Главная страница «Первого сентября»Главная страница журнала «Немецкий язык»Содержание №17/2007

Sonderthema

Storms Novellen

«Meine Novellistik ist aus meiner Lyrik erwachsen», schrieb Storm 1882 an den befreundeten Germanisten Erich Schmidt. 1847 hatte er seine erste Erzählung, Marthe und ihre Uhr, veröffentlicht, die eher einer Skizze mit in sich abgeschlossenen, lyrisch geprägten Szenen gleicht – ein episch ausgeführtes Gedicht.

Erst mit Immensee (1849) schrieb er seine erste reine und zu Lebzeiten erfolgreichste Novelle. Die «einzelnen Stimmungsbilder», die «Situationen», wie sie Storm auch bezeichnet hat, vereinen sich zu einem «geschlossenen Ganzen», das es dem Leser ermöglicht, sich «ein ganzes Menschenschicksal mit der bewegenden Ursache und seinem Verlaufe bis zum Schlusse ... vorzustellen». Doch auch hier noch erinnert vieles an den lyrischen Beginn – die einzelnen Szenen sind wie Gedichte mit Überschriften markiert, und leitmotivisch durchzieht das Gedicht Elisabeth die Novelle – «Meine Mutter hat’s gewollt/Den andern ich nehmen sollt’.»

Ähnlich schwermütig, ähnlich lyrisch gibt sich Posthuma (1849), das vom Scheitern einer Beziehung erzählt. Der resignative Ton dieser kleinen Novelle ist typisch für die frühen Erzählungen Storms.

«Innerlichste Arbeit» stellte für Storm die Niederschrift von Viola tricolor (1873) dar. Aus der Sicht der Frau verfasst, einfühlsam, wie es selten zuvor in der deutschen Literatur vorkam, handelt die Novelle – zurückgehend auf die Probleme von Storms zweiter Ehe – von den Eingewöhnungs- und Anpassungsschwierigkeiten einer jungen Frau, die ein verwitweter Professor heiratet, damit «wieder eine dem Hausherrn ebenbürtige Frau im Innern walte». Symbolisch dafür steht der verschlossene, verwilderte Garten, ein «Garten der Vergangenheit», in dem der Professor seine erste Frau kennengelernt hatte, und den es zu öffnen gilt, sollen die beiden Eheleute wirklich zueinander kommen.

Verbunden mit der Liebesgeschichte ist in der Novelle Psyche (1875) die Künstlerthematik. Kunst und Liebe fungieren hier nicht mehr – wie noch in der 1873/74 entstandenen Novelle Pole Poppenspäler – als unvereinbares Oppositionspaar, sondern erfahren eine Synthese in der «lebendigen Geschichte» des Kunstwerks, das durch die Liebe entstanden ist – Liebe, die für Storm eingebettet ist im Stand bürgerlicher Ehe.

Mit Aquis submersus (1875/76) begann Storm die Reihe der Chroniknovellen – ‹historische› Novellen, die von einem eigentlich ahistorischen Standpunkt aus geschrieben sind.

«Ich verlange für den Dichter das Recht, wenn er es kann, auch eine vergangene, ja auch eine fremde Welt uns heraufzubeschwören; es kommt alles immer und immer nur darauf an, dass er uns in dieser einen poetisch angeschauten ewig menschlichen Inhalt zu geben vermag», schrieb er an Erich Schmidt. Und weiter: «Ist in einem Kunstwerk die Darstellung vorübergegangener Lebensformen das Wesentliche, so ist dessen Geltung von der Zeitströmung oder besser von der Mode abhängig; ist die Darstellung des rein Menschlichen, für uns des Ewigen, der Inhalt, so kann die Zeitströmung es nicht verwaschen, und eine bescheidene Benutzung des historischen Außenwerks, wie bei mir, kann es nicht in den Abgrund ziehen. Andererseits, was wäre in den Empfindungen meiner Menschen, was die im 14. Jahrhundert anders hätten empfinden müssen? »

Aquis submersus (lat. «im Wasser versunken») geht zurück auf das Bonnix’sche Epitaph in der Kirche zu Drelsdorf, das Storm 1873 kennengelernt hatte – ein großes Ölbild in vier Feldern mit der Familie eines Priesters, wobei unter dem Bild des Knaben die Worte stehen: «Aquis incuria servi submersus.» «Diese seltsam harte, die Nachlässigkeit des armen Kerls verewigende Inschrift prägte sich mir ein und ging mir nach», erzählte Storm. Alles andere aber hatte er selbst erfunden.

