Главная страница «Первого сентября»Главная страница журнала «Немецкий язык»Содержание №5/2007

Methodisches

Fremdsprachenerwerb und berufliche Perspektiven*

Andreas Siegert, Moskauer Industrie- und Handelskammer, Außenwirtschaftsabteilung, Berater für internationale Projekte und Qualifizierungen

Im Zeitalter der Globalisierung gewinnt Sprachkompetenz an Bedeutung für die berufliche Qualifikation. Auch Russland ist davon betroffen. Zum einen liegt dies an gemeinsamen historischen und kulturellen Wurzeln. Zum anderen ist es Ergebnis des steigenden Handelsvolumens zwischen der EU und Russland. Während Russlands Exporte in die EU im Wesentlichen aus Energieträgern bestehen, liefert die EU hochwertige Produkte nach Russland. In diesen strukturellen Unterschieden steckt möglicherweise ein enormes Konfliktpotenzial und gleichzeitig die Chance, positive Veränderungen zum gegenseitigen Vorteil zu erreichen.

Ein sich stärker an Europa orientierendes Russland benötigt ein großes Potenzial an qualifizierten Arbeitnehmern, die europäische Sprachen beherrschen sowie mit europäischer Kultur und europäischen Wertesystemen vertraut sind. Gleichzeitig hat Russland die einzigartige Chance, geografische Brücke – im wahrsten Sinne des Wortes – zwischen Europa und Asien zu sein und damit Gewinner des Globalisierungsprozesses zu werden.

Wie denkt die Bevölkerung Russlands über eine europäische Annäherung? Nach ihrer Identität befragt [1], definieren sich 40,6% der Einwohner der Russischen Föderation als Russen und 38,5% als Bewohner ihres Gebietes bzw. ihrer Republik. Sie sehen sich offenbar als Einwohner eines völlig eigenständigen staatlichen Gebildes ohne besondere kontinentale Bindung. Lediglich 4,3% der Bevölkerung definieren sich als Europäer. Sie sind nach dieser Umfrage allerdings wesentlich mobiler und entfalten eine umfangreichere Reisetätigkeit. Diese «Europäer» unter den Russen identifizieren sich auch über eine bestimmte Wertehaltung und sind, häufiger als andere Landsleute, Anhänger von Demokratie und Marktwirtschaft. Sie trauern dem Zerfall der UdSSR kaum nach. Scheinbar besteht ein Zusammenhang zwischen Wertesystemen und Identität.

Warum erwähne ich diese Aspekte? Nun, wer reisen und / oder seine beruflichen Perspektiven in der Heimat oder im Ausland verbessern will, muss Fremdsprachen beherrschen. Diese Entwicklung wird in Russland nicht anders sein als innerhalb der Europäischen Union. Letztere hatte bereits vor Jahren das bildungspolitische (allerdings noch längst nicht erreichte) Ziel gesetzt, dass jeder EU-Europäer neben seiner Muttersprache zwei Fremdsprachen beherrschen sollte. Der Erwerb von Fremdsprachen dient allerdings nicht nur dem verbesserten Austausch und Verständnis. «Schließlich ist Sprache mehr als nur ein Werkzeug: Wenn nur noch auf Englisch geforscht und gedacht wird, geht Einiges verloren, schränkt doch der Gebrauch nur einer Sprache relevante Erkenntnismöglichkeiten ein. Denn auch in der Wissenschaft ... ist nicht gleichgültig, in welcher Sprache die Gedanken zuerst ausgedrückt werden, da es immer zwischensprachliche Unterschiede in der Strukturierung der Welt geben kann.» [2]

