Главная страница «Первого сентября»Главная страница журнала «Немецкий язык»Содержание №18/2007

Hauslektüre im Deutschunterricht

Didaktisierungsvorschlag zum Buch von Christine Nöstlinger «Das Austauschkind»

Erstellt von N. Bunjajewa und I. Schorichina, Moskau

Fortsetzung aus Nr. 06, 09, 10, 12, 13, 14, 15, 16/2007

Lesetext
Kapitel 7

Samstag, 25. Juli
Der Tag war eine gewaltige Katastrophe, die schon zeitig in der Früh anfing. Am Samstag hat der Papa arbeitsfrei und will immer «den Tag nutzen». Zum Badenfahren. Oder für einen Ausflug. Manchmal auch für den Schrebergarten der Oma. Er steht am Samstag genauso zeitig auf wie sonst. Er geht dann in der Wohnung herum und singt und macht das Frühstück. Er sagt, er singt, weil er so heiter ist. Bille sagt, er singt uns wach. Weil er den Tag ja gemeinsam mit uns «nutzen» will. Jedenfalls kann man bei Papas La-Paloma-Ohe-Gebrüll wirklich kaum weiterschlafen. Versucht man es trotzdem, reißt einen sein Ach-ich-hab-sie-ja-nur-auf-die-Schulter-geküsst aus dem Bett. Spätestens um acht hat er dann Bille und mich – die Mama ist sowieso immer als Erste auf – beim Frühstück.

So auch an diesem Samstag, der ein ausgesprochen strahlender war. «Wir machen einen Ausflug», sagte der Papa semmelkauend. «Wir zeigen Jasper die Umgebung und essen im Grünen!»

«Warum fahren wir nicht baden?», maulte Bille. «Heut wird es affenheiß!»

«Weil wir dem Jasper unseren Grüngürtel zeigen», sagte der Papa. «Bäder gibt es auf der ganzen Welt! Aber unsere Umgebung ist einmalig! Für eine Großstadt!» «Unsere Umgebung ist dem Jasper sicher Wurscht», wandte ich ein, aber der Papa ignorierte mich komplett. Ausführlich unterbreitete er der Mama die Route, die er abzufahren gedachte, und die Rastplätze, die er aufsuchen wollte. Die Mama sagte klagend: «Ehrlich gesagt, wenn ich mir vorstelle, wie dieser Knabe im Auto herummuffelt und Aschanti spuckt, vergeht mir alles! Und in ein Restaurant will ich mit dem Ketchupvertilger schon gar nicht! Da muss ich mich nur genieren für ihn!»

«Heute wird er anders sein!», sagte der Papa siegessicher.

«Warum sollte er?», fragte die Mama. «Weil ich dabei bin!», sagte der Papa und da war die Mama beleidigt.

«Willst du vielleicht sagen», fragte sie, «dass ich die Schuld an seinem sonderbaren Benehmen habe?» Der Papa beteuerte, eine solche Aussage sei keineswegs seine Absicht gewesen. Aber er habe sich die Sache noch einmal überlegt, erklärte er. Da sich die Mama nicht getraue, den Jasper zurückzuschicken, weil ihr das zu peinlich sei, «müsse man eben andere Saiten aufziehen». Dieser Knabe, sagte der Papa, brauche eine «starke Hand», eine «streng leitende». Und in dieser Hinsicht, meinte der Papa, sei er weit eher begabt als die Mama.

«Viel Glück», sagte die Mama leidend. «Das ist keine Sache von Glück», erwiderte der Papa, «sondern eine Frage der Konsequenz. Er muss lernen, sich einzufügen! Wenn er es gelernt hat, wird er begreifen, dass er damit besser dran ist! Kinder muss man so lange an der Hand führen, bis sie den rechten Weg genau kennen!» «Amen», sagte Bille.

