Fortbildungskurs
Interkulturelle Kommunikation
Erstellt von Dr. Natalia Wassiljewa
Lektion 2. Nationalcharakter als Strukturmerkmal der Kultur
Fortsetzung aus Nr. 17/2007
PLAN
Zeitung Nr. |
Lektion |
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17 | Лекция 1. Межкультурная компетентность и этноцентризм |
18 | Лекция 2. Национальный характер как базовая категория культуры |
19 | Лекция 3. Ключевые категории культуры и их влияние на межкультурную коммуникацию Контрольная работа 1 |
20 | Лекция 4. Динамика восприятия немцев в России и русских в Германии |
21 | Лекция 5. Русское и немецкое коммуникативное поведение в сравнении |
22 | Лекция 6. Вербальная коммуникация, нормы и правила общения, обусловленные русской
и немецкой культурами Контрольная работа 2 |
23 | Лекция 7. Компоненты межкультурного воспитания и обучения |
24 | Лекция 8. Компетенции и правила конструктивного разрешения конфликтов Итоговая работа |
1. Zum Begriff «Nationalcharakter»
Jeder Mensch wird von der Kultur, in der er aufwächst, entscheidend beeinflusst. Im Alltag merkt er das nicht und denkt darüber nicht nach, weil kulturspezifische Eigenschaften für ihn selbstverständlich sind.
Es gibt eine Reihe von Kategorien bzw. Merkmalen («Strukturmerkmale» genannt), durch die sich Kulturen und die von diesen Kulturen geprägten Menschen voneinander unterscheiden. Zu nennen sind:
– Nationalcharakter, Basispersönlichkeit;
– Wahrnehmung;
– Zeit- und Raumerleben;
– Denken;
– Sprache;
– nichtverbale Kommunikation;
– Wertorientierungen;
– Verhaltensmuster: Sitten, Bräuche, Normen, Rollen;
– soziale Gruppierungen und Beziehungen.
In dieser Lektion wird nur der Nationalcharakter unter die Lupe genommen, da diese Kategorie sehr wichtig für die Reflexion über die eigene Kultur ist.
Niemand zweifelt daran, dass Deutsche anders als Franzosen, Amerikaner, Inder, Chinesen usw. sind.
In Europa gab es schon immer ein Verständnis von fremder Kultur als Gegenkultur, als einer Alternative zur eigenen, als Konkurrenz. So wurde in Deutschland Französisch seit dem 9. und Englisch seit dem 10. Jahrhundert gelehrt und gelernt. Das Erlernen dieser Sprachen war lebensnotwendig. Das waren die Sprachen von Partnern oder Konkurrenten, von Verbündeten oder auch Feinden.
Das Konzept vom Nationalcharakter basiert auf der Annahme, dass die Menschen einer Nation sich in den Grundmustern ihres Erlebens und Verhaltens sowie ihrer Persönlichkeit einander gleichen und sich von Menschen anderer Nationen abheben. Heterostereotype wurden zu Klischees und spiegeln in Phraseologismen und stehenden Wendungen spontane Beschreibungen fremder Völker wider. Betrachten wir Heterostereotype der Deutschen anhand der stehenden Wendungen und Phraseologismen.
2. Ethnonyme und nationale Stereotype im Deutschen
Für Franzosen ist Liebe sehr wichtig:
– französisch krank sein (eine Geschlechtskrankheit haben);
– ein französisches Bett ist ein breites zweischläfriges, in einem Stück gearbeitetes Bett.
Der Pole ist unzivilisiert, rückständig:
– wenn bei jemandem «eine polnische Wirtschaft» herrscht, ist da etwas in Unordnung;
– «polnisch Verheiratete» leben ohne standesamtliche Trauung zusammen.
Der Russe scheint rätselhaft, rückständig, wild, riskant, unberechenbar zu sein:
– «russisches Roulett» ist eine Mutprobe (geht auf die Austragungsart eines Duells zurück, bei der man einen nur mit einer Patrone geladenen Trommelrevolver auf sich selbst abdrückt, ohne vorher zu wissen, in welcher Patronenkammer sich die Patrone befindet).
