Sonderthema
Ingeborg Bachmann: Die Grenzgängerin aus Kärnten
Ingeborg Bachmann gehört zu den berühmtesten Schriftstellern Österreichs. Ihre literarischen Werke sind mit hohen Auszeichnungen bedacht worden. Von ihr stammt der Ausspruch: «Ich glaube, dass bei keiner schriftstellerischen Hervorbringung soviel nachgedacht wird wie beim Gedichteschreiben.» Die renommierte Autorin galt als Grenzgängerin, die Grenzen überwinden wollte.
Ingeborg Bachmann kam am 25. Juni 1926 als ältestes von drei Kindern des Lehrers Mathias Bachmann und der Hausfrau Ingeborg Bachmann, geborene Haas, in Klagenfurt (Kärnten) zur Welt. Ihre Mutter hätte gerne studiert, doch dieser Wunsch blieb ihr versagt. Die Familie Bachmann zeigte sich anderen Kulturen gegenüber sehr aufgeschlossen und stand damit stark im Gegensatz zur Rassenideologie der Nationalsozialisten, die 1938 Klagenfurt besetzten.
Von 1932 bis 1936 besucht Ingeborg Bachmann die Volksschule, von 1936 bis 1938 das Bundesrealgymnasium und von 1938 bis 1944 dann das Ursulinen-Gymnasium in Klagenfurt, das sie mit dem Abitur abschließt. In dieser Zeit entstehen erste Gedichte, u. a. das fünfaktige Versdrama Carmen Ruidera (1942) sowie die Erzählung Das Hoditschkreuz (1944).
Später, im Jahre 1952, erinnert sich Bachmann an ihre Jugend: «Ich habe meine Jugend in Kärnten verbracht, im Süden, an der Grenze, in einem Tal, das zwei Namen hat – einen deutschen und einen slowenischen. Und das Haus, in dem seit Generationen meine Vorfahren wohnten – Österreicher und Windische –, trägt noch heute einen fremdklingenden Namen. So ist nahe der Grenze noch einmal die Grenze: die Grenze der Sprache – und ich war hüben und drüben zu Hause, mit den Geschichten von guten und bösen Geistern zweier und dreier Länder; denn über den Bergen, eine Wegstunde weit, liegt schon Italien.
Ich glaube, dass die Enge dieses Tals und das Bewusstsein der Grenze mir das Fernweh eingetragen haben. ... Und wenn ich später auch nach Paris und London, nach Deutschland und Italien gekommen bin, so besagt das wenig, denn in meiner Erinnerung wird der Weg aus dem Tal nach Wien immer der längste bleiben.
Es bleibt noch die Frage nach Einflüssen und Vorbildern, nach dem literarischen Klima, dem man sich zugehörig fühlt. – Ich habe einige Jahre hindurch viel gelesen, von den neueren Dichtern vielleicht am liebsten Gide, Valéry, Eluard und Yeats, und es mag sein, dass ich von ihnen manches gelernt habe. Im Grunde aber beherrscht mich noch immer die mythenreiche Vorstellungswelt meiner Heimat, die ein Stück wenig realisiertes Österreich ist, eine Welt, in der viele Sprachen gesprochen werden und viele Grenzen verlaufen.
Gedichte zu schreiben scheint mir das Schwerste zu sein, weil hier die Probleme des Formalen, des Themas und des Vokabulars in einem gelöst werden müssen, weil sie dem Rhythmus der Zeit gehorchen und dennoch die Fülle der alten und neuen Dinge auf unser Herz hinordnen sollen, in dem Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft beschlossen sind.»
Durch das Lesen und Schreiben verarbeitete sie den Schmerz, das Leid und die Trauer, die durch Ereignisse im Zweiten Weltkrieg entstanden. Nach dem Abitur wollte sie anfangs Musikerin werden und schuf verschiedene Kompositionen, studierte dann aber zunächst Philosophie in Innsbruck, dann Jura in Klagenfurt und schließlich Philosophie in Wien, wo sie Germanistik und Psychologie als Nebenfächer belegte.
1946 erfolgt die Veröffentlichung der ersten Erzählung Die Fähre in «Kärntner Illustrierte» in Klagenfurt. Zwischen 1947 und 1952 arbeitet Bachmann an ihrem ersten Roman Stadt ohne Namen, der aber bei keinem Verlag untergebracht werden kann, da die Deutsche Verlagsanstalt und andere ablehnen. In den Jahren 1948 und 1949 erscheinen neben weiteren Erzählungen die ersten Gedichte in der Zeitschrift «Lynkeus. Dichtung, Kunst, Kritik» in Wien. 1949 macht sie ein Praktikum in der Nervenheilanstalt Steinhof bei Wien.
