, die Schwarzen Künste zu beherrschen, aus Handlinien, Wolken, Nebel und Vogelzügen sowie Feuer, Wasser und Rauch weissagen zu können – das seien doch «Anzeichen des dümmsten und unsinnigsten Geistes, welcher zeigt, dass er ein Narr und kein Philosoph ist!», wetterte der Abt.
«Ein Landstreicher, leerer Schwätzer und betrügerischer Strolch», fuhr er fort, «würdig ausgepeitscht zu werden, damit er nicht ferner mehr öffentlich verabscheuungswürdige und der heiligen Kirche feindliche Dinge zu lehren wage.»
Selbst getroffen hatte Trithenius diesen Faust nicht, und so gab er vom Hörensagen weiter, wie derselbe in Würzburg gelästert habe, «dass die Wunder unseres Erlösers Christi nicht anstaunenswert seien» und er alles könne, «was Christus getan habe, so oft und wann er wolle».
Mit seinen Kenntnissen der Alchemie habe Faust bei anderer Gelegenheit in Kreuznach geprahlt, wo er auch eine Schulmeisterstelle besetzte – kurzfristig nur, denn er «begann mit Knaben die schändlichste Unzucht zu treiben und entfloh, als die Sache ans Licht kam, der ihm drohenden Strafe».
Indes: In der Kreuznacher Chronik ist nichts von einem Lehrer namens Faust zu lesen und folglich auch nichts von dessen angeblichen sexuellen Übergriffen.
So lässt sich nur darüber spekulieren, was den Abt trieb, Faust mit derartigem Furor zu bedenken.
Die Vermutung bietet sich an, dass der Geistliche von eigenen Verfehlungen ablenken wollte – stand er doch selbst unter dem Verdacht «schwarzer Magie» und war gerade zuvor von eigenen Mönchen aus seinem Kloster vertrieben worden.
Nicht abwegig auch, dass Trithenius einen lästigen Konkurrenten verunglimpfen wollte, der ihm möglicherweise das eine oder andere lukrative Geschäft in der Wahrsagerei abluchste.
Niemand weiß, ob sich der Hofastrologe Virdung nach dieser Empfehlung noch mit Faust getroffen hat, und niemand weiß, was der so Gemobbte in den kommenden Jahren trieb.
Vielleicht saß er im Experimentierstübchen, braute Essenzen und versuchte sich in der Goldgewinnung – dass dieses möglich wäre, galt seinerzeit als gesichert. Vielleicht lebte Faust auch während der vielen Jahre, aus denen nichts über ihn verbürgt ist, als Familienvater daheim, und nur, wenn das Geld ausging, zog er in die Fremde.
Das nächste Zeugnis seiner Existenz stammt aus dem Jahr 1513 und ist ebenfalls nicht sonderlich schmeichelhaft.
Der Bamberger Bischof entlohnte ihn fürstlich für ein Horoskop
«Vor acht Tagen kam ein Chiromant nach Erfurt, namens Georgius Faustus Helmitheus Hedelbergensis, ein bloßer Prahler und Narr», schrieb der Kleriker Mutianus Rufus an einen Klosterverwalter. «Seine Kunst, wie die aller Wahrsager, ist eitel», notierte der Geistliche weiter, «ich hörte ihn im Wirtshaus schwatzen.»
Doch das Bild eines Mannes, der sich vornehmlich in Kneipen und auf Märkten produziert, ist so nicht vollständig: Faust hatte offenbar auch Zugang zu hohen politischen Kreisen und dort einen guten Ruf als Astrologe.
So stellte er dem einflussreichen Bamberger Fürstbischof Georg III. im Jahre 1520 das Geburtshoroskop. Und das war eine nicht geringe Anerkennung, denn der Bischof war einer der höchsten kirchlichen Würdenträger im deutschen Sprachraum.
Geburtshoroskope waren schwer in Mode, und wer die Konstellation der Gestirne zu definieren und interpretieren wusste, galt als kluger Mann.
«Item X gulden geben und geschenckt doctor faustus philosoph», vermerkte des Bischofs Kammermeister penibel in seinen Büchern. Zehn Gulden – das war ein fürstlicher Lohn.
Als Wetterkundler versuchte sich Faust ebenfalls, wie 1528 eine Notiz von Prior Kilian Leib belegt, dem Leiter des Klosters Rebdorf in Eichstätt. Bei ihm hatte sich «Georgius faustus» als «Kommendator einer kleinen Niederlassung der Johanniter im Grenzgebiet Kärntens» ausgegeben – klingt interessant, ist aber nicht belegbar und eher unwahr.
Derlei Gemogel und Amtsanmaßung mag sich herumgesprochen haben – vielleicht bis nach Ingolstadt, wo am 17. Juni 1528 laut Protokoll des Rates einer, «der sich genant Dr. Jörg Faustus von Heidelberg» der Stadt verwiesen wurde: «Dem Wahrsager soll befohlen werden, dass er zu der Stadt auszieh und seinen Pfennig anderswo verzehre.»
Noch härter kam eine Verfügung des Nürnberger Rates aus dem Jahre 1532, der Faust einen «Sodomiten» schalt, was damals allerdings noch nicht Unzucht mit Tieren unterstellte, sondern ein gemeines Schimpfwort war. Die Nürnberger Würdenträger ließen den angeblich aus Fürth («furr») stammenden Faust vor dem Stadttor stehen: «Doctor fausto, dem grossen Sodomitten und Nigromantico zu furr, glait ablainen.»
