Главная страница «Первого сентября»Главная страница журнала «Немецкий язык»Содержание №22/2007

Sonderthema

Paula Modersohn-Becker: Zum 100. Todestag der Malerin

Gott sage ich und meine den Geist, der die Natur durchströmt, dessen auch ich ein winziges Teilchen bin, den ich im großen Sturme fühle.

Es ist merkwürdig, dass das, was man für gewöhnlich Erlebnisse nennt, in meinem Leben so wenig Rolle spielt. Ich habe, glaube ich, auch welche. Aber sie scheinen mir gar nicht das Hauptsächlichste im Leben, sondern das, was zwischen ihnen liegt, der tägliche Kreislauf der Tage, das ist für mich das Beglückende.

Das Schönste wäre ja, wenn ich jenes unbewusste Empfinden, was manchmal leicht und lieblich in mir summt, figürlich ausdrücken könnte.

Nach Kraft ringen. Das klingt alles so dramatisch. Man tut eben, was man kann und legt sich dann schlafen. Und auf diese Weise geschieht es, dass man eines Tages etwas geleistet hat.

Die Malerin Paula Modersohn-Becker war eine der bedeutendsten Vertreterinnen des frühen Expressionismus. In den knapp vierzehn Jahren, in denen sie künstlerisch tätig war, schuf sie 750 Gemälde, etwa 1000 Zeichnungen und 13 Radierungen, die die bedeutendsten Aspekte der Kunst des frühen 20. Jahrhunderts in sich vereinen.

Familie

Paula Becker war das dritte Kind von insgesamt sieben Geschwistern. Ihr Vater Carl Woldemar Becker war Ingenieur von Beruf, ihre Mutter Mathilde entstammte der thüringischen Adelsfamilie von Bültzingslöwen. Aus den Briefen, die Carl Woldemar Becker an seine Tochter richtete, ist bekannt, dass Paula Beckers Vater sowohl Paris und Sankt Petersburg als auch London kannte und neben Russisch auch Französisch und Englisch sprach. Die mütterliche Familie war ähnlich weltoffen. Mathilde von Bültzingslöwens Vater war im Ausland Kommandeur eines Truppenkontingents, einige ihrer Brüder waren nach Indonesien, Neuseeland und Australien ausgewandert.

Selbstbildnis frontal, um 1897

Bei der Erziehung der Kinder der Familie Becker spielten Kunst, Literatur und Musik eine große Rolle. Paula erhielt ebenso wie ihre Schwestern Klavierunterricht. Paulas älteste Schwester, die über eine schöne Singstimme verfügte, durfte Gesangsunterricht nehmen. Bis auf Paula schätzte ihre Familie Richard Wagner – Paula Becker empfand ihn als «undeutsch»; Goethe galt in der Familie als der alles überragende Dichter. Paula Beckers Elternhaus wird von ihren Biografen als liberal-bürgerlich eingestuft, wohlhabend war es dagegen nicht.

Dresden und Bremen

Die ersten zwölf Lebensjahre verbrachte Paula Becker in Dresden-Friedrichstadt. Über diese ersten Jahre ist wenig bekannt. Überliefert ist nur ein schweres Unglück, bei dem die zehnjährige Paula gemeinsam mit den zwei Cousinen Cora und Maidli Parizot beim Spielen in einer Sandgrube verschüttet wurden. Während Paula und Maidli rechtzeitig gerettet werden konnten, erstickte ihre elfjährige Cousine Cora Parizot unter den Sandmassen. Aus Briefen, die Paula Modersohn-Becker Jahre später an Rainer Maria Rilke schrieb, weiß man, dass dieses Erlebnis sie stark prägte. Ihre Biografin Liselotte von Reinken sieht darin sogar die Ursache für die mitunter rücksichtslose Entschiedenheit, mit der Paula Modersohn-Becker ihre künstlerischen Ziele verfolgte.
1888 nahm Carl Woldemar Becker eine städtische Stelle als Baurat in Bremen an. Die Familie zog daher von Dresden nach Bremen um. Das künstlerische Leben war zu dieser Zeit in Bremen sehr rege, und über Freundschaften der Mutter bestand zu den künstlerischen Kreisen in Bremen ein enger Kontakt, sodass die Familie Becker daran lebhaft Anteil nahm.

Der erste Kunstunterricht

Im Frühsommer 1892 ging Paula Becker auf Wunsch ihrer Eltern nach England. Eine Halbschwester ihres Vaters lebte dort in der Nähe Londons. Paula sollte dort Haushaltsführung und Englisch erlernen. Dank der Unterstützung ihres Onkels erhielt sie dort auch Kunstunterricht. Nach ersten Skizzenstunden besuchte Paula eine private Kunstschule, in der sie täglich von zehn bis sechzehn Uhr im Zeichnen unterrichtet wurde. Dieser Kunstunterricht währte allerdings nur kurze Zeit. Der Aufenthalt in London war von Paula Beckers Eltern ursprünglich für ein Jahr geplant; sie kehrte jedoch bereits nach einem halben Jahr zurück. Sie hatte unter Heimweh gelitten und sich unter der autoritären Führung ihrer Tante nicht wohl gefühlt.

Lehrerinnenseminar

Vor allem auf Grund des Einwirkens ihres pflichtbewussten Vaters besuchte Paula Becker ab 1893 in Bremen ein Lehrerinnenseminar. Sie folgte damit ihrer ältesten Schwester, die ebenfalls dieses Seminar besucht hatte. Während dieser Zeit erhielt Paula Becker privaten Malunterricht – ein Entgegenkommen des Vaters, denn Paula Becker hatte die Ausbildung zur Lehrerin nur ungern begonnen.

Der Malunterricht fand bei dem Maler Bernhard Wiegandt statt und war für Paula Becker die erste Gelegenheit, nach einem lebenden Modell zu arbeiten. Aus dieser Zeit stammen eine Reihe von Porträts ihrer Geschwister sowie das erste Selbstporträt, das auf das Jahr 1893 datiert wird. Im September 1895 bestand Paula Becker das Lehrerinnenexamen mit einem guten Abschluss.

Im Frühjahr 1893 sah Paula Becker das erste Mal Bilder des Worpsweder Künstlerkreises. Otto Modersohn, Fritz Mackensen, Fritz Overbeck, Hans am Ende und Heinrich Vogeler stellten in der Kunsthalle Bremen ihre Gemälde aus. Paula Becker war zwar angetan, aber eine besondere Begeisterung ist ihren Tagebucheinträgen nicht zu entnehmen. Besonders gut gefiel ihr allerdings ein Bild ihres späteren Mannes Otto Modersohn – sie beeindruckten die eigenartigen Farben und die Art und Weise, mit der er die Stimmung in der Heide einfing.

