Wissenschaft und Technik
Die Angst vor dem Hexenwerk
Der Glaube an unterschwellige1 Beeinflussung durch Werbung ist nicht totzukriegen. Eine neue Studie sorgt nun wieder für Schlagzeilen: Sie soll zeigen, dass unsichtbare Reklameeinblendungen Menschen manipulieren können. Dabei zeigen die Ergebnisse eigentlich das Gegenteil.
Die Angst vor dem Hexenwerk ist der Menschheit einfach nicht auszutreiben. Vor etwa 50 Jahren hat sich der Besitzer einer amerikanischen Werbeagentur eine hübsche Lügengeschichte ausgedacht, um sein mies laufendes Unternehmen zu retten – und ein großer Teil der Menschheit glaubt sie bis heute. Die Lügengeschichte von James Vicary lautete, in Kurzform: Unterschwellige, nicht bewusst wahrnehmbare Werbung macht Menschen zu willenlosen Konsumenten.
«Trinkt Cola» und «esst Popcorn», unsichtbar eingestreut in einen Kinofilm, habe die Zuschauer in Scharen an den Snack-Tresen des Kinos getrieben, behauptete Vicary. Und weil die Gruselstory so schöne Gänsehaut2 macht, wird sie bis heute kolportiert3, ja sogar in kommunikationswissenschaftlichen Seminaren als Tatsache gelehrt. Dabei hat Vicary selbst zugegeben, dass er sie schlicht erfunden hatte. Der Glaube an die unsichtbare Manipulation will einfach nicht aussterben.
Jetzt ist es mal wieder so weit: Es sei «gezeigt worden», dass «unterschwellige Werbung funktioniert», droht der «New Scotsman» heute. Der «Sydney Morning Herald» ist etwas vorsichtiger: «Unterschwellige Werbung beeinflusst das Gehirn.» Ersteres ist nach wie vor Unsinn, Letzteres auch nur halb richtig – und außerdem ein alter Hut4. Tatsächlich haben Bahador Bahrami vom University College London und seine Kollegen etwas ganz anderes gezeigt: Dass Unterschwelliges nur dann im Gehirn ankommt, wenn man Aufmerksamkeit dafür übrig hat – so paradox das klingt.
Unbewusste Beeinflussung existiert tatsächlich
Dass nicht bewusst wahrnehmbare Reize vom Gehirn tatsächlich verarbeitet werden, ist seit Langem bekannt. «Priming» nennen Psychologen das, wenn man einer Versuchsperson zum Beispiel einen nach rechts zeigenden Pfeil extrem kurz präsentiert – und anschließend an der gleichen Stelle etwas anderes erscheinen lässt, sodass das Nachbild des Pfeils von der Netzhaut gelöscht wird. Der Pfeil stimmt das Gehirn auf «rechts» ein: Lässt man die Versuchsperson anschließend eine Taste drücken, kann sie das schneller, wenn diese auf der rechten Seite der Tastatur liegt – der Pfeil, der in diese Richtung zeigt, hat das Gehirn gewissermaßen darauf vorbereitet, dass rechts gleich irgendetwas getan werden muss. Obwohl die Versuchsperson selbst gar nicht weiß, dass der Pfeil da war.
Der gleiche Effekt lässt sich auch mit anderen Anordnungen zeigen, immer gilt: Ein unsichtbarer Reiz kann eine später auszuführende Handlung beschleunigen oder abbremsen. Präsentiert man Menschen beispielsweise Ziffern, die sie möglichst schnell als größer oder kleiner fünf einstufen sollen, klappt diese Einstufung zügiger, wenn zuvor eine entsprechende kleine oder große Ziffer unterschwellig gezeigt wurde. Blitzt eine unsichtbare «1» auf, kann eine anschließend gezeigte, sichtbare «3» schneller als «kleiner fünf» klassifiziert werden, wurde vorher eine «6» gezeigt, geht die Einstufung der «3» langsamer vonstatten.
Bahador Bahrami und seine Kollegen gingen etwas anders vor: Sie blickten ihren Versuchspersonen direkt ins Gehirn, um dort nach den Nachwirkungen der unterschwelligen Reize zu suchen. Tatsächlich konnten sie im sogenannten primären visuellen Kortex nachweisen, dass die für die Versuchspersonen eigentlich unsichtbaren Bilder dort ankamen.
Unterschwelliges braucht auch Aufmerksamkeit
Die Versuchspersonen blickten auf einen Bildschirm, an dessen Rändern immer wieder Alltagsobjekte eingeblendet wurden – etwa ein Bügeleisen oder eine Zange. Diese Objekte am Bildrand wurden sofort danach mit einer sogenannten Maske aus chaotisch angeordneten geometrischen Figuren «überschrieben» – so wird sichergestellt, dass die unterschwelligen Bilder nicht doch bewusst wahrgenommen werden.
