Главная страница «Первого сентября»Главная страница журнала «Немецкий язык»Содержание №20/2007

Fortbildungskurs

Interkulturelle Kommunikation

Erstellt von Dr. Natalia Wassiljewa

Lektion 4. Russen und Deutsche: Entwicklung
der gegenseitigen Wahrnehmung

Fortsetzung aus Nr. 17, 18, 19/2007

PLAN

Zeitung
  Nr.
Lektion
17
Лекция 1. Межкультурная компетентность и этноцентризм
18
Лекция 2. Национальный характер как базовая категория культуры
19
Лекция 3. Ключевые категории культуры и их влияние на межкультурную коммуникацию
Контрольная работа 1
20
Лекция 4. Динамика восприятия немцев в России и русских в Германии
21
Лекция 5. Русское и немецкое коммуникативное поведение в сравнении
22
Лекция 6. Вербальная коммуникация, нормы и правила общения, обусловленные русской и немецкой культурами
Контрольная работа 2
23
Лекция 7. Компоненты межкультурного воспитания и обучения
24
Лекция 8. Компетенции и правила конструктивного разрешения конфликтов
Итоговая работа

1. Interkulturelle Kommunikation

Interkulturelle Kommunikation findet statt, wenn Leute verschiedener kultureller Herkunft miteinander in Kontakt kommen. Die Unterschiede im kulturellen Hintergrund, in Ansichten und Werten können Kommunikation erschweren und eventuell auch ganz unmöglich machen. Für Verständnis und Toleranz sind Informationen und Kenntnisse über andere Kulturen notwendig. Bildung, Propaganda und Massenmedien müssen Anstöße zur Verständigung geben, indem sie Leute auf andere Kulturen neugierig und aufmerksam machen. Nur eine langfristige gesellschaftliche und sozialpolitische Aufklärung bietet die Chance, fremdenfeindlichem Verhalten den Boden zu entziehen.

Fazit der Forschung über Fremd- und Feindbilder der letzten 50 Jahre: Wenn man über andere spricht, spricht man in der Wirklichkeit nur über sich selbst. Wenn wir erklären wollen, wer und was wir sind, schaffen wir automatisch vereinfachte Bilder dessen, wer und was andere für uns sind. Und immer sind die anderen natürlich nicht bloß anders, sie sind schlechter.

2. Stereotype und Vorurteile

Mangelnde Kenntnisse führen zur Entstehung von Stereotypen und Vorurteilen.

Das Stereotyp ist eine vereinfachende, verallgemeinernde schematische Reduzierung einer Erfahrung, Meinung oder Vorstellung. Die Vorstellung über sich selbst nennt man Auto-Stereotyp, über andere Hetero-Stereotyp. Stereotype dienen zur Reduktion der Komplexität der Außenwelt.

Das Vorurteil ist das Urteil, das vor der Vernunft geht, das ohne Kritik und Überlegungen aufgenommen wird. Vorurteile sind Elemente des Feindbildes. Von Generation zu Generation werden die Vorurteile – die fertigen Bilder über die anderen – weitergereicht.

3. Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der historischen Entwicklung Deutschlands und Russlands

In der historischen Entwicklung Russlands und Deutschlands gibt es sowohl Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede.

Gemeinsamkeiten:
– Beide Länder sind reich. Russland ist reich an Kraft, Menschen, Rohstoffen. Deutschland – an technischem Hochstand und Organisationskraft;

– Russland und Deutschland sind «verspätete Nationen», die ihr Selbstbewusstsein und ihr Selbstverständnis als Nation ziemlich spät entwickelt haben;

– unsere Beziehungen, auch ohne gemeinsame Grenzen, bleiben «nachbarschaftlich».
Unterschiede:

– Russland ist seit langem als ein einheitlicher und geschlossener Staat aufgetreten. Deutschland war sehr lang zersplittert;

– Staat und Kirche haben über religiöse Geschlossenheit der Bevölkerung Russlands gewacht. Die Abkehr vom Staat wie von der Kirche galt als Häresie und Verrat. In Deutschland trug konfessionelle Spaltung zur politischen Zersplitterung bei;

– in der wirtschaftlichen Entwicklung gliederte sich Deutschland viel früher und intensiver in die Prozesse der Industrialisierung und des Kapitalismus ein als Russland;

– Deutschland ist ein zentraler Teil Europas. Die Zugehörigkeit Russlands zu Europa wird bis heute diskutiert.

