Главная страница «Первого сентября»Главная страница журнала «Немецкий язык»Содержание №15/2007

Sonderthema

Der Philosoph des Mondes und der Sonne – Matthias Claudius

Matthias Claudius war Journalist und ein Dichter von hohen Graden, der nur ein ganz schmales Werk hinterlassen hat, das man in einem Bändchen unterbringen kann. Trotzdem war er ein Dichter, der in manchen Gedichten an Goethe heranreicht und der eigentlich auch zur Weltliteratur gehört.

Geboren und groß geworden ist er als Pfarrerssohn in einem evangelischen Pfarrhaus in Reinfeld, im Holsteinischen in der Nähe von Lübeck. Das evangelische Pfarrhaus ist ja ein unglaublich fruchtbares Gehäuse. Es ist mit Sicherheit die prägendste Erziehungsstätte für Literatur in Deutschland. Dies hängt ganz einfach mit Luthers Verhältnis der Sprache gegenüber zusammen. Wer mit Luthers Bibel und mit Luthers Sprachverständnis aufgewachsen ist, der hat ein ganz anderes Verhältnis zur Sprache als derjenige, der ohne dieses Sprachverständnis aufgewachsen ist. Man hatte dort Umgang mit dieser kräftigen, kernigen Sprache. Die Nachfahren aus solchen Häusern haben immer wieder versucht, ebenfalls solche Lieder zu dichten, wie sie Luther gedichtet hat und wie sie in seiner Nachfolge auch ein Paul Gerhardt gedichtet hat. Matthias Claudius gehört ja auch zu denjenigen, die dann ins evangelische Kirchengesangbuch Aufnahme gefunden haben.

Claudius’ Geburtsort Reinfeld ist nur ein recht kleiner Flecken im Holsteinischen. Der junge Claudius musste dann auch schon recht bald zusammen mit seinem Bruder nach Plön auf die Lateinschule gehen. Die Kinder hatten damals ja schon in sehr jungen Jahren Latein gelernt. Mit ungefähr 16 Jahren sind die Brüder an die Universität Jena gegangen. Claudius hat zunächst Theologie studiert, aber er hat das dann eigentlich aufgegeben und Rechtswissenschaft studiert.

Jena ist in seinem Leben vor allem dadurch bedeutsam geworden, weil er und sein Bruder dort krank geworden sind. Beide haben die Blattern bekommen und sein Bruder ist daran gestorben. Claudius hingegen hat diese schwere Krankheit überlebt: Eines seiner ersten Gedichte ist daher auch das Todesgedicht auf seinen Bruder. Er hat das noch in Jena gedichtet, wo es auch veröffentlicht wurde.

Claudius brach das Studium ab und kehrte ins Elternhaus zurück. Die Eltern fanden es nicht so gut, dass er bei ihnen Unterschlupf gesucht hatte. Sie haben dann auch alle Freunde und Verwandten der Familie eingeschaltet, damit dem Sohn ein passender Beruf gesucht werden kann. Das ist ihnen dann ja auch gelungen, denn Claudius ist danach relativ rasch Journalist geworden. Er war Redakteur einer großen Hamburger Zeitung, nämlich der Hamburger «Comptoir-Nachrichten».

Claudius fängt also in Hamburg professionell das Schreiben an. Aber erst später, als er Klopstock, Lessing, Voß und andere kennenlernt, gelingt es ihm, den eigentlichen Claudius-Ton hervorzurufen, einen Ton, der bis heute in der deutschen Literatur völlig einzigartig ist.

Er hatte ja im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert viele bedeutende Zeitgenossen und er begegnete auch den meisten von ihnen: Er begegnete Herder und Goethe, er begegnete auch einem Bach-Sohn in Hamburg. Auch mit Musik hatte er viel zu tun. Wobei man vielleicht an einer kleinen Anekdote zeigen kann, wie ehrlich dieser Mann gewesen ist. Er sollte sich eines Tages möglicherweise als Organist verdingen und hätte auch eine Chance gehabt, diese betreffende Stelle zu bekommen. Er hat dann aber einen Mitbewerber gehört und sofort gesagt bzw. sogar geschrieben: «Dieser Mann ist viel besser, gebt ihm die Stelle!»

