Literatur
Rainer Schedlinski: Gedichte
der hund liegt vor dem schrank
unter den die kugel gerollt ist
und schläft. bald wird es hell.
ich blättere in alten weltbühne-heften
und warte auf einen einfall von irgendwo
(erst hat man die zusammenhänge geschult
und dann möchte man wieder an zufälle glauben)
als wir telefonierten vorhin
zwischen den zwei monden dieser einen stadt sagtest du
du könntest mich nicht verstehen
wegen des lauten flugzeuges über dem haus
bis uns das amt unterbrach dann
hörte ich das flugzeug auch hier
heisst es die welt würde immer kleiner
wie eine öde jahreszeit kommt
sind mir die friedhofsportale der stadt
stockbeinig über die zeilen gestiegen
& das zeilengerippe, charlotte, ward satt
an der zeit
die ich sass, im cafe, nach
dem du des passes blauen
himmel über uns aufschlugst
starb etwas vor der zeit
gegen mittag
im uhrzeigersinn
dacht ich an süden
kreuzten sich vier
himmelsrichtungen über mir
langsam verglast der november
regen wäscht mit den laugen des herbstes
erz aus dem tag bricht wort
für wort sich selbst wiederholend
kommt der november der
schmutzige mond über
den hecken wirft
blässe in die gesichter
nackt ist der november
wenn der wind kehrt macht
in den skeletten der bäume
werden die dinge
schlichter in endliche
mögliche grössen zerlegt
stürzten die tage ein datum
fände ich blind denn ich lebe
in deutschland & deutsch-
land ein wort das
das folgende nach sich zieht
sieht man in richtung
unerfindlicher bilder wie inter-
nationalismen die spanischen
reiter am horizont
dieser klaren verhältnisse ach
liebes megaherz in der black box
des stammhirns stürzen
die tage ein
datum
mit der nüchternheit eines hundes vergehen
auch die tage vergehen in der geometrie
des fleisches naturschauspiel an den ufern
des flusses die mauern der ämter die
möwen bleiben nicht fliehen nicht bleib
einen januar lang einen dezember &
noch einen augenblick unnachweisbar
in diesem namenlosen patent
amt des endgültigen impressionismus
abrakadabra dieses gedicht
schrieb mir der fluss auf die ufer
der stirn um im bilde zu bleiben
Aus: Rainer Schedlinski: die rationen des ja und des nein. Aufbau-Verlag, Berlin–Weimar 1988. S. 62–79.