Storms antifeudale Gesinnung – die Liebe der Adeligen Katharina zum Maler Johannes ist durch den Standesunterschied zum Scheitern verurteilt – kommt deutlich zum Ausdruck. Nach einer Liebesnacht muss der Maler fliehen, erst nach Jahren treffen sie sich wieder. Katharina, verbannt und einem Pfarrer zur Frau gegeben, und Johannes haben allerdings ihre Liebe bewahrt. Als sie sich wiedersehen, ertrinkt durch beider Unachtsamkeit ihr gemeinsamer Sohn, dem Johannes ein Bild malt mit der Inschrift «Culpa patris aquis submersus». Zur ‹Schuldfrage› schrieb Storm: «Man würde durchaus fehlgehen, wenn man in Aquis submersus in der freilich die bestehende Sitte außer Acht lassenden Hingebung des Paares die Schuld der Dichtung suchen wollte ... Die Schuld, wenn man diese Bezeichnung beibehalten will, liegt auf der anderen Seite, hier auf dem unerbittlichen Geschlechterhasse, dort auf dem Übermute eines Bruchteils der Gesellschaft, der, ohne Verdienst auf die irgendwie von den Vorfahren eroberte Ausnahmestellung pochend, sich besseren Blutes dünkt und so das menschlich Schöne und Berechtigte mit der ererbten Gewalt zu Boden tritt. Nicht zu übersehen ist, dass es eben diese feindliche Gewalt ist, die das Paar einander fast blindlings in die Arme treibt.»

Auf ein italienisches Motiv geht Zur Chronik von Grieshuus zurück (1883/84), diese von Fontane «ein Genre-Bilderbuch ohnegleichen» genannte Novelle. Ein Brudermord und die auf die nachfolgende Generation fortgeerbte Schuld führen zum Untergang eines alten Geschlechts.

Den Stoff zu seiner letzten und umfangreichsten Novelle, dem 1886 begonnenen, 1888 abgeschlossenen Schimmelreiter, hatte Storm bereits in Jugendjahren kennengelernt. Die ursprünglich westpreußische Sage verlegte er in die Meereslandschaft seiner Heimat, deren urwüchsiger Gewalt der Deichgraf Hauke Haien schließlich erliegt. Was ihn jedoch mehr als die Elementarkraft des Meeres zermürbt, ist die feindselige Stimmung, mit der die abergläubische Bevölkerung ihm und seinem fortschrittlichen Deichbau gegenübersteht. Aber auch der Deichgraf ist nicht frei von Schuld. «Wenn die Katastrophe aus der Niederlage des Deichgrafen im Kampfe der Meinungen stärker hervorgehoben würde», schrieb Storm, «so würde seine Schuld wohl zu sehr zurücktreten. Bei mir ist er körperlich geschwächt, des ewigen Kampfes müde, und so lässt er einmal gehen, wofür er sonst im Kampf gestanden.»

Als die Sturmfluten durch die von ihm unbeachtete Schwachstelle des Deiches hereinbrechen und seine Frau und sein Kind mit sich fortreißen, stürzt er sich mit seinem Schimmel in den Tod, um so die Verantwortung für seine Nachlässigkeit auf sich zu nehmen. Im Aberglauben der Bevölkerung lebt der Deichgraf als Spukgestalt weiter, die bei drohender Sturmflut auf einem Schimmel reitend erscheint – auf diese Weise vollzieht sich die Sühne für seine persönliche Schuld und erweist ihm das Dorf zugleich den zu Lebzeiten verweigerten Respekt.

Der Text ist entnommen aus:
http://www.xlibris.de/Autoren/Klassiker/klassische_Autoren.htm