In Wien begegnete Ingeborg Bachmann 1948 dem österreichischen Lyriker Paul Celan, mit dem sie ihr Leben lang befreundet blieb. 1950 beendete sie ihr Studium mit der Dissertation Die kritische Aufnahme der Existentialphilosphie Martin Heideggers. Damit promovierte sie zum Doktor der Philiosophie. Anschließend hatte sie eine Anstellung im Sekretariat der amerikanischen Besatzungsbehörde in Wien.
Nach der Auseinandersetzung mit den Werken des deutschen Philosophen Martin Heidegger und des österreichischen Philosophen Ludwig Wittgenstein wandte sich Ingeborg Bachmann der Dichtung als ihrem eigentlichen Ausdrucksmittel zu. Ihre Hauptthemen waren die Klage über den Zustand des Menschen in einer gewalttätigen Umwelt und Visionen von einer besseren Gegenwelt.
Ab 1950 lebte Ingeborg Bachmann ein Jahr lang in Paris. Von 1951 bis 1953 arbeitete sie als Redakteurin und Lektorin am Wiener Rundfunksender «Rot-Weiß-Rot». Damals traf sie die österreichische Schriftstellerin IIse Aichinger1 und den deutschen Schriftsteller Hans Werner Richter2, die bald ihre wichtigsten Förderer wurden.
Obwohl der stillen und scheuen Lyrikerin 1953 bei der Lesung der Gruppe 47 in Niendorf die Stimme versagte, schaffte Ingeborg Bachmann dort den literarischen Durchbruch. Im Mai 1953 erhielt sie dann den Preis der Gruppe 47 für die Gedichte Die große Fracht, Holz und Späne, Nachtflug und Große Landschaft bei Wien.
Danach gab sie ihren Beruf in Wien auf, zog auf Einladung des Komponisten Hans Werner Henze nach Ischia und Rom, lebte mit ihm drei Jahre wie Bruder und Schwester zusammen und wurde freie Schriftstellerin. Von Italien aus reiste sie in die USA, nach Afrika und Polen.
1953 erschien Ingeborg Bachmanns erster Gedichtband Die gestundete Zeit. In der Folgezeit produzierte sie für Rundfunksender Essays und Hörspiele, die oft mit Musik von Henze vertont wurden. Das Hamburger Nachrichtenmagazin «Der Spiegel» bescheinigte ihr 1954 in einer Titelgeschichte, sie sei die erste deutschsprachige Lyrikerin der Nachkriegsgeneration, die an die große Tradition der literarischen Moderne anzuknüpfen vermochte. 1954/55 schrieb sie unter dem Pseudonym Ruth Keller Römische Reportagen und telefonierte sie an «Radio Bremen» durch. Bachmann erhält eine Fördergabe des «Literarischen Förderungswerkes des Kulturkreises im Bundesverband der deutschen Industrie e.V.» für einen Essay über Musil, die ihr im Mai 1955 in Stuttgart verliehen wird.
1956 erschien Ingeborg Bachmanns Gedichtband Anrufung des Großen Bären. Ihre Gedichte mit meistens reimlosen Zeilen handelten von Hoffnung, Resignation und Trauer über die Sinnlosigkeit der Welt. 1957 wurde sie Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung sowie Dramaturgin beim Bayerischen Fernsehen und zog nach München.
Für ihr Hörspiel Der gute Gott von Manhattan, das 1958 in München seine Uraufführung erlebte, wurde Ingeborg Bachmann im selben Jahr mit dem Hörspielpreis der Kriegsblinden ausgezeichnet. In diesem Hörspiel geht es um den zentralen Ort des Glücks: um die Liebe eines Paares, die durch ständige Intensivierung zur Gefahr für das Funktionieren der Gesellschaft und deswegen vom Guten Gott verfolgt wird.
1959 wird sie Mitglied des Deutschen PEN-Zentrums der Bundesrepublik Deutschland. Während einer ersten Reise in die DDR im Jahr 1960 zusammen mit Hans Magnus Enzensberger und Walter Jens trifft sie erstmals mit Ernst Bloch und Stephan Hermlin zusammen.