Das im Bologna-Prozess formulierte Ziel eines europäischen Hochschulraums, dem sich auch Russland angeschlossen hat, forciert ebenfalls die Notwendigkeit von Sprachkompetenzen und von Konvergenzen der unterschiedlichen Hochschulsysteme. Damit einhergehend soll die räumliche Mobilität von Studierenden und Wissenschaftlern gesteigert werden. [3] Dieser Prozess bietet allen Ländern – auch Russland – enorme Chancen. Denn eine Verbesserung der nationalen Wertschöpfungsketten und seiner internationalen Wettbewerbsfähigkeit wird Russland nur durch gut qualifizierte Arbeitnehmer erreichen. Und das erfordert, insbesondere in einem volkswirtschaftlichen Transformationsprozess, Investitionen in Bildung und Wissenschaft. Insofern ist die Diskussion nicht anders, als in Ostdeutschland während der Übergangsphase politischer Systeme. [4]

Denen, die an diesem Punkt der Argumentation in Deutschland wie anderswo in der Welt darauf verweisen, wie teuer Bildung ist, zitiere ich gerne Abraham Lincoln: «Wer meint, dass Investitionen in Bildung teuer sind, soll es doch einfach mal mit Ignoranz versuchen!»

Damit leite ich zur gesellschaftlichen Wertschätzung von Bildung über. Nicht überall ist bekannt, dass Qualifikation die beste Versicherung gegen Arbeitslosigkeit und Perspektivlosigkeit ist. Nicht überall ist es gesellschaftlicher Konsens, dass Bildungsinvestitionen den Wohlstand einer Gesellschaft mehren. Nicht überall ist die Bereitschaft in gleichem Umfang vorhanden, die dazu notwendigen Anpassungen von strukturellen Veränderungen z. B. an Schulen und Hochschulen, von Lehrinhalten und Lernmethoden, die Durchlässigkeit zwischen Säulen und Ebenen des Bildungssystems zu erhöhen oder Veränderungen von Angeboten vorzunehmen.

Diese notwendigen Veränderungen sind Voraussetzung dafür, um den gesellschaftlichen Zusammenhalt bei Ihnen, wie auch in meiner Heimat zu sichern. Bezogen auf Russland mahnt die Weltbank ausdrücklich strukturelle Veränderungen des Bildungssystems an: «Eine Politik, die auf eine Verbesserung des russischen Bildungssystems gerichtet ist, sollte höchste Priorität haben, um die Grundlage für ein dauerhaftes Wachstum zu legen.» [5] Russland hat sich dieser Meinung angeschlossen und im Herbst 2005 gesteigerte Investitionen in das als desolat und sozial ungerecht empfundene Bildungswesen als eines der vier so genannten Nationalen Projekte beschlossen.

Warum ist Bildung die Grundlage gesellschaftlichen Reichtums? Weil qualifizierte Arbeitskräfte die Basis für Wertschöpfung und international wettbewerbsfähige Produkte sind und die Entfaltung jedes Einzelnen ermöglichen. Kurz gesagt: Bildungsinvestitionen sind Standortinvestitionen. Deutschland, als ein an Rohstoffen armes Land, ist ein gutes Beispiel dafür, dass ein hohes Bildungsniveau verbunden mit dem Streben nach wettbewerbsfähigen Produkten zu gesellschaftlichem Reichtum führen kann. Seit Jahren sind wir unangefochtener Export-Weltmeister. Bezogen auf Russland können wir festhalten: Mehr als 4 500 deutsche Firmen sind in Russland in der einen oder anderen Art und Weise registriert und Deutschland ist der wichtigste Handelspartner Russlands.

Andersherum gefragt: Was wäre eigentlich, wenn wir auf Bildung und eine aktive Industriepolitik verzichten würden? Wer die Konsequenzen unzureichend wettbewerbsfähiger Industriepolitik, die auch eine Folge unzureichend qualifizierter Arbeitnehmer ist, betrachten will, möge einen Blick auf die USA werfen. Es könnte ein Treppenwitz der Geschichte sein, wären nicht so viele Menschen durch Armut davon betroffen: Der Antriebsmotor des weltweiten Warenaustauschs steht heute als Verlierer der Globalisierung da:

Doch gerade vor dem Hintergrund dieser ernüchternden Fakten erhalten die Erfolge US-amerikanischer Wissenschaftspolitik ungeahnten Glanz: Durch US-amerikanische Bildungspolitik flossen 2004 über 13 Mrd. US-Dollar ins Land! Sie erreichte einen Umsatz von 18 Mrd. US-Dollar! 4,3% aller Akademiker weltweit wurden 2002 nach amerikanischen Standards ausgebildet – ein unschätzbarer Vorteil bei der Gewinnung von Meinungsbildnern und der Erschließung neuer Märkte oder der Bewahrung von Marktanteilen! Zum Vergleich sei erwähnt, dass ein derartiger Umsatz in Russland zur Schaffung von über 1,8 Mio Arbeitsplätzen geführt hätte. [7]

Mit enormen Bildungs- und Wissenschaftsinvestitionen sichern sich die USA auf lange Sicht die Dominanz in der Verteidigungs- und High-Tech-Industrie. Ihre darauf aufbauende Wirtschaftskraft führt zu stärkerem Wachstum und (nicht nur bei den Einwanderern!) höheren Geburtenraten sowie einer positiven Integrationsbilanz. Europa – und dazu rechne ich auch Russland – droht, wenn es sich nicht zu deutlich höheren Ausgaben für Bildung und Wissenschaft entschließt, den Anschluss an künftige (demographische, wirtschaftliche, technologische, gesellschaftspolitische, machtpolitische) Entwicklungen zu verpassen.

Meine These ist: Bildung erhält die Chance jedes Einzelnen, einen gesellschaftlichen Aufstieg zu erreichen, sofern seine gesellschaftliche Bedeutung anerkannt wird. Und zweifellos ist Russland eine der großen europäischen Kulturnationen, die Bildung anerkennt. Um wissenschaftliche Erkenntnisse in wettbewerbsfähige Produkte zu wandeln, bedarf es darüber hinaus jedoch einer Leistungsbereitschaft sowie unternehmerischen Denkens. Wie sieht es damit in Russland aus?

Eine positive, lebensbejahende und leistungsorientierte Auffassung wird in erstaunlichem Umfang von der russischen Mittelschicht geteilt, zu der sich immerhin 48,9% der Bevölkerung zählen:

Allerdings können deutliche Generationenunterschiede ausgemacht werden. Vor allem Jüngere haben sich den neuen Spielregeln der russischen Gesellschaft ziemlich erfolgreich angepasst und sind bereit, sich den Veränderungen zu stellen.

Junge Menschen, das sind diejenigen, die heute in Schulen und Universitäten sitzen oder nach abgeschlossener Ausbildung ihre ersten Berufserfahrungen sammeln. Sie wurden, und werden teilweise immer noch, nach bewährten pädagogischen Zielen ausgebildet – aber ihre Lebenswirklichkeit wird eine andere sein. Lehrer, so lautet ein deutsches Bonmot, bringen uns heute das Wissen von gestern bei, damit wir das Morgen erfolgreich meistern. Damit genau dieses nicht eintrifft, sollten wir uns fragen: Wo und wie bedarf Ausbildung und Qualifikationen einer zeitgemäßen Anpassung? Wie können Lehrkräfte lebenslang und praxisnah weitergebildet werden?

Gerade Bildungsinstituten kommt eine bedeutende Rolle in gesellschaftlichen Transformationsprozessen zu. Sie müssen und können auf die Zukunft vorbereiten. Dass ihnen das bisher gut gelungen ist, belegt eine bereits zitierte Umfrage der Friedrich-Ebert-Stiftung [9]: 58,6% der russischen Mittelschichten vertrauen ihren nationalen Bildungseinrichtungen. Die Bedeutung dieser Zahl wird deutlich, wenn Sie das Vertrauen in andere staatliche Einrichtungen betrachten: Regierung 33,8%; Lokalregierungen 23,4%; Miliz 18,5%; Staatsduma 13,4%; Parteien und politische Vereinigungen 6,2%. Um dieser Verantwortung gerecht zu werden, sind Entwicklungen zu antizipieren und angemessene Strategien zur erfolgreichen Bewältigung gesellschaftlicher Veränderungen zu entwickeln.