Der Papa fuhr auf. Er rief: «Wenn du zu dumm bist, das zu verstehen, halt den Mund! Auf deine unqualifizierten Äußerungen kann ich gut verzichten!» «Aber ich nicht», sagte Bille. Da drohte ihr der Papa eine Ohrfeige an. Bille bekam einen brandroten Kopf, aber sie sagte nichts mehr.

«Um neun brechen wir auf», sagte der Papa zu mir. «Nimm es zur Kenntnis!» Wenn sich der Papa über Bille ärgert, ist er auch unfreundlich zu mir. Der Papa sagte zu Bille: «Weck den Jasper auf!»

Bille jedoch hatte ihre Wut noch nicht hinuntergewürgt. «Wieso immer ich?», fragte sie. Sie schüttelte den Kopf und aß weiter, und ich lief aufs Klo, um in keinen Zwiespalt zu kommen. Wäre ich beim Tisch geblieben, hätte der Papa garantiert mich den Jasper aufwecken geheißen. Und dann hätte mich Bille mit einem Weigere-dich-auch-Blick angeschaut und der Papa mit einem Sei-mein-guter-Sohn-Blick. Auf dem Klo war ich vor diesen Blicken in Sicherheit.

Bis ich die Stimme der Mama hörte. Sie sagte: «Na schön! Ich wecke ihn halt!»

Da muss ich dabei sein, dachte ich, flitzte aus dem Klo und ging hinter der Mama her. Ich hatte nämlich zwei-, dreimal, als Jasper um Milch oder klowärts gewandert war, einen Blick in Jaspers Zimmer erhascht.

Dass die Mama beim Anblick dessen, was ich da gesehen hatte, einen Anfall kriegen würde, war mir klar. Aber dass sie fast in Ohnmacht fiel und zu schluchzen anfing, als sie die Tür öffnete, war doch recht übertrieben. So furchtbar war die Unordnung gar nicht. Jaspers sämtliche Klamotten lagen halt auf dem Boden verstreut. Und meine elektrische Eisenbahn hatte er aus den Kisten geholt, samt allen Schienen und Papiermachezubehör. Und die leer gefutterten Marmeladengläser und die Sardinendosen und Eispackungen lagen natürlich auch dazwischen. Und sehr viele verschnäuzte Papiertaschentücher. Und Fliegen waren viele im Zimmer. Logo! Im Sommer gibt es viele Fliegen, und die siedeln gern dort, wo es klebrige, fettige, vermatschte, zergatschte Papierln und Dosen mit Fischöl drin und Gläser mit Marmelade dran gibt.

Wirklich ekelhaft war nur das umgeschüttete Fischöl auf dem Boden und auf Jaspers verstreuter Kleidung. Jasper hatte die leeren Dosen auf den Boden gestellt und musste darüber gestolpert sein. Aber Kleider kann man ja waschen! Und der Fußboden im Zimmer ist aus Plastik! Es war also kein wirkliches, nicht mehr wieder gutzumachendes Malheur geschehen. Die Mama schluchzte so laut, dass Bille und der Papa herbeieilten und Jasper munter wurde. So schockplötzlich aus dem Schlaf gerissen, sprang Jasper aus dem Bett. Wirr um sich schauend, stand er nackt vor uns, nackt bis auf rote Socken an den Füßen und – ich beeide es – einen breiten Ledergürtel um den Bauch. Am Gürtel festgebunden war eine Art von Etui, in dem steckte ein Messer. (Ich habe im Verlauf der nächsten Wochen allerlei von Jasper kapiert, aber warum er mit einem Messer um den Bauch gegürtet schlief, weiß ich bis heute nicht.)