Im Wintersemester 1959/60 lehrte Ingeborg Bachmann als erste Gastdozentin über Poetik an der J.W. Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Im Sommer 1961 erschien ihr erster Erzählband Das dreißigste Jahr, in dem das Gefangensein des Individuums in den verschiedenen Formen menschlicher Beziehungen dargestellt wird. Hierfür erhielt sie im November 1961 den Preis des Verbandes der deutschen Kritiker.
Von 1959 bis 1963 lebte Ingeborg Bachmann in Uetikon am See mit dem 15 Jahre älteren Schweizer Schriftsteller Max Frisch zusammen. Beide galten als Traumpaar der deutschen Literatur: Sie verkörperte die Magische, er den Kritischen. Beide wollten heiraten, aber ihre Beziehung war chaotisch: Ingeborg reagierte neidisch auf seine literarische Produktivität, Max war eifersüchtig bis zur Hörigkeit, verließ sie schließlich aber wegen einer anderen Frau. Nach der Trennung wurde Ingeborg krank und hatte eine Schaffenskrise. Auf Einladung der Ford-Foundation zu einem einjährigen Aufenthalt in Berlin wechselt sie anschließend ihren Wohnsitz nach Berlin. Sie hat Kontakte zu Alfred Andersch3, Uwe Johnson und Johannes Bobrowski.
Im Herbst 1964 erhält Ingeborg Bachmann den Georg-Büchner-Preis. Sie unterschreibt 1965 mit anderen Persönlichkeiten die «Erklärung gegen den Vietnamkrieg» und wird im Herbst zusammen mit Hans Magnus Enzensberger in den Vorstand der «Europäischen Schriftstellergemeinschaft» COMES gewählt.
Aus Berlin zog sie 1965 nach Rom, wo sie zunehmend ein zurückgezogenes und einsames Leben führte. 1968 wurde sie mit dem Großen Österreichischen Staatspreis für Literatur ausgezeichnet.
Im April 1971 kam Ingeborg Bachmanns erster Roman Malina heraus, der als Ouvertüre zu ihrem Zyklus Todesarten angekündigt wurde. Dabei handelt es sich um die Geschichte einer Schriftstellerin zwischen zwei Männern und die unausweichlich zum Tod führende Verstrickung in der Liebe. 1972 folgte der Erzählband Simultan, in dem die Frauen eine Strategie entwickelt haben, mit der sie sich gegen die Schmerzen, die ihnen das Zusammenleben mit den Männern zufügt, unempfindlich machen.
Ende September 1973 wurde Ingeborg Bachmann mit folgenschweren Brandverletzungen in eine römische Klinik eingeliefert. Sie war beim Rauchen im Bett eingeschlafen, was ein Feuer verursacht hatte. Am 17. Oktober 1973 erlag sie im Alter von 47 Jahren ihren Verletzungen. Sie wurde in ihrem Geburtsort Klagenfurt begraben.
1976 stifteten die Stadt Klagenfurt und der «Österreichische Rundfunk» (ORF) den Ingeborg-Bachmann-Preis für deutschsprachige erzählende Prosa. Bei diesem alljährlich im Juni stattfindenden Literaturwettbewerb werden unveröffentlichte Texte live vor Publikum und laufender Kamera von den Autorinnen und Autoren gelesen, von einer fachkundigen Jury analysiert und bewertet.
1Aichinger, Ilse, * Wien 1. 11. 1921, österr. Schriftstellerin. Schreibt v. a. Erzählungen, Hörspiele, auch Lyrik. Gehörte zur Gruppe 47. – Werke: Die größere Hoffnung (R., 1948), Der Gefesselte (En., 1953), Knöpfe (Hsp., 1953), Eliza, Eliza (En., 1965), Auckland (4 Hsp.e, 1969), Verschenkter Rat (Ged., 1978).
2Richter, Hans Werner, * Bansin 12. 11. 1908, † München 23. März 1993, dt. Schriftsteller. Initiator und Organisator der Gruppe 47. Schrieb zunächst Antikriegsromane (Die Geschlagenen, 1949; Sie fielen aus Gottes Hand, 1951), sowie satir. Darstellungen der Nachkriegszeit (Linus Fleck oder Der Verlust der Würde, R., 1959). – Weitere Werke: Das war die Gruppe 47 (Erinnerungen, 1979), Die Flucht nach Abanon (E., 1980), Die Stunde der falschen Triumphe (R., 1981); auch Hörspiele und Hg. von Anthologien.
