Wissenschaft und Technik
Die Massenvernichtungswaffen der Antike
Bienenkatapulte, Giftangriffe, Flammenwerfer: Schon im Altertum griffen perfide1 Feldherren zu fatal wirksamen Mitteln, um den Gegner zu verwirren, zu schwächen, zu dezimieren2. Historiker kennen eine Fülle dieser ältesten Massenvernichtungswaffen
Als dem persischen König Kyros II. im Kampf gegen das Volk der Massageten eine bittere Niederlage drohte, griff er zu einer List. Im Jahr 530 v. Chr., so der griechische Chronist Strabon, habe der Herrscher vor dem Ansturm der feindlichen Reiter ein großes Festmahl auffahren lassen – und sich dann mit seinen Mannen aus dem Lager zurückgezogen. Nur die schwächsten Soldaten ließ er als Bauernopfer3 zurück, um die Falle zu kaschieren4. Als sich die allenfalls vergorene Milch gewöhnten Angreifer aus der Steppe siegestrunken über die Weinfässer hermachten, war es rasch um sie geschehen. In tiefe Bewusstlosigkeit gefallen, wurden sie von den Kriegern des Kyros einer nach dem anderen erschlagen.
In der Antike gehörte Wein zu den simpelsten Waffen der Massenvernichtung – insbesondere im Kampf gegen die Barbaren. Wie der Schriftsteller Polyainos im 2. Jahrhundert n. Chr. vermerkte, nutzten auch die Strategen des Römischen Reichs etwa den «von Natur aus maßlosen» Hang der Kelten zum Wein. Sobald sie besoffen am Boden lagen, «kamen die Römer und hackten sie in Stücke».
Auch wenn biologische und chemische Waffen seit jeher als feige gelten, sind sie doch genauso alt wie der ehrenhafte Kampf Mann gegen Mann. Wahrscheinlich warf man schon in der Steinzeit Bienen- oder Wespennester in die Höhlen der anderen.
Insekten, Pflanzen, Bakterien und Feuer als Waffe
Weil der Umgang mit den Insekten leicht zu Kollateralschäden5 führte, hielten die Römer sie in eigens dafür geflochtenen Körben und schossen diese mit Katapulten weit hinter die feindlichen Linien. Die Kriegsherren setzten die Biowaffe so häufig ein, dass sie, davon sind manche Forscher überzeugt, im 5. Jahrhundert n. Chr. die Bienenpopulationen im Reich spürbar dezimierten. Auch in der Neuen Welt kannte man den Trick. Im Popol Vuh, der heiligen Schrift der Maya, sind täuschend echt verkleidete Strohkameraden beschrieben, die vor einer Festung aufgestellt wurden. Stieß der Feind ihnen den Helm vom Kopf, fand er sich plötzlich inmitten eines Schwarms aggressiver Insekten wieder – die allerdings nicht mit ihrem Gift Verderben brachten, sondern durch die von ihnen gestiftete Verwirrung.
Wer jedoch mit Wespen, Hornissen und Bienen um sich schmeißt, greift auch zu anderen, viel giftigeren Tieren und Pflanzen. Wenn es darum ging, anderen Menschen Schaden zuzufügen, gab es unzählige Rezepturen, deren perfide Wirkungen auch heute noch erschrecken. So sah sich Alexander der Große im heutigen Pakistan Kriegern gegenüber, die ihre Pfeile in ein grausig wirkendes Gift getaucht hatten. Wie Diodorus im 1. Jahrhundert v. Chr. schrieb, wurden die getroffenen Soldaten unmittelbar von Krämpfen befallen und litten unter schrecklichen Konvulsionen. Sie erbrachen Galle, ihre Haut wurde kalt und blau. Aus den brandigen Wunden trat schwarzer Schaum, bis am Ende der «furchtbare Tod» wartete. Die Gegner hatten die Substanz aus verrotteten Vipern gewonnen. Die fauligen Säfte enthielten nicht nur das tödliche Toxin, sondern auch Myriaden gefährlicher Bakterien.
Die Kriegsherren jener Zeit kannten unzählige Giftquellen, darunter Käfer, Skorpione und natürlich diverse Pflanzen. Dabei war bereits die Herstellung der Kampfmittel mitunter ziemlich gefährlich. Weil man glaubte, dass beispielsweise schon die intensive Berührung mit dem Schwarzen Bilsenkraut das Ende bedeuten konnte, wurden Hunde oder Vögel an die Pflanze gebunden. Auf ein Klatschen mit den Händen rissen sie dann das Gewächs aus dem Boden.
Die Toxine wurden von Bogenschützen eingesetzt, aber auch – als erstes Massenvernichtungsmittel – von Brunnenvergiftern. So berichtet Pausanias, dass der griechische Stratege Solon im Jahr 600 v. Chr. bei der Belagerung der Festung Kirrha einen Bach mit Nieswurz vergiften ließ, deren Wirkung Plinius der Ältere (23–79 n. Chr.) beschrieb: «Die vielen Farben des Erbrochenen sind erschreckend und machen Angst, sich den eigenen Stuhlgang anzuschauen.»