Welche neuen Herausforderungen erwarte ich künftig für die Sprachausbildung? Beispielhaft möchte ich drei Aspekte herausgreifen:

1. Weltweiter Handel, neue Vertriebswege und Techniken werden andere und sich schnell ändernde fachliche Berufsanforderungen stellen. Sprachkompetenzen werden eine Basisanforderung sein, auf die fachliche Qualifikationen aufgesetzt werden – nicht umgekehrt. Für Fremdsprachenfakultäten bedeutet das meines Erachtens, dass der Fokus nicht mehr auf der Ausbildung möglichst guter Linguisten liegt. Vielmehr wird es darauf ankommen, möglichst vielen Menschen adäquate Lernangebote zu unterbreiten, um eine Fremdsprache schnell, effizient und hinreichend – nicht perfekt – zu vermitteln. Übrigens: Das Erfordernis, Fremdsprachen zu lernen, wird sich unabhängig davon ergeben, ob und inwieweit sich Russland Europa annähert. Nur für den individuellen beruflichen Erfolg zu lernende Sprachen würden sich bei z. B. einer stärkeren Orientierung nach Asien ändern.

2. Wer die Notwendigkeit lebenslangen Lernens anerkennt, muss sich Gedanken darüber machen, wie er auf spezifische Bildungsbedarfe zugeschnittene Angebote unterbreitet. Menschen unterschiedlichen Alters, verschiedener Eingangsvoraussetzungen, zeitlicher und finanzieller Möglichkeiten oder Herkunft müssen und wollen qualifiziert werden. In diesem Zusammenhang sei darauf verwiesen, dass Russland einen Netto-Wanderungsgewinn aus den südlichen Nachbarländern hat. [10] Für diese Einwanderer sind nicht nur aus politischen Gründen Integrationsprogramme, die auch Sprachausbildung umfassen müssen, erforderlich.

3. Neben dem Erwerb von Sprachen wird interkulturelle Kompetenz eine wachsende Rolle spielen. Damit ist die Fähigkeit gemeint, über kulturelle Grenzen hinweg kommunizieren zu können. [11] Denn mit Sprachkompetenzen und steigender Formalqualifikation wachsen die Chancen internationaler Erwerbstätigkeit. [12] Diese, von der modernen Migrationsforschung als Transmigranten [13] bezeichneten Arbeitsnomaden sind vor allem in internationalem Umfeld tätig und werden als wichtige Indikatoren wirtschaftlicher Entwicklung angesehen. [14]

Wenn wir davon ausgehen, dass diese Annahmen zutreffen und es also wichtig ist, Fremdsprachen zu lernen, um darüber beruflichen und wirtschaftlichen Erfolg zu sichern, dann kommen wir schnell zu der Frage: Welche Sprache soll es denn sein? Nach Englisch ist Deutsch die am häufigsten unterrichtete Sprache in Europa. [15] Deutsch ist ferner die am meisten verbreitete Muttersprache Europas. Insbesondere in Osteuropa ist das Interesse am Erlernen der deutschen Sprache nach wie vor hoch – wenngleich die Lernendenzahlen beständig zurückgehen. Im Einzelnen werden folgende Trends beobachtet: Deutsch wird in der Schule gelernt, die Lernerzahlen in der traditionellen Hochschulgermanistik sind rückläufig, aber als berufliche Zusatzqualifikation ist Deutsch interessant. Letzteres ist vor allem deshalb erstaunlich, weil Deutsch als Wissenschaftssprache u. a. im östlichen Mitteleuropa «in den letzten Jahrzehnten massive und nachhaltige Rückschläge erlitten» hat. [16] Gleichwohl ist Deutsch immer noch eine der bedeutenden Wissenschaftssprachen der Welt. Wäre das nicht – neben anderen Gründen – eine hervorragende Motivation, ihre Verbreitung zu fördern? Wie aber können wir Menschen motivieren, Deutsch zu lernen?

