Literatur
Heinz Czechowski
Beobachtungen an einem Sonntagnachmittag
Die Luft schmelzend vor grauviolettem Granit
Ein Nachmittagshimmel wie im April im Dezember
Die Halbwüchsigen vor der Gehörlosenschule
Ein albernes Ehepaar mit einem Hund
Ein Ganter der eine Gans vergewaltigt
Das beziehungslose Nebeneinander aller Dinge
die keine Beziehungen miteinander haben
Eine feuerfarbene Katze
Ein patrouillierendes Polizeiauto
Die geöffneten Türen der Bedürfnisanstalt
an der Kröllwitzer Brücke
Drei Männer die einen Wasserrohrbruch beheben
Die Beziehungen aller Dinge
die keine Beziehungen miteinander haben
Erinnerungen an eine Umarmung
an einem Sommertagsmittag im Amtsgarten
Die immer dunkler werdenden Häuser
Weihnachtssterne
Das Café Schade und der Tisch
an dem wir nie wieder sitzen werden
Ein Schaufenster voller Rosinen und Mandeln
Erinnerungen die wie Messer durch die Brust gehen
Die Einsicht daß du erreichbar bist
Die Einsicht daß du unerreichbar bist
Die Verdichtung alles Gewesenen
Der leere Platz neben mir in der Straßenbahn
Das Licht einer Laterne mit der Farbe
des Mondes
Der unbegreifliche Satz
alles Vergängliche sei nur ein Gleichnis
Was mich betrifft
Erziehungsberechtigt,
Und doch
Ständig erzogen von meinen Erziehern,
Mit gelockerter Zunge
Mündig geworden,
Und doch
Ständig mich anhaltend, den Mund zu halten,
Geh ich
Noch immer im Kreis.
Auf mich also verwiesen
Im Guten und Schlechten,
Teile ich mit:
Was mich betrifft,
So bin ich ich.
Die Zunge der Schlange ist
Geschickter als meine,
Die Haut des Chamäleons
Paßt sich vortrefflicher noch als die meine
Den jeweils herrschenden Umständen an.
Meine Vorzüge, ich gebe es zu,
Sind vergleichsweise gering: aber
Daß ich nicht kriechen kann
Und meine Farbe nicht wechseln
Je nach Belieben,
Ist auch eine Gnade, für die ich
Niemand zu danken habe,
Außer mir selbst.
Aus: Heinz Czechowski: Was mich betrifft. Gedichte. Mitteldeutscher Verlag, Halle – Leipzig 1981. S. 8–17.