Der Tatare ist unehrlich:
– «Tatarennachricht» ist eine veraltende Bezeichnung für unwahrscheinliche Schreckensnachricht (geht auf die Zeit des Krimkriegs zurück).
Der Jude ist talentvoll auf der Branche «Geschäft»:
– wenn jemand seine Sachen verpfändet, dann «lernen seine Kleider Hebräisch»;
– «es geht irgendwo zu wie in einer Judenschule» – da wird sehr laut durcheinandergeredet;
– unerwünschte Personen «sieht man so gern, wie ein Ferkel in der Judenküche».
Die Schweizer sind sparsam:
– «Kein Geld, keine Schweizer.» Es gibt nichts ohne Gegenleistung. Bei den «Schweizern» handelt es sich um die Gardesoldaten, die an vielen europäischen Höfen dienten. Diese Söldner achteten sehr genau auf pünktliche Zahlung ihres Soldes. Blieb der aus, brachen sie schon mal einen Krieg ab, wie 1521 im Falle der Belagerung Mailands durch Franz I.
Wegen des Dreißihjährigen Krieges haben «schwedische» Redewendungen eine negative Konnotation:
– «Die Schweden kommen!», sagt man von einer drohenden Gefahr;
– wenn man jemandem «den Schweden wünscht», dann wünscht man ihm Unglück;
– «alter Schwede» ist eine umgangssprachliche, scherzhaft drohende, kumpelhafte Anrede.
Spanier sind rätselhaft, seltsam, selbstbewusst:
– jemandem «spanisch vorkommen» bedeutet jemandem verdächtig, seltsam erscheinen;
– «stolz wie ein Spanier»: einen besonders stark ausgeprägten männlichen Stolz erkennen lassend.
Für Engländer sind strenge Verhaltensnormen charakteristisch:
– «nicht die feine englische Art sein» bedeutet nicht fair sein.
3. Autostereotype in der deutschen Phraseologie
Autostereotype in der deutschen Phraseologie zeigen uns, dass sich Nord- und Süddeutsche, junge und alte, ungebildete und hochgebildete beträchtlich unterscheiden, obwohl sie in einem allgemeinen Sinne einer Nation gehören:
– «der deutsche Michel» ist eine spöttische Bezeichnung für den deutschen Biedermann;
– «stolz wie ein Preuße» ist eine selbstbewusste Person;
– «sie sind nicht preußisch miteinander»: sie haben kein gutes Verhältnis zueinander;
– die Preußen sind das Sinnbild für das Kriegerische. Die fast scherzhafte Redensart «so schnell schießen die Preußen nicht!» gibt es als Selbsteinschätzung;
– «blinder Hesse»: ein einfältiger Mensch;
– «der Schwabenstreich» ist lustig-dummer Streich, wie sie von den Schwaben erzählt werden;
– «der Schwabe muss allzeit das leberle gefressen haben»: der Schwabe ist an allem schuld, Sündenbock;
– «ein pommerscher Schluck, Trunk»: ein großes Stück, ein großer Schluck.
4. Phraseologismen, in denen sich der Alltag der Russen widerspiegelt
Die Besonderheiten des russischen Nationalcharakters kann man auch mit Sprichwörtern und Redewendungen illustrieren.
Als ureigene Besonderheit des russischen Volkscharakters nennt N. A. Berdjajew die Neigung zum «Hin-und- Herschleudern» von einem Extrem ins andere. Er spricht vom Kontrastreichtum im Verhalten der Russen. Gleichzeitig weist er auf das Fehlen eines Ruhepols hin und – daraus resultierend – auf die fehlende Bereitschaft, Kompromisse einzugehen. Dadurch erklärt sich der für die russische Geschichte typische «Katastrophismus» in Tempo und Rhythmus der nationalen Entwicklung und der Hang zu Extremen. Der russische Schriftsteller A. P. Tschechow schreibt deshalb wohl nicht zufällig, dass «der russische Mensch gern in Erinnerungen lebt, weniger jedoch in der Gegenwart». Es scheint für ihn keine Gegenwart zu geben, sondern nur Vergangenheit und Zukunft – das ist der «wichtigste nationale Charakterzug der Russen».
