Главная страница «Первого сентября»Главная страница журнала «Немецкий язык»Содержание №15/2007

Sonderthema

Matthias Claudius als Journalist

Matthias Claudius ließ den berühmtesten Mond aufgehen. Er selber war Bummelstudent, Redakteur, Aufklärer, Alltagsbeschreiber und Dichter. Seine berühmteste Schöpfung summt untergründig wohl in jedem deutschen Kopf. Verse, die ihn, Kindergeneration um Kindergeneration, unsterblich machen: «Der Mond ist aufgegangen.» Wem hat sich nicht die Schlusszeile eingebrannt? Eine so sanfte wie eindringliche Bitte um ein bisschen Menschlichkeit: «Und unsern kranken Nachbarn auch!»

Matthias Claudius ist uns allen wohl bekannt. Als Dichter. Aber nicht als Journalist, als einer, der für den täglichen Gebrauch schrieb. Journalist im strengen Sinn war Matthias Claudius eigentlich nur ein knappes Jahrzehnt lang. Später war er wohl eher als freier Schriftsteller tätig, der dort publizierte, wo er konnte.

Und doch gehört Matthias Claudius zu den Großen der Branche. Zum einen, weil er es verstanden hat, den «Wandsbecker Boten», ein kleines, nur über vier Jahre erscheinendes Provinzblättchen, zu einer der bekannteren Zeitungen des 18. Jahrhunderts zu machen. Zum anderen, weil er seine Sujets und seine Sprache in der Lebenswelt seiner Leser gefunden hat. Wenn man so will, war er ein Journalist des Alltags. Unter bürgerlichen Gesichtspunkten war er eine verkrachte Existenz. Ein Bummelstudent ohne Abschluss, ohne Aussicht auf einen Job. Mit 22 Jahren flüchtet er von der Uni in Jena zurück ins väterliche Pfarrhaus. Eine Anstellung als Sekretär in Kopenhagen ist bloßes Intermezzo. Bis zum 28. Lebensjahr bleibt Claudius ein Nesthocker. Erst danach verdient er seinen Unterhalt selbst, zunächst als erbärmlich bezahlter Redakteur für den «belustigenden» Teil der «Hamburger Adreß-Comptoir-Nachrichten». Dort finden sich seine Gedichte oder Texte mit Titeln wie Abhandlung vom menschlichen Herzen, sehr kurios zu lesen neben Börsennachrichten und Schiffsmeldungen wieder. Nach zwei Jahren fliegt er raus. Er findet neue Anstellung beim «Wandsbecker Boten». Er bringt die winzige Zeitung mit 400 Exemplaren Auflage zwar zu Ansehen, aber nie in die Gewinnzone. Nach vier Jahren, 1775, wird der Redakteur gefeuert, das Blatt eingestellt.

Ein Gastspiel als Oberlandcommissarius und Redakteur der «Hessen-Darmstädtischen privilegierten Land-Zeitung» endet nach nicht einmal einem Jahr mit der Entlassung. Danach ist Claudius, was man wohl heute freier Autor nennen würde. Er schlägt sich mit Beiträgen für Blätter hier und dort durch, sammelt seine verstreut veröffentlichten Werke in Buchform. 1785 bessert sich seine wirtschaftliche Situation erstmals, nachdem ihm der dänische Kronprinz Friedrich eine Jahrespension ausgesetzt hatte. Vier Jahre später vermittelt er ihm sogar eine Stelle als Bankrevisor. Es ist reines Mäzenatentum. Claudius muss dafür nicht arbeiten. Also erst 1788, mit 48 Jahren, ist er so weit abgesichert, dass er sich nicht mehr täglich sorgen muss um den Unterhalt seiner trotz anhaltender finanzieller Bedrängnis stetig gewachsenen Familie.