Claudius war ein Journalist, der immer wieder versucht hat, Fuß zu fassen als Redakteur von Zeitschriften. Diese Zeitschriften sind aber immer nur mehr oder weniger gut gegangen. Dann ging er selbst nach Kopenhagen: Damals war Kopenhagen ein Zentrum der deutschen Geistigkeit und auch der deutschen Literatur. Interessant ist aber, dass alle diese Stationen für Claudius immer nur Durchgangsstationen gewesen sind. Er wurde nämlich mit Hilfe der Vermittlung Herders eines Tages sogar nach Darmstadt geschickt, wo er aber ebenfalls nicht lange geblieben ist. Er hat dort sehr hart gelitten, obwohl es ihm dort finanziell relativ gut gegangen ist. In finanzieller Hinsicht war das für ihn schon ein ganz enormer Aufstieg. Trotzdem war das nach einem Jahr zu Ende.

Schließlich, als er dann verheiratet und mit vielen Kindern gesegnet war, hat er versucht, als freier Schriftsteller in Wandsbek seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Er bekam in dieser Zeit freilich auch das Stipendium vom dänischen Hof. Es kam dann aber hinzu, dass andere Menschen ihm ihre Söhne zur Erziehung ins Haus gegeben haben.

Claudius war ein Familienmensch. Er hat in einer Familie mit zwölf Kindern gelebt, zu denen dann auch noch jede Menge Zöglinge und ein gewisses Maß an Gesinde hinzugekommen sind. Einer solch großen Haushaltsfamilie zu präsidieren, gehörte wirklich zu seinem Leben.

Das Leben von Claudius hat sich in der Familie abgespielt und in dem Ort, in dem er im Grunde jedes Eckchen kannte. Er ist nicht gerne gereist: Er ist zu Hause geblieben. Dieses Haus hat er allerdings zu einem Kunstwerk ausgestaltet. Es ist ein Kunstwerk der Geselligkeit geworden, ein Kunstwerk der Häuslichkeit, das Claudius zusammen mit seiner Frau Rebekka aus seinem Leben gemacht hat. Dieses Kunstwerk der Häuslichkeit hat er beschrieben in einer Zeit, in der dieses große Haus und diese große Haushaltsfamilie sich eigentlich bereits aufzulösen begann. Er hat also in einer neuen Zeit noch einmal zurückgeholt, was den Kern der alten Zeit ausgemacht hat: das Häusliche, die große Familie, den Hausvater, den Patriarchen, den gütigen Vater, der für seine Kinder und seine Frau da ist.

Hier sei Claudius’ Frau Rebekka erwähnt. Er hat sie mit 31 Jahren kennengelernt und mit 32 Jahren geheiratet. Sie war eine Tischler- und Gastwirtstochter, die ihn lange überlebt hat: Sie starb 1832. Diese Frau hat er über alles geliebt: ein ganz einfaches Mädchen, das ihm jedoch nicht nur seinen Haushalt geführt hat, sondern sich durchaus auch in der Gesellschaft ganz natürlich bewegen konnte.

Sie muss eine unglaublich starke Frau gewesen sein. Mit 16 Jahren diesen doch sehr viel älteren Mann zu heiraten, zwölf Kinder mit ihm zusammen zu bekommen, drei von diesen Kindern dann noch zu eigenen Lebzeiten wieder zu verlieren und den Rest der Kinder doch zu tüchtigen Menschen zu erziehen, das war eine ungeheure Leistung. Es kommt noch hinzu, dass Claudius Zeit seines Lebens Angst hatte, dass seine Frau lange vor ihm sterben könnte. Er schreibt z. B. an einen seiner Freunde, sie sei von diesem ewigen Gebären und Stillen so mürbe geworden, dass er Angst habe um ihr Leben. Aber diese Frau hat dieses ewige Säugen und Gebären überstanden und hat jedes ihrer Kinder doch zu einem bürgerlichen Beruf gebracht. Die Familie Claudius ist also vermutlich ein Idealbild, wie es sonst kaum noch vorkommt. Es gibt in der gesamten deutschen Literatur keine anderen Gedichte, die eine gelungene Ehe so feiern, wie Claudius es in seinen Gedichten getan hat. Das ist vor allem ein Dank an diese Frau.