Schon in der Antike wusste man um die ansteckende Wirkung von Krankheiten und nutzte deshalb die todbringenden Toten im Kampf gegen den Feind. Mit dem Katapult konnte man schließlich nicht nur Wespennester und Körbe voller Schlangen ins feindliche Lager schießen, sondern auch an Beulenpest verstorbene Menschen. Auf diese Weise kam übrigens der «Schwarze Tod» nach Europa – nämlich als die Mongolen im Jahr 1346 die Stadt Kaffa am Schwarzen Meer belagerten.
Doch kaum ein Mittel war so wirkungsvoll wie das Feuer. Einer der bizarrsten Vorfälle ereignete sich bei einer Schlacht unter Führung des makedonischen Heerführers Antigonus Gonatus. Als er im Jahr 270 v. Chr. mit riesigen Elefanten gegen die Einwohner von Megara in den Kampf zog, bestrichen diese zahllose Schweine mit Pech und zündeten sie an. Die in Todesangst und unter grässlichen Schmerzen herumhetzenden Tiere versetzten die Dickhäuter in Panik. Gonatus musste sich zurückziehen.
Als fast unschlagbar erwies sich Feuer bei Belagerungen. Dem Hagel brennender Pfeile konnten die Bewohner einer eingekesselten Stadt kaum etwas entgegensetzen. Entsprechend folgenschwer war im 6. Jahrhundert n. Chr. die Erfindung des «griechischen Feuers», eines Vorläufers des Napalms auf der Basis von Petroleum (von griechisch petra: Stein, und oleum: Öl).
Granaten mit Eisensplittern
Doch schon viele Jahrhunderte zuvor prädestinierten6 die furchtbaren Eigenschaften diesen stinkenden Stoff für die Kriegsführung: Das vor allem im Orient, aber auch andernorts natürlich zu Tage tretende Petroleum brannte nicht nur, sondern haftete zäh an seinen Opfern und ließ sich nicht einmal mit Wasser löschen. Zusammen mit Schwefel, Pech und ungelöschtem Kalk entstand daraus das pyr automaton, eine Paste, die sich durch einen Tropfen Wasser selbst entzündete. In tönerne Gefäße gefüllt, ließen sich diese antiken Vorläufer der Granaten hinter jede Festungsmauer schießen.
Im 9. Jahrhundert verstanden es Chinesen schließlich erstmals, das flüssige Feuer mit Flammenwerfern auf ihre Feinde zu richten. Dazu wurden die explosiven Zutaten in ein Bambusrohr gefüllt und mit Hilfe einer Art Pumpe verschossen. Und als ob das damit angerichtete Unheil nicht bereits groß genug gewesen wäre, mischten sie Eisensplitter, Keramikscherben, verschiedene Gifte, Salpetersäure und Exkremente darunter.
Von Joachim Schüring
1per|fid, per|fi|de <Adj.; perfider, perfideste> [frz. perfide < lat. perfidus = wortbrüchig, treulos, eigtl. = über die Treue hinaus, jenseits der Treue, zu: per = durch u. fides = Treue] (bildungsspr.): [verschlagen, hinterhältig u.] niederträchtig, in besonders übler Weise gemein: ein perfider Verrat; er hat seine Interessen perfid[e] durchgesetzt.
2de|zi|mie|ren <sw. V.; hat>: a) durch einen gewaltsamen Eingriff, zerstörerische Einwirkung o. Ä. in der Anzahl, im Bestand stark vermindern, verringern: eine Flotte d.; Kriege, Seuchen dezimierten die Bevölkerung; der Fischbestand ist stark dezimiert; b) <d. + sich> sich stark verringern, abnehmen: mit der Zeit dezimierte sich das Rudel; ihr Kundenkreis dezimierte sich.
3Bau|ern|op|fer, das (Schach): das Preisgeben, Schlagenlassen eines Bauern (2 a) zugunsten einer bestimmten angestrebten Stellung: durch das B. wurden für den Läufer die Diagonalen geöffnet; Ü die Entlassung des untergeordneten Beamten war ein echtes B. (geschah nur, um die eigene Position behalten zu können).
4ka|schie|ren <sw. V.; hat> [frz. cacher, über das Galloroman. zu lat. coactare = mit Gewalt zwingen, zusammendrücken] hier: so darstellen, verändern, dass eine positivere Wirkung erzielt wird, bestimmte Mängel nicht erkennbar, nicht sichtbar werden: seine Unkenntnis, Verlegenheit k.
5Kol|la|te|ral|scha|den, der [nach engl. collateral = nebensächlich; zusätzlich] (militär.; verhüllend): bei einer militärischen Aktion entstehender [schwererer] Schaden, der nicht beabsichtigt ist u. nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Ziel der Aktion steht, aber dennoch in Kauf genommen wird.
6prä|des|ti|nie|ren <sw. V.; hat> [(kirchen)lat. praedestinare = im Voraus bestimmen] (bildungsspr.): für etw. besonders geeignet machen, wie geschaffen erscheinen lassen: seine Redegewandtheit prädestiniert ihn für diese Aufgabe, diesen Beruf; für einen Sport, zum Politiker prädestiniert sein; dieser See ist für Fischzucht prädestiniert (besonders geeignet).
Der Text ist entnommen aus:
http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/0,1518,456809,00.html