Autostereotype in der russischen Kultur können auch mit Hilfe von Sprichwörtern, Phraseologismen und stehenden Wendungen belegt werden, wobei sich sowohl positive wie auch negative Bilder erkennen lassen.
4.1. Positive Eigenschaften
Heimatverbundenheit.
На чужой стороне и весна не красна, на чужой стороне и орёл – ворона. (In der Fremde ist auch der Frühling nicht schön, in der Fremde ist auch der Adler ein Rabe.) .) За морем теплее, а у нас светлее. (Hinter dem Meer ist es wärmer, aber bei uns ist es schöner.)
Der russische Volkscharakter zeichnet sich durch einen hohen Grad an «Bodenständigkeit» und Heimatverbundenheit (Ursache für eine begrenzte Mobilitätsbereitschaft) aus. Es besteht eine emotionale Bindung an die Heimatstadt oder -region.
Der Freundschaftsbegriff im Russischen.
Старый друг лучше новых двух. (Ein alter Freund ist besser, als zwei neue.) Верный друг лучше сотни слуг. (Ein treuer Freund ist besser, als hundert Diener.)
Persönliche und informelle Beziehungen in allen Sphären der russischen Gesellschaft spielten schon immer eine exponierte Rolle. Freundschaften haben einen sehr großen Stellenwert, was mit dem russischen Sprichwort «Hab nicht 100 Rubel, sondern 100 Freunde» sehr anschaulich illustriert wird. Es ist sehr schwierig, wenn nicht unmöglich, eine klare Trennung zwischen «rein» privaten und «rein» geschäftlichen Beziehungen vorzunehmen. Aufgeschlossenheit, Offenheit und Kontaktfreudigkeit lässt es vielen Russen nicht schwerfallen, mit jemandem «ins Gespräch zu kommen» und neue Beziehungen zu knüpfen. Generell wird Freundschaften eine wichtige Bedeutung beigemessen; von wahren Freunden erwartet man unbedingte Loyalität und auch Opferbereitschaft. Es gibt sogar eine Meinung, dass das russische Business die wirkliche Stabilität dadurch erlangt, dass ständige Partner in der Regel sehr schnell zu persönlichen Freunden werden. Einen Klienten übers Ohr zu hauen wird nicht gerade als große Sünde angesehen – aber einen Freund zu betrügen ist einfach undenkbar.
Die berühmte russische Gastfreundschaft.
В тесноте, да не в обиде. (Platz ist in der kleinsten Hütte.) Что есть в печи, то на стол мечи! (Was der Herd hergibt, kommt auf den Tisch!)
Die Russen verfügen über unglaubliche Kreativität und Improvisationstalent, um selbst zu Zeiten, als in Geschäften und Kühlschränken gähnende Leere herrschte, den Tisch so einzudecken, dass er sich bog, wenn Gäste erwartet wurden. Die russische Gastfreundschaft hat eine lange Tradition. Sie ist Ausdruck des Gemeinschaftssinns der Russen, ihrer Weltoffenheit, Aufgeschlossenheit gegenüber Fremdem und Unbekanntem und ihres Wunsches nach Geselligkeit.
Die Fähigkeit zum Mitgefühl und zur Solidarität.
Доброму человеку и чужая болезнь к сердцу. (Ein guter Mensch nimmt sich auch fremdes Leid zu Herzen.)
Einerseits entspringen die Fähigkeit zum Mitleid, ein starkes Solidaritätsgefühl und ein ausgeprägter Gemeinschaftssinn dem traditionell ländlichen, egalitären Grundcharakter der russischen Gesellschaft. Andererseits ist das öffentliche Bewusstsein für die Probleme sozialer Randgruppen und Härtefälle mangelhaft sensibilisiert und nicht selten wird die Meinung vertreten, dass es die Sache des Staates sei, sich um alle sozialen Probleme zu kümmern. Oft spielen auch elementare Wissensdefizite und Mangel an Aufklärung (z. B. im Falle Aids- oder Alkoholkranker) eine nicht unwesentliche Rolle.
Das Talent zum Improvisieren.
Голь на выдумки хитра. (Not macht erfinderisch.)
