Главная страница «Первого сентября»Главная страница журнала «Немецкий язык»Содержание №14/2007

Sonderthema

Wedekinds Selbstinszenierung und die Zirkusmetapher

Zinnoberroter Frack, Stulpenstiefel, Hetzpeitsche und Revolver – so inszenierte Frank Wedekind sich als Tierbändiger für den «Prolog» zum Erdgeist. Diese Vorrede hat Wedekind dem Stück auf Bitten des Regisseurs Carl Heine nachträglich vorangestellt. Das Publikum hatte sich bis dato geweigert, Lulu richtig zu verstehen. Zur Strafe schoss Wedekind zwischen den Zeilen ein paar Mal in die Menge.

Ja, Wedekind war ein Naturtalent für derbe Auftritte und scharfe Schüsse. Bei der Firma Maggi hatte er das Werbetexten gelernt, und sein Tierbändiger-Marktgeschrei war Reklame mit Knalleffekten.

Schon als Achtzehnjähriger hatte Wedekind Selbstvermarktungsstrategien entworfen – noch bevor ihm die Vermittlung einer bestimmten Thematik oder eines gewissen Werkes wichtig war. Zunächst ging es ihm allein um Mädchenherzen und Geld. Das Gros des potentiellen Publikums betrachtete er schon damals als spießig, heuchlerisch und «denkfaul». Nach Wedekinds eigener Moralvorstellung galt es, dieses Volk zu manipulieren, sich selbst gut zu verkaufen – und damit meinte er seine Produkte, vor allem seine Gedichte und Dramen.

Den Zirkus erkannte Wedekind als heimliche Peepshow verklemmter Moralisten: Hier begafften seine biederen Mitbürger ungeniert junge Mädchen in hautengen Anzügen. Genau so sollten sie auch auf seine Lulu schauen. Frank Wedekind lenkte die Blicke dorthin, wo seine so oft wie selbstverständlich klebten. Die Zirkusmetapher benutzte er auch in seiner autobiografischen Skizze und sogar bei sich zu Hause – dort verwies die Dekoration auf den Zirkus, und seine kleine Tochter musste für Besucher auf einem Ball balancieren.

Den roten Vorhang hat das Theater mit dem Zirkus ja schon gemein. Figuren aus der Zirkuswelt tauchen in verschiedenen Stücken Wedekinds auf. Er verehrte das «unabhängige» Zirkusvolk und seine erotische Körperkunst – so wie es schon Friedrich Nietzsche getan hatte, und den verehrte er auch. In vielen verschiedenen Lulu-Inszenierungen sind auch nach Wedekinds Tod Zirkus-Elemente benutzt worden: Raubtierkäfige, Zirkusmusik und Trommelwirbel.

Maggi-Blechschild 1887Unter seinen ersten Veröffentlichungen als Journalist finden sich zwei Essays, die Wedekind Zirkusgedanken 1 und 2 und Auf dem Drahtseil genannt hat. Hier lässt sich schon das ablesen, was Zeit seines Lebens Wedekinds Ethik geblieben ist. Er lehnte eine Moral ab, die er mit der Situation einer Trapezkünstlerin verglich: Die bekomme Halt von der Verankerung über ihrem Kopf, was immer auch am Boden passiert, das könne sie nicht aus der Ruhe bringen. Wenn diese Artistin stolperte, so bräche sie sich unweigerlich das Genick. Die Seiltänzerin dagegen könne sich eine steife Moral nicht leisten und falle niemals so tief: Sie müsse jeden Schritt neu ausbalancieren und sei am wirklichen Leben, am Boden, orientiert – nicht an Luftschlössern.

Ob Wedekind sich damit als Opportunist outete, als reiner Materialist oder Pessimist, der sich wie alle Pessimisten für einen Realisten hielt, muss jeder – nicht denkfaule – Zuschauer für sich selbst entscheiden. Vielleicht war er auch ein ehrlicher Mensch unter vielen Heuchlern, der mit den Masken seiner Dramaturgie zu demaskieren suchte.

Der Text ist entnommen aus:
http://www.frankwedekind.de/