Главная страница «Первого сентября»Главная страница журнала «Немецкий язык»Содержание №21/2007

Wissenschaft und Technik

Glaube: Eine Sehnsucht seit Urzeiten

Höhlenbilder, Kunsthandwerk, Gräber: Aus prähistorischen Funden versuchen Wissenschaftler Rückschlüsse auf die Spiritualität1 der Urmenschen zu ziehen

Die Flöte aus Elfenbein, die Archäologen der Universität Tübingen im Jahr 2004 der Öffentlichkeit präsentierten, ist knapp 20 Zentimeter lang. Sieben Töne lassen sich auf ihr hervorbringen. In mühsamer Arbeit haben Wissenschaftler das Instrument aus Splittern zusammengesetzt, die vor Jahrzehnten in der Geißenklösterle-Höhle auf der Schwäbischen Alb gefunden worden sind. Sie datieren es auf ein Alter von rund 37 000 Jahren: Die Flöte ist damit der älteste Nachweis für die Musikalität des Urmenschen. Vermutlich waren es Neandertaler, die im eiszeitlichen Europa auf dem Instrument spielten.

Rituelle Flötentöne

Doch zu welchen Anlässen? Elfenbein war sehr schwer zu bearbeiten. Deshalb nehmen Forscher an, dass die Flöte keinem profanen2 Zweck gedient hat, sondern vielleicht bei Bestattungen angestimmt wurde oder Kulthandlungen begleitete. Verweist der Fund also auf die Anfänge von Religiosität? Wann begann der Mensch zu glauben – und was brachte ihn dazu? Das Bild vom Urmenschen vervollständigt sich mehr und mehr. Und immer plausibler erscheint es Forschern, dass Neandertaler und auch die ersten Vertreter des anatomisch modernen Menschen, die sich vor mehr als 150 000 Jahren entwickelten, über ein spirituelles Leben verfügten.

Hinweise auf eiszeitlichen Schamanismus? – Kleinplastik mit menschlichen und raubkatzenähnlichen Zügen aus der Hohle Fels-Höhle (links) und der «Löwenmensch» aus dem Hohlenstein-Stadel

Der Glaube an ein Jenseits

«Immer schon gab es eine Vorstellung vom Jenseits», sagt Nicholas Conard vom Institut für Ur- und Frühgeschichte der Universität Tübingen. Einen Anhaltspunkt dafür sieht er etwa in filigranen Elfenbein-Figuren, die in der gleichen Region gefunden wurden wie die Flöte. Es handelt sich um geschnitzte Mischwesen wie zum Beispiel den «Löwenmenschen»: eine knapp 30 Zentimeter messende Menschenfigur mit Löwenkopf. Dachte der Erschaffer dieses Objektes schon an eine Parallelwelt, in der die Übergänge zwischen Mensch und Tier fließend sein können? Conards Kollege Kurt Wehrberger hat sich ebenfalls ausgiebig mit der Figur beschäftigt. Er mag allerdings zu ihrer konkreten Bedeutung wenig sagen, betont vielmehr, «wie vielfältig und widersprüchlich die Möglichkeiten der Interpretation sind».

Urzeitliche Schamanen

Im weiten Feld der Spekulationen bewegt sich nach Ansicht vieler Wissenschaftler auch David Lewis-Williams von der Witwatersrand-Universität im südafrikanischen Johannesburg mit seinen Mutmaßungen zu den Anfängen von Religiosität. Er schreibt die im südlichen Afrika gefundene Felskunst frühen Schamanen zu: Mit gemalten Bildern über Tranceerlebnisse3 hätten sie versucht, Verbindung zu anderen Welten herzustellen. Lewis-Williams wagt sogar, seine These auf die Höhlenmalereien der europäischen Eiszeit zu übertragen. Denn Bilder wie jene vor etwa 25 000 Jahren in der französischen Höhle Peche-Merle entstandenen, glaubt der Wissenschaftler, seien in der gleichen Technik gemalt wie die Zeichnungen der afrikanischen San-Buschleute.

Beim Forschen ist Fantasie gefragt

Schamanismus in der Eiszeit? Weder kann Lewis-Williams seine These belegen – noch jemand anders den Gegenbeweis antreten. Und wie sollte es auch anders sein? Es existiert keine Schrift, kein System abstrakter Zeichen, das uns überliefert, was die Urmenschen mit ihren Malereien ausdrücken wollten. Und aus sich selbst heraus erklären sich die Höhlenbilder nicht. Die Interpretation ist eine Frage der Fantasie des Betrachters. «Es ist, als würden Marsmenschen eine Kathedrale erkunden. Ohne jeden Hinweis könnten sie von dem, was sie dort sehen, wohl kaum die Inhalte des christlichen Glaubens ableiten», erklärt Jean-Jacques Hublin, Direktor am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig.

Spirituelle Erholung vom profanen Alltag

«Was wir wissen, ist spärlich und meist spekulativ», sagt auch der Religionswissenschaftler Michael von Brück von der Universität München. Er hält allein jene Hypothesen zur Religiosität für zulässig, die auf dem mutmaßlichen Alltag der frühen Menschen aufbauen. Das Leben vor 100 000 bis 50 000 Jahren war bestimmt durch die Jagd. Über das Wild, das sie erlegten, wurden die Jäger mit dem Kreislauf von Werden und Vergehen, mit dem Tod konfrontiert. So drängte der Alltag dem Urmenschen erste religiöse Gedanken geradezu auf, meint von Brück. «Dabei war wohl eine Wurzel für Glauben das Entstehen von Fantasie. Also eine erste Überwindung des Grabens zwischen der Wirklichkeit auf der einen und der Möglichkeit auf der anderen Seite. Wenn die Urmenschen zum Beispiel aus der realen Büffeljagd heraus die Idee entwickelten, diese Erfahrung auch in Tänzen oder Malereien zu verarbeiten.»