Einer der herausragendsten Züge des russischen Volkscharakters ist ein unglaubliches Improvisationstalent, die Fähigkeit zu ungewöhnlichen, originellen Lösungen. Das Improvisationstalent hat auch eine Kehrseite. Immer dann, wenn aus Faulheit, Gedankenlosigkeit oder Trägheit «eben mal schnell improvisiert wird», da, wo sich Improvisation von selbst verbietet, verkehrt sich diese positive Eigenschaft in ihr Gegenteil.
Die Gabe der Genügsamkeit.
Чем богаты, тем и рады. (Was wir haben, macht uns glücklich.)
Die Fähigkeit des russischen Volkes, sich in seinen Bedürfnissen auf das Allernotwendigste zu beschränken, mit noch so wenig auszukommen, und das Wenige, das man hat, noch mit anderen zu teilen, ist gerade legendär. Bekannt ist die weitverbreitete Gewohnheit vieler Eltern, sich das Letzte vom Munde abzusparen, um ihren Sprösslingen jeden noch so teuren Wunsch zu erfüllen.
4.2. Negative Eigenschaften
Die leidige Unentschlossenheit.
Бабушка надвое сказала: либо дождь, либо снег, либо будет, либо нет. (Die Großmutter sprach doppelsinnig: soll es regnen, soll es schnei’n; tun wir’s oder lassen wir’s sein).
Als Gründe für eine verbreitete Unentschlossenheit dürfen Instabilität, geringe Planbarkeit, rotierende «Kaderkarusselle» in Ämtern und Behörden, Angst vor Gesichtsverlust und die Scheu vor individueller Verantwortung anzusehen sein. Die Folge ist eine oft fatale Abwartehaltung. Entscheidungen, darunter auch wirklich dringende, werden «auf die lange Bank geschoben». Diese Haltung ist mit einer «Vogel-Strauß-Taktik» vergleichbar.
Ein gewisser Hang zur Gleichgültigkeit.
Не мой воз, не мне его и везти. (Es ist nicht meine Karre, nicht ich muss sie ziehen.) .) За чужой щекой зуб не болит. (Ein fremder Zahn tut mir nicht weh.)
Die historisch verwurzelte Missachtung des Einzelnen, die Geringschätzung des menschlichen Lebens haben dazu geführt, dass das Gefühl für den Preis des eigenen Lebens und des der anderen oft verloren geht. Aus einer die soziale Gleichheit postulierenden Kollektivgesellschaft ist über Nacht eine Ellenbogengesellschaft geworden, in der einzig das Gesetz des Stärkeren zu gelten scheint. Da übermäßige Härte, ja Grausamkeit im öffentlichen Bewusstsein nicht als barbarisch geächtet sind, erscheinen sie manchem als zumindest legitime Mittel im Kampf ums Überleben in der «Wolfsgesellschaft».
Neid und Missgunst.
У соседа корова сдохла. Казалось бы, какое мое дело – а приятно! (Dem Nachbarn ist die Kuh verreckt. Es geht mich nichts an – aber es ist erfreulich!)
Die Idee von der Gleichheit, die im Sozialismus zur Gleichmacherei verkam, ist Ursache für einen tiefen Abscheu gegen jede Art sozialer Differenzierung, unabhängig davon, ob sie auf individueller Leistung, auf Protektion oder Geld beruht. Die rapide soziale Polarisierung in der Gegenwart – grenzenloser, offen zur Schau gestellter Reichtum, dessen Quellen oft im Dunkeln liegen, einerseits und die Verelendung großer Teile der Bevölkerung andererseits sowie das Fehlen einer breiten Mittelschicht – all das verstärkt, insbesondere in der jüngeren Generation, solch negative Tendenzen wie Neid und Missgunst.
Der Hang zur Maßlosigkeit (die «Alles-oder-nichts-Mentalität»).
Либо пан, либо пропал. (Alles oder nichts.) Либо в стремя ногой, либо в пень головой. (Entweder den Fuß im Steigbügel oder den Kopf auf dem Hackklotz.)
Maßhalten, sparsamer Umgang mit Ressourcen und Selbstbeschränkung sind für Russen generell nicht typische Eigenschaften. Auch die staatliche Wirtschaftspolitik zielte auf eine extensive Ausbeutung von Ressourcen (einschließlich der Ressource Mensch) und war darauf orientiert, aus dem Vollen zu schöpfen – Quantität ging stets über Qualität.