Motivierend für das Erlernen der deutschen Sprache erweist sich für viele Menschen in Russland, neben einer primär deutsch geprägten Wissenschaftskultur, das hohe Ansehen, das Deutschland genießt. [17] Diese Wertschätzung steht teilweise in erstaunlichem Kontrast zu den Ergebnissen einer repräsentativen Umfrage, die Teil des Anholt GMI Nation Brand Index ist. Danach beurteilten Russen Deutschland insgesamt weit besser, als das Durchschnittsergebnis der anderen 34 teilnehmenden Länder. In den Bereichen: Wissenschaft, Innovation, Ideenlandschaft und politische Krisenhilfe erfolgte allerdings eine unterdurchschnittliche Bewertung. [18] Befragt nach ihren Gründen, Deutsch zu lernen, antworteten (mir) viele Russen: wir haben es in der Schule gelernt und es war leicht, darauf aufbauend zu studieren; Deutschland ist uns kulturell nah oder: wir haben viel Gutes über Deutschland gehört. Sie bestätigten damit im direkten Gespräch die repräsentativen Umfrageergebnisse.

Mit dem guten Image Deutschlands in der Russischen Föderation, der Ähnlichkeit unserer Wissenschaftssysteme und der weiten Verbreitung des Deutschen als Fremdsprache besteht eine gute Basis, um über unterstützende Schritte nachzudenken und gegenseitige Wertvorstellungen zu vermitteln. Welche konkreten Visionen haben wir denn dazu? Wäre es nicht fantastisch, wenn wir 2010 feststellen: Wie selbstverständlich werden Kindersendungen in unseren Ländern ausgestrahlt. Sie sehen im russischen Fernsehen «Die Sendung mit der Maus» oder die «Sesamstraße» in Deutsch. Und deutsche Kinderstuben erleben das «russische Sandmännchen». Deutsche Filme, die sich bereits jetzt großer Beliebtheit in Russland erfreuen, werden zur besten Sendezeit im Kulturkanal mit russischen Untertiteln ausgestrahlt – und umgekehrt. Und unsere Kinder lernen schon im Kindergarten durch entsandte Muttersprachler die jeweils andere Sprache.

Dazu bedarf es konkreter Schritte, die – vor allem beim Spracherwerb – möglichst bei Kindern ansetzen. Ihnen vor allem geben wir damit die Möglichkeit späteren beruflichen Erfolgs. Bereits heute können wir feststellen, dass Personen mit solider Fremdsprachenkompetenz und sehr hoher fachlicher Qualifikation regelmäßig die besseren beruflichen Möglichkeiten in Deutschland oder bei einer Beschäftigung in einer hier vertretenen deutschen Firma als Motivation zum Spracherwerb betonen.

Lassen Sie uns eine von mir ausgewertete Befragung unter 47 deutschen Unternehmen betrachten um zu sehen, ob sich die letztgenannte Annahme belegen lässt. Befragt, wie und nach welchen Kriterien sie russische Führungskräfte rekrutieren, antworteten sie wie folgt [19]:

Eine Studie der Universität Dresden bestätigt diese Aussagen: «Ausbildung und Erfahrungen in westlichen Firmen sind für russische Mitarbeiter eine sehr gute Chance, um später verantwortungsvolle Aufgaben zu übernehmen oder Manager-Positionen zu bekleiden.» [20] Für russische Fachkräfte mit Fremdsprachkenntnissen und Auslandserfahrung kann es sich demnach als lohnend erweisen, bei mittelständischen deutschen Firmen zu arbeiten. Allerdings sind hierbei interkulturelle Unterschiede zu beachten. So ist z. B. die bei russischen Arbeitnehmern häufig zu beobachtende Tendenz, für ein geringfügig höheres Entgelt den Arbeitgeber zu wechseln, kein Tatbestand, der von deutschen Personalchefs geschätzt wird.