Kunstunterricht in Berlin

Der Familie ihrer Mutter verdankte Paula Becker es, dass sie im Frühjahr 1896 nach Berlin fahren konnte, um dort an einem sechswöchigen Kurs an der Zeichen- und Malschule des Vereins der Berliner Künstlerinnen teilzunehmen. Diese Malschule war sehr angesehen; elf Jahre zuvor hatte Käthe Kollwitz an dieser Schule ihre Ausbildung begonnen. Der Zutritt zu einer Kunstakademie war Paula Becker als Frau dagegen verwehrt.

Nach dem Abschluss des sechswöchigen Kurses konnte Paula Becker ihren Unterricht an der Schule fortsetzen. Offenbar war es ihrer Mutter gelungen, eine Schulgeldermäßigung zu erreichen. Um die Kosten für den Malunterricht zu decken, nahm Mathilde Becker eine Pensionärin in ihr Haus auf. Mathilde Beckers Bruder Wulf von Bültzingslöwen und seine Frau Cora hatten sich außerdem bereit erklärt, Paula bei sich wohnen zu lassen und für ihren täglichen Unterhalt aufzukommen.

In der Ausbildung dominierte der Zeichenunterricht, bei dem nach lebenden Modellen gearbeitet wurde. Erst wer das Zeichnen sicher beherrschte, wurde zu den Malklassen zugelassen. Aus dieser Zeit existieren noch eine Reihe von Aktzeichnungen von Paula Becker, bei denen das Lineare stark betont wurde und die deutliche Hell-Dunkel-Kontraste aufweisen. 1897 wurde sie zu der ersten Malklasse bei Jeanne Bauck, einer heute unbekannten Künstlerin, zugelassen. Auf Jeanne Bauck, von der Paula Becker begeistert war, ist ihr Wunsch zurückzuführen, eine Zeit lang in Paris zu leben.

Während ihrer Berliner Zeit verbrachte Paula Becker viel Zeit in Museen. Ähnlich wie die Nazarener fast siebzig Jahre zuvor schätzte sie vor allem die Künstler der deutschen und italienischen Renaissance. Zu diesen Malern zählten Albrecht Dürer, Lucas Cranach, Hans Holbein der Ältere, Tizian, Botticelli und Leonardo da Vinci. Sie bevorzugte damit Maler, die eine Tendenz zur großen, klaren Form haben und die das Linear-Konstruktive besonders betonen.

Umzug nach Worpswede

Anlässlich der Silberhochzeit der Eltern unternahm die Familie Becker im Sommer 1897 einen Ausflug in das kleine, vor den Toren Bremens gelegene Dorf Worpswede. Paula Becker war von der Landschaft und ihrem Farbenspiel, der Einsamkeit des Ortes und der dort angesiedelten Künstlerkolonie tief beeindruckt. Vor Beginn des Herbstsemesters 1897 fuhr sie erneut mit einer Freundin dorthin, um zu wandern und die Maler aufzusuchen. Als sie im Januar 1898 600 Mark erbte und ihre kinderlosen Verwandten Arthur und Grete Becker ihr eine auf drei Jahre befristete jährliche Rente von 600 Mark aussetzten, damit sie ihre Ausbildung fortsetzen konnte, beschloss sie, unterstützt von ihren Eltern, nach Worpswede zu gehen. Ursprünglich war nur ein kurzer Ferienaufenthalt angedacht. Mathilde Becker plante, dass ihre Tochter ein paar Wochen bei Fritz Mackensen Mal- und Zeichenunterricht genießen und dann im Herbst eine Au-pair-Stelle in Paris annehmen sollte. Dem Einfluss des Vaters war es zu verdanken, dass Mackensen sich tatsächlich dazu bereit fand, die Tochter bei ihren Malstudien zu unterstützen. Als Paula Becker jedoch im September 1898 nach Worpswede ging, war offenbar bereits ein längerer Aufenthalt geplant.

Die Worpsweder Künstlerkolonie

Die Künstler, die sich in Worpswede seit 1889 angesiedelt hatten, fühlten sich von den Kunstakademien unabhängig. Die meisten waren Schüler der seit Wilhelm von Schadow berühmten Kunstakademie Düsseldorf, standen jedoch wie viele Künstlergemeinschaften des 19. Jahrhunderts der akademischen Kunstausbildung und ihrer Ateliermalerei kritisch gegenüber. Durch den Rückzug nach Worpswede wollten sie sich ähnlich wie die Schule von Barbizon um ein neues Naturverständnis in ihrer Malerei bemühen. Ziel waren eine schlichte, unverfälschte Malerei in freier Natur und eine positive Darstellung der als ursprünglich und unverdorben empfundenen Bauernschaft.

Eine enge Freundschaft knüpfte Paula Becker mit Clara Westhoff, die Bildhauerin werden wollte und bei Mackensen Modellier- und Zeichenunterricht nahm. Nachdem das Verhältnis zwischen Paula Becker und den Worpsweder Künstlern anfangs sehr zurückhaltend war, intensivierte sich ab März 1899 der Kontakt zu dem Ehepaar Modersohn sowie zu Heinrich Vogeler, unter dessen Anleitung sie im Sommer 1899 einige Radierungen schuf. Das disziplinierte und farbarme grafische Arbeiten mit Druckplatte und Radiernadel lag ihr jedoch nicht sonderlich.

Den Kunstunterricht bei Fritz Mackensen empfand Paula Becker anfangs als sehr hilfreich, aber schon Ende 1898 stellte sich bei ihr das Gefühl ein, dass er nicht der rechte Lehrer für sie sei. Mit ihrer zur Vereinfachung von Form und Farbe tendierenden Kunst fand sie nicht nur in Worpswede keine künstlerischen Anregungen. Die vernichtende Kritik, die sie gegen Ende 1899 über ihre erste Ausstellungsbeteiligung erhielt, hatte ihr auch deutlich gemacht, dass sie mit ihrer Malerei außerhalb der allgemeinen deutschen Kunstszene stand. In der Weser-Zeitung stand am 20. Dezember 1899 über ihre zwei ausgestellten Bilder: «Für die Arbeiten ... reicht der Wörterschatz einer reinlichen Sprache nicht aus und bei einer unreinlichen wollen wir keine Anleihe machen. Hätte eine solche Leistungsfähigkeit auf musikalischem oder mimischem Gebiet die Frechheit gehabt, sich in den Konzertsaal oder auf die Bühne zu wagen, es würde alsbald ein Sturm von Zischen und Pfeifen dem groben Unfug ein Ende gemacht haben ...»