Die Neigung zu Aberglauben und Mystik.
Посуда бьётся к счастью. (Scherben bringen Glück.)
Die Menschen haben eine gewisse Neigung zu Aberglauben und Mystik. Zum Beispiel: Mauzt der Kater auf dem Ofen und kratzt dabei mit der Pfote, so bedeutet das, dass Gäste kommen. Beim Anblick einer Sternschuppe kann man, während der Stern fällt, einen geheimen Herzenswunsch flüstern, und er wird in Erfüllung gehen. Menschen weichen schwarzen Katzen aus, geben sich nicht die Hand über die Türschwelle und deuten einen zerbrochenen Spiegel als Vorboten des Unglücks.
Astrologische Zentren, Okkultismus-Schulen schießen heutzutage wie Pilze aus dem Boden und buhlen um die Gunst der Kunden. In einer Zeit der Orientierungslosigkeit suchen immer mehr Menschen nach einem neuen Halt – nicht wenige glauben, ihn im Überirdischen, Übernatürlichen zu finden.
Die Scheu vor Verantwortung.
Не нами началось, не нами кончится. (Nicht durch uns hat es begonnen, nicht durch uns wird es enden.)
Die Scheu vor der Übernahme von Verantwortung und die Tendenz, im Falle des Auseinanderklaffens von Wunsch und Realität einen Schuldigen am Misserfolg zu suchen, haben historische Wurzeln (z. B. Jagd auf «Volksfeinde» und «Saboteure» als ideologische Begründung für die Stalin’schen Massenrepressalien). Der Ruf nach der «starken Hand», die die alleinige Verantwortung übernimmt, ist zugleich auch der Wunsch, sich von der eigenen Verantwortung zu befreien, sich an der unbequemen Suche nach Ursachen für eigenes Fehlverhalten und Versagen «vorbeizumogeln».
Die Vernachlässigung öffentlichen Eigentums.
Не пойман – не вор. (Es ist alles erlaubt, man darf sich nur nicht erwischen lassen.)
Die Ursache für die beispiellose Vernachlässigung öffentlichen Eigentums ist in dem fehlenden Eigentümerbewusstsein weiter Teile der Bevölkerung und einer eng damit verbundenen allgemeinen Gleichgültigkeit gegenüber der eigenen Umwelt zu suchen.
Unzulänglichkeiten in der russischen Arbeitsethik.
Работа дураков любит. (Arbeit liebt die Dummen.) В работе отстаём, а за едой обгоняем. (Wer schlecht arbeitet, soll wenigstens gut essen.)
Unter dem Einfluss jahrzehntelanger Misswirtschaft in der Vergangenheit, katastrophalen Managements, fehlender Leistungsstimulation und mangelnden Zukunftsglaubens in der Gegenwart ist die russische Arbeitsethik mit einer Reihe ernster Unzulänglichkeiten behaftet: ineffizienter Personaleinsatz, sinnlose Arbeitsinhalte, miserable und unregelmäßige Entlohnung – all das hat dazu geführt, dass Gleichgültigkeit, Schlamperei, Disziplinlosigkeit und Abgestumpftheit keine Ausnahmen sind. Auf einem sehr hohen Niveau befanden sich Disziplin und Qualitätsbewusstsein im elektronischen, elektrotechnischen, im optischen Bereich, in der Maschinen-, Gerätebau und in der Weltraumindustrie. Die genannten Bereiche gehörten zum militärisch-industriellen Komplex. Sie sind deshalb nicht mit der verarbeitenden oder der Verbrauchsgüterindustrie, mit der Landwirtschaft oder dem Bauwesen zu vergleichen, die sich stets auf einem sehr niedrigen technologischen Niveau befanden. Gerade für diese Bereiche sind die Unzulänglichkeiten russischer Arbeitsethik besonders charakteristisch. Nur selten hat man das Gefühl, dass von seiner Arbeit «wirklich etwas abhängt», dass es sich lohnt, sich anzustrengen.
Im Dickicht russischer Bürokratie.
