Sonderthema
Karl der Große: Krieger, Christ und Reformator
In den nahezu 50 Jahren seiner Herrschaft schmiedet Karl der Große ein Reich, das vom Ebro bis zur Elbe, von der Nordsee bis nach Süditalien reicht.
Neben die kriegerischen Aktivitäten des Frankenkönigs tritt sein fruchtbares Wirken als Reformator nahezu sämtlicher Bereiche des politischen, administrativen und kulturellen Lebens im Frankenreich. Er fördert die Bildung, festigt die Religion, vereinheitlicht das Rechts- und Münzwesen und regt eine immense Bautätigkeit an.
Die Summe seines dynamischen Ausgreifens und seiner Machtentfaltung zieht Karl am Weihnachtstag des Jahres 800, als er von Papst Leo III. in Rom zum Kaiser (Imperator Romanorum) erhoben wird.
Mit diesem epochalen Akt, der in der Geschichte des Abendlands neue Impulse von kaum überschätzbarer Bedeutung und Tragweite setzt, hat sich das Fränkische Reich als dritte Großmacht neben Byzanz und dem Kalifat von Bagdad etabliert. Die Größe dieses Herrschers, der die Grundlagen des Abendlandes errichtet, haben schon seine Zeitgenossen erkannt und mit dem Ehrentitel eines Pater Europae gewürdigt.
Herkunft, Jugend und Aufstieg zur Alleinherrschaft in Franken
Zeitpunkt, Ort und nähere Umstände der Geburt Karls waren lange Zeit strittig. Die jüngste Forschung nimmt aufgrund neuerer und nochmals gründlich überprüfter Indizien das Jahr 747 bzw. 748 als wahrscheinlichstes Geburtsjahr an. Als Geburtstag gilt aufgrund eindeutiger Belege der 2. April. Unklar – und wohl nie mehr schlüssig nachzuweisen – ist der Geburtsort Karls. Keiner der zahlreichen, bisweilen legendenhaften Lokalisierungsversuche – darunter die Pfalz Ingelheim oder eine Reismühle an der Würm in Baiern – ist haltbar.
Väterlicherseits entstammt Karl dem fränkischen «Aufsteigergeschlecht» der Pippiniden, die seit Beginn des 7. Jahrhunderts ihre Macht im Frankenreich als Hausmeier der merowingischen Könige konsequent und energisch ausbauen.
Karls Vater Pippin III. der Jüngere (714–768) vollendet, was seine Ahnen mehr als ein Jahrhundert lang zielstrebig vorbereitet haben: Er ist bis 751 maior domus (Hausmeier) des letzten Merowingerkönigs Childerichs III. und wird nach dessen geschickt inszenierter, unblutiger Absetzung 751 auf dem Reichstag von Soissons zum König der Franken gekrönt. Maßgeblichen Anteil an der Thronerhebung Pippins hat Papst Zacharias. Auf eine schriftlich an den Pontifex gerichtete Anfrage «nach den Königen im Frankenreich, die damals keine königliche Gewalt hatten, ob das gut sei oder nicht», antwortet Zacharias, «dass es besser sei, der hieße König, welcher die Macht habe, als der, welcher ohne Macht sei».
Da Pippin die Krone somit letztlich aus der Hand des Papstes empfängt, kündigt sich bereits in Soissons das künftig immer engere, auf gegenseitige Abhängigkeit gegründete Bündnis zwischen römischem Papst und fränkischem König an.
Über die Jugendjahre Karls ist mit Ausnahme weniger, kaum aussagekräftiger Bruchstücke nichts bekannt.
Das von der Forschung erarbeitete, zwangsweise lückenhafte Bild stützt sich für das erste Lebensjahrzehnt hauptsächlich auf vergleichende Rückschlüsse aus der Familientradition. Da Karls Vater Pippin in der von seiner Familie geförderten und bevorzugten Abtei Saint-Denis erzogen wurde, ist es nicht unwahrscheinlich, dass dort auch Karl zumindest die Grundzüge einer lateinischen Bildung sowie Kenntnisse der romanischen Volkssprache erworben hat. Dass er von Kindesbeinen auf im Gebrauch der üblichen Kriegs- und Jagdwaffen unterrichtet wurde, reiten und schwimmen lernte, ist sicher. In sein künftiges Herrscheramt wurde er, wie sein Bruder Karlmann auch, schon sehr früh durch die schrittweise ausgedehnte Übernahme herrscherlicher Pflichten eingewiesen.
Karls urkundlich fassbare Biografie setzt ein, als er zusammen mit seinem 751 geborenen Bruder Karlmann im Juli 754 in Saint-Denis zum König gesalbt wird. Die Weihe spendet Papst Stephan II., der an diesem Tag sowohl den Brüdern als auch dem Vater den Ehrentitel eines Patricius Romanorum verleiht. Ab 760 nehmen zunächst Karl, dann auch Karlmann, Zug um Zug erweiterte öffentliche Funktionen und Verwaltungsaufgaben wahr: Beide Brüder stehen eigenen Besitzungen vor und begleiten den Vater auf Feldzügen.
Im Frühherbst 768 fühlt Pippin III. sein Ende nahen. Um sein Erbe zu bestellen, teilt er das Frankenreich unter den Brüdern auf. Karl erhält den nördlichen Teil, der sich von Aquitanien bis Thüringen erstreckt. Karlmann gebietet über den südlichen Teil von Burgund bis Alemannien.
Am 24. September 768 stirbt Pippin, zwei Wochen später werden seine Söhne an getrennten Orten formell zu Königen erhoben. Von Anfang an ist das Verhältnis zwischen den Brüdern durch die Frage der dynastischen Führungsposition gespannt. Die latente Feindschaft zwischen den Brüdern beruhte mutmaßlich auf einer ausgeprägten persönlichen Rivalität um den Vorrang auf höchster Ebene. Am 4. Dezember 771 entschärft der unerwartete Tod Karlmanns die zugespitzte Situation, eine militärische Klärung erübrigt sich.
Karlmann, der knapp 20-jährig stirbt, hinterlässt zwei erbberechtigte Söhne im Säuglingsalter, deren Thronansprüche Karl missachtet. Ohne langes Zögern greift er nach der Alleinherrschaft und nimmt die Huldigung der Großen seines verstorbenen Bruders entgegen.