Meine Mutter hörte nicht zu schluchzen auf. Meine Mutter – das muss ich zur Erklärung sagen – ist eine sehr ordnungsliebende Frau. Die Großmutter sagt sogar, sie ist pedantisch. Die Mama jagt wirklich hinter jedem Fuzerl Dreck her wie der Teufel hinter der armen Seele. Da funktioniert nur ihr Unterbewusstsein. Sie rückt immer alles zurecht. Die Sets auf dem Tisch, mein Schreibzeug auf dem Schreibtisch. Sie überzieht die Betten alle sechs Tage und wäscht die Vorhänge alle zwei Wochen. Wenn ich in der Küche helfe und das Gläsertuch mit dem Häferltuch oder dem Reindltuch verwechsle, wird sie sauer und wäscht und trocknet das Geschirr noch einmal. Man kann also verstehen, dass meine Mutter von Jaspers Zimmer geschockt war, als ginge es ihr ans Leben. Mein Vater war auch geschockt. Aber von Jasper himself.

«Er selber ist ja auch ganz dreckig», rief er. Damit hatte er Recht. Jasper hatte einen richtigen Schmutzbelag. Mir fiel ein, dass Jasper, seit er bei uns logierte, und das waren jetzt immerhin sechs Tage, noch nie im Badezimmer gewesen war.

Mein Vater bekam plötzlich ein grimmig entschlossenes Gesicht, packte Jasper an der Schulter und rief: «Come on!»

Jasper wehrte sich und hielt sich am Türstock fest. Aber mein Vater ist sehr stark. Er zog Jasper von der Tür weg, durchs Vorzimmer, ins Badezimmer hinein. Die Badezimmertür machte er zu.

Als der Papa mit Jasper im Bad war, hörte die Mama zu schluchzen auf und lief um Wäschekorb, Staubsauger und Abfalleimer. Sie schaufelte Jaspers verstreute Textilien in den Korb, warf Dosen, Eispapierln, Papiertaschentücher und auch die leeren Gläser – was mich erstaunte – in den Abfallkübel und saugte keuchend drauflos. Dabei kommandierte sie: «Bille, bring mir einen Kübel mit Wasser!», und: «Bille, hol ein Wischtuch!», und: «Bille, bring das Bodentuch!»

Der Staubsauger surrte laut, die Mama kommandierte noch lauter, aber am lautesten war das Geschrei, das aus dem Bad kam. Jasper brüllte! «Er wird ihn umbringen», sagte ich zur Mama. Die Mama, schnaufend mit dem Staubsauger werkend, sagte: «Der Papa bringt ihn nicht um! Er wäscht ihn bloß!» (Ich verzichtete darauf, der Mama zu erklären, dass ich nicht um Jaspers Leben gebangt, sondern an Jaspers Bauchmesser gedacht hatte. Und daran, dass es Jasper verteidigungshalber benützen könnte.) Gegen Ende der halben Stunde kam kein Gebrüll mehr aus dem Bad. Und als wir mit Jaspers Zimmer fertig waren, kam auch der Papa aus dem Bad. Er wirkte erschöpft, aber zufrieden.

«Ich hab eine Flasche Schampon über seinen Kopf geleert», berichtete er, «und ihn vom Hals bis zu den Zehen eingeseift. Und heiß und kalt gebraust. Sein Dreck muss sich in Jahren angesammelt haben! Für die Fußsohlen musste ich den Bimsstein nehmen!» Die Mama schaute auf die Uhr. «Gleich neun», sagte sie.

Der Papa deutete zum Bad. «Jetzt soll er ein paar Minuten verschnaufen. Und dann hol ich ihn, dass er sich anzieht!»

Die Mama ging zu meinem Bett. Auf das hatte sie die paar Kleidungsstücke gebreitet, die sie für nicht waschwürdig befunden hatte. Sie schaute die Sachen stirnrunzelnd an. Anscheinend missfielen sie ihr. «Bille», sagte sie, «bring mir deinen weißen Pulli, den großen. Der müsste ihm passen. Und ein paar von den riesigen Socken, die dir die Großmutter geschenkt hat!» Ich hatte bisher nicht auf Bille geachtet. Nun schaute ich zu ihr hin. Sie stand beim Fenster, war rot im Gesicht und zitterte vor Wut. Wenn Bille in diesen Zustand gerät, kann sie fürchterlich werden. «So hol schon die Sachen», sagte die Mama. Bille rührte sich nicht und die Mama missverstand das. «Jetzt sei nicht so geizig», sagte sie. «Du hast ein Dutzend Pullover! Du kannst ihm ruhig einen borgen! In so miesen Klamotten geh ich nicht weg mit ihm! Und die Sachen vom Papa sind ihm zu groß!»