Не подмажешь – не поедешь. (Wer nicht schmiert, der fährt nicht.)
Die russische Bürokratie ist ein allgegenwärtiger, alles durchdringender Moloch, der nicht nur für Ausländer schwer durchschaubar ist, sondern die eigenen Bürger selbst vor immer neue, oft schwer verdauliche Überraschungen stellt. Auch wenn die russische Bürokratie historisch gesehen zu einem guten Teil auf deutschen Wurzeln fußt (liegen doch ihre Anfänge in der Vorliebe Peters I. für alles (West-)Europäische – darunter auch für die deutsche Verwaltung – begründet), so hat sie längst einen unverwechselbaren eigenen Charakter angenommen und wurde in den letzten 250 Jahren seit Peters Regierung mit russischer Kreativität zu wahrer Vollkommenheit geführt. Selbst die Kunst hat der berüchtigten russischen Bürokratie in Gestalt von Gogols weltbekanntem «Revisor» ein bleibendes Denkmal gesetzt. Die Größe Russlands und die streng zentralistische administrative Leitung aller Bereiche des gesellschaftlichen Lebens in den sowjetischen Zeiten haben dazu geführt, dass ein riesiger Verwaltungsapparat aufgebaut wurde, der kaum geschrumpft ist, sondern, im Gegenteil, ständig neue Kinder und Kindeskinder hervorzubringen scheint. Mit dem Übergang zur Marktwirtschaft sind die bürokratischen Hürden, mit denen man sowohl im Alltags- als auch im Geschäftsleben auf Schritt und Tritt konfrontiert wird, eher noch größer und undurchschaubarer geworden.
Beziehungen hinter den Kulissen.
Ворон ворону глаз не выклюет. (Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus.) Рука руку моет. (Eine Hand wäscht die andere.)
Was in den Augen von Ausländern als «Korruptionssumpf» erscheint, ist für viele Russen ein System gegenseitiger «Hilfsangebote», gegenseitiger Dienstleistungen. Der Schritt von «Beziehungen hinter den Kulissen» zur aktiven Bestechung ist nicht groß. Recht verbreitet ist die Auffassung, für Schmiergelder sei in Russland alles zu haben. Bestechung auf Russisch ist eine Erscheinung, die reich an Nuancen ist: Der Schmiergeldempfänger möchte in der Regel als ehrlicher Mensch dastehen. Die möglichen Bestechungsformen sind erfindungsreich und mannigfaltig. Das «Eine-Hand-wäscht-die-andere-Prinzip» ist bis heute allgegenwärtig im russischen Leben.
Doppeldeutige Eigenschaften
Schicksalsergebenheit.
Человек предполагает, а Бог располагает. (Der Mensch denkt, und Gott lenkt.)
Diese Schicksalsergebenheit führt zu einer übermäßigen Duldsamkeit gegenüber Menschenverachtung, sozialen Missständen und bürokratischer Schikane, die sich in Passivität, ja Apathie äußert. Das Schicksal jedes einzelnen Menschen spielte in der gesamten russischen Geschichte eine untergeordnete Rolle gegenüber dem «Schicksal der Gemeinschaft» (was auch immer dafür gehalten wurde). Es gibt so gut wie keine demokratische Kultur, und wenn wirklich einmal Widerstand geleistet wird, dann entlädt er sich allzu oft in blinder Wut und Verbitterung.
Der ausgeprägte Hang zur Geduld – Gabe oder Fluch?
Терпи, казак, атаманом будешь. (Geduld, Kosak – dann wirst du Ataman.) Поживём – увидим. (Kommt Zeit, kommt Rat.)
Geduld und Ungeduld liegen oft dicht beieinander und sind nicht selten von Extremen geprägt. Die Mehrzahl der Russen erträgt viele Situationen mit stoischer Geduld. Um so mehr verwunderlich ist z. B. die Art, wie Autofahrer ein unglaublich egoistisches, verantwortungsloses Verhalten an den Tag legen.
Das Ertragen von Leid und die große Bereitschaft zum Leiden.
На погосте жить – всех не оплачешь. (Selbst wenn man auf dem Friedhof lebt, kann man nicht alle beweinen.) Заботы бороду серебрят. (Sorgen versilbern den Bart.)