Von dieser Tatsache auf skrupellose Machtgier zu schließen, scheint allerdings verfehlt. Nüchtern betrachtet hatte Karl gute Gründe, das Erbrecht der minderjährigen Prinzen zu umgehen, um so den Machterhalt der noch ungefestigten Dynastie zu sichern und das Reich in seiner Hand zu einen.
Weil Karlmanns Witwe Gerberga um ihre und ihrer Kinder Sicherheit fürchtet, flieht sie nach Pavia zum Langobardenkönig Desiderius, der politisch daran interessiert ist, dass die Zweiteilung des Frankenreichs erhalten bleibt und daher der Witwe Karlmanns Asyl gewährt.
Karl, der im Jahr zuvor eine Tochter des Langobardenkönigs geheiratet hatte, begreift die Aufnahme Gerbergas am Langobardenhof als Kampfansage und schickt seine Frau zu ihrem Vater zurück. In Rom hatte das Ehebündnis des Frankenkönigs mit einer Langobardin ohnehin große Sorge entfacht. Der Papst fürchtete durch diese Allianz eine Stärkung der langobardischen Aggression gegen den Kirchenstaat und konnte die Verstoßung der ersten Gemahlin Karls als deutliches Entwarnungssignal deuten. Fränkisches Königtum und römisches Papsttum rücken durch diesen Schritt Karls wieder näher aufeinander zu.
Um den Machtzuwachs Karls zu beschränken, fordert Desiderius den im Februar 772 neu gewählten Papst Hadrian I. auf, die Söhne Karlmanns zu Königen zu salben. Als sich der römische Pontifex diesem Verlangen widersetzt, fällt der Langobardenkönig mit seinen Truppen in den päpstlichen Besitzungen ein.
Die Eroberung des Langobardenreichs (773/774)
Herausragendes Kennzeichen der Königsjahre Karls des Großen zwischen 771 und 800 ist die Ausweitung und Sicherung seines Herrschaftsgebietes sowohl im Süden als auch im Osten bzw. Nordosten.
Den Beginn des räumlichen Ausgreifens markiert die 773 einsetzende und 774 abgeschlossene Eroberung des Langobardenreiches. Damit reicht Karls Machtsphäre im Südosten bis an die Grenzen des Kirchenstaates.
In seiner Not ruft Hadrian im März 773 den Frankenkönig um militärischen Beistand an. Nach langwierigen Beratungen und gescheiterten Gesandtenmissionen zieht Karl nach Italien. Das langobardische Heer bietet keinen nennenswerten Widerstand. Die Truppen lösen sich auf, große Teile des Adels opponieren offen gegen Desiderius und laufen zu den Franken über. Die langobardische Königsmacht, durch innere Kämpfe und ständige dynastische Wechsel ohnehin erschüttert, ist offensichtlich dem endgültigen Zusammenbruch nahe.
Im Winter 773 schließt Karl Desiderius in Pavia ein, wo sich dieser verschanzt hat, und feiert das Weihnachtsfest mit seinem Heer vor den Mauern der Langobardenhauptstadt.
Während seine Truppen Pavia umzingelt halten, zieht Karl 774 nach Rom, um dort das Osterfest zu feiern und «die hochverehrten Gräber der Apostelfürsten aufzusuchen». Er nutzt diese «Pilgerfahrt» als willkommene Gelegenheit, das Band mit dem Papst enger zu knüpfen. Am Grab des Heiligen Petrus schwören sich der Statthalter Christi und der fränkische König gegenseitige Treue.
Im Juni kehrt Karl nach Pavia zurück. Die Stadt ergibt sich, durch eine neunmonatige Belagerung entkräftet. Desiderius, der seine Machtbasis längst verloren hat, resigniert kampflos; die Großen des Langobardenreichs huldigen dem Frankenkönig.
Karl nennt sich fortan «Karl von Gottes Gnaden König der Franken und Langobarden und auch Patrizius der Römer (Patricius Romanorum)».
Den langfristigen, im Übrigen nie ernsthaft angefochtenen Machterhalt Karls in Italien sichert sein Sohn Karlmann, den der Vater 781 als König von Italien einsetzt.
Die Sachsenkriege (772–804)
«Kein anderer Krieg ist von den Franken mit ähnlicher Ausdauer, Erbitterung und Mühe geführt worden wie dieser. Denn die Sachsen waren – wie fast alle germanischen Stämme – ein wildes Volk, das Götzen anbetete und dem Christentum feindlich gesinnt war ...» (Einhard, Vita Karoli)
Noch während der Langobardenkönig Desiderius den militärischen und diplomatischen Druck auf den Papst verschärft, bricht Karl mit einem ersten Feldzug gegen Sachsen den langwierigsten und wohl auch blutigsten Krieg seiner Herrschaft vom Zaun. Dieser Vorstoß, der 772 in der Zerstörung des sächsischen Stammesheiligtums einen ersten Kulminationspunkt erreicht, markiert den Beginn einer 30-jährigen, durch wiederholte Rückschläge, Konterattacken und zunehmende Eskalation gekennzeichneten Auseinandersetzung.
Den Anstoß geben wiederholte Überfälle der heidnischen und unruhigen Nachbarn. Die Sachsen, deren Herkunft letztlich ungeklärt ist, siedeln im Raum zwischen Elbe, Saale, Unstrut, Harz und oberer Leine. Sie sind in «Schwärmen» organisiert, verzichten auf jede Form einer institutionalisierten Königs- oder Zentralgewalt und hängen einem heidnischen Götterglauben an.
Die Streitigkeiten zwischen Franken und Sachsen haben Tradition, beiderseitig angezettelte Grenzscharmützel und Übergriffe werden seit dem Jahr 531 berichtet. Obwohl Karls Vater Pippin einen fränkischen Tributanspruch durchsetzen konnte, gelten die Sachsen als gefährliche Plünderer und Unruhestifter, die den fränkischen Herrschaftsanspruch missachten und geschworene Eide brechen. «Mord, Raub und Brandstiftungen nahmen daher auf beiden Seiten kein Ende», schreibt Karls Biograf Einhard.