4. Zur Geschichte deutsch-russischer Beziehungen

Deutsch-russische Beziehungen haben eine jahrhundertelange Geschichte. Im Laufe dieser Zeit änderten sich die gegenseitigen Bilder, Charakteristika und Beurteilungen. Hier werden einige Beispiele angeführt.

In ganz Russland hatte Nowgorod als Handelsstadt die intensivsten und dauerhaftesten Berührungen mit den Deutschen. 1189 wurde Vertrag zwischen Nowgorod und Hanse geschlossen. Dort stand: «Der Nowgoroder Gesandte und jeder Nowgoroder darf in Frieden nach Deutschland (v nemeckije semli) und ans Gotische Ufer (Gotland) gehen, ohne dass ihnen Schwierigkeiten gemacht werden oder sie von irgendjemandem eine Kränkung erfahren.»

In solchen Texten kann man Urteile von Angehörigen des anderen Volkes kaum finden. Da sie gemeinsam formuliert wurden, war man höflich zueinander und redete viel von Frieden und gegenseitiger Liebe. In der Tat aber wirkte hier die kirchliche Warnung vor Berührung mit den Fremdgläubigen.

Die Entscheidung Alexander Newskis, sich mit Osteroberern zu arrangieren und den Deutschen Orden abzuwehren, bestimmte auf lange Zeit die russische Politik – den Kampf gegen deutsche Eroberung und Überfremdung.

Iwan IV. (der Schreckliche) war in Augen mancher Moskauer ein «Westler». Er ließ in Deutschland viele Ärzte, Apotheker, Kanonengießer und andere Fachkräfte anwerben. Er interessierte sich auch für die deutsche Reformation und führte mit protestantischen Theologen Gespräche darüber.

Mitte des 17. Jahrhunderts wurde den Deutschen ein fester Platz zugewiesen:«Njemezkaja Sloboda». Sloboda hatte einen besonderen Status, das war eine Siedlung freier Bauern. Der Name weist auch darauf hin, dass dort offen und frei geredet werden dürfte, er signalisiert auch die Stadtfreiheit, die den alten deutschen Kommunen gewährt war.

In der Biron-Zeit (Bironowschtschina) im 18. Jahrhundert entstand in Russland das Bild des zwar tüchtigen und kenntnisreichen, aber trockenen, strengen und tyrannischen Deutschen, mit dem menschlich nicht viel anzufangen sei.

Man kann wohl zu Recht behaupten, dass Deutschland ab 1989 in den Augen der Sowjetbürger entdämonisiert wurde. Die humanitäre und finanzielle Hilfe von Deutschland leistete Beitrag dazu, dass das Deutschlandbild sich in die positive Richtung entwickelte.

Dies hatte auch negative, die Beziehungen belastende Tendenzen – die Merkantilisierung der Einstellung der Russen zu den Deutschen. Das ehemalige Feindbild scheint in den Köpfen vieler Russen dem Klischee des reichen, gutmütigen und vielleicht mit Schuldkomplexen belasteten Deutschen, dem man immer wieder etwas abverlangen kann, gewichen zu sein. Die hilfsfreudigen und -bereiten Deutschen laufen daher Gefahr, sich in eine «Kuh zum Melken» zu verwandeln.

Die Gelegenheit, Angehörige anderer Kultur aus unmittelbarer Nähe kennenzulernen, bot sich in Deutschland viel seltener als in Russland. Aber dass schon in der Frühgeschichte Kontakte zu Russland existierten, lässt sich an einigen literarischen Beispielen veranschaulichen, wo auch Einschätzung und Beurteilung Russlands und der Russen vorhanden ist.

Zum einen ist Russland ein weites, unerreichbares, unbekanntes, fast abstraktes Land. Geografische Entfernung bedingte den Mangel an Fakten und Kenntnissen einerseits und die Einbildungskraft andererseits.

Die ersten Erwähnungen sind zu finden im Annolied (11./12. Jh.), im Nibelungenlied (um 1200), bei Hartmann von Aue (12. Jh.) u.a.m.

