Главная страница «Первого сентября»Главная страница журнала «Немецкий язык»Содержание №4/2010

Literatur

Alice Schwarzer
Warum gerade sie? Weibliche Rebellen

Fortsetzung aus Nr. 03/2010

Romy Schneider
Schauspielerin

Was für ein entwaffnendes Nebeneinander von Dominanz und Demut, von Intelligenz und Irrationalität. Sie ist eine Frau, die Karriere gemacht hat, ist berühmt, tüchtig und reich, und träumt von der großen Liebe, einem Menschen fürs Leben, dem zweiten Kind und selbstgestrickten Pullovern. Eins schließt das andere aus. Heute. Aber sie will beides.
Wir treffen uns zweimal. Einmal nach den Dreharbeiten vom «Gruppenbild» in Berlin. Wenig später ein zweites Mal nach einem Gespräch mit Heinrich Böll in Köln. Beide Male macht sie mich sprachlos. Sie ist einer der absolutesten Menschen, denen ich je begegnet bin. Hier! Heute! Jetzt! Sofort! Alles! Oder nichts...
Sie hat die Radikalität eines Kindes. Sie ist nicht räsonabel, sie hat sich nicht «zur Räson bringen» lassen. Das mag ich an ihr. Sie ist keine Vernünftige, keine Angepaßte – und sie hat sich trotzdem durchgesetzt! Hat es ihnen allen gezeigt. Ist von der Kitsch-Sissi zur Charakter-Schauspielerin geworden, vom Töchterchen aus dem Kölsch-Berchtesgadener Bürgermief zu einer Frau mit unbequemer Sensibilität und kreativer Intelligenz.
Schon einmal habe ich sie so kennengelernt. Aus der Ferne. Das war 1970. Damals hat sie den Appell «Ich habe abgetrieben» und «Wir fordern die Abschaffung des § 218!» mitunterschrieben. Da hat ihr niemand was erklären müssen. Da brauchte man sie nicht zu überzeugen. Postwendend kam der Brief mit der Unterschrift zurück. Dazu ein Gruß und der Satz: «Da bin ich ganz und gar dafür!!!» Dreimal unterstrichen. Drei Ausrufungszeichen.
Mut hat sie. Selbst von Alain Delon, der den eiskalten Typen nicht nur im Film spielt, hat sie sich letztlich nicht einschüchtern lassen. Im Streit mit ihm hat sie einmal seinen Schrank aus dem Fenster gekippt... Ich glaube ihr das aufs Wort.
Auch in Hollywood hat sie nicht klein beigegeben («Ich wollt kein Palatschinken werden»). Als Mutter Magda mit ihr im Walt-Disney-Studio vorsprach («Die haben aus mir eine amerikanische Sissi machen wollen, haben mich angezogen wie ein bayrisches Weiberl mit Zöpferln»), da hat sie das «Jackerl» einfach wieder ausgezogen und ist gegangen.
Im Rückblick sagt sie nicht ohne Zorn: «Um die Schauspielerin zu werden, die ich heute bin, hab ich durch die größte Scheiße waten müssen!»
Emanzipation? «Klar», sagt sie. «Nur hab ich das erst spät begriffen.» Und: «Aber ich bin nicht in der Frauenbewegung. Ich mag die Bewegung nicht.» Gleichzeitig bewundert sie aktive Frauen. Zu mir sagt sie: «Wir zwei haben viel gemeinsam: Nicht nur unser Leben in Frankreich. Wir sind auch die beiden meistbeschimpften Frauen Deutschlands!»
Sie verdrängt, aber sie resigniert nicht. Sie ist sicherlich oft schwach und verzweifelt, aber sie kämpft. Sie hat Alain Delon überlebt («Ich wollte einfach nicht länger leiden») und auch Harry Meyen. Wenn auch nur knapp. In der Sylvesternacht, in der sie endgültig ging, ist sie schnurstracks in eine Fußklinik gegangen und hat da eine längst fällige Fußoperation machen lassen. «Und dann bin ich davongerannt.»
Nicht, ohne Meyen mit 1,4 Millionen DM – der «eheliche Zugewinn», von ihr verdient – abzufinden. Gezahlt hat sie schon oft für ihre Männer – wie so viele «Karrierefrauen», die den Preis für ihre Tüchtigkeit, die von Männern als kastrierend empfunden wird, in barer Münze zahlen müssen.
Aus der Meyen-Zeit gibt es Fotos, wo sie mit ihm auf dem häuslichen Sofa posiert: sie mit demütig bewunderndem Blick, er in stolzer Hausherrn-Pose. Sie gehört zu denen, die sich erst kleiner machen müssen, bevor sie hochgucken können... Sie hat es nicht lange durchgehalten.
Mir scheint, daß sie mit ihrer Demut oft bewußt oder unbewußt eigene Züge kaschiert, die ihr selbst unheimlich sind und deren Verurteilung als «unweiblich» sie fürchten muß: ihr Talent, ihren Ehrgeiz, ihren Stolz und ihre Aggressivität.
Meyen, bekannt vor allem als Ehemann des Stars, pflegte Romy einen Mangel an Bildung und Intelligenz vorzuwerfen. «Du liest ja noch nicht mal die Abendzeitung.» – Romy heute: «Er hielt sich für Professor Higgins, nur bin ich keine Fair Lady.»