Karls erster Kriegszug ist zunächst erfolgreich. Seine Truppen zerstören die Eresburg und plündern das zentrale sächsische Heiligtum, einen Irminsul genannten, unter freiem Himmel aufrecht stehenden Holzblock von beachtlicher Größe, der als Welten tragende Säule kultisch verehrt wird. Die Vernichtung des heiligen Bezirks soll den christlichen Gott als überlegenen beweisen und die Sachsen zur Annahme des Christentums bewegen.
Der politische Gewinn dieser ersten Militäraktion ist fraglich und von kurzer Dauer. Der materielle Gewinn dagegen ist durchaus beträchtlich und handfest: Karls Truppen plündern den reichen Opferschatz der Irminsul und führen reiche Beute heim.
Obwohl Karl neben seiner kriegerischen Machtdemonstration auf Separatabsprachen mit sächsischen Großen setzt, Geschenke aus dem Königsschatz verteilt und großzügig Ämter und Ländereien vergibt, um die Führungselite auf seine Seite zu ziehen, kann von einer großflächigen, durchdringenden und vor allem dauerhaften Unterwerfung oder gar Christianisierung noch lange keine Rede sein. Immer wieder fallen scheinbar bereits gewonnene und missionierte sächsische Kontingente ab, die rudimentären Missionierungserfolge erfassen allenfalls einige Vertreter des sächsischen Adels. In regelmäßigen Schüben rotten sich neue Schwärme zusammen, schleifen fränkische Stützpunkte und dringen über die Grenzen vor. Es war ein sächsischer Guerillakrieg in sumpfigen Flussauen, vermoortem Flachland und dichten Wäldern, dem die gepanzerte, ortsunkundige fränkische Reiterei nicht gewachsen war.
Schließlich kann Karl 775 erneut aufständische Schwärme niederringen. Er zwingt die Sachsen, seine Oberherrschaft anzuerkennen, und gesteht ihnen im Gegenzug eine Art innerer Autonomie zu. Aber schon im Jahr darauf ist eine weitere «Strafexpedition» nötig, um die instabile fränkische Oberherrschaft gegen Aufstände und Abfälle zu sichern.
776 scheint der Durchbruch nahe: Viele Große Sachsens unterwerfen sich, lassen sich taufen und erkennen die Herrschaft Karls förmlich an. Der Friede ist damit allerdings noch lange nicht erreicht. Unter der Führung des sächsischen «Guerillaführers» Widukind unternehmen Aufständische 778 einen beispiellosen Verwüstungszug rheinaufwärts, bis sie von heraneilenden fränkischen Truppen zum Rückzug gezwungen werden.
Die Forschung vermutet, dass Karl spätestens diesen blutigen Übergriff zum Anlass nimmt, das Sachsenproblem über Zwangstaufen und Vertragsregelungen hinaus endgültig zu lösen. Von einer Aufrechterhaltung innerer sächsischer Autonomie kann von da an keine Rede mehr sein. Karls neue Strategie zielt auf die Unterwerfung und Eingliederung des gesamten Territoriums.
Zur Jahresmitte 779 bricht der König zu einer neuen Kriegsfahrt auf und erobert Westfalen. 780 leisten die Sachsen, abermals mit einer Strafexpedition überzogen, wiederum Eide und übergeben Geiseln.
782 droht ein weiterer schwerer Rückschlag: Obwohl ein großer Teil des sächsischen Adels die fränkische Herrschaft anerkennt und zum Christentum übergetreten ist, erhebt sich Widukind an der Spitze rebellierender Sachsen und schlägt ein fränkisches Heer am Süntel, einem bewaldeten Höhenzug des heutigen Weserberglands, vernichtend.
Einem Aufgebot aus sächsischen Großen und fränkischen Truppen gelingt es, die Rebellen niederzuringen. Bei Verden an der Aller unterwerfen sich die Sachsen und liefern die Rädelsführer aus. Um ein Exempel zu statuieren, lässt Karl 4500 Gefangene köpfen. Diese von Einhard berichtete Zahl wird von der heutigen Forschung für stark übertrieben gehalten und auf den Kreis der Haupträdelsführer eingeschränkt; das «Blutbad von Verden» fand zwar statt, aber nicht in dem erschreckenden Ausmaß, das der Biograf Karls wohl der Signalwirkung halber aufbauscht. Widukind kann entkommen und flieht nach Norwegen.
Wohl um diese Zeit erlässt der Frankenkönig mit der Capitulatio de partibus Saxoniae ein regelrechtes «Besatzungsrecht», das die Taufe verbindlich macht, die Treue gegen den Frankenkönig einfordert und insgesamt den Versuch einer politisch-administrativen Neuordnung Sachsens sowie dessen Eingliederung ins Frankenreich festschreibt. Karl setzt Bischöfe und Äbte ein und errichtet auch in Sachsen die Grafschaftsverfassung, wobei er sächsische Adlige zu Grafen ernennt.
Obwohl große Teile des sächsischen Adels, mit dessen Häuptern Karl die Grafenämter besetzt, kooperieren, und trotz der Niederlage von Verden sowie der daraus folgenden Hinrichtungen ist der sächsische Widerstand noch nicht gänzlich erloschen.
Es kommt zu offenen Feldschlachten, Karl schickt wiederholt Strafexpeditionen aus, die sächsische Dörfer verwüsten und niederbrennen.
Die endgültige Wende zeichnet sich 785 ab, als Widukind und andere sächsische Große in der Pfalz zu Attigny erscheinen und die Taufe annehmen. Karl hatte ihnen Straffreiheit zugesichert und sogar seinerseits Geiseln als Unterpfand seines Versprechens gestellt. Die Spitze der Rebellion ist gebrochen; Widukind geht nach der Unterwerfung in Attigny ins Dunkel der Geschichte ein.
Trotz der Einigung mit Widukind sieht sich Karl noch 792 gezwungen, Massendeportationen anzuordnen. Um letzte Unruhenester zu beseitigen, lässt er 10 000 Sachsen kurzerhand umsiedeln. 802 und 804 ist Sachsen endgültig befriedet und eingegliedert.