Die eigentliche Aufgabe der Versuchspersonen bestand aber darin, sich auf eine kontinuierliche Abfolge farbiger Buchstaben zu konzentrieren, die in der Bildschirmmitte gezeigt wurde. Manche Probanden mussten jeweils reagieren, wenn dort ein «T» auftauchte – eine ziemlich einfache Aufgabe. Andere bekamen einen etwas schwierigeren Auftrag: Sie sollten nur dann eine Taste drücken, wenn entweder ein weißes «N» oder ein blaues «Z» erschien. Dabei wurde die Aktivität in ihrem visuellen Kortex mit Hilfe eines Magnetresonanz-Scanners beobachtet.
Wie schwer die Aufgabe war, wirkte sich darauf aus, ob die Objekte am Bildschirmrand im Hirn ankamen oder nicht: Bei den «T»-Suchern kamen Bügeleisen und Zange im Gehirn an. Bei denen, die auf weißes «N» und grünes «Z» achteten, erreichten die unterschwellig präsentierten Gegenstände nicht den visuellen Kortex.
«Man muss keine Angst haben, zum Spielball zu werden»
«Diese Forschung zeigt, dass Bilder, die uns unbewusst beeinflussen könnten, nicht wahrgenommen werden, wenn das Gehirn nicht die Kapazitäten dafür frei hat», erklärt Bahrami sein Ergebnis, das demnächst in der Fachzeitschrift «Current Biology» publiziert wird. Dass Aufmerksamkeit nötig ist, damit Unterschwelliges überhaupt wirkt, war schon vorher gezeigt worden – Bahramis Team hat diesen Effekt nun gewissermaßen im Gehirn dingfest gemacht.
Mit den unheilvollen Wirkungen heimlicher Werbung hat das alles allerdings wenig zu tun – obwohl Bahrami und seine Kollegen ja auch gezeigt haben, dass die unterschwellig präsentierten Bilder tatsächlich im Gehirn ankommen können. Verhalten wurde in der Studie gar nicht beeinflusst – und es ist auch höchst unwahrscheinlich, dass eine seiner Versuchspersonen anschließend loszog, um ein Bügeleisen zu kaufen.
«Unterschwellige Reize können nur Verhalten verstärken, das ohnehin geplant war», erklärt Wilfried Kunde, Psychologe an der Universität Halle. Ein bereits geplanter Tastendruck mit der rechten oder linken Hand kann beschleunigt werden, wenn der unterschwellige «Prime» passt – viel mehr aber auch nicht. «Man muss keine Angst haben, zum Spielball unterschwelliger Reize zu werden», sagt Kunde. Dass solche Effekte zu – im Vergleich zu einem Tastendruck – komplexen Verhaltensweisen wie dem Kauf einer Tüte Popcorn lange Zeit nach dem unsichtbaren Reiz führen könnten, sei höchst unwahrscheinlich.
Die wissenschaftlichen Fakten sind aber eben nicht so aufregend wie die Vorstellung, die geheimen Verführer aus dem Fernsehschirm könnten uns unter die Schädeldecke kriechen und dort Kaufräusche in Gang setzen. Vicarys Lügenmärchen hält sich bis heute – obwohl die «Trinkt Cola/Esst Popcorn»-Studie nie wiederholt werden konnte und Vicary 1962 selbst zugab, in Wahrheit nie ein tatsächliches Experiment durchgeführt zu haben. Und das, nachdem er jahrelang behauptet hatte, Tausende von Kinobesuchern seien im Verlauf von 6 Wochen durch die eingeblendeten subliminalen5 Botschaften manipuliert worden.
Der Mythos ist schwer totzukriegen. Der «New Scotsman» interpretiert Bahramis Erkenntnisse wieder einmal so, als sei nun endlich bewiesen, dass es die geheimen Verführer doch gibt: «Mit anderen Worten, bei Sessel-Zuschauern, die ohne andere Reize vor dem Fernseher herumhängen, ist die Wahrscheinlichkeit besonders groß, dass sie beeinflusst werden.»
Von Christian Stöcker
1un|ter|schwel|lig <Adj.>: (bes. vom Bewusstsein, von Gefühlen) verdeckt, unbewusst vorhanden, wirkend: -e Ängste.
2Gän|se|haut, die <o.Pl.> [nach der Ähnlichkeit mit der Haut einer gerupften Gans]: durch Kältereiz od. durch psychische Faktoren (Schreck, Angst) bewirkte Veränderung des Aussehens der Haut, auf der die Haarbälge hervortreten u. die Haare sich aufrichten: eine G. bekommen; der Anblick verursachte ihm eine G.; *jmdm. läuft eine G. über den Rücken (ugs.; etw. lässt jmdn. [vor Angst, Entsetzen] schaudern).
3kol|por|tie|ren <sw.V.; hat> [frz. colporter= hausieren, älter: comporter < lat. comportare= zusammentragen] (bildungsspr.): eine ungesicherte, unzutreffende Information verbreiten: ein Gerücht, eine Anekdote k.
4ein alter Hut: (ugs.) etwas Altbekanntes, längst nicht mehr Neues.
5sub|li|mi|nal <Adj.> [engl. subliminal, zu lat. sub= unter u. limen= Schwelle] (Psych.): unterschwellig.
Der Text ist entnommen aus:
http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/0,1518,470831,00.html