Hamburg war damals so etwas wie die Pressehauptstadt der Nation. «So früh wie sonst nirgends», schreibt der Presseforscher Holger Böning, «begann die Zeitungslektüre in der Hansestadt allgemein zu werden. Am frühen Morgen sah man in Hamburg Arbeitsleute und Hausknechte reihenweise an den Zeitungsbuden stehen und aufmerksam die für ihre Herren geholten Zeitungen lesen und diskutieren.» Zur Mitte des Jahrhunderts erschien vor den Toren Hamburgs in dem «Wandsbecker Mercurius» die erste Zeitung, die sich bewusst an den «gemeinen Mann» wandte. Ein Satz ist Programm für den Journalisten Claudius: «Man muss den Menschen nur vernünftig ansprechen, und man wird sich wundern, wie er’s begreift.» Das ist ernst gemeint – Schreiben ist Aufklärung. Damit hätte er das Zeug zu einem unerschrockenen Säulenheiligen der Zunft. Wenn er nicht zugleich, ironisch augenzwinkernd, die latente Selbstüberhebung der berufsbedingten Aufklärer thematisieren würde: «Man wird sich wundern, wie er’s begreift.» Der Leser ist gar nicht so dumm, wie der Autor meint. Claudius war ein frommer und bescheidener Mann und überaus skeptisch gegenüber den Erzeugnissen seiner Branche. «Worte sind nur Worte», schrieb er seinem ältesten Sohn und fügte einen für seine Sprache so typischen bildhaften Vergleich an: «Und wo sie gar leicht und behände dahin fahren, da sei auf Deiner Hut, denn die Pferde, die den Wagen mit Gütern hinter sich haben, gehen langsameren Schrittes.»

Aber nicht nur deshalb dürfte es sein Verständnis von Journalismus heute schwer haben. Noch schwerer, als er es vor gut 200 Jahren bereits hatte. Das Weltgeschehen berührte ihn schon, «aber er teilte dem Leser auch mit, wann die erste Nachtigall in Wandsbek geschlagen hatte oder seine Frau Rebekka niedergekommen war», schreibt sein Biograf Peter Berglar. Dabei ist Claudius nicht unpolitisch. So dürfte eine Zeile wie: «Die Bauern gehen ja nicht auf Vieren, es sind doch Menschen auch», seine Entlassung in Darmstadt befördert haben. Vielleicht gehört zu den Seltsamkeiten des Journalisten Claudius, dass er fast alle berühmten Schriftsteller seiner Zeit als Autoren für sein Blatt gewinnen konnte: Goethe, Lessing, Herder, Hölty und Klopstock. Und er würdigte Lessings Emilia Galotti, pries Goethes Werther, verbeugte sich vor Klopstocks Oden.

Mit zunehmendem Alter wuchsen aber auch erbitterte Feindschaften heran. Der Mann polarisierte. Johann Gottfried von Herder, damals wohl so etwas wie ein nationaler Großschriftsteller, nannte ihn «das größte Genie», dessen Herz «wie Steinkohle glüht». Goethe wiederum, schon der Olympier, bürstete den Norddeutschen ab als «Narren, der voll Einfaltsprätensionen steckt». Schiller gab brieflich, spürbar mit zustimmenden Kopfnicken, das Urteil Wilhelm von Humboldts über Claudius wieder: Der sei «eine völlige Null».

Die Romantiker wiederum, eine Generation später, liebten ihn, den innigen Gefühlsmenschen, den Frommen. Im Verlaufe des 19. Jahrhunderts wurde es stiller um Claudius, markigere Töne zählten. Erst Karl Kraus, der so viele verrissen hat, nannte ihn vor bald 100 Jahren wieder «einen der allergrößten deutschen Dichter». Aber eben Dichter. Vielleicht ändert sich daran allmählich etwas – in den nächsten hundert Jahren.

Reymer Klüver

Der Text ist entnommen aus:
http://www.sueddeutsche.de/kultur/artikel/196/11185/