Zwar feierten Künstler wie Max Slevogt, Lovis Corinth, Max Liebermann oder Wilhelm Leibl in München und Berlin erste Erfolge; künstlerisch dominierte aber in Deutschland immer noch die Salonmalerei der Gründerzeit. Aufgeschlossener und innovativer war dagegen die Kunstszene in Paris. Dorthin wollte Paula Becker seit ihrem Studienaufenthalt in Berlin reisen.

Der erste Studienaufenthalt in Paris

In der Silvesternacht 1900 brach Paula Becker nach Paris auf. So wie Rom um die Wende ins 19. Jahrhunderts Anziehungspunkt für deutsche Künstler war, war Paris gegen Ende des 19. Jahrhunderts zum führenden europäischen Kunstzentrum geworden, und zahlreiche deutsche Künstler verbrachten im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts einige Zeit in Paris. Clara Westhoff, die Freundin aus Worpswede, war bereits seit Ende 1899 in Paris, weil sie hoffte, Schülerin von Auguste Rodin zu werden.

Finanziell konnte sich Paula Becker diesen Aufenthalt leisten, weil sie nach wie vor die Rente ihrer Verwandten erhielt. Sie bezog ein kleines Zimmer, das sie mit Möbeln vom Trödel und Kisten einrichtete. Im Quartier latin wurde sie Schülerin der privaten Akademie Colarossi, und so wie in Berlin besuchte sie erneut Museen. Allein und gemeinsam mit Clara Westhoff besuchte sie außerdem Ausstellungen und Galerien, um die modernen französischen Maler kennenzulernen. Clara Westhoff berichtete später, wie Paula Becker zutiefst beeindruckt von den Gemälden Paul Cézannes war, der zu dieser Zeit noch ein völlig unbekannter Künstler war. In einem mit 21. Oktober 1907 datierten Brief an Clara Westhoff schrieb sie Jahre später, dass Cézanne «einer von den drei oder vier Malerkräften ist, der auf mich gewirkt hat wie ein Gewitter und ein großes Ereignis».

Sicher ist auch, dass Paula Becker während dieses Aufenthaltes in Paris die große Ausstellung der Nabis-Künstler besucht hat. Diese vom Japanischen Farbholzschnitt beeinflussten Künstler legten Wert auf eine flächenbetonte Malerei, deren Farbe Bedeutungsträger und nicht Mittel zur Wiedergabe von Augenschein ist.

Seit April 1900 fand in Paris die große Jahrhundertausstellung statt. Anlässlich dieser Ausstellung kam das Ehepaar Overbeck und mit ihm Otto Modersohn im Juni nach Paris. Paula Becker kannte den elf Jahre älteren Landschaftsmaler Modersohn aus ihrem ersten Aufenthalt in Worpswede und schätzte ihn sehr. Modersohns gesundheitlich angeschlagene Ehefrau Helene war in Worpswede zurückgeblieben und starb während der kurzen Zeit, die er in Paris verbrachte. Modersohn und mit ihm das Ehepaar Overbeck kehrten überstürzt nach Deutschland zurück.

Rückkehr nach Worpswede

Paula mit ihrer Stieftochter ElsbethVierzehn Tage nach der überstürzten Abreise von Modersohn und den Overbecks kehrte auch Paula Becker gemeinsam mit Clara Westhoff nach Worpswede zurück. Da die geerbten 600 Mark aufgebraucht und die ihr ausgesetzte Rente abgelaufen war, legte ihr Vater ihr nahe, sie möge sich eine Stelle als Gouvernante suchen. Ihr angegriffener Gesundheitszustand erlaubte das jedoch noch nicht sofort. Sie hatte sich in Paris überarbeitet und gleichzeitig aus Sparsamkeit so spartanisch gelebt, dass ihr der Arzt Ruhe verordnete. In dieser Zeit schrieb Paula Becker jenen Tagebucheintrag, der in ihren Biografien häufig zitiert wird, da er eine Vorahnung ihres frühen Todes anzudeuten scheint: «Ich weiß, ich werde nicht sehr lange leben. Aber ist das denn traurig. Ist ein Fest schöner, weil es länger ist? Und mein Leben ist ein Fest, ein kurzes, intensives Fest ... Und wenn nun die Liebe mir noch blüht, vordem ich scheide, und wenn ich drei gute Bilder gemalt habe, dann will ich gern scheiden mit Blumen in den Händen und im Haar.»

Paula Becker korrigierte diese Andeutung Wochen später durch einen anderen Tagebucheintrag mit den Worten: «Und es dauert doch noch lange. Ich bin gesund und stark und lebe.»

Während sie sich physisch von ihrem anstrengenden Parisaufenthalt erholte, leistete ihr Otto Modersohn gelegentlich Gesellschaft. Die Beziehung zu ihm intensivierte sich, und am 12. September 1900, knapp drei Monate nach dem Tod von Helene Modersohn, verlobten sich die beiden.

Bauernkind auf rotgewürfeltem Kissen, um 1904
Das 1904 entstandene Kind auf rotgewürfeltem Kissen zeigt, wie Paula Modersohn-Becker die Anregungen der Nabis-Künstler verarbeitete. Diese verbanden Farbflächen mit weißen Stegen, um darüber teppichähnliche Wirkungen zu erzielen. Modersohn-Becker setzt ihr Modell dagegen in einem rotgestreiften Kleidchen auf ein rot-weiß-gewürfeltes Kissen, das eine quadratische Fläche um das Kind bildet und damit ihrem Gemälde Geschlossenheit verleiht. Ungewöhnlich ist der Detailgrad, mit dem Modersohn-Becker hier das Gesicht malt. Auf anderen Kinderbildern aus derselben Zeit setzt sie eine Vereinfachung von Form und Farbe erheblich radikaler um und reduziert das Gesicht auf das Notwendige.

In die Verlobungszeit fällt auch die Bekanntschaft mit Rainer Maria Rilke. Er hatte sich 1898 mit Heinrich Vogeler während dessen Florenz-Aufenthaltes angefreundet und kam nun als Gast Vogelers zu Besuch nach Worpswede. Bei Modersohn kehrte in derselben Zeit Carl Hauptmann, der Bruder von Gerhart Hauptmann, ein. Abends traf man sich regelmäßig auf dem Barkenhoff, den das Ehepaar Vogeler bewohnte. Clara Westhoff und Paula Becker erschienen Rilke wie Schwestern. In seinen Tagebüchern nannte er die beiden Freundinnen «die blonde Malerin» und die «Dunkle», um die immer Handlung, Bewegung und Erzählung war. Beiden Frauen war er eng verbunden. Während er in Clara Westhoff – die er wenig später heiratete – jedoch sehr stark auch die Künstlerin sah, erlebte er Paula Becker vor allem als «ernste Freundin» und widmete ihr ein Gedicht, das später in seinem Buch der Bilder erscheinen sollte: «Du blasses Kind, an jedem Abend soll/der Sänger dunkel stehn vor deinen Dingen.»