Die Absetzung Herzog Tassilos III. (788) und Baierns Eingliederung ins Reich
Signum der knapp 40-jährigen Herrschaft Herzog Tassilos III. ist sein zuletzt gescheitertes Bestreben, die Unabhängigkeit Baierns gegen den Machtanspruch der fränkischen Könige Pippin und Karl zu behaupten. Damit führt Tassilo die Politik seiner Vorgänger fort, die sich vor allem durch Bündnisse mit den Langobarden der einstigen merowingischen Hausmeier zu erwehren suchten. Am Ende obsiegt jedoch Karl: 788 setzt er Tassilo ab, erledigt das Stammesherzogtum, errichtet eine Grafschaftsverfassung und macht Baiern zu einem Teil des Frankenreichs.
Nach neueren Untersuchungen wurde Tassilo 741 in der herzoglichen Pfalz zu Regensburg geboren. Über die Mutter Hiltrud bestehen enge Familienbande zu den fränkischen Hausmeiern: Hiltrud ist die Tochter Karl Martells und damit die Schwester seiner Söhne Pippin und Karlmann. Dadurch ist Tassilo ein Neffe des späteren Frankenkönigs Pippins III. und damit ein Cousin Karls des Großen.
Als sein Vater Odilo im Januar 748 stirbt, ist Tassilo nominell Herzog, seine Mutter Hiltrud übernimmt die Vormundschaft.
Als Hiltrud 754 stirbt, übernimmt Pippin, seit 751 gesalbter König der Franken, die Vormundschaft über Tassilo. In den folgenden Jahren setzt er alles daran, den minderjährigen Baiernherzog unter seine Herrschaft zu zwingen. 755 findet sich Tassilo auf dem «Maitag», der fränkischen Reichsversammlung, ein; 756 nimmt er an einem Feldzug gegen die Langobarden teil.
757 wird der Herzog in Compiègne für mündig erklärt und leistet seinem Onkel einen Eid, dessen Rechtscharakter nur schwer greifbar und folglich in der Forschung umstritten ist.
Bis zum Tod des Frankenkönigs (768) kann der junge Herzog seine Stellung ungehindert ausbauen. Zwischen 763 und 772 entfaltet Tassilo eine selbstständige Herrschaft. Zahlreiche Urkunden belegen in der Titulatur des Herzogs ein königsgleiches Selbstbewusstsein. Es gelingt dem Herzog, den Regensburger Hof zu einem kulturellen und zivilisatorischen Zentrum auszubauen, das Künstler und Gelehrte anzieht. Die Skriptorien der baierischen Klöster machen sich um theologische Bildung und die Aneignung des geistigen Gutes der Antike und des frühen Christentums verdient. Tassilo fordert die baierischen Bischöfe auf, an ihren Kirchen Schulen einzurichten. Im Umfeld des Herzogs entstehen hochrangige Werke der Buch- und Goldschmiedekunst.
769 heiratet Tassilo Luitberga, die Tochter des Langobardenkönigs Desiderius. Das Bündnis mit den Herren Norditaliens soll seine Bemühungen um ein autarkes Herzogtum stärken.
772 steht der Herzog im Zenit seiner Macht: Er nimmt Kärnten als Anhängsel Baierns in Besitz, sein Sohn Theodo wird von Papst Hadrian I. getauft und gesalbt. In den Jahren zwischen 760 und 780 baut Tassilo seine Hausmacht durch eine Reihe großzügiger Klostergründungen und Stiftungen aus.
Der Niedergang des Herzogs setzt leise und zunächst unmerklich ein: 771 wird Karl Alleinherrscher. Thüringen, Hessen, Alemannien und die Rheinlande sind fest in die fränkische Reichsorganisation eingegliedert. Nur das Herzogtum Baiern (zwischen Donau, Enns und Lech) hat sich der fränkischen Oberhoheit praktisch vollständig entzogen.
Mit der langobardischen Niederlage 774 und der Absetzung seines Schwiegervaters Desiderius sowie dem fortan immer engeren Bündnis zwischen Papst und Frankenreich ist Tassilo außenpolitisch seiner letzten Stützen beraubt. Jeglicher Deckung entblößt, hat Tassilo keine Wahl: 781 noch folgt er der Ladung zum Hoftag in Worms, wo er die einst seinem Onkel Pippin geleisteten Eide erneuert und zwölf Geiseln stellt.
Trotz dieser Sicherheitsleistungen nehmen die Spannungen weiter zu. Ein zweites Mal bestellt Karl seinen Vetter Tassilo nach Worms ein. Als der Herzog jedoch diesmal den Gehorsam verweigert, setzt Karl drei fränkische Heere in Marsch, die an den Lech, zur Donau und gegen Tirol vorstoßen.
Bevor es zum Kampf kommt, lenkt Tassilo ein. Er unterwirft sich und erneuert am 3. Oktober 787 seinen Vasalleneid auf dem Lechfeld nahe Augsburg. Mit der Übergabe seines Herzogsstabes huldigt Tassilo dem König und erhält Baiern als Lehen zurück. Unter den dreizehn Geiseln, die er stellt, ist sein Sohn Theodo.
788 ist das Ende gekommen. Tassilo folgt mit seiner Familie und großem Gefolge einer Ladung nach Ingelheim, wo bairische Adlige eine scharfe Anklage gegen den Herzog erheben: Er habe sich schlecht gegen Vasallen des Königs betragen und mit den Avaren verschworen. Tassilo wird zum Tode verurteilt.
Aus Rücksicht auf die verwandtschaftlichen Beziehungen wandelt Karl das Todesurteil in ein Verbannungsurteil um. Tassilo wird zur Buße im Kloster Jumièges eingeschlossen.
Karl selbst zieht in Regensburg ein, schafft das Herzogtum ab, verbannt die Anhänger Tassilos, errichtet die Grafschaftsverfassung und stellt Baiern unter die Verwaltung seines alemannischen Vetters Gerold, der als Praefectus Bavariae herrscht.
Mit der Einführung der Grafschaftsverfassung ist das Stammesherzogtum der Agilolfinger erloschen, Baiern samt Kärnten ist nunmehr unselbstständiger Teil des Frankenreichs.