Die Fähigkeit zu einem sehr gefühlsbetonten, expressiven Ausleben von Leid, das Teilen des Leids mit anderen (nicht selten sogar Fremden) hat dem russischen Volk stets die Kraft gegeben, wiederholt mit furchtbaren Schicksalsschlägen fertig zu werden. Vielleicht ist sie zugleich auch eine Ursache dafür, dass sich die russische Geschichte in vielen Punkten mit erschreckender Kontinuität zu wiederholen scheint, dass Geschichtsbewältigung rein emotional und nicht rational erfolgt. Es ist eine verbreitete Haltung, sich in der Opferrolle zu gefallen und für alle Missstände und Unbill einen imaginären Schuldigen zu suchen (sei es der jüdische Nachbar oder die «schwarzen Visagen» aus dem Kaukasus). Weitverbreitet ist vielmehr die Auffassung, dass sich der Mensch an alles gewöhnen könne (íè÷åãî, ìîë, ÷åëîâåê êî âñåìó ïðèâûêàåò) – wenn er nur will, und dass jeder das bekommt, was er verdient.
Die Angst vor Gesichtsverlust.
Не зная броду, не суйся в воду. (Stürze dich nicht ins Wasser, wenn du die Furt nicht kennst.) Семь раз отмерь, один раз отрежь. (Miss lieber siebenmal, ehe du einmal schneidest.)
Die Angst vor persönlichem Gesichtsverlust ist in einer Gesellschaft, in der direkte persönliche Kontakte eine herausragende Rolle spielen, besonders ausgeprägt. In diesem Punkt besteht eine gewisse Ähnlichkeit mit den asiatischen Kulturen. Die Angst vor einem Gesichtsverlust ist es auch, die es Vorgesetzten und Entscheidungsträgern schwer macht, Fehler offen einzugestehen und Entscheidungen zu korrigieren.
In einer Untersuchung zu westlichen Vorstellungen über den russischen Nationalcharakter kommt die russische Kulturologin A. Pawlowskaja zu dem Schluss, dass bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts die gleichen Eigenschaften der Russen als herausragend genannt wurden wie heute. Dazu gehören: Gastfreundschaft; eine nach innen gekehrte Religiosität, die nicht mit kirchlichen Dogmen behaftet ist; Ehrlichkeit und Offenheit, die jedoch häufig unter Verschlossenheit und Verdrießlichkeit verborgen sind; Güte und gleichzeitig Misstrauen; das Gefühl der Brüderlichkeit und Solidarität; das Fehlen von Individualismus; Geduld und Ausdauer; Gewandtheit; Schurkerei («Man sollte keinem Russen vertrauen...»); angeborene Faulheit; Gleichgültigkeit gegenüber politischer Freiheit; angeborener Konservatismus und Fatalismus; Unbekümmertheit und Leichtsinn (besonders im Umgang mit der Zeit); die Fähigkeit, sich vollständig einem Gefühl, einer Idee hinzugeben, auch wenn diese Idee oder dieses Gefühl nichts als Ärger und zuweilen sogar den Tod bringen können; Gleichgültigkeit gegenüber Privatbesitz; eine Vorliebe für die angenehmen Seiten des Lebens; Geschäftigkeit.
Aufgaben und Fragen zu Lektion 2
1. Nennen Sie 10 russische und 10 deutsche Sprichwörter, die den Nationalcharakter der Russen und der Deutschen illustrieren.
2. Was assoziieren Sie mit den Worten «eigene Kultur» und «fremde Kultur»? Finden Sie ein Symbol, eine Farbe, einen Klang, einen Duft für «eigene» und «fremde» Kultur. Machen Sie Ihre persönlichen Assoziogramme zu den beiden Begriffen.
Verwendete Literatur
Baumgart, A.: Russlandknigge. München: Oldenbourg, 1997.
Maletzke, G.: Interkulturelle Kommunikation: zur Interaktion zwischen Menschen verschiedener Kulturen. Opladen: Westdt. Verlag, 1996.
Соловьёва Л.Д. Страноведение Германии: Учебное пособие. – Киров: Изд-во ВГПУ, 2002.