Sonderthema
Wedekinds Gedichte
Des Dichters Klage
Schwer ist’s heute, ein Gedicht zu machen,
Darum läßt man es am besten sein;
Wenn die Menschen wirklich drüber lachen,
Sperrt man den Verfasser meistens ein;
Wenn sie sich jedoch in Tränen winden,
Dann verhungert schließlich der Poet,
Deshalb wird man es begreiflich finden,
Daß die Poesie zugrunde geht.
Niemand weiß die Freiheit so zu schätzen
Wie der Dichter oder Redakteur;
Wenn sie ihn in das Gefängnis setzen,
Schreibt er manchmal überhaupt nichts mehr.
Statt in die Geschichte der Kalifen
Oder in die Dame, die er liebt,
Seine schöne Seele zu vertiefen,
Fängt er Fliegen, wenn es welche gibt.
Ließe sich die Allmacht doch erweichen,
Die den Menschen mit dem Fluch bedacht,
Daß er immer über seinesgleichen
Witze, Dramen und Novellen macht!
Zählt die Zuchthaus-Jahre man zusammen,
Die von lyrischen Gedichten her
Und von ähnlichen Verbrechen stammen,
Ein Jahrtausend gibt es ungefähr!
In der Politik, das muß man sagen,
Geht ja freilich alles wie geschmiert:
Unsre Größe liegt der Welt im Magen,
Und damit man gänzlich nicht verliert,
Bleiben Schweine dauernd ausgeschlossen,
Weil man ohnehin genug versaut. –
Fröhlich schnarchen Mirbach und Genossen
Wie vorzeiten auf der Bärenhaut.
Schade nur, daß wir nicht vorgeschritten
In der Politik wie Rußland sind;
Unsre Leute muß man immer bitten,
Bis man ihnen etwas abgewinnt.
Dort hingegen braucht man nur zu sagen:
Liebe Kinder, macht die Börse breit,
Sonst wird euch der Kopf vom Rumpf
geschlagen!
Käm’ es endlich auch bei uns so weit!
War nicht Bismarck doch ein arger Stümper,
Daß er stets dagegen sich gesträubt?
Wolle Gott, daß nichts von seiner zimper-
Lichen Staatsraison am Leben bleibt!
Nichts als Nörgler hat er uns geschaffen,
Von dem kindlichsten Vertrauen voll;
Dabei stritt er sich sogar mit Pfaffen!
Ist ein solcher Mensch nicht grauenvoll?
Doch ich weiß uns Rat aus der Bedrängnis:
Laßt den Reichstags-Kasten nur in ein
Majestäts-Beleidigungs-Gefängnis
Umgebaut und umgewandelt sein,
Dann sind wir erlöst von allem Bösen;
Tierisch vegetiert des Volkes Sinn,
Und ich bleibe, wie ich stets gewesen,
Ihr devoter Dichter
Benjamin.
Der Tantenmörder
Ich hab’ meine Tante geschlachtet,
Meine Tante war alt und schwach;
Ich hatte bei ihr übernachtet
Und grub in den Kisten-Kasten nach.
Da fand ich goldene Haufen,
Fand auch an Papieren gar viel
Und hörte die alte Tante schnaufen
Ohn’ Mitleid und Zartgefühl.
Was nutzt es, daß sie sich noch härme –
Nacht war es rings um mich her –
Ich stieß ihr den Dolch in die Därme,
Die Tante schnaufte nicht mehr.
Das Geld war schwer zu tragen,
Viel schwerer die Tante noch.
Ich faßte sie bebend am Kragen
Und stieß sie ins tiefe Kellerloch. –
Ich hab’ meine Tante geschlachtet,
Meine Tante war alt und schwach;
Ihr aber, o Richter, ihr trachtet
Meiner blühenden Jugend–Jugend nach.
Herr von der Heydte
Zur Gitarre gesungen
Vor dem Münchner Zensor
Herrn von der Heydte,
Macht nun auch Lessing
Moralisch Pleite.
Jüngst ward durch einen
Grausam roten
Zensurstrich Minna
Von Barnhelm verboten.
Denn alles, um das sich
Dies Schandstück dreht,
Ist heillose, freche
Perversität.
Die Minna, längst ahnt es
Der Zensor schon,
Ist eine verkappte
Mannsperson.
Und in Tellheim witterte
Er schon immer
Ein schamlos verkleidetes
Frauenzimmer.
Damit sich der Zensor
Nun kann überzeugen,
Daß ihnen das richtige
Geschlecht zu eigen,
Ward von beiden um
Die Erlaubnis gebeten,
In ihren Rollen
Nackt aufzutreten.
Ja, sie wollten des kurzsichtigen
Zensors wegen
Sogar ein kleines
Tänzchen einlegen.
Herr von der Heydte
Rast und tobt,
Und beim heiligen Ignatius
Hat er gelobt:
Eher tilg’ er die
Literatur von der Erde,
Als daß Minna von Barnhelm
Nackt getanzt werde.
Dies Schandstück, in dem
Die Verliebten verkehren
Mit gänzlich vertauschten
Geschlechtscharakteren.
Wofür läßt sich
Von der Heydte bezahlen?
Für den Weltrekord
In Kulturskandalen!
Verendet an ihm
Auch München, die Kunststadt,
Berlin lacht heiter:
Schadet det uns wat?
An mich
Wenn dir ein Schaden am Leibe frißt,
Jammre nicht, sondern handle;
Und wenn du glücklich gewesen bist,
Nimm dein Bett und wandle.
Ärgert dein Aug dich, so reiß es aus,
Sonst ärgert es dich an beiden;
Und keift dir ein schlimmes Weib zu Haus,
So geh und lasse dich scheiden.
Und wird dir das Beten und Fasten zu dumm,
Richte, schlichte, verzichte;
Und haranguiere das Publikum
Nicht erst durch Weltschmerzgedichte.
Der Text ist entnommen aus:
http://gutenberg.spiegel.de/wedekind/gedichte/