Über das weitere Schicksal des abgesetzten Herzogs fehlt jede sichere Nachricht. In der Folgezeit steigt Regensburg mit dem kirchlichen Zentrum St. Emmeram zu einem Stützpunkt der karolingischen Macht in Baiern auf.
Das spanische Abenteuer: Karls Feldzüge gegen die Umaijaden und die Katastrophe von Roncevalles (778–795)
Hintergrund der letztlich misslungenen karolingischen Intervention in Spanien ist sowohl die Eroberung der iberischen Halbinsel durch die Araber, als auch die durch innerarabische dynastische Revolten geprägte Situation des Landes. Daher bleibt der Auslöser der Spanienfahrt Karls ohne einen kurzen Rückgriff auf die geschichtliche Entwicklung unverständlich.
Knapp 30 Jahre nach dem Tod des Propheten Mohammed (um 570–632) gründet Kalif Muawiya ibn Sufyan I. (661–680) die Umaijadendynastie (661–749) und verlegt die Hauptstadt der arabischen Welt im Jahr 660 von Medina nach Damaskus.
749/750 werden sie von den Abbasiden, einer Sippe, die sich auf Abbas, den Onkel Mohammeds, zurückführt, geschlagen. Aus dem Norden Persiens stammend, erhebt die neue arabische Vormacht nun Medinat es-Salam, persisch Bagdad, zur Hauptstadt des Reiches.
Der letzte Umaijadenkalif Marwan II. (744–750) kann von Mesopotamien nach Ägypten fliehen, wird aber dort mit allen Mitgliedern seiner Familie ermordet.
Abd er-Rahman überlebt als Einziger und entkommt auf abenteuerlichen Umwegen nach el-Andalus (Spanien), wo die Araber 711 gelandet waren und eine von Statthaltern verwaltete, aggressiv expandierende Provinz des Umaijadenkalifats mit der Hauptstadt Córdoba errichtet hatten.
756 reißt Abd er-Rahman die Macht an sich und gründet mit dem Emirat von Córdoba das erste unabhängige Teilreich innerhalb des islamischen Herrschaftsgebietes.
Ab 760 revoltieren aufständische Städte, unterstützt vom abassidischen Kalifen in Bagdad, gegen die Herrschaft Abd er-Rahmans.
Im Jahr 777, während Karl seine Herrschaft in Italien festigt und seine Truppen gegen die aufständischen Sachsen unter Widukind vorgehen, erscheint der Statthalter von Saragossa auf der Reichsversammlung in Paderborn. Als Abgesandter rebellierender Araber, die sich gegen den Umaijadenemir Abd er-Rahman verschworen haben, bittet er Karl um Waffenhilfe. Vermutlich sieht der Frankenkönig darin eine günstige Gelegenheit, um im arabischen Spanien Fuß zu fassen. Er beschließt, dem Ansuchen um militärische Unterstützung nachzukommen, und überschreitet im Frühjahr 778 mit seinen Truppen die Pyrenäen. Das Heer verwüstet Pamplona und stößt bis Saragossa vor, kann die Stadt jedoch nicht einnehmen und muss praktisch unverrichteter Dinge wieder abziehen. Auf dem Rückmarsch steckt Karl zwei empfindliche Niederlagen ein: Nahe dem Passort Roncevalles unterliegt das Heer einem baskischen Angriff; in den Pyrenäen gerät dann auch noch im August 778 die Nachhut in einen baskischen Hinterhalt und wird bis auf den letzten Mann niedergemacht.
Die Zerschlagung des Avarenstaats (791–796/805)
Mit der Eingliederung Baierns ins Frankenreich stellt sich das Problem der ungesicherten Ostgrenze in neuer Schärfe. Die Avaren, ehemals Verbündete Herzog Tassilos, und von ihm möglicherweise gegen die Franken zu Hilfe gerufen, fallen 788 in Baiern und Italien ein. Nachdem Karl seine Herrschaft in Baiern gefestigt und die Anhänger der Agilolfingerdynastie entmachtet hat, entschließt er sich, die Grenzgefahr ein für alle Mal zu beseitigen.
Seit etwa 570 sind die Avaren, ein eurasisches Reiternomadenvolk, im Donaubecken bezeugt. Sie ziehen plündernd durch ganz Mitteleuropa, verheeren Kirchen, Klöster und Städte, erpressen Tributzahlungen. Für die fränkische Reichsgewalt stellen sie ein erhebliches Problem dar. Sie beherrschen die Länder am Mittellauf der Donau, auf der rechten Donauseite kontrollieren sie Krain, die untere Steiermark, ganz Pannonien, auf der linken Seite alles Land bis zur Theiß. Mit mehreren Langobardenkönigen unterhalten sie freundschaftliche Beziehungen und gewähren sowohl den baierischen als auch langobardischen Gegnern Karls ein Gast- und Schutzrecht innerhalb ihres Einflussbereichs zwischen Donau und Theiß.
Um die Ostgrenze seines Reiches zu sichern, befiehlt Karl drei Jahre nach der Absetzung Herzog Tassilos einen Vernichtungskrieg gegen die Avaren. Den ersten Angriffswellen im Jahr 791 folgen jahrelange Kriegszüge. 795/96 zerschlagen Karls Truppen den Avarenstaat und plündern den schier unermesslichen Schatz des Reitervolks. «Man kann sich nicht erinnern, dass sich die Franken je in einem anderen Krieg durch erbeutete Schätze und andere Reichtümer mehr bereicherten», berichtet Einhard. Anderen Quellen zufolge waren 15 Ochsengespanne nötig, um die gewaltige Silber- und Goldbeute abzutransportieren. Karl verteilt aus diesem Schatz großzügige Geschenke an Adelige, Papst und Kirche. Den beträchtlichen Rest schlägt er seinem Kronschatz zu.
Obwohl der Widerstand mit dem Feldzug von 796 gebrochen ist, kommt es bis 803 immer wieder zu Kämpfen mit neu formierten Avarenkontigenten. Nach 803 ebben die Auseinandersetzungen endgültig ab. 805 begeben sich avarische Große unter dem Druck heranrückender Slawen formell in den Schutz des Frankenreichs.