Claudius hat ja nicht nur seine Frau, sondern auch seine Kinder sehr geliebt. Über diese Kinder hat er ebenfalls eine Reihe von Gedichten geschrieben. Das sind lustige Gedichte und das sind aber auch Gedichte, die eine unglaubliche Nähe zu den Kindern beschwören.

Das war die eigentliche Leistung von Claudius, dass er in der Zeit eines unglaublichen Erfahrungswandels und sogar einer Erfahrungsexplosion die alte Haushaltsfamilie, also diesen alten wirtschaftenden Verband der Familie, noch einmal so in den Mittelpunkt gestellt hat, dass sie unvergesslich geworden ist. Er hat eine wichtige, aber schwindende Sozialform in Literatur hinein gerettet. Er hat diese Rettung in Literatur an die späteren Jahrhunderte vermittelt. Das ist die eigentliche Bedeutung: dass er die Schnelligkeit dieses Erfahrungswandels ein klein wenig aufgehalten hat. All das, was diese große Haushaltsfamilie an Werten überliefert hat wie Treue, Zusammenhalten, Miteinanderleben und dieses Miteinanderleben auch wirklich so zu gestalten, dass es nicht langweilig wird, sondern dass man wirklich zusammengehört, hat er so gestaltet, dass es in dem Augenblick der Geschichte, in dem es entschwindet, noch einmal vorhanden ist. Damit hat er es fast unsterblich gemacht.

Es geht bei ihm dabei freilich nie ins Biedermeierliche. Haarscharf geht es auch immer an dem nur Gefühligen, am Kitsch vorbei. Das ist so ehrlich, das ist so echt, dass man sich in jeder einzelnen Zeile eigentlich nur wundern kann.

Er hatte natürlich auch Kritiker und diese Kritiker haben ihn schon so in Richtung Biedermeier und das ausschließlich Häusliche schieben wollen. Er gehört aber zu den Ersten in Deutschland überhaupt, die einen Weihnachtsbaum geschmückt haben für die Kinder. Einen Weihnachtsbaum, den es sonst nur in der Öffentlichkeit gegeben hat, hatte er in seiner Familie.

Für ihn geht es um die Erfahrung, um die Erfahrung des Lebens, um die sinnliche Erfahrung des Lebens. Und von daher stammt natürlich auch sein Aufbegehren gegen das Schicksal des Menschen in dieser Welt: dass das Leben so kurz ist und dass es dann, wenn es so kurz und wenn es köstlich gewesen ist, eben nichts als Mühsal und Arbeit gewesen ist.

Claudius hat in einer relativ einfachen Sprache gesprochen. Er hat versucht, nicht für die Gebildeten, nicht für den Adel zu schreiben. Stattdessen hat er versucht, für ein einfaches Bürgertum zu schreiben, ja sogar für die Menschen auf dem Dorf. Bei den Bauern wollte er verstanden werden und er ist wohl auch verstanden worden von ihnen. Sie haben ihn nicht so sehr selbst gelesen, aber sie haben ihn gesungen, sie haben ihn auswendig gekonnt und er ist ihnen gepredigt worden. Es war so, dass diese Sprache auf ein ganz besonderes Publikum in der damaligen Zeit abgestellt war. Es kommt natürlich noch etwas hinzu: Dieser Claudius hat durch die Erfahrungen des Hauses, die er beschrieben hat, unser aller Alltagserfahrungen gestaltet.

Diese Erfahrungen haben sich seit dem 18. Jahrhundert jedenfalls nicht so schwerwiegend verändert, dass man sie nicht wiedererkennen könnte. Und der Tod gehört natürlich mit zu dieser Alltagserfahrung. Ein ganz großes Gedicht, Der Tod und das Mädchen, ist von Schubert vertont werden. Das ist ein Lied, ein Gedicht, das bis zum letzten Ton dieses verklingenden Klaviers eine urmenschliche Erfahrung vermittelt, die eigentlich für die ganze Welt bereitliegt. Jedermann kann das verstehen: von China oder Japan bis nach Afrika. Der Tod ist also bei Claudius ein Thema in einer ganzen Reihe von Gedichten, darunter Es ist so dunkel in des Todes Kammer. Das sind nur vier Zeilen, die doch das gesamte Geschehen des Sterbens umfassen. Im Rhythmus der Worte, im Schlag dieses Hammers. Im Schlag des Herzens! Und im letzten Herzensschlag und im letzten Atemzug kommt dann die Zeile «und die Stunde schlägt». Das ist ein Gedicht, das einem Dichter möglicherweise nur einmal im Leben gelingt.

