Wissenschaft und Technik
Sorge vor dem Weltkrieg ums Wasser
Was macht das Klima in 60 Jahren? Sengende Hitze führt zu nicht gekannten Dürren, der Nil wird zum Rinnsal, Industrie und Bevölkerungswachstum verknappen das Wasser – der Durst der Massen wird übermächtig. Experten arbeiten schon jetzt daran, einen Weltkrieg um die lebenspendende Ressource zu verhindern.
Das Bonmot wird Mark Twain in den Mund gelegt. Whisky sei zum Trinken da und Wasser, um darum zu kämpfen, soll der amerikanische Schriftsteller und Autor von Tom Sawyers Abenteuern gesagt haben. Der Blick Twains war damals auf Kalifornien gerichtet, Sonnenstaat zwar, aber auch Wassermangelgebiet. Nennenswerter Regen fällt dort seit jeher nur im Winter und im Norden. Gebraucht wird das Wasser aber im Sommer und im Süden. Sozialkritisch und pessimistisch war der 1910 gestorbene Weltliterat, aber kein solcher Visionär, dass er die Folgen von Bevölkerungsexplosion und Klimawandel im 21. Jahrhundert hätte vorausahnen können.
Denn da haben sich die Dinge zugespitzt. Es strömt weiter reichlich Whisky aus den Brennereien, doch (Süß-)Wasser wird immer knapper. Nicht nur in Kalifornien, sondern auf allen Kontinenten. Es ist nicht übertrieben: Die Welt steckt in einer zunehmenden und umfassenden Wasserkrise.
Zu Twains Lebzeiten bevölkerten gerade mal eine Milliarde Menschen die Erde, wenn überhaupt. Mitte dieses Jahrhunderts sind es, wenn die Vereinten Nationen mit ihren Projektionen recht behalten, bereits rund neun Milliarden, die Nahrung und Wasser beanspruchen. Die allgemeinen Lebensbedingungen haben sich aber nicht verbessert, im Gegenteil: Im Jahr 2067 fällt gebietsweise nur noch halb so viel Niederschlag, Dürren häufen sich, Flüsse wie der Nil oder der Jordan führen weniger Wasser als heute. In 60 Jahren ist ein Binnenmeer wie der Aralsee in Mittelasien, in seiner Ausdehnung einst größer als Bayern, längst ausgetrocknet.
Trockene Regionen werden noch trockener
Damit bewahrheitet sich, was das IPCC, das Klimaforschungs-Gremium der Vereinten Nationen, in Kürze in seinem neuen Sachstandsbericht verkünden wird: Höhere Verdunstungsraten bei steigenden Außentemperaturen kurbeln den globalen Wasserkreislauf zwar stärker an, und es fällt insgesamt mehr Regen. Doch gerade in den ohnehin trockenen Regionen der Erde nimmt der Niederschlag im 21. Jahrhundert generell ab. Betroffen sind dem IPCC-Ausblick zufolge vor allem das nördliche und südliche Afrika, Mittelamerika und die USA, große Teile Australiens, der Nahe Osten und der Mittelmeerraum.
Wissenschaftler haben den Begriff vom «Wasserstress» in den Einzugsgebieten der Flüsse eingeführt. Groß ist er, wenn kaum mehr oder gerade so viel Süßwasser verfügbar ist, wie die Anrainer dem Strom entnehmen. «In ärmeren Ländern und regenarmen Jahren fallen unter solchen Bedingungen Brunnen trocken, und Wasserkraftwerke müssen abgeschaltet werden», sagt Joseph Alcamo, Direktor des Zentrums für Umweltsystemforschung an der Universität Kassel. Nach einer neuen, noch unveröffentlichten Studie seiner Arbeitsgruppe leben heute 2,3 Milliarden Menschen unter erheblichem Wasserstress. Im Jahr 2067 dürften es mindestens 5,7 Milliarden sein.
Der Druck auf die Süßwasser-Ressourcen der Erde wächst gewaltig. Es gebe keinen Zweifel, urteilt deshalb auch Joachim von Braun, der deutsche Direktor des International Food Policy Research Institutes (IFPRI) in der US-Hauptstadt Washington: «Die Konfliktträchtigkeit, die wir heute beim Erdöl haben, wird sich in den nächsten zwei, drei Generationen auch beim Wasser herauskristallisieren.» Er glaube aber nicht, «dass wir nun unweigerlich auf Wasserkriege zusteuern». Die Verknappung der kostbaren Ressource werde allmählich «und nicht von heute auf morgen» erfolgen – und somit ausreichend Zeit für politische Lösungen lassen.
Wassermangel für die Völkerverständigung?