Imperator Romanorum: Die Kaiserkrönung im Jahr 800
Um 800 ist das Frankenreich die wichtigste Macht in Europa. Es umfasst etwa
1 Million Quadratkilometer mit 180 Diözesen, 700 Abteien, 750 Königsgutbezirken, in denen 150 Pfalzen mit 25 ausgebauten Residenzen liegen, 150 Gaue in Italien, 20 im fränkischen Spanien, 500 in Gallien und östlich des Rheins.
Die Summe seiner herrscherlichen Machtentfaltung zieht Karl am Weihnachtstag des Jahres 800, als er von Papst Leo III. in Rom zum Kaiser (Imperator Romanorum) erhoben wird. Mit diesem epochalen Akt, der in der Geschichte des Abendlands neue Impulse von kaum zu überschätzender Bedeutung und Tragweite auslöste, hat sich das Fränkische Reich als dritte Großmacht neben Byzanz und dem Kalifat von Bagdad etabliert.
Die Übertragung der Kaiserwürde am Weihnachtsmorgen des Jahres 800 hat eine lange Vorgeschichte, in deren Zentrum die römischen Auseinandersetzungen um Papst Leo III. stehen.
Leo, der Nachfolger des 795 gestorbenen Papstes Hadrian I., war aufgrund seiner Lebens- und Amtsführung vom Beginn seines Pontifikats an umstritten. Seine Gegner, zumeist Angehörige der höchsten päpstlichen Bürokratie, warfen ihm Eidbruch, Ämterschacher, Unzucht und Meineid vor. Ob die Klagen zu Recht geführt wurden oder unbegründet nur auf politischen Rufmord zielten, ist aus heutiger Sicht kaum mehr zu bewerten. Fest steht, dass etliche hochrangige Verschworene den gewaltsamen Sturz des missliebigen Papstes planten.
Am 25. April 799 schlagen die Attentäter zu. Als Leo III. an diesem Tag an der Spitze einer päpstlichen Prozession durch Rom zieht, wird er auf offener Straße vom Pferd gerissen. Die Angreifer misshandeln den Papst. Sie versuchen, ihm die Augen auszustechen und die Zunge aus dem Mund zu schneiden.
Schwer verletzt wird Leo in einem Kloster gefangen gesetzt, kann aber entkommen und wird von seinen Helfern nach Paderborn geleitet.
Ehrenvoll empfängt Karl den vertriebenen Pontifex, der mittlerweile gesundheitlich wieder voll hergestellt ist, in seiner Pfalz. Karl entsendet eine Untersuchungskommission nach Rom, die den Vorfall und vor allem den Gehalt der Vorwürfe vor Ort untersuchen soll. Unter starkem bewaffnetem Schutz brechen der königliche Tross und Leo III. im Spätherbst 799 auf. Am 29. November erreichen sie Rom, wo der heimkehrende Pontifex von Adel und Volk feierlich empfangen und im Triumph nach St. Peter geführt wird.
Anfang August 800 versammelt Karl «seine Großen und Getreuen» in Mainz und kündigt an, zum Schutz des Papstes nach Rom zu gehen. Dort will er «die verworrenen Zustände der Kirche ordnen». (Einhard)
Fast genau ein Jahr nach der Rückkehr Leos steht Karl vor den Toren der Ewigen Stadt und wird am 24. November 800 vom Papst sowie den Stadtrömern «mit höchster Demut und Ehrerbietung begrüßt und mit einem Mahl gewürdigt».
Eine Woche später, am 1. Dezember 800, versammelt der König römische Kleriker, fränkische Große und Angehörige der römischen Nobilität in der Peterskirche, um die Vorwürfe gegen den Papst zu erörtern. Am 23. Dezember tritt Leo an den Ambon (Lesepult) der Peterskirche und legt einen Entlastungsschwur ab.
Zwei Tage danach, am 1. Weihnachtsfeiertag, erhebt er während eines feierlichen Hochamts den fränkischen König zum Kaiser.
Karl, so Einhard, sei überrascht gewesen, hätte den Kaisertitel nur widerwillig empfangen und erklärt, «er würde die Kirche selbst an jenem hohen Feiertage nicht betreten haben, wenn er die Absicht des Papstes geahnt hätte».
Byzanz reagiert empört auf die aus oströmischer Sicht anmaßende Erhebung Karls. Einhard schreibt, Karl habe die «Eifersucht der oströmischen Kaiser, die ihm die Annahme des Titels schwer verübelten», mit «erstaunlicher Gelassenheit» ertragen. Letztlich habe der König und Kaiser «ihren Widerstand durch seine Großmut – denn in dieser Beziehung stand er weit über ihnen – und indem er ihnen zahlreiche Botschaften sandte und sie in den Briefen immer als Brüder anredete», überwunden.
Es wird die immense diplomatische Anstrengung deutlich, die Karl unternehmen muss, um sich mit Byzanz auszusöhnen. Tatsächlich sollte es zwölf Jahre dauern, bis das oströmische Kaiserreich die neue, ranggleiche Würde des westlichen Kaisertums endgültig akzeptierte.
Obwohl die formelle Anerkennung auf sich warten lässt, haben sich faktisch die Gewichte der Macht spätestens mit dem Weihnachtsmorgen 800 endgültig verschoben: Papsttum, abendländisches Christentum und westliche Kaiserwürde wachsen beginnend mit Leo und Karl zu einer untrennbaren, wenn auch schwierigen Allianz zusammen, die sich gegenseitig stützt und begründet.
Das politische Kräftespiel hat seinen Schwerpunkt nach Westen verschoben, der bis dahin zumindest ideell noch immer behauptete byzantinische Führungsanspruch erlischt; griechische und lateinische Welt entwickeln sich fortan eigenständig.
Als Harun ar-Raschid, der Kalif von Bagdad, dem Kaiser 802 die Verfügungsgewalt über das Heilige Grab in Jerusalem zugesteht, hat sich der Herrscher des Westens als Schutzherr der Heiligen Stätten in Jerusalem gegen Ostrom behauptet; und was wir heute als Beginn der nachantiken europäischen Geschichte begreifen, wurzelt im römischen Krönungsakt des Jahres 800.