In seiner Monographie über die Worpsweder Maler erwähnt Rilke Paula Modersohn-Becker jedoch nicht, und bei Rodin führte er sie kurz darauf als Ehefrau eines berühmten Malers ein. Die Malerin Paula Modersohn-Becker, die im Urteil heutiger Kunsthistoriker das Werk ihres Mannes weit überstrahlt, nahm Rilke erst kurz vor ihrem Tod als Künstlerin wahr.

Heirat mit Otto Modersohn

Am 25. Mai 1901 heirateten Otto Modersohn und Paula Becker. Paula Modersohn-Becker hatte auf Druck ihrer Eltern zuvor sogar noch einen Kochkurs in Berlin begonnen, den sie jedoch frühzeitig wieder abbrach. Ihre in einem Brief angegebene Begründung charakterisiert nicht nur Paula Modersohn-Beckers Person, sondern auch ihre kommenden Ehejahre: «Es ist gut, sich aus Verhältnissen zu lösen, die einem die Luft nehmen.»

Nach einer kurzen Hochzeitsreise, bei der das Ehepaar unter anderem bei Gerhart Hauptmann in Agnetendorf zu Gast war, begann für Paula Modersohn-Becker eine Zeit, in der sie versuchte, ihre Pflichten als Ehe- und Hausfrau und Stiefmutter der jungen Elsbeth mit ihren künstlerischen Ambitionen zu vereinen. Ihr Atelier war eine kleine Klause auf dem Hof des Bauern Brünjes. Modersohn ließ in das Dach Oberlichter einbauen, damit sie das Gebäude nutzen konnte. Ihren Tagesablauf organisierte sie mithilfe eines Dienstmädchens; von neun Uhr bis mittags um eins malte sie in ihrem Atelier, kam dann zum Essen heim und kehrte um drei Uhr wieder in ihr Atelier zurück, wo sie oft bis abends um sieben blieb. Ihrer Stieftochter Elsbeth versuchte sie, eine gute und fürsorgende Mutter zu sein. Sie war das Modell einer Reihe ihrer Kinderbilder. Mädchen im Garten neben Glaskugel, das um 1901/1902 entstand, und Kopf eines kleinen Mädchens zeigen ihre Stieftochter.

Ihr Mann empfand die ersten drei Jahre ihrer Ehe als sehr glücklich. Aus seinen Tagebucheinträgen weiß man, dass er zutiefst davon überzeugt war, mit einer richtungsweisenden Künstlerin verheiratet zu sein – auch wenn das zu dieser Zeit außer ihm keiner zu bemerken schien. Paula Becker hatte in Modersohn einen sie liebenden Mann gefunden, der ihrer künstlerischen Weiterentwicklung nicht im Wege stand und sie auf ihrem Weg kritisch begleitete. Ein tiefer gehendes Verständnis für ihr Werk entwickelte jedoch auch ihr Mann nicht. Befremdlich blieb ihm während ihrer gesamten Ehe, wie sehr sie auf die Anregungen der Künstler in Paris angewiesen war.

Die Heirat hatte Paula Modersohn-Becker von dem Zwang befreit, einem ungeliebten Beruf nachgehen zu müssen, um für ihren Unterhalt zu sorgen. Während ihres Lebens hat sie lediglich an die mit ihr freundschaftlich verbundenen Rilke und Vogeler jeweils ein Bild verkauft – ohne die Heirat mit Modersohn hätte sie dem Rat ihres Vaters folgen und sich eine Stelle als Gouvernante suchen müssen. Während Modersohn in seinen Tagebüchern festhielt, dass die Ehe schöner verlaufe, als er je geglaubt hätte, finden sich in den Tagebucheinträgen von Ostern 1902 bei Paula Anzeichen einer kritischeren Haltung – wenn sie diese auch mit einer Selbstironie kontrastiert: «Es ist meine Erfahrung, dass die Ehe nicht glücklicher macht. Sie nimmt die Illusion, die vorher das ganze Wesen trug, dass es eine Schwesterseele gäbe. Man fühlt in der Ehe doppelt das Unverstandensein, weil das ganze frühere Leben darauf hinausging, ein Wesen zu finden, das versteht ... Dies schreibe ich in mein Küchenhaushaltebuch am Ostersonntag 1902, sitze in meiner Küche und koche Kalbsbraten.»

Anders als ihr Mann, der die Stille und Zurückgezogenheit von Worpswede brauchte, um sich künstlerisch zu entfalten, brauchte Paula Modersohn-Becker den Kontakt und die Abwechslung.

Paris 1903

Im Frühjahr 1903 erbat sich Paula Modersohn-Becker von ihrem Mann die Zusage, für einen Zeitraum von zwei Monaten nach Paris zurückkehren zu können. In Paris verkehrte sie sehr viel mit dem Ehepaar Rilke, auch wenn sie die wachsenden Spannungen zwischen Rainer Maria Rilke und Clara Westhoff als belastend empfand.

Den überwiegenden Teil ihrer Zeit verbrachte sie im Louvre, um dort nach antiken und ägyptischen Vorbildern zu zeichnen. In ihren Selbstporträts, die danach entstanden, lässt sich nachvollziehen, dass sie sich stark mit den Totenbildern aus dem oberägyptischen Fayum beschäftigte. Gemeinsam mit dem Ehepaar Rilke besuchte sie außerdem erneut Ausstellungen. Rilke ermöglichte ihr einen Besuch bei dem berühmten französischen Bildhauer Auguste Rodin.

Kunsthistoriker vermuten gelegentlich, dass Paula während dieser Zeit auch Gemälde von Paul Gauguin gesehen hat, obwohl in ihren Tagebüchern nichts dazu vermerkt ist. Die Stillleben, die nach ihrer Rückkehr nach Worpswede entstanden und bei denen Gegenstände als farbige Teilflächen dargestellt sind, die dem Bildganzen untergeordnet sind, zeigen Ähnlichkeiten zu Gaugins Gemälden.

