Literatur
Rainer Schedlinski: Gedichte
die märchen, aus denen wir stiegen
sind deutsch, deutscher
zu deutsch für diesen
mittwoch sanken
vergessliche segel
am erigierten mast
über der ostsee plötzlich
tauchte eine ferne in mich
es ist lange her, zu lange
für diesen mittwoch
fiel der bernstein von damals
mir in die hände
fiel ein grab in ein grab und
ich warte auf dich, es ist spät
wie tiere, vergessen in häusern
die stunden
die ein sandgehirn zählt
in den ausgehungerten winkeln der andacht
richten die vokabeln
über dein gedächtnis, sprechen
die orte
von fern einer inneren ödnis
wie der ziehende mond der erinnerung & des erblindens
löschen die fahnen
schweigsamer länder
kreuzen die schwarzen segel der fenster
im schiefer der stadt
starrend im weichbild hin und her wie
der frenetische strassenverkehr immer
schneller überleben das geiseldrama
hinter der eigenen haut spiegelverkehrt
in den farben der stadt fleur
die farben kleben an den mädchen
vorm sex-shop keucht ein angemachtes
leuchten
niemand sieht es nur ein dunkler fremder
ein mulatte hatte einen tag in seiner hand
schwarzweiss und halbtot halbwegs
halbseiden
gemischte gefühle im genick vergiss es
nicht mehr
nur gespalten nein gevierteilt kehrst du bald zurück
orte vom bauch her gefüllt
oder der blasphemie eines lampenlichts
dem die dinge sich stellen
gegen die fliehende stirn
draussen schneit es
schneeketten der schnee fällt
vom himmel ab der himmel
aber wird nicht weniger und
mir fällt das wort luxus ein
in dem niedrigen zimmer
schneit es vertrocknete fliegen
auf dem fensterbrett innen ist
schneevernagelt die stadt
hinter den schwarzen türen
die blauen hinter denen
die lindgrünen türen die
schwelle im nacken die
stadt wenn es schneit
schneit es die türen herein
Aus: Rainer Schedlinski: die rationen des ja und des nein. Aufbau-Verlag, Berlin–Weimar 1988. S. 62–79.