Das liest man in Deutschland
Bitterböse und bitterernst
Älterwerden und Ältersein in Ingrid Nolls «Ladylike»
Schwarzer Humor, traurige Wahrheiten und eine Prise Krimi – das sind die Zutaten, die Ingrid Nolls Romane weltweit so erfolgreich machen. So ist auch ihr aktueller Roman Ladylike nach gewohntem Schema gestrickt: da entledigen sich Frauen ihrer langweilig gewordenen Ehemänner, da wird böse über das Alter gesprochen, da gibt es sie in Hülle und Fülle – die seltsamen Wendungen, die das Leben so nehmen kann. Ingrid Noll hat damit zwar nichts Neues, aber wieder einmal etwas sehr Amüsantes geschrieben: ein unverkennbares, beinahe unwiderstehliches Original.
Ladylike ist ein Roman der Gegensätze. Es geht um das Miteinander von Alten und Jungen, das Verhältnis von Frauen zu Männern (und umgekehrt), es geht um eine Generation, die viel von anderen Generationen gesehen, aber wenig davon miterlebt hat. Allen voran geht es aber um die lebenslange Freundschaft zwischen Lore und Anneliese, zwei Mittsiebzigerinnen, die unterschiedlicher nicht sein können und dennoch – oder gerade deshalb – miteinander harmonieren. Lore ist eine feine Dame, stets elegant gekleidet, zurückhaltend, höflich. Dagegen verkörpert Anneliese die dralle, lebenslustige Kräuterhexe, nie um ein peinlich vorgeträllertes Lied in aller Öffentlichkeit verlegen. Im Alter, da Lore nach einer Scheidung nicht mehr geheiratet hat und Annelieses Mann auf mysteriöse Weise stirbt, beschließen sie, eine Wohngemeinschaft zu gründen, eine «Alten-WG»: man teilt den Tisch, den Garten, den Fernseher und den ganzen Kram, der sich in der Dauer eines Menschenalters eben so anhäuft in einer Wohnung. Das geht so lange gut, bis ein Mann in das Leben der beiden tritt und sich beide – wie könnte es anders sein – in ihn verlieben.
Dies könnte der Beginn einer lustigen Geschichte sein, eine weitere auswechselbare Folge à la Golden Girls: seitenweise Zoten über schrullige Alte, die sich aktiv im Leben wähnen, aber in jedes nur erdenkliche Fettnäpfchen treten. Wer Noll jedoch kennt, der weiß, dass alles anders kommt: bitterböse und bitterernst.
Großen Anteil daran trägt Lore, die Hauptfigur und Ich-Erzählerin. Ihr offener Blick in das Leben einer 73-Jährigen ist gleichzeitig so charmant und amüsant, wie er das Drama des Älterwerdens und Altseins offenbart: «Abschied nehmen heißt die Parole eines Frauenlebens. Zuerst von der Geborgenheit im Elternhaus, dann von der jugendlichen Unabhängigkeit, schließlich von den Kindern, vom Partner, vom Sex, vom Beruf, von der Gesundheit, Vitalität und weiblichen Attraktivität.» Neidisch blickt sie auf die Freiheiten der jüngeren Generation und trauert über ein prüdes, viel zu braves Leben, über sinnlos vergangene Zeit, die sich nicht mehr zurückdrehen lässt, und zwischen den Zeilen scheint immer wieder die Frage auf: Soll es das gewesen sein? Während ihre Energien schwinden, spürt Lore die verbleibende Zeit verrinnen: «Und wenn es mir schon schwerfällt, meine diversen Alterserscheinungen gelassen hinzunehmen, so trifft mich der Verlust meines Tempos am härtesten. Meine Tage sind zu kurz, um alles zu erledigen, was ich mir vorgenommen habe. Meine Lebenszeit reicht nicht mehr aus, um alle Bücher zu lesen, die in der Warteschleife liegen, um eine neue Sprache zu lernen oder um alle Leichen im Keller zu entsorgen.»
Anneliese sieht das anders als ihre neue Mitbewohnerin: «Unsere Jugend in den 50er Jahren war – im Vergleich zu der heutigen Generation – reichlich dumpf, unsere Ehen waren stickig, soll unser Alter auch noch muffig werden?» Prompt soll das Rest-Leben in vollen Zügen genossen werden, mit neuen funktional-bequemen Sneakers an den Füßen und zwei gemieteten Studenten hinterm Steuer – die den Wagen der Damen bei deren ausgiebiger Deutschlandreise chauffieren.
Alles stimmt, bis Ewald auftaucht: Ein alter Schulfreund, der die Freundschaft zwischen Anneliese und Lore auf die Probe stellt. Denn beide verlieben sich in den charmanten, aber mysteriösen Senior, der sich geschickt in der frisch gegründeten Alten-WG einnistet, sich aber sonst nicht in die Karten schauen lässt. Er verbirgt ein Geheimnis, das Lore und Anneliese keine Ruhe lässt.
Doch wie ein Fremdkörper wirkt er zwischen den beiden charismatischen Frauen – und es wird nicht verständlich, warum er auf diese solch eine anziehende Wirkung hat. Man ahnt, es hat vielleicht etwas damit zu tun, dass er einfach ein Mann ist. Ein Mann, der sie ausnahmsweise nicht ignoriert. Am Ende ist aber Ewald auch ein – und wahrscheinlich auch das einzige – Manko von Ladylike. Denn so wie sein sperriger Schuhputzkasten im Keller der beiden alten Damen stört, so stört er letztlich auch in der Geschichte. Seine Figur wird benutzt, um Spannung im Plot zu halten, um die Irrfahrt der beiden Protagonistinnen in ein grandios-abstruses Finale zu leiten. Neben ihnen aber bleibt er blass. Schade ist das deswegen, weil er viel zu oft der Stein des Anstoßes ist. Letztlich hat Ladylike doch ein wenig zu viel Ewald abbekommen, lesenswert ist der Roman aber trotzdem. Weil neben all den grotesken Erlebnissen so viel Lebens-Wahrheit darin steckt.
Von Sanja Zec
Ingrid Noll: Ladylike. Roman. Diogenes Verlag, Zürich 2006.
Der Text ist entnommen aus:
http://www.literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id=10364&ausgabe=200702