Diese vier Zeilen gehören mit Sicherheit zur Weltliteratur: Das ist ein Beitrag der deutschen Literatur zur Weltliteratur. Aber das besagt in diesem Zusammenhang eigentlich gar nichts. Stattdessen ist das einfach eine der Urszenen. Und es gehört zu Claudius, dass er die Urszenen wie Geburt und Tod und Heirat und Schmerz und Lust und Trauer in der Alltagserfahrung des Menschen behandelt und beschrieben hat. Er hat sie so beschrieben, dass sie in unser aller Gedächtnis haften geblieben sind. Es wäre sicherlich nützlich, dass solche Gedichte wieder zum Gedächtnis eines jeden Menschen gehören, dass er sie vor sich hersagen kann.

Sehr bekannt ist auch das Gedicht, das er geschrieben hat, als seine Tochter Christiane gestorben ist. Er vergleicht diese junge Frau mit einem Stern, der am Himmel verschwunden ist. Dieses Gedicht hat eine wirklich ganz traurige Schlusszeile. Darin liegt eine überwältigende Trauer. Aber bekannt geworden ist es aber als ein Liebesgedicht. Denn Achim von Arnim und Clemens Brentano haben dieses Gedicht in ihre Volksliedsammlung Des Knaben Wunderhorn aufgenommen und haben die Überschrift Christiane dabei natürlich weggenommen. Stattdessen haben sie es mit Das verlorene Sternlein betitelt. Damit ist es plötzlich ein Gedicht geworden um die Trauer der verlassenen Liebe. Das war natürlich eine völlig andere Aufnahme dieses Gedichts, als es ursprünglich gemeint war. Aber es gehört bei Claudius mit Sicherheit zu den großen Todesgedichten.

Claudius hat nicht neben seiner Zeit gesessen. Er hat zwar oft eine sehr simple Art in seinem «Wandsbecker Boten», mit der er die Zeit begleitet. Man muss aber nur mal an das große Kriegsgedicht denken, das in der Zeit des bayerischen Erbfolgekrieges im Jahr 1778 zwischen Österreich und Preußen geschrieben wurde.

Karl Kraus hat dieses Gedicht mitten im Ersten Weltkrieg, in der Zeit der mörderischen Schlachten, in seiner Zeitschrift «Die Fackel» abgedruckt: ohne jeden Kommentar, ohne jeden Zusammenhangstext. Und alle Leute haben verstanden, was er damit gemeint hat: «und ich begehre, nicht schuld daran zu sein!»

Claudius hat ja schreckliche Kriege in seinem Leben miterlebt: Er hat als Student den Siebenjährigen Krieg erlebt, er hat dann später natürlich auch die napoleonischen Kriege erlebt, und ein Jahr vor seinem Tod mussten er und seine Frau aus Wandsbek fliehen, weil die Franzosen einrückten. So kam es, dass er erst 1814 wieder nach Wandsbek zurückkehrte. Claudius wusste also, was es heißt, wenn Krieg herrscht. Und das ist eben auch eine dieser Urszenen: «’s ist Krieg, ’s ist Krieg, oh Gottes Engel wehre und rede du darein!»

Das Große an Claudius ist ja wohl in der Tat, dass er jedem etwas geben kann, dass er im Grunde sehr zugänglich ist und gleichzeitig sogar Kantische Gedanken in seinen Gedichten enthalten sind. Das ist ja ein Wunder auch der Sprache, ein Wunder, das diesen Dichter kennzeichnet.

Alpha-Forum-extra: Stationen der Literatur: Der Philosoph des Mondes und der Sonne – Matthias Claudius. Prof. Dr. Wolfgang Frühwald im Gespräch mit Dr. Walter Flemmer. (gekürzt) http://www.br-online.de/alpha/forum/vor0507/20050723_i.shtml