3Andersch, Alfred, * München 4. 2. 1914, † Berzona (Locarno) 21. 2. 1980, dt. Schriftsteller. Sein Roman Die Kirschen der Freiheit (1952) beschreibt seine Desertion (1944 zu den Amerikanern); schrieb auch Essays und Hörspiele, Gründungsmitglied der Gruppe 47. – Weitere Werke: Sansibar oder der letzte Grund (R., 1957), Die Rote (R., 1960), Winterspelt (R., 1974), Der Vater eines Mörders (E., 1980).
Ingeborg Bachmann
Zeittafel
1926 25. Juni: Ingeborg Bachmann wird in Klagenfurt/Österreich als älteste Tochter eines Schuldirektors geboren.
1945–1950 Studium der Philosophie, Psychologie und Germanistik in Innsbruck, Graz und Wien, Promotion zum Dr. phil. mit dem Thema Die kritische Aufnahme der Existenzialphilosophie Martin Heideggers. Während dieser Zeit steht Bachmann in Kontakt zu Paul Celan und Ilse Aichinger.
1951–1953 Redakteurin und Lektorin am Wiener Sender «Rot-Weiß-Rot».
Bachmann verfasst ihr erstes Hörspiel Ein Geschäft mit Träumen (1952).
1952 Der literarische Durchbruch gelingt ihr mit ihrer Lyrik bei einer Lesung der Gruppe 47 in Niendorf/Ostsee.
1953 Auszeichnung mit dem Literaturpreis der Gruppe 47 für ihren Gedichtband Die gestundete Zeit.
Im Anschluss lebt Bachmann als freie Schriftstellerin in Italien, wo sie anfangs auch unter dem Pseudonym Ruth Keller als politische Korrespondentin der «Westdeutschen Allgemeinen Zeitung» schreibt.
1955 Erstsendung des Hörspiels Die Zikaden, mit Musik von Hans Werner Henze.
1955 und 1960 Textfassungen für Hans Werner Henzes Ballettpantomime Der Idiot (1955) und seine Oper Der Prinz von Homburg (1960).
1956 Veröffentlichung des Gedichtbandes Anrufung des Großen Bären.
Ingeborg Bachmanns Lyrik, von der Literaturkritik lange nur nach ästhetischen Maßstäben bewertet, ist für sie Medium der Kritik an den restaurativen Kräften der Nachkriegszeit.
1957 Auszeichnung mit dem Literaturpreis der Freien Hansestadt Bremen.
Bis 1958 Dramaturgin beim Bayerischen Fernsehen in München.
Wahl zum korrespondierenden Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt.
1958 Beginn ihrer bis 1963 währenden Beziehung mit dem Schweizer Schriftsteller Max Frisch mit wechselnden Wohnsitzen in Zürich und Rom.
Erstsendung des Hörspiels Der gute Gott von Manhattan, für das Bachmann 1959 mit dem Hörspielpreis für Kriegsblinde ausgezeichnet wird.
1959/60 Gastdozentin für Poetik an der Universität in Frankfurt/Main mit der Vorlesungsreihe Probleme zeitgenössischer Dichtung.
1961 Veröffentlichung des teilweise autobiografischen Erzählbandes Das dreißigste Jahr. Auszeichnung mit dem Berliner Kritikerpreis.
1964 Verleihung des Georg-Büchner-Preises.
1965 Veröffentlichung des Essays Die geteilte Stadt, der Allegorie eines krankhaften Geschichtszustands.
1968 Verleihung des Großen Österreichischen Staatspreises für Literatur.
1971 Veröffentlichung ihres ersten Romans Malina, der wie nachfolgende Romane und Erzählungen frauenspezifische Themen behandelt. In diesem Fall beschreibt sie eine Frau, deren Selbstverwirklichung an einem egozentrischen Partner scheitert.
1972 Veröffentlichung des Erzählbandes Simultan.
Auszeichnung mit dem Anton-Wildgans-Preis.
1973 17. Oktober: Ingeborg Bachmann stirbt in Rom an den Folgen schwerer Brandverletzungen. Die letzte Erzählung der Schriftstellerin Gier bleibt Fragment.
Der Text ist entnommen aus:
http://www.blog.de/main/index.php/literatur-news/2005/07/06/ingeborg_bachmann
http://www.whv.shuttle.de/whv/kaethekollwitz/deutsch/bartels.htm