Dass auch die Erwerbschancen hoch qualifizierter russischer Fachleute mit Fremdsprachkompetenz im Ausland zunehmen, lässt sich am Beispiel Deutschlands aus den Ergebnissen der Green-Card-Initiative ablesen: Nach Indern und Rumänen waren russische Staatsangehörige die Nationalität, die von den erleichterten Einwanderungsbestimmungen für IT-Spezialisten am intensivsten Gebrauch machten. [21]

Doch ist die Beherrschung von Fremdsprachen nicht nur ein Vorteil, um in einer ausländischen Firma oder sogar im Ausland zu arbeiten. Auch für die Beschäftigung in russischen Unternehmen wird dies zunehmend zu einem Plus. Denn je stärker sich Russlands Wirtschaft in den Weltmarkt integriert, umso größer wird die Nachfrage nach Arbeitskräften mit Fremdsprachenkompetenzen. Dass darüber eine Angleichung des Lohnniveaus, der Personalpolitik oder des Arbeitsumfelds an internationale Standards stattfinden wird, darf unterstellt werden.

Lassen Sie mich mit vier mir wesentlich erscheinenden Feststellungen schließen:

1. Die Wirtschaft unserer Gesellschaft verändert sich. Wir können uns diesem Wandel nur aktiv und flexibel stellen. Der Erwerb von Fremdsprachen ist ein ganz wesentliches Basiselement beruflicher Qualifikation. Darauf aufbauend sind fachliche Qualifikationen für den beruflichen Erfolg relevant.

2. Bildung ist generell ein erwiesenermaßen erfolgreiches Instrument, um diese Veränderungen erfolgreich für den Einzelnen, aber auch für Gesellschaften zu bewältigen. Bildungsprozesse werden künftig länger – vielleicht sogar lebenslang – währen sowie vielschichtiger und Bildungserfolge kurzlebiger sein. Sie werden andere Anforderungen an Bildungsinstitute stellen und wesentlich individueller zugeschnitten werden müssen.

3. Arbeitnehmer werden, sofern sie beruflich erfolgreich sein wollen, mehr Geld in ihre Qualifikation investieren und ihre Bildungsbedarfe sehr genau eingrenzen müssen. Damit sind Bildungsanbieter gezwungen, sich zu Dienstleistern und Beratern zu entwickeln, wenn sie im Wettbewerb um Kunden und Marktanteile erfolgreich sein wollen.

4. Künftig werden Erwerbsbiografien internationaler verlaufen und erfordern ein hohes Maß an interkultureller Kompetenz. Interkulturelle Kompetenz ist weit mehr als die Beherrschung einer Fremdsprache und ist am Besten durch frühe und länger währende Auslandserfahrung zu trainieren. Das wird zur Folge haben, dass künftige Erwerbsbiografien mobiler und flexibler sein müssen und ein konsistentes Wertesystem erforderlich ist, um individuelle Orientierung in einem anderen kulturellen Umfeld zu geben.

Es ist meine feste Überzeugung, dass unsere Zukunft wesentlich durch unsere heutigen Entscheidungen gestaltet wird. Investitionen, die wir jetzt vornehmen, werden sich morgen auszahlen. Bildung ist dabei eine der Ressourcen, die uns künftig gesellschaftlichen und individuellen Wohlstand sichern kann. Wer hieran spart, entscheidet sich, um bei dem Zitat Abraham Lincolns zu bleiben, für Ignoranz und gegen Zukunftschancen. Denn teurer als in Bildung zu investieren ist es, darauf zu verzichten.