Worpswede 1903 bis 1905

Bereits im März 1903 kehrte sie wieder nach Worpswede zu ihrem Mann und ihrem Stiefkind zurück und brachte aus Paris zahllose künstlerische Anregungen mit. Der Aufenthalt dort hatte ihr eine Verbundenheit zu ihrem Mann und ihrer Stieftochter deutlich gemacht. Sie selber wünschte sich ein Kind und bedauerte zu dem Zeitpunkt sehr, dass es ihr bis jetzt verweigert blieb. Unter den etwa 130 Gemälden, die bis Ende 1904 entstanden, befinden sich neben Stillleben auch viele Porträts von Säuglingen und Kleinkindern, die sie anders als zuvor ohne ihre Mütter darstellt. Die künstlerische Entwicklung, die Paula Modersohn-Becker damit einschlug, blieb ihrem Mann unverständlich: «...[sie falle] nun in den Fehler, alles lieber eckig, hässlich, bizarr, hölzern zu machen. Die Farbe famos – aber die Form? Der Ausdruck! Hände wie Löffel, Nasen wie Kolben, Münder wie Wunden, Ausdruck wie Cretins ... Zwei Köpfe, vier Hände auf kleinster Fläche, unter dem tut sie es nicht und dazu Kinder. Rat kann man ihr schwer erteilen, wie meistens.»

Paris 1905

Bereits im Jahre 1903, nach ihrem letzten kurzen Aufenthalt in Paris, hatte Paula Modersohn-Becker angekündigt, dass sie immer wieder für eine Zeit lang dahin zurückkehren wollte. Modersohn, der sich als deutscher Maler empfand und die französische Kunst ablehnte, die jetzt zunehmend auch in deutschen Ausstellungen und Galerien zu sehen war, fand diesen Wunsch weitgehend unverständlich. Paula setzte sich mit ihrem Wunsch jedoch durch. Am 14. Februar 1905 reiste sie erneut nach Paris, um dort einige Zeit gemeinsam mit ihrer Schwester Herma Becker zu verbringen. Ihren Mann drängte sie wiederholt, sich ihnen doch anzuschließen. Sie belegte erneut Kurse im Zeichnen an privaten Akademien, wurde sich aber zunehmend bewusst, dass sie mittlerweile eine eigene malerische Sprache entwickelt hatte.

Als ihr Mann nach Paris kam, war er in Begleitung des Ehepaars Vogeler, obwohl ihm seine Frau angedeutet hatte, dass sie gerne mit ihm allein Paris erleben wollte. Gemeinsam besuchte man erneut Kunstausstellungen, innerhalb der kleinen Gruppe kam es jedoch zu Spannungen. Otto Modersohn reagierte mit Eifersucht auf die Art und Weise, mit der seine Frau das Leben in Paris genoss und die französische Kunst bewunderte.

«Er bildete sich ein, ich bliebe am liebsten in Paris und hielte von Worpswede nichts», hält Paula Modersohn-Becker in ihrem Tagebuch fest.

Während Kunsthistoriker nur vermuten können, dass Paula Modersohn-Becker während ihres zweiten Besuchs neben Gemälden von Paul Cezanne auch Bilder von Paul Gauguin sah, ist dies für den dritten Besuch durch Tagebuchnotizen ihres Mannes eindeutig belegt. Nach ihrer Rückkehr nach Worpswede begann sie sich intensiv mit diesem Künstler auseinanderzusetzen und ließ sich unter anderem von einer ihrer Schwestern Aufsätze über diesen Maler zusenden.

Alte Armenhäuslerin im Garten, 1906
Zu den letzten Bildern, die Paula Modersohn-Becker vollendete, zählt Alte Armenhäuslerin im Garten. Es ist die Darstellung einer alten Frau, die, umgeben von einem Feld mit wildem Mohn, in den im Schoß zusammengelegten Händen einen Fingerhutstängel hält. In diesem Bild verarbeitete sie Anregungen aus der naiven Kunst. Dem Bild folgte ein letztes Selbstbildnis, das Selbstbildnis mit Kamelienblüte.

Rückkehr nach Worpswede – Sommer 1905 bis Februar 1906

Der dritte Aufenthalt in Paris hatte Paula Modersohn-Becker angeregt, sich mehr dem Stillleben zuzuwenden. Vor 1905 sind nur zehn Stillleben in ihrem Werk nachweisbar, von 1905 bis 1907 sind es annähernd fünfzig. In diesen führte sie die abgebildeten Gegenstände immer stärker auf ihre Grundformen zurück – Kreis, Ellipse und Trapez.

Daneben entstanden zahlreiche weitere Kinderporträts, darunter Bilder wie Bauernmädchen auf einem Stuhl sitzend, in denen auf alle differenzierenden Linien und Formen verzichtet wird, oder Blasendes Mädchen im Birkenwald, das ihre Biografin Liselotte von Reinken für die schönste Fassung ihrer immer neuen Versuche hält, die Einheit von Kind und Natur in einfacher Zeichensprache auszudrücken. Ein in strenger Profilsicht dargestelltes Mädchen, das auf einem Tuterohr bläst, schreitet weitausschreitend vor einem engen Gitter herbstlich gefärbter Bäume.

Ihr Mann sah den künstlerischen Weg, den sie ging, dagegen immer kritischer. Im Tagebuch schrieb er: «...malt lebensgroße Akte und das kann sie nicht, ebenso lebensgroße Köpfe kann sie nicht ... Ihre herrlichen Studien lässt sie liegen. Zu ihnen Zeichnungen machen – Technik lernen – und sie ist fertig. Sie ist hochkoloristisch – aber unmalerisch hart besonders in ausgeführten Figuren. Verehrt primitive Bilder, sehr schade für sie – sollte sich malerische ansehen. Will Farbe und Form vereinigen – geht gar nicht in der Weise, wie sie es macht ...»

In Paula Modersohn-Becker reifte dagegen der Wunsch, wieder nach Paris zu gehen. Clara Westhoff, die seit Sommer 1905 von Rilke getrennt war und wieder in Worpswede lebte, vertraute sie diesen Wunsch ebenso an wie ihrer Mutter, der sie in Briefen gestand, dafür bereits Geld zu sparen. Als Rilke im Dezember 1905 nach Worpswede kam, um dort mit Frau und Kind Weihnachten zu feiern, weihte sie auch ihn in ihre Pläne ein. Rilke befasste sich nun erstmals ausführlicher mit der Kunst von Modersohn-Becker und schrieb an seinen Gönner August von Heydt im Januar 1906: «Das Merkwürdigste war, Modersohns Frau in einer ganz eigenen Entwicklung ihrer Malerei zu finden, rücksichtslos und geradeaus malend, Dinge, die sehr worpswedisch sind und die noch nie einer sehen und malen konnte. Und auf diesem ganz eigenen Wege sich mit van Gogh und seiner Richtung seltsam berührend.»