In späteren Denkmälern werden die Russen mit verschiedenen Eigenschaften versehen:
wilde Riuzen im Sinne von «ungezähmt», «unbekannt, fremd» (vgl. wildfremd), «untreu, unwahr», «weit entfernt»;
küener Riuz;
valsche Ruzen, wobei sich «falsch» nicht auf die Charaktereigenschaften bezog, sondern auf den Glauben der Russen.

Später sahen die Deutschen in Russen kindlich-sentimentale Menschen, mit wechselnden Stimmungen, persönlich liebenswert, aber nicht in der Lage, irgendwas in Ordnung zu bringen.

Es versteht sich, dass dieser Durchgang durch die Geschichte keinesfalls den Anspruch auf Vollständigkeit haben kann. Klar ist aber, dass die meisten Urteile, Vorurteile, Einstellungen und Vorstellungen in deutsch-russischen Beziehungen sehr alt sind, und ein großer Teil davon seinen Ursprung im Mittelalter hat. Die Gelegenheiten, Gründe und Absichten, die Stereotype und Vorurteile bestimmen, verändern sich kaum.

Die Geschichte der deutsch-russischen Beziehungen kann man als eine Geschichte des Verstehens und Missverstehens zwischen beiden Völkern bezeichnen.

Missverstehen zwischen Russland und Deutschland bezeichnen gleichzeitig die geistigen Beziehungen zwischen beiden Völkern. Ungeachtet der durch Feindseligkeit und Hass gekennzeichneten Perioden haben die beiden Völker nach wie vor eine immens positive Bedeutung füreinander, wodurch Zuversicht und Hoffnung auf die Möglichkeit von «wenn nicht Liebe, dann Toleranz» gespeist werden.

Die bitteren Erfahrungen der Kriege haben gezeigt, was es bedeutet, wenn vorurteilsbeladene Fremdbilder zu hasserfüllten Feindbildern werden.

Vorurteile und Stereotype bestimmen unsere Wahrnehmungs- und Bewertungsprozesse.

Herausragende Persönlichkeiten, gesellschaftliche Gruppen und politische Ereignisse können zur Entwicklung des Landesimages beitragen und dessen weitere Geschichte beeinflussen.

Nicht nur Fakten bestimmen die Geschichte, sondern auch die Vorstellungen, die sich die Menschen von den Fakten machen. Deshalb müssen wir uns auch in unseren Nachbarbeziehungen vor Feindbildern hüten und sie dort, wo sie auftauchen, sofort abbauen. Vor allem muss verhindert werden, dass neue Feindbilder entstehen.

Das liegt im Wesen menschlicher Natur, die Feinde der Heimat für eigene Feinde zu halten und umgekehrt.

Die negativen Vorstellungen über die Deutschen herrschten im Massenbewusstsein vor, wenn Russland irgendwelche Konflikte mit Deutschland hatte. Wenn einige Vertreter Deutschlands nach Russland kamen und das Mangeln an Benehmen zeigten, verursachte das die negative Einstellung gegenüber allen Deutschen. Das gilt auch für einige Vertreter Russlands, die auch das Mangeln an Benehmen in Deutschland oder in einem anderen Land zeigen.

5. Deutschen- und Deutschlandbild

Die Deutschen haben weltweit ein zwiespältiges Image, von neidvoller Bewunderung (u. a. wegen der hohen Qualität der Waren) bis zur Angst und Verachtung («der hässliche Deutsche» wegen Militärkonflikte).

Die Russen halten den Deutschen für trocken, humorlos, gebildet, pedantisch, oberlehrerhaft, streng, tüchtig, erfindungsreich, organisationsbegabt, für einen Menschen ohne Seele.

Der «deutsche Michel» sei zielstrebig und leistungsfähig, aber unmenschlich.

Russische Studenten charakterisieren deutsche Studenten so (die häufigsten Antworten): klug, pünktlich, arbeitsam, korrekt.