Kaiserjahre, Nachfolgeregelung und Tod
In den Jahren nach der Kaiserkrönung nimmt die Zahl militärischer Aktionen ab, während die gesetzgeberischen Tätigkeiten zunehmen. Obwohl Karl nach wie vor an Heereszügen teilnimmt und noch immer zu Pferde sein Reich bereist, verlagert sich der Schwerpunkt seines Lebens deutlich nach Aachen, wo er die Pfalz zu einer Art dauernder Residenz ausbaut. Hier konzentriert sich der nunmehr über 50-jährige Kaiser auf die administrative Sicherung seiner Herrschaft, den Ausbau der Verwaltung und den Fortschritt seiner Bildungsreform.
Die Annahme des Kaisertitels bedeutet letztlich nicht nur eine machtpolitisch wirksame Rangerhöhung nach außen. Vom Statthalter Christi auf Erden gesalbt, von Gott eingesetzt und seiner Gnade teilhaftig, versteht Karl sein Amt als Schutzherrschaft über die abendländische Christenheit und fühlt sich einem über den Stämmen stehenden Einigungswerk aus dem Geiste des Christentums verpflichtet.
Weil mit der Kaiserwürde eine neue, geistige Qualität der Herrschaft erreicht ist, die das Königtum wesentlich übersteigt, fordert Karl in einem Kapitular des Jahres 802 von allen freien Reichsangehörigen den Eid auf das Nomen Caesaris, den Kaisernamen, ein. Dabei schwören die Franken nicht nur, dem gottgekrönten imperator christianissimus die Treue; sie verpflichten sich außerdem, die Gebote der christlichen Religion einzuhalten. Nicht zuletzt wird darin deutlich, dass abendländisches Kaisertum und lateinische Christenheit des Westens als untrennbare Einheit gedacht sind.
Ein weiteres entscheidendes Dokument der Kaiserjahre ist Karls politisches Testament, das die Thronfolge und Reichsteilung für die Zeit nach seinem Tod regeln soll. In dem 806 aufgesetzten Reichsteilungsgesetz (divisio regnorum) bestimmt Karl seinen ältesten Sohn Karl den Jüngeren zum König über den «gesamten fränkischen Kernraum von der Loire bis an den Rhein und die neu erworbenen Gebiete bis an die Elbe und die Donau». Von den anderen beiden Söhnen erhält Pippin Italien, Baiern und das südliche Alemannien. Ludwig solle über Aquitanien, Septimanien (die heutige Languedoc), die Provence und Teile Burgunds herrschen. Allen drei Söhnen ist in der divisio letztlich nur der Königstitel zugedacht; die Frage der Kaiserwürde bleibt dabei unberührt.
Um die Durchsetzung seiner Reichsteilung abzusichern, lässt Karl die divisio regnorum von den fränkischen Großen beschwören und dem Papst zur Unterschrift vorlegen.
Tatsächliche Geltung erlangt die Nachfolgeregelung allerdings nicht, da Pippin und Karl der Jüngere bereits 810 bzw. 811 vor ihrem Vater sterben. Einziger und alleiniger Erbe aller drei Teilreiche ist damit Ludwig (der Fromme), der – 813 von Karl zum Mitkaiser erhoben – das fränkische Reich bis zu seinem Tod im Jahr 840 regieren sollte.
Den Zenit seiner Macht erreicht Karl im Jahr 812: Nach langwierigen und schwierigen Verhandlungen erkennt der byzantische Kaiser (basileus) gegen Abtretung von Dalmatien, Istrien und Venetien das neu errichtete Kaisertum des Westens an. Obwohl gemäß der erzielten Übereinkunft der Ostkaiser den Titel eines imperator Romanorum, der Westkaiser nur den attributlosen Titel imperator führt, ist faktisch das Gegenteil des titularischen Anspruchs erreicht: Byzanz zieht sich auf den Osten zurück und entwickelt sich in der Folgezeit zum imperium orientale. Das Kaisertum Karls wird als imperium occidentale zum Inbegriff des römisch geprägten christlichen Europas, weshalb Karls Hofgelehrte ihren Herrscher als Pater Europae und damit als Stifter einer geschichtsmächtigen kulturellen Einheit preisen.
Im Januar 814 erkrankt der Kaiser an einem Fieber und stirbt in den Morgenstunden des 28. Januars, in seinem 66. Lebensjahr, an den Folgen einer Rippenfellentzündung. Der Leichnam wird noch am selben Tag beigesetzt. Als wahrscheinlichster Ort der Grablege gilt das Atrium des Aachener Münsters. Das schlichte Grab überspannt ein goldener Bogen mit einer Inschrift in lateinischer Sprache. Sie trägt, ins Deutsche übersetzt, folgenden Text: «Hier liegt der Leib Karls, des großen und rechtgläubigen Kaisers, der das Reich der Franken herrlich vergrößert und 47 Jahre regiert hat. Er starb als Siebziger im Jahre des Herrn 814, in der siebten Indiktion, am 28. Januar.»
Im Jahr 1000 lässt Kaiser Otto das nach langer Suche gefundene Grab öffnen – er hatte den Kirchenboden aufbrechen und umgraben lassen –, danach bleibt es für nahezu zwei weitere Jahrhunderte vergessen.
1165 gelingt es Friedrich I. Barbarossa das Grab aufzuspüren, allerdings erst, nachdem ihm eine Vision die genaue Stelle offenbart hat. Anlass ist die von Friedrich vorangetriebene und vom Gegenpapst Paschalis vorgenommene Heiligsprechung Karls am 29. Dezember 1165.
Seit dem 12. Juli 1215 ruhen die Gebeine im Karlsschrein des Aachener Münsters. An diesem prächtigen, nach 1182 begonnenen Reliquiar hatten die ersten Künstler des Reichs rund drei Jahrzehnte gearbeitet.
Karl der Große
Zeittafel
2.4.747/748 Karl als Sohn Pippins III. und der Bertrada in Aachen geboren.
768 Nach dem Tod Pippins erben Karl und sein jüngerer Bruder Karlmann dessen Reich. Das Reich wird in Nord (Karl) und Süd (Karlmann) aufgesplittert.
Winter 769/70 Karls Friedelfrau Himiltrud bringt den gemeinsamen Sohn Pippin zur Welt, der einen Geburtsfehler hat, nach welchem er später «der Bucklige» heißen soll.