Rilke ermutigte sie in ihrem Wunsch, Worpswede und damit ihren Mann zu verlassen. Um sie zu unterstützen, erwarb er von ihr das Gemälde Säugling mit der Hand der Mutter. Er riet ihr wenig später auch, ihre Gemälde doch auf verschiedenen Pariser Ausstellungen zu zeigen. Paula Modersohn-Becker aber, die nur sehr ungern anderen ihre Bilder zeigte, wollte dieser Empfehlung nicht folgen, weil sie meinte, künstlerisch noch nicht so weit zu sein.

Trennung von Otto Modersohn

Am 23. Februar 1906 verließ Paula Modersohn-Becker Worpswede. Im Tagebuch hielt sie fest, dass sie mit diesem Schritt Otto Modersohn verlassen habe. Für ihn kam der Schritt überraschend, und er sandte ihr nach Paris bittende Briefe, wieder zu ihm zurückzukehren. Paula dagegen bat ihn, sich mit dem Gedanken vertraut zu machen, dass sie von nun an getrennte Lebenswege gehen würden. Otto Modersohn kam sogar im Juni für eine Woche nach Paris, die Aussprache zwischen den zwei Ehepartnern blieb jedoch ergebnislos. Otto Modersohn unterstützte seine Frau jedoch weiterhin finanziell. Ihre Familie warf ihr Egoismus vor.

In Paris richtete sie sich in der Avenue du Maine ein spartanisches Atelier ein. Sie nahm auch erneut Zeichenkurse und besuchte einen Anatomiekurs, weil sie mit ihrer Malerei unzufrieden war. Erneut besuchte sie zahlreiche Ausstellungen. Sie besuchte den Bildhauer Bernhard Hoetger in seinem Atelier. Als dieser durch eine zufällige Bemerkung von ihr entdeckte, dass sie Malerin war, bestand Hoetger darauf, sich ihre Gemälde anzusehen. Hoetger war von diesen begeistert. Für Paula Modersohn-Becker, die bislang lediglich von ihrem Mann und kurz vor ihrem Weggang aus Worpswede durch Rilke Unterstützung in ihrem künstlerischen Weg gefunden hatte, hatte dieses Urteil sehr großes Gewicht.

«Sie haben mir Wunderbarstes gegeben. Sie haben mich selber mir gegeben. Ich habe Mut bekommen. Mein Mut stand immer hinter verrammelten Toren und wusste nicht aus noch ein. Sie haben die Tore geöffnet. Sie sind mir ein großer Geber. Ich fange jetzt auch an zu glauben, dass etwas aus mir wird. Und wenn ich das bedenke, dann kommen mir die Tränen der Seligkeit... Sie haben mir so wohl getan. Ich war ein bisschen einsam», schrieb sie ihm am 5. Mai 1906. Das Urteil von Hoetger war für sie der Anlass, sich mit aller Kraft ihrer Malerei zu widmen. Die Anzahl der Gemälde, die von 1906 bis 1907 entstanden, werden auf insgesamt neunzig geschätzt – ihre Biografin Liselotte von Reinken hat anlässlich dieser ungewöhnlich hohen Anzahl von Gemälden angemerkt, dass man allein aufgrund der damit verbundenen physischen Kraftanstrengung zweifeln würde, wenn man nicht ihre Briefe und Tagebücher als Beleg dafür hätte.

Sie arbeitete vor allem an Aktbildern. Außerdem entstanden neben Stillleben in dieser Zeit zahlreiche Selbstbildnisse wie Selbstbildnis mit Zitrone. Viele davon waren Halbakte. Sie wagte sich auch an einen in der Kunstgeschichte bis dahin nicht nachweisbaren Bildtypus, ein Selbstbildnis in ganzem Akt.

Letzte Rückkehr nach Worpswede

Am 3. September 1906 teilte Paula Modersohn-Becker ihrem Mann mit, er möge in die Scheidung einwilligen, und sie bat ihn, ihr noch einmal 500 Mark zu geben. Danach wollte sie allein für ihren Lebensunterhalt aufkommen. Wenige Tage später, am 9. September, widerrief sie ihre Entscheidung. An dem Meinungswechsel war vor allem Bernhard Hoetger schuld, der ihr in den Tagen dazwischen deutlich machte, wie wenig sie dazu im Stande sein würde, für sich selbst finanziell aufzukommen.

«Ich habe diesen Sommer gemerkt, dass ich nicht die Frau bin, alleine zu stehen ... Ob ich schneidig handle, darüber kann uns erst die Zukunft aufklären. Die Hauptsache ist: Stille für die Arbeit und die habe ich auf die Dauer an der Seite Otto Modersohns am meisten», schrieb sie am 17. November an Clara Westhoff.

Otto Modersohn war bereits im Oktober nach Paris gekommen, um den Winter über gemeinsam mit ihr dort zu bleiben. Er bezog im selben Haus wie sie ein Atelier. Im März 1907 kehrte Paula Modersohn-Becker gemeinsam mit ihrem Mann nach Worpswede zurück. In Worpswede entstanden in diesem Jahr nicht viele Bilder. Paula war jetzt endlich schwanger, litt jedoch darunter, dass die Schwangerschaft es ihr unmöglich machte, wie früher viele Stunden am Tag zu malen.

Am 2. November brachte Paula Modersohn-Becker in einer schwierigen Geburt ihre Tochter Mathilde zur Welt. Der Arzt verordnete ihr Bettruhe. Am 20. November durfte sie erstmals aufstehen, worauf eine Embolie einsetzte, an der sie im Alter von 31 Jahren verstarb.

Rezeptionsgeschichte

Es ist vor allem dem Engagement von Heinrich Vogeler zu verdanken, dass in den Jahren nach Paula Modersohn-Beckers Tod ihre Gemälde in mehreren Ausstellungen gezeigt wurden. Die Bedeutung der Malerin Paula Modersohn-Becker und ihres Werkes hat Vogeler erst nach ihrem frühen Tod erkannt – manche Biografen Modersohn-Beckers sehen in seinem engagierten Einsatz für ihr Werk eine Wiedergutmachung dafür, dass er sie lange nur als Ehefrau seines Künstlerkollegen Otto Modersohn wahrnahm. Paula Modersohn-Becker hat während ihres Lebens nur etwa fünf Bilder verkauft – den frühen Ausstellungen in den ersten Jahren nach ihrem Tod ist es erst zu verdanken, dass einige Sammler auf sie aufmerksam wurden und begannen, ihre Gemälde zu erwerben. Zu diesen Sammlern gehört u. a. August von Heydt, der, angeregt durch Rilke, 28 ihrer Gemälde erwarb, sowie Ludwig Roselius, auf dessen Initiative das Paula Modersohn-Becker-Museum in Bremen zurückzuführen ist. 1913 wurden in der Kunsthalle Bremen 129 ihrer Gemälde gezeigt, und eine immer größer werdende Anhängerschaft begann, ihre Bilder aufgrund ihrer formalen Dichte und ihrer gleichnishaften Ausdrucksstärke zu schätzen.