5.1. Autostereotype der Deutschen
Autostereotype der Deutschen sind beinahe ähnlich. Auf die Frage «Was ist deutsch?» kommen die Antworten: «Pünktlichkeit, Fleiß, Sauberkeit, Gründlichkeit, Ordnungsliebe, Verträumtheit, Professionalität, Ehrlichkeit, Disziplin.» Deutsch sein heißt eine Sache um ihrer selbst Willen zu treiben. Ordnung ist das halbe Leben. Arbeit ist des Lebens Würze. Fleiß bricht Eis. Spare was, dann hast du was…

6. Russen- und Russlandbild

Die Deutschen sehen den Russen als gutmütig und grausam, liederlich, versoffen, leidensfähig, als faul und dumm, aber auch pfiffig. Im «russischen Bären» erkennt man eine «weite Seele» und «ein kindliches Gemüt».

Heterostereotype der deutschen Studenten sind so: die russischen Altersgenossen sind trinkfreudig, gastfreundlich, traditionsbewusst, fröhlich.

6.1. Autostereotype der Russen
Auf die Frage «Was ist russisch?» kommen die Antworten: «Warmherzigkeit, Hilfsbereitschaft, Unbegrenztheit, Weite, Größe, Geduld, Gastfreundschaft, Aufgeschlossenheit, Lebhaftigkeit des Geistes, Scharfsinn. Mit Verstand kann man Russland nicht begreifen. Der Russe liebt das Vielleicht, das Ungefähr und das Irgendwie...»

7. Lesetexte unter interkulturellem Aspekt

Nehmen wir den Text von Bettina Sengling («Spiegel»-Korrespondentin in Moskau 1995–2003) als Beispiel für Arbeit mit dem Text (interkultureller Aspekt).

RUSSLAND UND DIE REISEFREIHEIT
KEINE SCHULE DER HÖFLICHKEIT

Längst können sich nicht nur Männer mit dicken Geldbündeln Urlaub im Westen leisten. Aber die Buchhalterinnen und Ärzte schleppen im Gepäck 70 Jahre Sowjetunion mit – schlechte Manieren inklusive

Russen brauchen Urlaub, natürlich. Alla aus Moskau ist eine freundliche junge Frau, aber manchmal wirft sie Einmachgläser vom Dach ihres Wohnhauses. «Das Nachbarhaus wurde saniert, und der Presslufthammer ratterte bis in die Nacht», erzählt sie. Höflich bat sie die Bauarbeiter, den Lärm einzustellen. Aber die Männer hörten nicht auf. Es dröhnte und schepperte, es war zwei Uhr in der Nacht. Also schleuderte Alla ein paar Drei-Liter-Gläser auf die Baustelle. Sekunden später war Ruhe. «In unserem Land musst du dich wehren», sagt Alla. «Sonst schert sich niemand um dich.»

Russland ist keine Schule der Höflichkeit. Am zentralen Schalter für Flugtickets in Sankt Petersburg lösen Babuschkas Kreuzworträtsel und blaffen lästige Kunden an. Am Moskauer Flughafen fordert ein Gepäckträger zehn Dollar für 200 Meter Trolley-Benutzung. «Das ist unser Preis», sagt er und zuckt mit den Achseln. «Sie haben ja vorher nicht gefragt!» In den Hotels zwischen Witebsk und Wladiwostok granteln die Etagenfrauen, und zum Frühstück gibt es kalte Würstchen in Fett geschwenkt. Wer überleben will in der Service-Taiga, legt sich schnell einen kleinen Panzer aus Dreistigkeit und Misstrauen zu. Das Problem ist nur: Der geht auch in der Fremde nicht ab.

Etwa zweieinhalb Millionen Russen reisen jedes Jahr in ferne Badeorte und müssten, so konnte man meinen, eigentlich froh über die neue Freiheit sein. Doch in den türkischen Ferienhochburgen schimpfen sie weiter, als kämpften sie im Pensionat von Kislowodsk um saubere Bettwäsche. «Der deutsche Tourist kriegt in Spanien einen Hitzeschock und braucht einen Tag, um sich davon zu erholen», schreibt Oleg M. in einem Internetforum für Reisende. «Der russische Tourist kriegt in Spanien einen Kulturschock. Er brauchte eigentlich Wochen, um mit dem ruhigen Leben klarzukommen. Doch er bleibt nur ein paar Tage. Nicht lange genug, um festzustellen, dass es Nachschub vom Salat auch ohne Nahkampf gibt.»