770 Auf Wunsch der Mutter Bertrada heiratet Karl eine langobardische Prinzessin, verjagt sie aber nach kaum einem Jahr von seinem Hof.
4.12.771 Karlmann stirbt nach kurzer Krankheit in Samoussy. Karl wird unumstrittener Frankenherrscher.
771/72 Karl heiratet Hildegard, die Tochter eines fränkischen Adeligen.
772 Auftakt zu den über dreißig Jahre andauernden Sachsenkriegen. Karl erstürmt die Eresburg und zerstört den heidnischen Irminsul.
773 Nach päpstlichen Bittgesandtschaften rückt Karl in Italien gegen die Langobarden vor und belagert die Hauptstadt Pavia.
3.4.774 In Pavia nimmt Karl die Kapitulation des Desiderius entgegen. Das langobardische Königreich erlischt, Karl macht sich selbst zum König der Franken und Langobarden.
774–776 Mehrere Feldzüge gegen die Sachsen.
777 Karl hält in der nach ihm benannten Karlsburg (Paderborn) seine erste Heeresversammlung ab. Viele Sachsenstämme erscheinen und unterwerfen sich oder lassen sich taufen. Arabische Gesandte überreden Karl zu einem Feldzug gegen den Emir von Cordoba.
778 Karl fällt in Spanien ein, erobert Pamplona und scheitert vor Saragossa. Bei seinem Rückzug fallen die christlichen Waskonen in den Pyrenäen über seine Nachhut her, die unter der Führung von Karls Paladin Roland im Tal von Roncevalles aufgerieben wird.
779 In Sachsen flammen neue Aufstände unter der Führung des Landadeligen Widukind auf.
782 Bei einem erneuten Einfall nach Sachsen wird eine fränkische Heeressäule am Süntel vernichtet. Bei Verden an der Aller rächt sich Karl, indem er mutmaßliche Rädelsführer hinrichten lässt (angeblich 4500 Mann).
785 Widukind unterwirft sich auf der Pfalz von Attigny und lässt sich taufen.
787 Karl stürmt nach Bayern, wo sich Herzog Tassilo von Bayern bald unterwirft und seinen eigenen Sohn als Geisel ausliefert.
788 Auf der Heeresversammlung von Ingelheim wird Tassilo zum Tode verurteilt. Dies wandelt Karl in Klosterhaft um. Den Rest des Jahres verbringt Karl in Tassilos ehemaliger Residenz Regensburg.
791 Erster Avarenfeldzug.
792–795 Weitere Sachsenaufstände, die Karl in langwierigen Kämpfen niederschlägt.
793 Adelsaufstand unter Pippin dem Buckligen. Nach der Niederschlagung des Aufstandes muss Pippin ins Kloster nach Prüm.
796 Erneuter Vorstoß ins Avarenreich. Awarenherrscher Kagan unterwirft sich.
25.12.800 Karl wird durch Papst Leo in der Peterskirche in Rom zum Kaiser gekrönt.
806 Reichsversammlung in Diedenhofen. Karl lässt sich von der Nobilität die divisio regnorum bestätigen, welche vorsieht, dass Ludwig und Pippin Unterkönige bleiben und Karl der Jüngere das Gesamtreich erben soll.
811 Karls ältester Sohn Pippin der Bucklige stirbt, ebenso wie sein Namensvetter und Unterkönig von Italien Pippin. Auch Karl der Jüngere ereilt in diesem Jahr der Tod, was die divisio regnorum überfällig macht.
812 Gegen die Übergabe von Venedig und Dalmatien erkennt der oströmische Kaiser Michael I. die Kaiserwürde Karls an.
813 Am Aachener Hof krönt sich Ludwig zum Mitkaiser.
28.1.814 Karl stirbt in Aachen.
Fragen
1. Was ist von der Herkunft und den Vorfahren Karls des Großen bekannt?
2. Wie und wodurch gelangt Karls Vater Pippin III. zur Königswürde?
3. Auf welche Autorität stützt sich Pippin III., um die Königsherrschaft für sich zu beanspruchen?
4. Welchem Umstand verdankt Karl die Alleinherrschaft im Frankenreich?
5. Wie und warum kommt es zu Karls Feldzug gegen die Langobarden?
6. Mit welchem Ereignis endet der Feldzug Karls gegen die Langobarden – welche Titel nimmt der fränkische König zusätzlich in seine Titulatur auf?
7. Wie verlaufen und womit enden die Sachsenkriege, die Karl der Große im Laufe von 30 Jahren führt?
8. Auf welche Weise wird Baierns Eingliederung ins Frankenreich erreicht?
9. Womit endet «das spanische Abenteuer» Karls des Großen?
10. Welche Bedeutung hatte die Zerschlagung des Avarenstaates für das Frankenreich?
11. Welche Ereignisse führen zu der engen Bindung zwischen Papst und König; warum ist der Papst auf die Hilfe des Königs und der König auf die Hilfe des Papstes angewiesen?
12. Welche Schritte führen zur Kaiserkrönung am 25. Dezember 800?
13. Was bedeutet die Annahme des Kaisertitels für die weitere Entwicklung des «christlichen Abendlandes»; welche bisherige Vormacht wird dadurch abgelöst?
14. Welche herrscherlichen Ansprüche und welches Selbstverständnis lassen sich aus der divisio regnorum herauslesen; wie und wodurch sind sie legitimiert?
15, Worin besteht Karls hauptsächliches Anliegen, was versucht er, um jeden Preis mit seinem politischen Testament zu verhindern?
16. Warum wird Karl von seinen Zeitgenossen als «Vater Europas» geehrt; welches Ereignis rechtfertigt diesen Ehrennamen?
17. Kann man Karl aus heutiger Sicht zu Recht als ersten Europäer und Vater Europas bezeichnen – was spricht dafür, was dagegen?
Die Materialien sind entnommen aus:
http://www.br-online.de/bildung/databrd/kdg01.htm/kdg01ma.htm
http://www.br-online.de/bildung/databrd/kdg02.htm/kdg02ma.htm
http://www.br-online.de/bildung/databrd/kdg03.htm/kdg03ma.htm