Auch Alcamo hadert mit dem gängigen Klischee von künftigen Kriegen ums Süßwasser. «Man kann die Sache auch auf den Kopf stellen», meint der Umwelttechnik-Ingenieur und Vorsitzende des internationalen Forschungsprogramms «Global Water System Project». Im Nahen Osten etwa habe die starke Konkurrenz um knappe Wasserressourcen dazu geführt, dass Länder wie Israel und Jordanien immer noch zu einer technischen Kooperation bereit gewesen seien – immerhin.
Klar ist aber auch: Ohne technische Fortschritte wird sich die Weltwasserkrise nicht entschärfen lassen. Das machen schon zwei Zahlen deutlich: 70 Prozent des verfügbaren Süßwassers werden laut Alcamo für die Bewässerung landwirtschaftlicher Flächen beansprucht. Und schon bis 2030 soll die Agrarproduktion in den Entwicklungsländern noch einmal um rund 67 Prozent steigen, wie die Unesco in ihrem neuen Welt-Wasserentwicklungsreport prognostiziert. «Die Landwirtschaft muss deutlich sparsamer im Umgang mit Wasser werden», fordert von Braun.
Ein weiteres Problem wird häufig übersehen: Auch die Stromerzeugung verlangt nach Süßwasser. «Wasserkraftwerke beanspruchen Fluss- oder Stauwasser, Kern- und Kohlekraftwerke Kühlwasser, und das sind enorme Mengen», sagt Asit Biswas, Präsident des Dritte-Welt-Zentrums für Wassermanagement in Mexiko. Der Stromverbrauch von Ländern wie China und Indien steigt derzeit jedes Jahr um rund zehn Prozent. 2067 könnten die dortige Elektrizitätswirtschaft und Industrie stärker auf die knappe Ressource Wasser angewiesen sein als die Landwirtschaft.
Sparen, wo es geht
Wie also sieht die Welt in 60 Jahren aus, wenn Süßwasser in den Trockenregionen noch knapper ist als heute schon?
Der Nassreis-Anbau ist 2067 praktisch verschwunden; Landwirte in Asien bauen inzwischen Zuchtsorten an, die nicht mehr ständig im Wasser stehen müssen. Gleiches gilt für Zuckerrohr, eine andere wichtige Agrarpflanze, die es sehr nass liebt – zumindest heute noch. In vielen Entwicklungsländern ist der ländliche Raum mit Strukturen übersät, die aussehen wie riesige Eier: Es sind Zisternen, in denen wieder nach traditionellem Vorbild Regenwasser gesammelt wird, um Felder zu bewässern. Dort, wo früher Süßwasser üppig aus Beregnungsanlagen in Gemüsekulturen und Weinberge niederprasselte, ist nun meist eine fein dosierte Tröpfchenbewässerung anzutreffen.
Die noch immer existierenden Kohle- und Kernkraftwerke sind in 60 Jahren vermutlich grundsätzlich von riesigen Türmen flankiert, in denen das Kühlwasser im Kreislauf geführt wird. Eine ständige Entnahme aus Flüssen soll es nicht mehr geben, wie die EU-Kommission schon heute vorschlägt. Der große Vorteil laut Joseph Alcamo: «Der Wasserverbrauch wird um den Faktor 40 reduziert.»
Die Welt wird auf eine harte Probe gestellt
Länder, die es sich leisten können, betreiben 2067 große Meerwasser-Entsalzungsanlagen: die USA, Australien und Israel zum Beispiel, aber auch Indien, das sein Grundwasser regelrecht ausgeplündert hat. Der Entsalzungsprozess frisst allerdings Unmengen Strom, weswegen die Anlagen nicht mit klimaschädlicher Kohle betrieben werden, sondern mit erneuerbaren Energien, etwa mit großen solarthermischen Generatoren. «Kalifornien plant in diese Richtung», sagt Alcamo.
Politisch schließlich hat sich der Wasserschutz in 60 Jahren weltweit institutionalisiert, wenn Optimisten wie von Braun recht behalten. Es gibt länderübergreifende «Flussmanagement-Kommissionen», die die Ansprüche der Anrainerstaaten «hoffentlich fair» (Alcamo) regeln.
2067 könnte sich die Lage auch aus einem anderen Grund entspannen: Das Wachstum der Weltbevölkerung hat sich dann vermutlich stark verlangsamt, falls die Prognosen der Statistiker eingetroffen sind. Das bedeutet allerdings auch, dass die Welt bis dahin noch auf eine harte Probe gestellt wird. Auch für den Wasserexperten Alcamo ist das eine Zeit des Bangens, trotz der eigenen Zuversicht: «Durch diese schwierige Periode müssen wir durch.»
Von Volker Mrasek
Der Text ist entnommen aus:
http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/0,1518,460250,00.html