Главная страница «Первого сентября»Главная страница журнала «Немецкий язык»Содержание №15/2007

Sonderthema

Matthias Claudius als Lyriker

Kaum könnte Klopstock, dem «sentimentalen» Vorgänger des jungen Schiller, jemand ferner stehen als sein «naiver» Hamburger Orts- und Zeitgenosse Matthias Claudius. In frischer Unbekümmertheit einer urwüchsigen Begabung dichtet der «Wandsbecker Bote» seine Verse als unmittelbaren Ausdruck seiner Empfindungen. Wenn er weiter nichts verfasst hätte als die erste Strophe seines Abendlieds: Der Mond ist aufgegangen ..., diese Verse, in denen Anschauung und Klang schlechthin vollkommene Einheit geworden sind, so gehörte er schon unter die ersten Lyriker.

Aber das lange Zeit zu Unrecht fast vergessene und heute erst wieder zu breiter Wirkung gelangte Werk des Dichters enthält viel mehr beglückende Gedichte, dem Volkston nahe und doch ganz eigen, oft von rührend zarter Naivität und inniger Herzlichkeit eines frommen und gütigen Menschen. Die Einfalt des Herzens in manchen Gedichten ist gewiss echt, wenn sie auch häufig an der Grenze des für uns noch Miterlebbaren liegt; andere gehen schon über die Grenze hinaus, sind aber bäuerliche Volksdichtung so gut wie ein Volkslied, beste Hauskost für schlichte Gemüter. Seine schönsten Lieder aber sind von unnachahmlicher Grazie und reiner Musik.

«Asmus, omnia sua secum portans»: Wir sehen ihn im Kreise der geliebten Rebekka, seiner Kinder und Haustiere unter dem blühenden Apfelbaum, ja in ihm drin am Kaffeetisch sitzen, einen Dichter der Idylle, dem bis ins einsame, mühereiche Alter alles zum Guten ausschlug.

Der Mensch

Empfangen und genähret
Vom Weibe wunderbar,
Kömmt er und sieht und höret,
Und nimmt des Trugs nicht wahr;
Gelüstet und begehret,
Und bringt sein Tränlein dar;
Verachtet und verehret,
Hat Freude, und Gefahr;
Glaubt, zweifelt, wähnt und lehret,
Hält nichts, und alles wahr;
Erbauet, und zerstöret;
Und quält sich immerdar;
Schläft, wachet, wächst und zehret;
Trägt braun und graues Haar.
Und alles dieses währet,
Wenns hoch kommt, achtzig Jahr.
Dann legt er sich zu seinen Vätern
nieder,
Und er kömmt nimmer wieder.

Wiegenlied bei Mondschein zu singen

So schlafe nun, du Kleine!
Was weinest du?
Sanft ist im Mondenscheine
Und süß die Ruh.

Auch kommt der Schlaf geschwinder
Und sonder Müh;
Der Mond freut sich der Kinder,
Und liebet sie.

Er liebt zwar auch die Knaben,
Doch Mädchen mehr,
Gießt freundlich schöne Gaben
Von oben her

Auf sie aus, wenn sie saugen,
Recht wunderbar;
Schenkt ihnen blaue Augen
Und blondes Haar.

Alt ist er wie ein Rabe,
Sieht manches Land;
Mein Vater hat als Knabe
Ihn schon gekannt.

Und bald nach ihren Wochen
Hat Mutter mal
Mit ihm von mir gesprochen:
Sie saß im Tal

In einer Abendstunde,
Den Busen bloß,
Ich lag mit offnem Munde
In ihrem Schoß.

Sie sah mich an, für Freude
Ein Tränchen lief,
Der Mond beschien uns beide,
Ich lag und schlief;

Da sprach sie: «Mond, o! scheine,
Ich hab sie lieb,
Schein Glück für meine Kleine!»
Ihr Auge blieb

Noch lang am Monde kleben,
Und flehte mehr.
Der Mond fing an zu beben,
Als hörte er.

Und denkt nun immer wieder
An diesen Blick,
Und scheint von hoch hernieder
Mir lauter Glück.

Er schien mir unterm Kranze
Ins Brautgesicht,
Und bei dem Ehrentanze;
Du warst noch nicht.

Abendlied

Der Mond ist aufgegangen,
Die goldnen Sternlein prangen
Am Himmel hell und klar;
Der Wald steht schwarz und schweiget,
Und aus den Wiesen steiget
Der weiße Nebel wunderbar.

Wie ist die Welt so stille
Und in der Dämmrung Hülle
So traulich und so hold!
Als eine stille Kammer,
Wo ihr des Tages Jammer
Verschlafen und vergessen sollt.

Seht ihr den Mond dort stehen? –
Er ist nur halb zu sehen
Und ist doch rund und schön!
So sind wohl manche Sachen,
Die wir getrost belachen,
Weil unsre Augen sie nicht sehn.

Wir stolze Menschenkinder
Sind eitel arme Sünder,
Und wissen gar nicht viel;
Wir spinnen Luftgespinste,
Und suchen viele Künste,
Und kommen weiter von dem Ziel.

Gott, laß uns dein Heil schauen,
Auf nichts Vergänglichs trauen,
Nicht Eitelkeit uns freun!
Laß uns einfältig werden
Und von dir hier auf Erden
Wie Kinder fromm und fröhlich sein!

Wollst endlich sonder Grämen
Aus dieser Welt uns nehmen
Durch einen sanften Tod!
Und, wenn du uns genommen,
Laß uns in Himmel kommen,
Du unser Herr und unser Gott!

So legt euch denn, ihr Brüder,
In Gottes Namen nieder;
Kalt ist der Abendhauch.
Verschon uns, Gott, mit Strafen
Und laß uns ruhig schlafen!
Und unsern kranken Nachbar auch!

Der Frühling
(Am ersten Maienmorgen)

Heute will ich fröhlich, fröhlich sein,
Keine Weis’ und keine Sitten hören;
Will mich wälzen, und für Freude schrein,
Und der König soll mir das nicht wehren;

Denn er kommt mit seiner Freuden Schar
Heute aus der Morgenröte Hallen,
Einen Blumenkranz um Brust und Haar
Und auf seiner Schulter Nachtigallen;

Und sein Antlitz ist ihm rot und weiß,
Und er träuft von Tau und Duft und Segen –
Ha! mein Thyrsus sei ein Knospenreis,
Und so tauml’ ich meinem Freund entgegen.

Der Text ist entnommen aus:
Aus: Unvergängliche deutsche Gedichte. Neuer Kaiser Verlag, o. J. S. 77–80.