Sonderthema
Der Magdalenen-Altar der Stadtpfarrkirche in Münnerstadt
Der Auftrag
Der Neubau des Chores der mächtigen Stadtpfarrkirche St. Maria Magdalena in Münnerstadt, begonnen 1428, ist seit 1446 vollendet. Sieben prächtige Glasfenster tauchen den hohen gotischen Raum mit seinen schlanken Pfeilern in magisches Licht. Der Rat der Stadt Münnerstadt schließt am 26. Juni 1490 mit dem Würzburger Meister Tilman Riemenschneider einen Vertrag, in dem sie Lieferzeit (Frühjahr 1492), Preis und Bildprogramm eines großen Flügelaltares vereinbaren. Riemenschneider fertigt in seiner Werkstatt sowohl die einzelnen Figuren wie auch das Gehäuse mit Rankenwerk, Schleiern, Gesprenge1 usw. Gesellen helfen ihm, die wesentlichen Arbeiten an Figuren und Reliefs fertigt er selbst. Während der Arbeit wendet er sich schriftlich an die Münnerstädter, um Fragen der finanziellen Abwicklung zu klären. Mit halbjähriger Verspätung transportiert er den Altar in Einzelteilen nach Münnerstadt und stellt ihn im Chor der Pfarrkirche auf. An St. Michaels-Tag (29. September 1492) übergibt er sein Werk den Münnerstädtern.
Beschreibung des Altars
Der Altar ist knapp 15 m hoch. In der Predella2 direkt über dem Altartisch finden sich die Figuren der vier Evangelisten mit ihren Symbolen (von links nach rechts): Matthäus mit Engel, Markus mit Löwe, Lukas mit Stier, Johannes mit Adler. In der Mitte des Schreins wird Maria Magdalena, den nackten Körper von Haaren bedeckt, über einer Landschaft, in der ein Altartisch steht, von je drei Engeln zu beiden Seiten in den Himmel emporgehoben. Links von Maria Magdalena steht der hl. Kilian im Bischofsornat, rechts die hl. Elisabeth von Thüringen, die gerade einen Armen speist. Auf den beiden Flügeln sind je zwei Szenen aus Leben bzw. der Legende der Heiligen dargestellt: Oben links die Darstellung der Bekehrung der Heiligen beim Gastmahl im Hause des Pharisäers Simon. Unten links die Erscheinung des auferstandenen Christus vor Maria Magdalena (Noli me tangere). Der rechte Flügel zeigt zwei Reliefs mit Szenen aus den Legenden von Maria Magdalena. Oben rechts die letzte Kommunion der Heiligen durch Bischof Maximin. Unten rechts die Grablegung der Heiligen durch Engel mit Bischof Maximin.
Im Gesprenge finden sich links ein «hubsch Marienbild» (vermutlich eine Darstellung der Gottesmutter), in der Mitte ein Gnadenstuhl3 Gottvater mit dem Leichnam Christi im Schoß, darüber Johannes der Täufer und rechts Johannes der Evangelist.
Ausführung
Riemenschneider fertigt seinen Altar in einer neuen Technik. Die Figuren und das Gehäuse werden nicht farbig gefasst, also nicht mit Kreidegrund überzogen und mehrfarbig bemalt. Er schnitzt vielmehr sehr detaillierte Figuren, die er mit einer Art Lasur einfarbig, monochrom überzieht. Nur Augen und Lippen erfahren eine farbige Behandlung. Der Münnerstädter Altar ist einer der ersten Altäre im süddeutschen Bereich in dieser neuen Technik. Genau dies findet nicht das Gefallen der Münnerstädter. Sie suchen schon bald nach einem geeigneten Maler, der den Altar farbig fassen kann. Ihre Wahl fällt auf Veit Stoß, den großen Nürnberger Meister. 1504 bemalt er für 222 Gulden Figuren, Reliefs und Gehäuse. Dabei geht er sehr vorsichtig zu Werke. Für die Rückseite der Flügel malt er die vier Tafelbilder der Kilianslegende.
