Sonderthema
Kein «Heldenkampf»?
Frank Wedekinds problematische Haltung zum Ersten Weltkrieg
Deutschland bringt die Freiheit – wusste das «Berliner Tageblatt» am 27. September 1914 zu berichten. Tatsächlich hatte das Deutsche Reich gerade den ersten von zwei verheerenden Weltkriegen entfacht. Dem Leser stellte sich an jenem Septembertag der Sachverhalt anders dar. Er durfte sich bei der Lektüre des Artikels am Pathos vom «Heldenkampf des jungen Deutschen Reiches» und «Vaterlandsstolz der Söhne Deutschlands» ergötzen. Verantwortlich für die fragwürdige Wortwahl war der Verfasser des Textes: Frank Wedekind. Sollte der erbitterte Gegner des Wilhelminismus ein Befürworter des Ersten Weltkriegs gewesen sein?
Es ist schwierig, Frank Wedekind bei diesem Thema auf die Schliche1 zu kommen. Zu sehr scheut der Autor klare politische Aussagen zum Weltkrieg. Klar ist, dass Wedekind vor Ausbruch der Gefechte am 1. August 1914 den Zenit seiner Karriere erreicht hat: Der Schriftsteller genießt hohes Ansehen, seine Werke sind anerkannt. Endlich kann der Wahlmünchner von seiner literarischen Arbeit leben. Das ändert sich, als Deutschland in den Krieg zieht. Wedekinds Dichtung ist deutschen Patrioten ein Dorn im Auge. Sie sei nicht im Sinne von «Gesundheit und Kraft» und müsse daher «überwunden» werden. Als Instrument dabei dient, das kennt Wedekind bereits aus früheren Tagen, die Zensur.
Schnell findet sich der Literat in längst überwunden geglaubten Finanznöten wieder. Seine Reaktion auf die veränderte Situation beschreibt Erich Mühsam2, überzeugter Kriegsgegner und Freund Wedekinds, in seinen Tagebüchern als «rein geschäftliche nüchterne Formel». Wedekind kämpft nicht gegen das System, das ihm schadet. Vielmehr versucht er, weiterem Ärger aus dem Weg zu gehen. So ist dann wohl auch Wedekinds mehrdeutig-schillernder Text Deutschland bringt die Freiheit zu erklären, den er vor der Veröffentlichung im «Berliner Tageblatt» bereits als Vortrag bei einer «patriotischen Feier» in München hält.
Doch warum schweigt Wedekind nicht einfach zum Krieg? Will er nicht als Dissident gelten? Warum gießt er mit seiner Rede Öl in das nationalistisch-militaristische Feuer der Kriegstreiber, indem er deren Wunsch nach Heldenpathos und Deutschtümelei bedient? Schenkt man den Aussagen seiner Weggefährten, zu denen neben Mühsam auch der erbitterte Gegner der deutschen Kriegspolitik, Heinrich Mann, gehört, Glauben, dann treibt Wedekind ein doppeldeutiges Spiel mit der Ironie. Was für die konservativen Patrioten wie ein Bekenntnis zum Krieg klingt, entpuppt sich für viele Intellektuelle beim näheren Hinhören als höhnische Satire und kennzeichnet Wedekind als Gegner der deutschen Militärpolitik.
Dennoch lässt sich eine gewisse Naivität Wedekinds im Hinblick auf den Ersten Weltkrieg nicht ignorieren. So äußert er in Feldpostbriefen an den Professor für Theaterwissenschaften Artur Kutscher, den der Krieg als Kompanieführer an die Ostfront verschlägt, seine Hoffnung auf einen baldigen Frieden. Voraussetzung dafür, das betont Frank Wedekind stets, sei jedoch ein Sieg der Deutschen. An diesen knüpft er Hoffnungen auf größere individuelle Freiheiten und ein Ende der Zensur im Nachkriegs-Deutschland. Die bittere Niederlage erlebt Frank Wedekind nicht mehr: Er stirbt am 9. März 1918 vor dem Ende der Kampfhandlungen.
Während Erich Mühsam und Heinrich Mann in aller Öffentlichkeit kein Hehl aus ihrer Kriegsgegnerschaft machen, beschränkt sich Wedekind auf Lippenbekenntnisse3, für die er Ansichten der verschiedenen Diskussionsparteien übernimmt. Es wäre leicht, dem Schriftsteller vorzuwerfen, er habe aus Opportunismus gehandelt. Jedoch finden sich in seinen Werken sowie in persönlichen Äußerungen Hinweise, die ein solches Verhalten weniger negativ erscheinen lassen. Wedekind gehörte nie zu den Menschen, die sich vor den Karren einer politischen Meinung spannen lassen. Bereits in seinem frühen Aufsatz Zirkusgedanken aus dem Jahr 1887 outet sich Frank Wedekind als Pragmatiker, dem Idealismus ohne Realitätsbezug zuwider ist. Er ist der Realist, der mit beiden Beinen im Leben steht: Seine Maxime ist die Suche nach individueller Zufriedenheit. Auch in der Diskussion um den Ersten Weltkrieg bleibt Wedekind dieser Anleitung zum Glücklichsein treu. Der Entschluss, sich für den goldenen Mittelweg zu entscheiden, um der Zensur und den damit verbundenen Unannehmlichkeiten zu entgehen, scheint aus Wedekinds Sicht logisch zu sein. Er ist jedoch auch der Grund dafür, weshalb es bis heute schwerfällt, den Schriftsteller politisch einzuordnen.
1jmdm. auf die Schliche/hinter jmds. Schliche kommen: jmds. Absichten erkennen, durchschauen, jmds. heimliches Treiben entdecken.
2Mühsam, Erich, * Berlin 6. 4. 1878, † KZ Oranienburg 10. oder 11. 7. 1934, dt. Schriftsteller. 1919 Mgl. des Zentralrats der bayr. Räterepublik; nach deren Sturz zu 15 Jahren Festungshaft verurteilt, von denen er 6 Jahre verbüßte. 1933 erneut verhaftet. Verfasste satir. Balladen und Gedichte, auch Essays.
3Lip|pen|be|kennt|nis, das (abwertend): jmds. Bekenntnis zu etw., das sich nur in Worten, nicht aber in Taten äußert.
Der Text ist entnommen aus:
http://www.frankwedekind.de/