Russen sind Anfänger, Auslandsreisen haben keine Tradition. Zu Sowjetzeiten war es wahrscheinlicher, in den Kosmos zu fliegen als in die Türkei. Nur ausgewählte Parteikader zogen durch den Westen, leicht zu erkennen an mausgrauen Anzügen, die immer ein bisschen zu klein waren. Die Reisen waren straff durchorganisiert und so ausgelassen wie Aufklärungsfahrten von Landungstruppen. Und von vornherein war klar: Nichts war so schön wie das Sowjetland. Die Masse fuhr mit Gewerkschafts-Reisescheinen an die russische Schwarzmeerküste, ins Erholungsheim «Sonnenaufgang», mit Buchweizengrütze zum Abendbrot. «Die russischen Touristen kennen die Freiheit nicht», schreibt der Moskauer Politologe Viktor Kremenjuk. «Sie sind es nicht gewohnt, ohne Kontrolle zu sein, und wissen nicht, was freiwillige Disziplin bedeutet.» Deshalb rauchen sie auf Zypern am Nichtrauchertisch und leeren das Bonbonglas an der Rezeption mit der ganzen Hand. Deshalb lärmen sie auf den Balkons wie eine Schulklasse, die ohne Lehrer unterwegs ist. Kremenjuk: «Sie verlieren vor Glück und Freiheit den Verstand und sehen die Grenzen nicht.» Hochnäsig führen sich die Touristen auf, doch im Innern sind sie selbstbewusst wie eine Dienstmagd auf dem Prinzenball. Englischkenntnisse reichen häufig nur für Ein-Wort-Kommandos. Dauernd gibt es Visaprobleme, selbst für Touristenländer wie Griechenland oder Spanien. Reist ein Mann allein, denken die Grenzer schnell, er sei Schwarzarbeiter. Ist die Frau ohne Begleitung, heißt es, sie könne eine Nutte sein. «Wir werden im Ausland nicht geachtet», klagt Swetlana im Internet. Auch deshalb sind die Trinkgelder so hoch: Sonst, denken viele Russen, nimmt uns keiner ernst.

Das Traurige: Oft haben die Russen recht. Tatsächlich tuscheln die Deutschen sofort über die Frage, woher denn «der Russe» überhaupt Geld habe – als sei der natürliche Aufenthaltsort von Russen die Schlange vor dem Brotladen. Schnell ist gar von «Mafia» die Rede. Dabei reisen längst normale Leute: Anwälte, die 60 Stunden die Woche schuften, Buchhalterinnen mit ihren Kindern, PR-Agenten, Immobilienmakler, Kleinunternehmer, Ärzte. Manche kratzen ihr Geld zusammen, denn die Reise ins Ausland ist ein Lebenstraum. Es ist der Mittelstand, der reist. Und das ist das Wunder an dieser Geschichte.

Vor 15 Jahren schickte Europa noch Hilfspakete in den Osten. Müssen sie nicht mehr. Russland ist in weiten Teilen noch immer arm, aber es geht bergauf. Es gibt nicht mehr nur Arme und ganz Reiche. Viele können sich nun einen Lada leisten und einen Aeroflot-Flug nach Hurghada, sie stehen am Frühstücksbüfett an, nicht mehr mit Lebensmittelkärtchen nach Milch. Die Reisen werden Alltag. Schon ist das Internet voll von Russen, die sich über Russen im Urlaub aufregen. Und manche lästern sogar über die Deutschen.

Bettina Sengling

Aufgaben zum Text
1. Beantworten Sie die folgenden Fragen zum Text in ganzen Sätzen.
1. Wodurch lässt sich das mangelhafte Verhalten vieler Russen im Ausland erklären? (Machen Sie vier Angaben.)
2. Mit welchen Problemen werden die Russen im Ausland konfrontiert? (Führen Sie drei Beispiele an.)
3. Angehörige welcher sozialen Schichten reisen heutzutage am meisten?
4. Was wird am Dienstleistungssektor Russlands kritisiert? (Führen Sie zwei Beispiele an.)