Zu ihrem 10. Todestag im Jahre 1917 veranstaltete die Kestner-Gesellschaft eine große Ausstellung mit ihren Werken und veröffentlichte eine Auswahl ihrer Briefe und Tagebucheinträge. Diese Sammlung, veröffentlicht unter dem Titel Eine Künstlerin: Paula Becker-Modersohn – Briefe und Tagebuchblätter, wurde ein Erfolg und machte ihren Namen bekannt. Sie sind mehrfach neu aufgelegt worden und nach dem 2. Weltkrieg auch als Taschenbuch erschienen. Sie haben aber auch zu einer lang anhaltenden sentimentalen Deutung ihrer Person geführt: Ein Mädchen, das davon träumt, Künstlerin zu werden; diesen Weg gegen Widerstände und aufgrund glücklicher Umstände umzusetzen vermag; von einem möglichen Lebensweg als Gouvernante durch die Ehe mit einem bekannten und anerkannten Künstler bewahrt wird; nach einer anfänglich glücklichen Ehezeit sich zunehmend in dieser Ehe gefangen fühlt, auszubrechen versucht und kurz darauf im Kindbett verstirbt. Wenn auch die Entschlossenheit ihrer künstlerischen Selbstfindung Bewunderung erregte, hat sie mitunter den Blick auf die Künstlerin Paula Modersohn-Becker verstellt. Die sehr persönlichen, nie zur Veröffentlichung bestimmten Tagebücher und Briefe sind von einer schwärmerisch-romantischen Geisteshaltung getragen, die im Widerspruch zu der Bildsprache Modersohn-Beckers steht. Als eine «verklärte Fantasie-Figur» werde Paula Modersohn-Becker aufgrund dieser Aufzeichnungen wahrgenommen, schrieb Günter Busch in seinem einleitenden Essay zur bisher vollständigsten Ausgabe ihrer Briefe und Tagebücher, die im Jahre 1979 erschien. Dazu hat beigetragen, dass die 1917 veröffentlichte Auswahl manchen Tagebuchpassagen nicht das entsprechende Korrektiv entgegensetzte. So ist zwar in dieser Ausgabe ihre scheinbare Todesahnung enthalten, die sie während ihrer Krankheit nach dem ersten Parisaufenthalt niederschrieb. Das jubelnde «Und es wird doch noch lange dauern», das sie festhielt, als es ihr kurz darauf gesundheitlich wieder besser ging, fehlt dagegen.

1919 erschien der erste Werkkatalog. Er führte zu diesem Zeitpunkt nur 259 Werke auf, er wurde in den nachfolgenden Jahren jedoch allmählich erweitert. Zugeordnet wurde Modersohn-Becker meist dem Kreis der Worpsweder Künstler, obwohl sie mit ihrer Kunst deutlich außerhalb dieser Gruppe stand. So zeigen ihre Landschaftsbilder beispielsweise eine größere stilistische Verwandtschaft zu den Gemälden eines Max Pechstein oder einer Gabriele Münter.

Am 2. Juni 1927 wurde das Paula-Becker-Modersohn-Haus in Bremen eingeweiht. Bis 1933 folgten zahlreiche weitere Ausstellungen. Während der Zeit des Nationalsozialismus zählte das Werk Modersohn-Beckers zur entarteten Kunst. Es wurde aus den Museen entfernt, einzelne Bilder wurden ins Ausland verkauft. Im Ausland war Paula Modersohn-Becker eine bis dahin weitgehend unbekannte Künstlerin. Die Verkäufe bewirkten, dass man nun auch im Ausland auf sie aufmerksam wurde. Trotzdem zählt sie auch heute im Ausland eher zu den unbekannten Künstlern – ihre Rolle als Kunstschaffende, die das künstlerische Weltbild des 20. Jahrhunderts vorausahnte, wird überwiegend in den deutschsprachigen Ländern wahrgenommen. Zu dieser begrenzten Wahrnehmung der Künstlerin Modersohn-Becker hat beigetragen, dass sich, anders als bei Gauguin, van Gogh oder Cézanne, kein Künstler nachweisbar kreativ mit ihrer Kunstauffassung auseinandersetzte und ihre Bildideen weiterentwickelte; ihr Werk ist nicht «schulbildend» geworden und steht weitgehend isoliert.

Die systematische Aufarbeitung ihres Gesamtwerkes setzte erst nach dem 2. Weltkrieg ein und fand meist in Zusammenhang mit großen Retrospektiven anlässlich verschiedener Gedenktage statt. Das Urteil, das Rilke kurz vor ihrem Tode über ihr Werk fällte, hat auch nach dieser systematischen Aufarbeitung noch Bestand. Modersohn-Becker zeigt eine enge Verwandtschaft zu den neuen malerischen Strömungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Angeregt von den Arbeiten der avantgardistischen französischen Künstler, mit denen sie sich während ihrer Aufenthalte in Paris auseinandersetzte, hat sie eine eigenständige Bildsprache entwickelt, in der sich Elemente des Expressionismus, Fauvismus und Kubismus ebenso zeigen wie Bezüge zu der Kunst vergangener Epochen.

Das Werk

Das Werk von Paula Modersohn-Becker umfasst Porträts, Kinderbildnisse, die Darstellung der bäuerlichen Lebenswelt in Worpswede, Landschaften, Stillleben und Selbstporträts. Letztere begleiteten sie während ihrer gesamten Schaffensperiode. Sie ist darin Käthe Kollwitz vergleichbar, bei der sich gleichfalls die persönliche Entwicklung in ihren Selbstporträts spiegelte. Über ihre Selbstporträts schrieb Heinrich Vogeler in seinen Erinnerungen: «Paula Becker malte sich häufig selber. Es sind außer dem liebreizenden einfachen Bildnis aus der Frühzeit meist Selbstbildnisse einer ihrer Kraft bewusst werdenden Frau, die Oberlippe verlor ihre Weichheit, energisch unterstreicht sie den klaren, beobachtenden Blick der Augen.»

