Wissenschaft und Technik
Ostdeutsche wachen früher auf
Natürliche Lichtverhältnisse beeinflussen unser Schlafverhalten stärker als offizielle Uhrzeiten – wenn wir es zulassen. In den Schlafzeiten von über 21 000 Deutschen lasen Forscher: Ostdeutsche wachen früher auf als Westdeutsche und Großstädter ticken anders.
Der Anfang der Schlafforschung musste im Bunker stattfinden, weil Forscher bei einer der alltäglichsten Tätigkeiten des Menschen kaum auseinanderhalten konnten: Was steckt in uns drin? Was bestimmt die Umwelt?
In den sechziger Jahren mussten Probanden von Schlafforschern – in der Fachsprache heißen sie Chronobiologen – in einen ausgedienten Bunker im oberbayerischen Andechs einziehen. Fern von äußeren Einflüssen wie Tageslicht, Lärm, anderen Menschen oder gar Uhren. So fand man heraus: Ein grober Tagesrhythmus steckt in jedem von uns, als würde der Körper mitzählen. Eine genaue Synchronisation schafft er alleine aber nicht. Dazu ist beispielsweise die Sonne nötig.
Doch wie ist es im normalen Alltag, wo die wenigsten Zeitgenossen auf ihren Körper hören, sondern auf Wecker, Familienmitglieder, Kernarbeitszeiten oder das TV-Programm? Wer ist hier der Zeitgeber für die innere Uhr – der natürliche Hell-Dunkel-Rhythmus oder gesellschaftliche Faktoren?
Ostdeutsche schlafen weniger
Der Münchner Chronobiologe Till Roenneberg hat Daten von mehr als 21 000 freiwilligen Teilnehmern aus verschiedenen Teilen Deutschlands ausgewertet, die im Internet einen Online-Fragebogen zu ihrem Schlafverhalten ausgefüllt hatten. Das Ergebnis: Vor allem in eher ländlichen Gebieten und Kleinstädten laufen die inneren Uhren der Bewohner synchron mit dem natürlichen Tageslichtzyklus und nicht mit der offiziellen Uhrzeit. In Großstädten nehme der Einfluss der Tageslänge dagegen ab, berichten Roenneberg und seine Kollege aus Indien und den Niederlanden in der Fachzeitschrift «Current Biology».
Für ihre Untersuchung nutzten die Wissenschaftler aus, dass zwischen der offiziellen Uhrzeit und der – wie sie es nennen – lokalen Sonnenzeit zum Teil deutliche Diskrepanzen bestehen. So liegt etwa in Paris die offizielle Mitternacht eine Stunde vor der eigentlichen Mitte der Nacht, also dem Zeitpunkt, an dem die Hälfte der dunklen Periode verstrichen ist. Im spanischen Santiago de Compostela beträgt die Differenz sogar eineinhalb Stunden.
Wäre die Uhrzeit jene Komponente, auf die sich die innere Uhr einstellt, dürften sich die Unterschiede der Tageslänge zwischen östlicher und westlicher gelegenen Regionen nicht im Schlaf- und Wachverhalten der Menschen widerspiegeln, lautete der Ausgangspunkt der Forscher. Sei die innere Uhr dagegen mit dem Licht- und Dunkelzyklus synchronisiert, müsse sich eine Differenz zeigen. Einen solchen Zusammenhang zwischen dem persönlichen Tagesrhythmus der Menschen und ihrem Wohnort fanden die Forscher auch: Obwohl alle Teilnehmer in der gleichen Zeitzone lebten, schliefen die Menschen im Osten Deutschlands, wo die Sonne früher aufgeht, an freien Tagen im Schnitt weniger lang als die Probanden im Westen.
Persönlichen Tagesrhythmus stärker berücksichtigen
Besonders ausgeprägt war der eindeutig nachweisbare Effekt bei jenen Teilnehmern, die in kleinen Städten mit weniger als 300 000 Einwohnern lebten. Je größer dagegen die Städte waren, desto geringer waren die Unterschiede zwischen östlicheren und westlicheren Regionen, schreiben die Forscher. In den Großstädten seien die Menschen den Licht- und Dunkelzyklen weniger intensiv ausgesetzt. Ihre inneren Uhren reagieren daher auf andere, dominantere Signale, so die Forscher.
Die Studie stütze schon früher geäußerte Forderungen, bei Schul- und Arbeitszeiten sowie in medizinischen Fragen den persönlichen Tagesrhythmus stärker zu berücksichtigen als die offizielle Tageszeit, schreiben die Wissenschaftler.
Der Text ist entnommen aus:
http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/0,1518,461424,00.html