Fortsetzung folgt

Aus: Alice Schwarzer: Warum gerade sie?
Weibliche Rebellen. 15 Begegnungen
mit berühmten Frauen. Frankfurt am Main:
Luchterband Literaturverlag, 1989. S. 183–190, 219–230.

 

Der Abdruck folgt dem Original von 1989 und entspricht damit nicht den heute gültigen Rechtschreibregelungen.

ent|waff|nen <sw. V.; hat> [mhd. entwafen(en)]: 1. jmdm. [gewaltsam] die Waffe[n] abnehmen: den Einbrecher e. 2. durch sein [entgegenkommendes] Wesen in Erstaunen setzen, etwa bestehende Antipathien besiegen u. so bewirken, dass jmd. seine widerstrebende Haltung aufgibt: jmdn. durch Lachen e.; <häufig im 1. Part.:> ihre Naivität war entwaffnend; von entwaffnender (sprachlos machender) Offenheit sein; <subst. 1. Part.:> sie hatte etwas Entwaffnendes.

De|mut, die; - [mhd. demu(o)t, ahd. diemuoti, zu: diomuoti = demütig, dionon (dienen) u. muoti (Mut), also eigtl. = Gesinnung eines Dienenden]: in der Einsicht in die Notwendigkeit u. im Willen zum Hinnehmen der Gegebenheiten begründete Ergebenheit: wahre, christliche D.; etw. in/mit D. [er]tragen; voll D.

rä|so|na|bel <Adj.; räsonabler, -ste> [frz. raisonnable, zu: raison, Räson] (veraltet, noch landsch.): a) vernünftig; b) tüchtig; c) gehörig.

Mief, der; -[e]s (ugs. abwertend): schlechte verbrauchte, stickige Luft (in einem Raum): in dem Zimmer ist ein fürchterlicher M.; Ü der M. (die abstoßende, bedrückende Atmosphäre) der Kleinstadt.

post|wen|dend <Adv.>: (von Antworten im Briefwechsel) unverzüglich, sofort, umgehend: Ü der Vergeltungsschlag erfolgte p. (ugs.; prompt).

ein|schüch|tern <sw. V.; hat> [zu mniederd. schüchteren, schüchtern]: jmdm. Angst machen u. ihm dadurch den Mut zu etw. nehmen: jmdn. mit/durch Drohungen einzuschüchtern versuchen; ein völlig eingeschüchtertes Kind.

klein beigeben: seinen Widerstand aufgeben, sich schließlich fügen; kleinlaut nachgeben; eigtl. = beim Kartenspiel dem Mitspieler nur Karten von kleinem Wert zuspielen, weil man keine besseren hat.

Pa|lat|schin|ke, die; -, -n <meist Pl.> [ung. palacsinta < rumän. placinta < lat. placenta, Plazenta] (österr.): dünner, zusammengerollter [u. mit Marmelade o. Ä. gefüllter] Eierkuchen.

vor|spre|chen: (bei jmdm., irgendwo) einen Besuch machen [um eine Bitte, ein Anliegen vorzubringen, um eine Auskunft einzuholen o. Ä.]: [wegen etw., in einer Angelegenheit] beim/auf dem Wohnungsamt v.

schnur|stracks <Adv.> (ugs.): a) auf dem kürzesten, schnellsten Wege: sie soll nach der Schule s. nach Hause gehen; b) ohne Umschweife, prompt; geradewegs: s. erklärte sie ihre Kündigung.

ka|schie|ren <sw. V.; hat>: so darstellen, verändern, dass eine positivere Wirkung erzielt wird, bestimmte Mängel nicht erkennbar, nicht sichtbar werden: seine Unkenntnis, Verlegenheit k.