Geschichte
In der mehrfarbigen Fassung des Veit Stoß schmückt der Altar zur vollsten Zufriedenheit der Münnerstädter die Kirche. 1649 entspricht der inzwischen baufällige Altar nicht mehr dem «Geschmack» der Zeit. An Stelle des «alten» gotischen Werkes errichten die Münnerstädter bis 1653 jetzt einen Altar im Stil des Barock. Der Neustädter Maler Caspar Hans fertigt dafür 1650 ein großes Tafelbild mit Erscheinung des auferstandenen Christus vor Maria Magdalena (jetzt an der rechten Chorwand). Riemenschneiders Werk wird eingelegt, Figuren und Reliefs neu gefasst und teilweise in den neuen Altar eingestellt. Der Rest wird im Laufe der Zeit weggegeben (jetzt in München und Berlin, der Verbleib der Marienfigur ist unbekannt). 1833 entsteht anstelle des barocken Altars ein neugotischer Schrein, in den die in Münnerstadt verbliebenen Werke von Riemenschneider neben anderen eingestellt werden. Zusätzlich beschafft man zwei gotische Bildtafeln des Nürnberger Malers des Deichsler-Altares aus der Zeit um 1420, einen Marientod (Sterbeszene der Muttergottes) und ein Predella-Bild Maria mit Märtyrern (aus der Abtei Heilsbronn), beide jetzt an der Stirnwand des linken Seitenschiffes. Das Gehäuse dieses neugotischen Altars wird durch einen Blindgänger, der 1945 den Chor der Kirche trifft, zerstört. Ab 1970 bemüht sich der damalige Stadtpfarrer im Bunde mit dem Verein «Freunde des Riemenschneideraltares» um eine Wiedererrichtung des verlorenen Altares des großen Meisters. 1981 wird ein neues Gehäuse mit Schleiern, Rankenwerk und Gesprenge von Julian Walter im Chor aufgestellt. Die in Münnerstadt verbliebenen Originale von Riemenschneider werden ergänzt mit meisterhaften Kopien der außerhalb Münnerstadts befindlichen Figuren, gefertigt von Lothar Bühner. 1992 vervollständigen Kopien der fehlenden Originalreliefs im linken Flügel den Schrein. 1999 füllt eine im Stil Riemenschneiders gefertigte Marienfigur von Lothar Bühner die Stelle im Gesprenge, an der einst das heute verschwundene «hubsch Marienbild» von Riemenschneider stand.
Münnerstadt besitzt mit den Arbeiten von Riemenschneider Kunstwerke von Weltrang. Mit dem neuen Altar ist ein würdiger Rahmen für die Originale aus der Hand des Meisters entstanden. Die Kopien vervollständigen in großartiger Weise das Bildprogramm und bieten dem Besucher einen einzigartigen Einblick in das Werk des großen Tilman Riemenschneider. Originale Werke aus der Hand Riemenschneiders im neuen Münnerstädter Altar sind der hl. Kilian und die hl. Elisabeth im Schrein, der Gnadenstuhl, der hl. Johannes der Evangelist und der hl. Johannes der Täufer im Gesprenge, der Engel beim Evangelisten Matthäus in der Predella links und die beiden Relieftafeln im rechten Flügel des Altares: letzte Kommunion und Grablegung der Hl. Maria Magdalena. Die restlichen Figuren sind Kopien: Maria Magdalena mit Engeln im Schrein (Original in München), die vier Evangelisten in der Predella (Originale in Berlin), die Relieftafeln im linken Flügel: Gastmahl im Hause des Pharisäers links oben (Original in München) und Erscheinung des Auferstandenen (Original in Berlin). Die Marienfigur im Gesprenge oben links ist frei nach Riemenschneider gestaltet.
1Ge|spren|ge, das; -s, - [1, 2: zu sprengen in der urspr. Bed. von der geraden Linie abspringen (machen); 3: wohl zu veraltet niederd. sprengen = einen Balken in gebogener Form aus einem Stamm heraussägen]: (Archit.) feingliedriger, aus Holz geschnitzter, turmartiger Aufbau auf spätgotischen Flügelaltären.
2Pre|del|la, die; -, -s u. ...ellen, Pre|del|le, die; -, -n [(frz. prédelle <) ital. predella, wohl aus dem Germ., verw. mit Brett] (Kunstwiss.): kunstvoll bemalter od. geschnitzter Sockel, Unterbau eines [gotischen] Altars, oft auch als Reliquienschrein genutzt.
3Gnadenstuhl: in der Kunst des Mittelalters Thron mit Gottvater, der ein Kruzifix mit dem Gekreuzigten hält sowie eine Taube (Hl. Geist); Darstellung der Dreifaltigkeit.
Der Text ist entnommen aus:
http://www.muennerstadt.de/home/cont/altar_.htm