Besonders häufig malte sie sich während des Jahres 1906, in dem sie versuchte, sich von ihrem Mann unabhängig zu machen. Während dieser Zeit entstanden auch ihre Aktselbstbildnisse, die als die ersten Aktselbstdarstellungen der Kunstgeschichte gelten. Sie sind für die damalige Bildtradition äußerst kühn und verstießen gegen alle Kunstkonventionen.

Die bäuerlichen Szenen sind bewusst unromantisch, nicht anklagend und stellen anders als bei Käthe Kollwitz nicht den sozialen Aspekt in den Vordergrund. Sie sind dominiert von einer Sympathie für den Menschen und einem Interesse an Form und Konstruktion. Der Bildraum ist häufig entgegen akademischen Regeln flächig reduziert und beginnt bereits an der unteren Bildgrenze. Die Rahmenkante überschneidet häufig Teile der Darstellung. Diese «unschöne» Darstellung bäuerlichen Lebens unterschied sie deutlich von der damals gängigen Malerei, in der das Landleben heroisiert wurde. Ihre Darstellungen haben auch wenig gemeinsam mit den mehr genrehaften Darstellungen bäuerlicher Milieuschilderungen des Worpsweder Künstlerkreises.

Ungewöhnlich sind auch ihre Kinderbildnisse. Sie sind frei von allem Sentimentalen, allem Verspielten oder Anekdotischen und zeigen eine ernsthafte und ungeschönte Wahrnehmung von Kindern. Sie hebt sich damit deutlich ab von den Kinderbildnissen des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Sie hat mit dieser Darstellungsweise jedoch auch das meiste Unverständnis erregt. Die Kunsthistorikerin Christa Murken-Altrogge hat auf die stilistische Nähe zwischen ihren Kinderbildnissen und den Gemälden des jungen Picasso aufmerksam gemacht, die der Blauen und Rosa Periode zugerechnet werden und die zur selben Zeit entstanden. In den Porträts von 1906 und 1907 zeigen sich jedoch auch Elemente des geometrisch-konstruktiven Stils des Kubismus.

Paula Modersohn-Becker Museum in Bremen

Das Paula Modersohn-Becker-Museum in Bremen zeigt dauerhaft Meisterwerke von Paula Modersohn-Becker. Das Museum und das expressionistische Museumsgebäude gehen auf Ludwig Roselius (1874–1943) zurück, der Bernhard Hoetger (1874–1949) beauftragte, das Gebäude zu entwerfen, in dem seine Sammlung von Werken Paula Modersohn-Beckers untergebracht werden sollte. Am 2. Juni 1927 wurde das Museumsgebäude unter dem Namen Paula-Becker-Modersohn-Haus eröffnet; Ludwig Roselius setzte bei der Namensnennung den Mädchennamen von Paula Modersohn-Becker voran.

1978 gründete Tille Modersohn-Becker (1907–1998), die Tochter der Malerin, die Paula Modersohn-Becker-Stiftung. Durch Neuankäufe und Leihgaben der Paula Modersohn-Becker-Stiftung konnte die Sammlung von Ludwig Roselius erweitert werden. Außerdem befindet sich in dem Museum auch eine Sammlung von Skulpturen, Gemälden und Zeichnungen von Bernhard Hoetger. Die Ausstellungsräume werden auch für Sonderausstellungen genutzt.

Das Paula Modersohn-Becker-Museum in Bremen ist das erste Museum weltweit, das dem Werk einer Künstlerin gewidmet wurde. Hauptwerke aus allen Schaffensphasen belegen den herausragenden Stellenwert Paula Modersohn-Beckers für den Aufbruch in die Kunst der Moderne in Deutschland.


Paula Modersohn-Becker
Zeittafel

1876 8. Februar: Paula Becker wird als Tochter des Eisenbahningenieurs Carl Becker und dessen Frau Mathilde in Dresden geboren.

1888 Übersiedlung der Familie nach Bremen.

1892 Aufenthalt bei einer Tante in England. Zeichenunterricht an der London School of Arts.

1893–1895 Neben ihrer Ausbildung zur Lehrerin nimmt sie privaten Malunterricht.

1896/97 Besuch eines Kurses der Mal- und Zeichenschule des «Vereins der Berliner Künstlerinnen», der Frauen die Möglichkeit des Kunststudiums bietet.

1898 Becker siedelt nach Worpswede über und zieht in die dortige Künstlerkolonie. In das Dorf hatten sich Künstler wie Fritz Mackensen (1866–1953) aus Protest gegen die Akademien und das Leben in der Großstadt zurückgezogen. Becker nimmt Malunterricht bei Mackensen. Die bäuerliche Welt und die norddeutsche Landschaft werden zu ihrem Bildmotiv.
Beginn der Freundschaft mit der Bildhauerin Clara Westhoff (1875–1954).

1899 Aufgrund vernichtender Kritik an einigen ihrer Werke zieht sich Becker aus der Öffentlichkeit zurück, malt jedoch auch weiterhin.

1900 Freundschaft mit Rainer Maria Rilke, der sich für eine Weile der Künstlerkolonie anschließt.
Becker reist für einige Zeit nach Paris. Sie besucht die Académie Colarossi und belegt einen Anatomiekurs an der École des Beaux-Arts.
Unter dem Einfluss der Gemälde Vincent van Goghs (1853–1890) sucht sie die «Einfachheit der großen Form». Die Darstellung des «schlichten» Menschen wird zu ihrem zentralen Anliegen.

1901 Heirat mit dem Worpsweder Maler Otto Modersohn.

1905 Erneute Paris-Reise.
Unter dem Einfluss der französischen Impressionisten entstehen nach ihrer Rückkehr nach Worpswede zahlreiche Stillleben.

1906 Gemeinsam mit ihrem Mann stellt sie in der Bremer Kunsthalle aus. Die Ausstellung wird von der Öffentlichkeit kaum beachtet.
Modersohn-Becker trennt sich vorübergehend von ihrem Mann und zieht nach Paris. Sie richtet sich ein Atelier ein und belegt Kurse an der École des Beaux-Arts.

1907 Sie kehrt zu ihrem Mann nach Worpswede zurück.
2. November: Geburt der Tochter Mathilde.
20. November: Paula Modersohn-Becker stirbt in Worpswede.

1937 Die Nationalsozialisten diffamieren Modersohn-Becker als «entartete Künstlerin» und beschlagnahmen 70 ihrer Werke aus deutschen Museen.

Der Text ist entnommen aus:
http://de.wikipedia.org/wiki/Paula_Modersohn-Becker