Literatur
Herta Müller: Barfüßiger Februar
(Fortsetzung aus Nr. 16, 17/2007)
Die große schwarze Achse
Die Kette rasselte in Mutters Hand. Mutter schlängelte sie neben ihren runden Waden.
Das Herz blutete.
Die Mutter ließ die Kette neben ihre nackten Füße fallen: «Sie ist zerrissen», sagte sie. «Trag sie zum Schmied. Hier ist das Geld.»
Die Königin ließ das Herz in Salz kochen und aß es.
Ich hielt den zehn-Lei-Schein in der einen Hand und in der andren Hand hielt ich die Kette. Und Mutter fragte: «Hast du ein Taschentuch. Halt dir die Augen zu und schau nicht in die Glut.»
Mutters Mund stand hinter mir im Gassentor und rief: «Komm schnell zurück, gleich wird es Abend, und dann kommt die Kuh.»
Die Hunde bellten rasch an mir vorbei. Die Sonne hatte einen langen Bart. Er flatterte und zog sie an den Maisstengeln hinunter, unters Dorf. Es war ein Bart aus Glut. Und Glut war unterm Blasebalg des Schmieds.
Großvater war mit dem Schmied im Krieg Soldat gewesen. «Der erste Krieg, das war ein Weltkrieg», hatte er gesagt. «Und wir, die jungen Männer waren in der Welt.»
Die Gärten waren hoch. Es wuchsen Schatten. Die Gärten waren nicht aus Erde. Sie waren nur aus Mais.
«Nicht im Krieg hat er sein Aug verloren», hatte Großvater gesagt. «In Kriegen stirbt man, und wenn man stirbt, dann stirbt man ganz.» Sein Schnurrbart zitterte. «Nicht unterm Dorf, nein, weit von hier, ja weit von hier, weit in der Welt. Wer weiß, wo sie jetzt die große schwarze Achse drehn. Sein Aug hat er verloren in der Schmiede.» Großvater hatte mal gesagt: «Als reifer Mann.»
Dem Schmied ist Glut ins Aug gespritzt. Die hat gebrannt. Sein Aug war dick und blau wie eine Zwiebel. Und als der Schmied das Zwiebelauge nicht mehr tragen konnte, weil es ihm den ganzen Kopf gefressen hätte, und den Verstand, hat er es mit der Nadel aufgestochen. Das Zwiebelaug ist tagelang geronnen, schwarz und rot, und grün, und blau. Und alle Leute haben sich gewundert, daß ein Aug, ein Augenlicht so viele Farben hat. Der Schmied lag in den Rinnsalen des Augenlichts im Bett und alle Leute haben ihn besucht, bis sein Auge ausgeronnen war. Da war die Augenhöhle leer.
Auf der Straße fuhr ein Traktor. Er rasselte unter die Häuser und zog einen Acker aus Staub hinter sich her. Der Traktorist hieß Ionel. Er trug auch im Sommer die gestrickte Kappe mit der dicken Quaste. An seiner Hand blinkte der dicke Ring. «Der ist nicht aus Gold», hatte Mutter gesagt, «das sieht man.» Und zur Tante hatte sie gesagt: «Die Leni ist dumm wie Stroh, weil sie sich mit dem Traktoristen eingelassen hat. Der versäuft sein Geld, und um die Leni kümmert der sich einen Dreck.» Und der Onkel hat seine Schuhe geputzt, hat draufgespuckt und mit dem Lappen fest gerieben, und hat gesagt: «Ein Walach ist ein Walach, mehr gibts da nicht zu sagen.» Und seinen kahlen Kopf hat er gewiegt. Und die Tante hat die Schultern leicht gehoben, und geflüstert hat sie: «Daß die Leni nicht an ihren Vater denkt, der kränkt sich noch zu Tode.»
Die Quaste zitterte auf Ionels Kopf. Ionel fuhr und pfiff, und der Traktor walzte sein Lied in den Staub, in die Erde. Der Staub fraß an meinem Gesicht. Das Lied, das Ionel pfiff, war noch immer nicht zuende, war immer noch nicht totgewalzt. Das Lied war länger als die Straße.
Der Mond war erst der Schatten eines Mondes, war neu und noch nicht aufgegangen. Sein Licht stand weit wie in Gedanken dort am Himmel. Und in der Sonne schimmerte noch Glut.
Großvater saß vor einem Jahr am Ostersonntag mit dem Schmied und einer Flasche Wein im Wirtshaus. Ich stand an seinem Ellbogen am Tischrand, weil ich mit ihm in die Kirche gehen sollte. Der Schmied trank eine Flasche durchsichtigen Schnaps und sagte: «Kriegsgefangenschaft» und «Heldenfriedhof.» Und Großvater sagte durch den roten Tropfen Wein am Rande des Glases «Strategie» und «Mostar», sagte er, «der Wilhelm liegt in Mostar.»