Gleich passiert es, dachte ich mir, Bille betrachtend. Und ich hatte Recht! Bille verkrampfte die Hände zu bebenden Fäusten, stampfte mit einem Fuß auf und brüllte los: «Wie ich euch hasse! Könnt ihr denn keinen Menschen in Ruhe lassen! Müsst ihr jeden zwingen, so zu sein, wie ihr es wollt? So lasst doch wenigstens den armen Jasper in Frieden! Ihr seid quadratkarierte Spießer!» Nachdem sie das gebrüllt hatte, wollte sie aus dem Zimmer laufen, aber der Papa fing sie ab und gab ihr zwei Ohrfeigen. Bille nahm sie entgegen wie eine Königin. Sie versuchte nicht, das Gesicht mit den Armen zu schützen, sie zuckte nicht einmal mit einer Wimper. Sie tat sogar, als warte sie auf eine dritte Ohrfeige. Als die nicht folgte, schritt sie hoch erhobenen Hauptes in ihr Zimmer.

«Sie bleibt zu Hause! Basta!», sagte der Papa. Als ob das unter den gegebenen Umständen eine Strafe gewesen wäre!

Die Mama warf dem Papa einen rügenden Blick zu. Wäre ich nicht dabei gewesen, hätte sie ihm sicher einen Vortrag gehalten. Die Mama ist nämlich gegen Ohrfeigen. Bloß bei kleinen Kindern, die noch nichts verstehen, sagt sie, seien Klapse angebracht. Bille ist der Ansicht, kleine Kinder zu hauen sei noch unanständiger als große. Weil die ganz Kleinen ja überhaupt keinen Dunst haben, warum ihnen das passiert. Sie kriegen dann, sagt die Bille, eine fürchterliche Angst. Aber das merkt keiner, weil sie es ja noch nicht sagen können!) «So!», sagte der Papa dann und rieb sich die Hände, die ihm anscheinend vom Ohrfeigengeben wehtaten. «Jetzt werde ich den Knaben holen!» Er ging zum Badezimmer und wollte die Tür aufmachen, aber die war von innen verriegelt. Der Papa pochte gegen die Tür. «Open the door, Jasper, and let me in!», rief er an ein Dutzend Mal. Im Bad rührte sich nichts.

«Auf die Bille hört er noch am ehesten», sagte die Mama reichlich nervös. «Bille muss ihn rausholen!» Sie lief zu Billes Zimmertür, drückte auf die Klinke, rüttelte an ihr, rief: «Mach die Tür auf, Bille, und lass mich rein!»

Es war eine Wahnsinnssituation! Je ein Elternteil rüttelnd und Einlass heischend vor je einer weiß lackierten Tür!

Der Papa gab das Irrsinnsunterfangen zuerst auf. «Schön!», sagte er verbittert. «Sollen sie eben drin bleiben! Wir fahren!»

Ich wagte nicht zu widersprechen. Wir verließen die Wohnung. Der Papa versperrte die Tür zweimal von außen. Auch das untere Schloss, das sonst nur versperrt wird, wenn wir auf Urlaub fahren. Und dann verbrachte ich den Samstag damit, den Grüngürtel meiner Heimatstadt zu besichtigen. Der Papa erklärte mir alles, was er Jasper hatte erklären wollen.

Fortsetzung folgt

Nach: Christine Nöstlinger: Das Austauschkind. Verlag Beltz, 2. Aufl. 2006.