2. Bitte ersetzen Sie die im Text unterstrichenen Ausdrücke mit eigenen Worten nach ihrer Bedeutung und nehmen Sie, falls nötig, die sich daraus ergebenden Umformungen vor.
Beispiel: Längst können sich nicht nur Männer mit dicken Geldbündeln Urlaub im Westen leisten.
Lösung: Längst können sich nicht nur Männer mit viel Geld Urlaub im Westen leisten.
Oder: Längst können sich nicht nur sehr reiche Männer Urlaub im Westen leisten.

Der Begriff «Russland» (Rossija) entstand erst im 15./16. Jahrhundert, doch noch bis zum 18. Jahrhundert sprach und schrieb man im Westen nur von «Moskovien».
Ebenso ungewohnt war für die Russen der Frühzeit der Begriff «Deutschland» (Germanija). Man kannte das Kaiserreich, und man gebrauchte den Begriff «Deutsche» (nemcy), doch die Vorstellungen von dem «Reich» und den «Deutschen» wurden einander nur da zugeordnet, wo man ganz konkret definierte und von «kaiserlichen Deutschen» (cesarskie nemcy) sprach. Im Übrigen wurden bis ins 18. Jahrhundert mit «nemcy» (Stumme) alle nichtslawischen westlichen Ausländer bezeichnet.
Das Wort «nemcy» spiegelt eine klassische Einstellung gegenüber Fremden wider. Schon die alten Griechen nannten jeden, der ihre Sprache nicht verstand, «Barbar», Stammler. «Nemec» hat ungefähr dieselbe Bedeutung.
Endlich blieb der Name an den Deutschen hängen, weil die Russen mit ihnen besonders häufig zusammentrafen.
«Nemcy» sind schon in der «Erzählung von den vergangenen Jahren» («Nestorchronik») zu finden.
Ein unbekannter Autor, der mit einer Delegation des Moskauer Metropoliten reiste, berichtete für russische Leser über seine Eindrücke im Westen. Der Verfasser erzählte von seiner Reise, wobei ihm in Deutschland die Ordnung, Sauberkeit und Schönheit der Städte auffielen.

Aufgaben und Fragen zu Lektion 4
1. Worin besteht das zwiespältige Image der Deutschen?
2. Wie werden die beiden Völker voneinander wahrgenommen?
3. Was macht die IKK unmöglich?
4. Wozu können propagandistische Feindbilder führen?
5. Unter welcher Bedingung entstehen Verständnis und Toleranz?
6. Was bietet die Chance, der Fremdenfeindlichkeit den Boden zu entziehen?
7. Definieren Sie: «Stereotyp» und «Vorurteil».
8. Nennen Sie Unterschiede und Gemeinsamkeiten in der geschichtlichen Entwicklung Russlands und Deutschlands.
9. Welche russische Stadt hatte die intensivsten und dauerhaftesten Beziehungen mit den Deutschen?
10. Seit wann wurde das Deutschlandbild in den Augen der Russen entdämonisiert?
11. Kommentieren Sie die Aussage von H. Böll: «Ein Krieg beginnt tatsächlich mit der Propaganda, mit dem Aufbau eines Feindbildes. Völker sind ja nicht mit ideologischen Begriffen identisch.»

Verwendete Literatur
Bohn R.: Materialien für Fortbildungsseminar «Methodik/Didaktik» für Multiplikatoren. Goethe-Institut Moskau, März 2007.
Deutsche und Deutschland aus russischer Sicht. 11.–17. Jahrhundert. Hrsg. von Dagmar Herrmann. Wilhelm Fink Verlag, München 1989.
Huber M., Treichler R.: Keiner ist so toll wie wir. Blöde Briten, dämliche Deutsche, frustrierte Franzosen und 36 weitere hoffnungslose Fälle. Ueberreuter, Wien 2001.
Kopelew L.: Russen und Russland aus deutscher Sicht. Wilhelm Fink Verlag, München 2000.
Sievers L.: Deutsche und Russen. Tausend Jahre gemeinsame Geschichte. Gruner + Jahr, Hamburg 1991.
Spiegel, 08.01.2007, S. 38.
Hecker H.: Russen und Deutsche in der gegenseitigen Wahrnehmung. Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 1993.

Fortsetzung folgt