Fortsetzung folgt
ras|seln <sw. V.> [mhd. ²¡’’¥¬®, zu: ²¡’’¥®ÿ= toben, lärmen]: 1. <hat> a) in rascher Aufeinanderfolge dumpfe, metallisch klingende Geräusche von sich geben: der Wecker rasselt; rasselnd lief die Ankerkette von der Winde; Ü der Kranke atmet rasselnd; seine Lunge rasselt; b) [mit einer Rassel] ein Rasseln (1 a) erzeugen: sie rasselt mit dem Schlüsselbund. 2. <ist> a) sich mit einem rasselnden (1 a) Geräusch [fort]bewegen, irgendwohin bewegen: Panzer rasselten durch die Straßen; sie ist mit dem Wagen gegen einen Baum gerasselt (ugs.; gefahren); b) (salopp) (eine Prüfung) nicht bestehen: durchs Abitur r.
flat|tern <sw.ÿV.> [frühnhd. flatern, mhd. vladeren, wohl verw. mit Falter]: 1. a) unruhig-taumelig irgendwohin fliegen <ist>: ein Vogel flattert durch das Zimmer; b) mit den Flügeln in kurzen Abständen schlagen [u. sich hin u. her bewegen] <hat>. 2. (von Blättern, Papierstücken o.ÿÄ.) vom Wind od. Luftzug bewegt weitergetragen werden <ist>: die Blätter flatterten durch die Luft; Ü eine Einladung ist mir auf den Tisch geflattert (ich habe sie unvermutet, unerwartet bekommen). 3. <hat> a) heftig vom Wind bewegt werden: die Fahne flattert im Wind; b) [aufgrund von innerer Unruhe od. Erregtheit] sich unruhig, zitternd bewegen: seine Hände flatterten nervös; Ü das Herz, der Puls beginnt zu f. (unregelmäßig zu schlagen); c) (ugs.) die [Boden]haftung verlieren u. dadurch unregelmäßig u. heftig vibrieren.
Bla|se|balg, der; -[e]s, ...bälge: mit Hand od. Fuß betriebenes Gerät zur Erzeugung eines Luftstromes: mit dem B. ein Feuer zum Brennen bringen.
Rinn|sal, das; -[e]s, -e (geh.): a) sehr kleines, sacht fließendes Gewässer: ein R. fließt, schlängelt sich durch die Wiesen; b) Flüssigkeit, die in einer kleineren Menge irgendwohin rinnt: ein R. von Blut, von Tränen.
Quas|te, die; -, -n [mhd. quast(e), queste, ahd. questaÿ= (Laub-, Feder)büschel, urspr.ÿ= Laubwerk]: 1. a) größere Anzahl am oberen Ende zusammengefasster, gleich langer Fäden, Schnüre o.ÿÄ., die an einer Schnur hängen: die -n an seiner Uniform; Hausschuhe mit -n; b) an eine Quaste (a) erinnerndes Büschel (Haare o.ÿÄ.): der Schwanz des Löwen endet in einer dicken Q. 2. (nordd.) Quast, breiter, bürstenartiger Pinsel.
blin|ken <sw.ÿV.; hat> [aus dem Niederd. < mniederd. blinkenÿ= glänzen, zu blecken]: 1. blitzend, funkelnd leuchten, glänzen: die Sterne blinkten; ein Licht blinkt in der Ferne; vor Sauberkeit b. 2. (bes. Verkehrsw.)
a) ein Blinkzeichen geben: vor dem Abbiegen, bei Fahrbahnwechsel b.; b) etw. durch Blinkzeichen anzeigen: Signale, SOS b.
ein|las|sen <st.ÿV.; hat>: 1. hereinkommen lassen, jmdm. Zutritt gewähren, den Eintritt gestatten: sie wollte den Fremden nicht e.; Ü sie öffnete das Fenster, um Licht und Luft einzulassen. 2. einlaufen, einfließen lassen: das Wasser [in die Badewanne] e.
3. in eine feste, harte Materie einfügen u. dort befestigen; genau einpassen, einsetzen: in Gold eingelassene Edelsteine. 4. (südd., österr.) a) mit Wachs einreiben, einwachsen: den Fußboden e.; b) mit Farbe o.ÿÄ. streichen, lackieren: den Schrank mit Firnis e. 5. <e.ÿ+ sich> (meist abwertend) Kontakt aufnehmen, Umgang pflegen, verkehren: mit diesem Menschen solltest du dich nicht e. 6. <e.ÿ+ sich> a) auf etw. eingehen: sich auf ein Abenteuer e.; sich in ein Gespräch e.; b) sich mit etw. befassen: sich auf einen Bericht e. 7. <e. + sich> (Rechtsspr.) Einlassungen machen.
Wa|la|che, der; -n, -n (Bewohner der Walachei). Wa|la|chei, die; -: 1. rumänische Landschaft. 2. (ugs.) abgelegene Gegend, abgelegener Ort: mitten in der W. ist uns der Sprit ausgegangen.