Danach ist wieder auf Jahre nichts von Faust zu hören. Dass er in dieser Zeit weiter in der Region reiste und sich dabei auch als Mediziner ausgab, belegt eine Schrift von Philipp Begardi, dem Stadtphysikus von Worms.
1539 schrieb der studierte Mediziner in seinem Buch Zeyger der Gesundheit nieder, was er von seinen Möchtegern-Kollegen hält, von «dahergelaufenen» Kurpfuschern wie jenem «Faustus». Viele hätten sich beklagt, dass sie von ihm betrogen worden seien.
Voll des Lobes war indes 1540 Philipp von Hutten, ein Neffe des Humanisten Ulrich von Hutten. Philipp hatte sich Jahre zuvor einer Expedition nach Venezuela angeschlossen, der Faust zutreffend einen schlechten Verlauf prognostizierte – «dasz ich bekennen musz, dasz es der Philosophus Faustus schier troffen hat».
Mal als Weissager und Astrologe gelobt, mal als Betrüger und Aufschneider geschmäht – ob es sich dabei stets um eben jenen Mann aus Knittlingen gehandelt hat, weiß niemand. Denn es gab ja auch noch andere Menschen mit dem Namen Faust, oder so ähnlich.
Etwa jener Johannes Faust aus Simmern, der 1505 in Heidelberg ein Studium beginnt und es vier Jahre später mit Examen abschließt. Vielleicht verdankt der Knittlinger Faust dieser Namensgleichheit seinen Mogeldoktor.
Oder jener Johan Fust aus Mainz, einer der ersten Buchdrucker und zeitweiliger Kompagnon von Johannes Gutenberg, dem Faust vielleicht den Ruf als «Schwarzkünstler» verdankt. Denn so wurden nicht nur die Praktiker der «schwarzen Magie» genannt, sondern auch jene, die schwarz auf weiß etwas produzierten, nämlich druckten.
Quacksalber (um 1600): Faust rühme sich, die Schwarzen Künste zu beherrschen, aus Handlinien, Wolken, Nebel und Vogelzügen sowie Feuer, Wasser und Rauch weissagen zu können.
Ein «Scheißhaus vieler Teufel»
Da braute sich schon einiges zusammen im «richtigen Leben» des Johann Georg Faust aus Knittlingen, der irgendwann, irgendwo, wohl so um 60 Jahre alt, aus der Welt wieder verschwand – verschied.
Kann sein, der Mann starb friedlich im Bett, kann sein, er wurde feige gemeuchelt. Vielleicht auch, und das ist der Faust-Forscher liebste Version, verabschiedete er sich mit gehörigem Rumms bei einem nicht ganz nach Plan verlaufenden Experiment – ein alchemistischer Betriebsunfall.
Das würde ansatzweise die grausigen Schilderungen von seinem Tod erklären, die bald allen Gottesfürchtigen zur Wahrheit wurden. Noch eine Prise Schwarzkunst dazu (da ist der Teufel auch nicht fern) – fertig ist die Legende.
Schon einige Jahre vor seinem Dahinscheiden ist bedeutenden Männern klar, dass Faust im Pakt mit dem Satan steht: Zweimal wird er in Luthers Tischreden erwähnt – «da vber Tisch eines Schwartzkünstlers Faustus gedacht ward», «welcher den Teufel seinen schwoger hieß».
Etliche Jahre nach seinem Tod, 1563, kommt es noch dicker: Der Gelehrte Johann Manlius aus Ansbach gibt wieder, was angeblich sein Wittenberger Lehrer, der Reformator Philipp Melanchthon, über Faust gesagt hat: Der sei ein «Scheißhaus vieler Teufel».
Der überwiegend miese Ruf des Mannes aus Knittlingen eignete sich nun offenbar prima, einen Beelzebub ganz spezieller Art zu formen.
Der Frankfurter Verleger Johann Spies ließ alles zusammenfegen, was es an Gerüchten und Gemeinheiten über Faust zu erzählen gab. Das alles verrührte er mit erdachten Geschichten, alten Erzählungen und schockierenden Teufelsschilderungen.
1587 legte er ein Volksbuch genanntes Werk vor, die Historia von D. Johann Fausten, dem weitbeschreyten Zauberer vnd Schwartzkünstler, der sich dem Teufel verschrieb, allerlei erstaunliche Dinge erlebte und sein wohlverdientes Ende fand.
Zum großen Teil beruhe das Werk auf den eigenen Schriften Fausts, behauptete Spies – «allen fürwitzigen vnd Gottlosen Menschen zum schrecklichen Beyspiel». Und, damit auch der Letzte versteht, um was es hier geht: «Seyt Gott underthänig, widerstehet dem Teuffel.»
Das Buch wurde ein Renner, «ein Bestseller des 16. Jahrhunderts», wie die Historikerin Heike Hamberger sagt, Direktorin des Faust-Museums in Knittlingen. Bald gab es Neuauflagen der Historia, Raubdrucke und Übersetzungen – Faust eroberte Europa.
Berühmt werden konnte das Phantom aus Schwaben, weil es in eine Epoche zwischen den Zeiten fiel, in der das Alte nicht weichen wollte und das Neue noch um seinen Platz kämpfte.
Denn so viel sei klar, sagt Museumsleiterin Hamberger: «Hätte Faust hundert Jahre später gelebt, hätte kein Hahn nach ihm gekräht.»
Von Hans-Ulrich Stoldt
Der Text ist entnommen aus: http://www.spiegel.de