*Internationale wissenschaftlich-praktische Konferenz «Integrationsprozesse im Bildungsbereich» (Abakan, 25.–27. September 2006). Vortrag (gekürzt).
1) Friedrich-Ebert-Stiftung: Russland ein Selbstbild. Moskau, März 2005, S. 5.
2) C. Földes: Deutsch als Wissenschaftssprache im östlichen Mitteleuropa, in: Deutsch als Wissenschaftssprache im 20. Jahrhundert, S. 204.
3) vgl. u. a. K. Faber: Europäischer Hochschulraum und Bologna-Prozess: Chancen für Russlands Studierende und Wissenschaftler. Vortrag vor der Universität Omsk,15.10.2006.
4) vgl. u. a.: A. Siegert: Mehr Wissenschaft und Forschung für den Osten. Deutschland-Archiv, 3/ 2002, S. 441 – 444.
5) The World Bank, From Transition to Development, A Country Economic Memorandum for the Russian Federation, Moscow 2005, S. 76.
6) DER SPIEGEL Online, 17.09.2006, Das Kraftzentrum schwächelt.
7) 2004 betrug das Bruttosozialprodukt Russlands pro Kopf der Bevölkerung 9.800 US$
8) Friedrich-Ebert-Stiftung. Die Russischen Mittelschichten: Dynamik ihrer Entwicklung 1999 – 2003, Moskau 2004, S. 39 ff.
9) ebd. S. 101
10) vgl. u. a.: I. Brade (Hg.): Die Städte Russlands im Wandel. Raumstrukturelle Veränderungen am Ende des 20. Jahrhunderts. Leipzig 2002; I. Brade/ A. Sünnemann/ M. Anz: Russland. Aktuelle Probleme und Tendenzen, Leipzig 2004; The World Bank, From Transition to Development, A Country Economic Memorandum for the Russian Federation, Moscow 2005.
11) R. Salman/ Th. Hegemann: Interkulturelle Dimension in psychosozialer und medizinischer Praxis, in: Handbuch interkultureller Kommunikation und Kooperation, Band 2, Göttingen 2003, S. 349.
12) vgl. Th. Straubhaar/ A. Wolter: Globalisation, Internal Labour Markets and the Migration of the Highly Skilled, in: Intereconomics, July/ August 1997, S. 174.
13) D. Goebel/ L. Pries: Transnationale Migration und die Inkorporation von Migranten, in: Migration – Integration – Minderheiten, BiB, Heft 107, Wiesbaden 2003, S. 39.
14) N. Rollason, N./ K. Napley: International Mobility of Highly Skilled Workers: The UK Perspective, in: International Mobility of the Highly Skilled, Chapter 19, S. 329, London 2002.
15) Ständige Arbeitsgruppe Deutsch als Fremdsprache, Datenerhebung 2005, München 2006, S. 5.
16) C. Földes: Deutsch als Wissenschaftssprache im östlichen Mitteleuropa, in: Deutsch als Wissenschaftssprache im 20. Jahrhundert, S. 193.
17) Eine im Mai 2006 durch die GfK Nürnberg veröffentlichte Umfrage («Was ist deutsch?») kam zu dem Ergebnis, dass 28,4 % aller Russen «die Deutschen» als «...normale, nette, freundliche und zivilisierte Menschen bezeichnen». (ebd., S. 9) Für 12% der Russen steht Deutschland für «...Qualität, Zuverlässigkeit und Spitzentechnologie. Deutsches Know-how spielt für Innovationen in Schlüsselbereichen der russischen Wirtschaft eine zentrale Rolle...» (ebd., S. 17 f.).
18) GMI, Das Deutschlandbild in Russland, 4. Quartal 2005, S. 6 ff.
19) Eigene Auswertung einer Erhebung, die 2003 vom Verband der Deutschen Wirtschaft in der Russischen Föderation in Zusammenarbeit mit dem DAAD unter deutschen Unternehmen durchgeführt wurde.
20) F. Groeger: Einfluss von Expatriates auf die Organisationsstrukturen deutscher Tochterunternehmen in Russland. München und Mering 2006, Band 24, S. 177.
21) Vgl.: D. Meyer: Green Card – Eine ökonomische Analyse, in: Sozialer Fortschritt, 5/ 2000, S. 118 und M. Rothgang/ C. Schmidt: The New Economy, the Impact of Immigration and the Brain Drain, New Economic Handbook, 2003, Kapitel 26, S. 583 ff.