Literatur
Erich Fried: Gedichte
Gute alte Zeit
Was könnt’ denn unsrer Stadt
für ein Unheil widerfahren?
Des Nachtwächters Tochter
hat doch Blumen in den Haaren!
Was soll denn der Komet
unsrer Landschaft anhaben?
Süßer als seit Jahren
kommt der Honig aus den Waben!
Was stünd’ denn unsern Kindern
Furchtbares bevor?
Jedes hört die Muschel rauschen
rein an seinem Ohr!
Was kann denn dieser Feldzug
unsern Frauen Übles bringen?
Hell wie jeden Morgen
glänzt das Licht auf ihren Ringen!
Was hat denn mein Herz
daß es sich nächtelang quält?
Die Sterne sind nicht weniger geworden.
Ich hab sie ja gezählt!
Es hat ja noch kein Nachbar
einen Toten wandeln sehn!
Ein Tag ist wie alle Tag’ –
was kann denn da geschehn?
Die Unvollkommenen
ich glaube nicht
an die Unvollkommenen
die glauben
daß sie das Unvollkommene
vollkommen machen können
für sich
und für die
deren Lehrer sie werden wollen
Aber wenn ich dann andere
Unvollkommene sehe
die nicht glauben
daß man das Unvollkommene
vollkommen machen kann
und die deshalb glauben
daß sie sich die Mühe
sparen können
es zu versuchen
dann beginne ich wieder zu glauben
an die Unvollkommenen
die glauben
daß sich die Mühe
immer noch
lohnen kann
Die Unwissenden
Es heißt
die von nichts
gewußt hatten
waren naiv
Im Gegenteil:
Es war damals
sehr praktisch
von nichts zu wissen
Und später dann
war es weise
von gar nichts
gewußt zu haben
Nur Dummköpfe
oder Narren
versuchten
alles zu wissen
Und die Suche
nach Wissen
brachte viele von ihnen
ums Leben
Drum fehlen uns jetzt
diese Dummköpfe
und diese Narren
so bitter