Erste Gebete

Bedeutsam aber dürfte vor allem gewesen sein, dass der jagende Mensch Leben nimmt, um selbst überleben zu können. Eine Erfahrung, die schon in der Urzeit nach Kompensation und Vergebung verlangte, und die in ersten Opferkulten mündete – so jedenfalls sieht es Michael von Brück. «Und Opferkulte», sagt er, «sind nichts anderes als die ersten Gebete!» Dass der Tod eines Tieres Anstoß zu frühester Religiosität gewesen ist, erscheint plausibel4, und das gilt erst recht für die Konfrontation mit der eigenen Sterblichkeit.

Feierliche Begräbnisse

Grabfunde von Skeletten im Nahen Osten zeigen, dass Neandertaler wie auch anatomisch moderne Menschen sogar schon vor rund
100 000 Jahren ihre Toten bestatteten. Eine besondere Begräbniskultur scheint sich dort ausgebildet zu haben, wo sie in direkter Nachbarschaft lebten. «Immer dort, wo eine Interaktion von Neandertaler und modernem Menschen stattfand», sagt der Evolutionsforscher Jean-Jacques Hublin, «hat sich kulturell besonders viel verändert.» Im fruchtbaren Karmel-Gebirge des heutigen Israel etwa fanden beide Gruppen günstige Bedingungen vor.

Geglaubt wurde wohl immer

Über 50 000 Jahre lang teilten sie sich diesen Lebensraum. Funde von Knochen und Werkzeugen in Gräbern aus dieser Zeit zeigen Gemeinsamkeiten. Und Grabbeigaben wie etwa Blumen oder eine spezielle Anordnung der Toten bezeugen für manche Forscher den frühen Glauben an ein von der Natur abgeleitetes «Saatkorn-Prinzip», wonach der Verstorbene unter der Erde auf ein Wiederkommen wartet. Folgt man Friedrich Dürrenmatt, hat der Mensch allein «aus Angst vor dem Tod das Jenseits erfunden». Die ganze Kultur, so der Schweizer Schriftsteller, «ist gegen den Tod gebaut». Und auch der Mythosforscher Walter Burkert bezieht sich auf unsere Verstörung darüber, dass wir dem Tode geweiht5 sind, wenn er die Religion zu den «biologischen Grundbedürfnissen des Menschen» zählt. Der Spiritualität, so das Credo vieler Forscher, konnte die Urgesellschaft nicht entkommen. Nicholas Conard ist sich sicher: «Zu keiner Zeit wurde nicht geglaubt.»


1Spi|ri|tu|a|li|tät, die; - [mlat. spiritualitas] (bildungsspr.): Geistigkeit; inneres Leben, geistiges Wesen.

2pro|fan <Adj.> [lat. profanus= ungeheiligt; gewöhnlich eigtl. = vor dem heiligen Bezirk liegend, zu: fanum, fanatisch] (bildungsspr.): 1. weltlich, nicht dem Gottesdienst dienend: ein -es Bauwerk; -e Kunst. 2. gewöhnlich; alltäglich: ganz -e Sorgen; sich p. ausdrücken.

3Tran|ce, die; -, -n [engl. trance < afrz. transe= das Hinübergehen (in den Tod), zu: transir = hinübergehen; verscheiden < lat. transire, Transit]: (bes. durch Hypnose erreichter) dem Schlaf ähnlicher Dämmerzustand: in T. fallen; jmdn. in T. versetzen; sich in einer leichten, tiefen T. befinden; aus einer T. erwachen.

4plau|si|bel <Adj.; ...bler, -ste> [frz. plausible < lat. plausibilis= Beifall verdienend; einleuchtend, zu: plaudere (2.Part.: plausum) = klatschen]: einleuchtend; verständlich, begreiflich: eine plausible Erklärung; das ist, klingt, scheint mir ganz p.; jmdm. etw. p. machen.

5wei|hen <sw. V.; hat> [mhd., ahd. wihen, zu mhd. wich, ahd. wih= heilig, also eigtl.= heilig machen]: 1. (christl., bes. kath. Kirche) a) durch Weihe heiligen, zu gottesdienstlichen Zwecken bestimmen: einen Altar, Kerzen, Glocken, einen Friedhof w.; die Kirche wurde im Jahre 1140 geweiht; eine geweihte Stätte; b) jmdm. durch Erteilen der Weihen ein geistliches Amt übertragen: jmdn. zum Diakon, Priester, Bischof w. 2. a) (Rel.) (bes. ein Gebäude) in einer rituellen Handlung nach einem Heiligen, einem Gott o. Ä. benennen, um ihn zu ehren: die Kirche ist dem heiligen Ludwig geweiht; ein Zeus geweihter Tempel; b) (geh.) widmen: sich, seine ganze Kraft der Wissenschaft w.; er hat sein Leben Gott, der Kunst, dem Dienst an seinen Mitmenschen geweiht; c) (geh.) widmen, zueignen: das Denkmal ist den Gefallenen des Krieges geweiht.

Der Text ist entnommen aus:
http://www.geo.de/GEO/kultur/geschichte/4821.html?p=1