Главная страница «Первого сентября»Главная страница журнала «Немецкий язык»Содержание №22/2007

Hauslektüre im Deutschunterricht

Didaktisierungsvorschlag zum Buch von Christine Nöstlinger «Das Austauschkind»


Erstellt von N. Bunjajewa und I. Schorichina, Moskau

Fortsetzung aus Nr. 06, 09, 10, 12, 13, 14, 15, 16, 18, 19, 20, 21/2007

Text
Kapitel 9

Dienstag, 28. Juli
Mittwoch, 29. Juli
Donnerstag, 30. Juli
Freitag, 31. Juli

Bille und ich kamen überein, Jasper nichts von meinem erlauschten Zwiegespräch zu sagen, weil es schrecklich sein muss, da zu sein, wo man nicht erwünscht ist. Am Abend, im Bett, wenn uns Jasper nicht hören konnte, überlegten wir, wie man den Abschubplan vereiteln könne. Uns fiel aber nichts Vernünftiges ein. Einig waren wir uns nur, dass wir Jasper hier behalten wollten. Und das wirklich nicht nur deswegen, weil er eine Plage für unsere Eltern war. (Bei mir zumindest war das nicht der Hauptgrund.) Ich mochte den Jasper von Tag zu Tag ein bisschen mehr. Sicher! Ein echtes Saubartel war er. Sowohl was seinen eigenen Leib als auch was den Umgang mit Sachen betraf. Für Ordnung war er nicht. Aber in Ordnung war er schon. Und die paar Dinge, die mich zuerst so gegen ihn eingenommen hatten, die verstand ich, als ich ihn näher kennenlernte. Das Zimmer für sich allein – zum Beispiel – hatte er nur deshalb beansprucht, weil er so ein riesiger Schnarcher ist und ihm alle Leute sein Lebtag lang erklärt hatten, mit ihm zusammen zu schlafen sei tödlich. Und der knurrende Tick mit der Steinsammlung, der kam davon, dass seine Mutter die Steine schon ein paar Mal hatte wegwerfen wollen. Auch in den Internaten, in denen Jasper gewesen war, hatten sie ihm die Steine nicht erlaubt.

Je drei Monate lang, erzählte uns Jasper, war er schon in vier Internaten gewesen. In englischen privaten Knabenschulen. Aus zweien hatten sie ihn rausgeworfen, aus zweien war er davongerannt. Und wenn sie ihn aus den ersten nicht rausgeworfen hätten, wäre er auch dort davongerannt; denn in solchen Internaten, sagte Jasper, geht es scheußlich-awfully zu. Die Lehrer sind Ekel und die größeren Schüler sind angeblich noch größere Ekel. Und einer wie Jasper, der nicht ganz so ist wie die anderen, der hat dort einen besonders schlechten Stand. Überhaupt, wenn er ein bisschen ungeschickt ist und sehr unsportlich.

Wir haben Jasper gefragt, warum man ihn denn in solche Anstalten schickt. «Mein Vater wünscht», hat er geantwortet.

«Aber warum wünscht er dann bei deinem Bruder Tom nicht?», hat Bille gefragt.

«His father is not mine», hat Jasper geantwortet. Wir haben gewartet, dass er uns das näher erklärt, aber er hat anscheinend nicht darüber reden wollen. Eigentlich war es ohnehin klar: Jasper war knapp über vierzehn, Tom war knapp unter dreizehn.

Jaspers Mutter hatte sich also, als Jasper ein winziges Baby war, von Jaspers Vater scheiden lassen und einen anderen Mann geheiratet und den Tom gekriegt! So was kommt ja öfter vor.

Sonst passierte in diesen vier Tagen noch, dass wir mit dem Jasper im Gänsehäufel baden waren. Ohne Mama, allein. Im Wasser ist Jasper gar nicht patschert. Er taucht und schwimmt wie ein Fisch und bleibt so lange im Wasser, bis die Haut auf seinen Fingern und Zehen lauter Wellen schlägt.

Und am Donnerstag waren wir im Prater. Auch ohne Mama. Von meinem Zeugnisgeld. Und Jaspers Schlampigkeit vertuschten Bille und ich vor der Mama, so gut es ging. Die verschnäuzten Taschentücher hoben wir auf, die leeren Milchpakete warfen wir in den Mistkübel, sogar seine gebrauchte Unterwäsche trugen wir in den Schmutzwäschekorb. (Jasper bemerkte das gar nicht. Er ist ja nicht absichtlich unordentlich.) Wir hofften, die Mama dadurch milder zu stimmen. Ob uns das tatsächlich gelang, weiß ich nicht. Aber da sie keinen richtigen Anlass mehr hatte, sich über Jasper zu erregen, tat sie es auch nicht. Bloß leicht leidend schaute sie drein. Und dass er nach wie vor nicht zum Nachtmahl und zum Mittagessen erschien, fand sie natürlich entsetzlich. Beim Freitagnachtmahl sagte sie zum Papa: «Schon aus Gründen der richtigen Ernährung kann das mit dem Kerl nicht so weitergehen! Milch mag ja gesund sein! Aber nur Milch ist zu wenig!» «Dann sperr halt die Speisekammer wieder auf!», schlug Bille vor. «Dann holt er sich schon, was er mag!» (Seit die Mama entdeckt hatte, dass Jasper sich nächtlich an den Vorratswaren bedient hatte, war die Speisekammer verschlossen und der Schlüssel an Mamas Schlüsselbund.)

Die Mama war gegen Billes Selbstversorgervorschlag für Jasper. «Er ist durch und durch falsch ernährt», sagte sie. «Das sieht man ja auch. Sonst wäre er nicht so ein schwammiges Monster!» Da schob ich meinen Teller weg und stand auf. «Isst du nicht auf?», fragte die Mama. Ich sprach: «Nein! Weil ich mir nicht anhören kann, wie du meinen Freund beleidigst!» Und dann sprach ich zum Papa: «Du hast immer wollen, dass ich einen Freund habe! Jetzt habe ich einen! Und den lasse ich nicht beleidigen!»

Bille schaute mich anerkennend an. «Meint er», fragte die Mama den Papa, «dass der Jasper sein Freund ist?»

«Er meint es!», sagte der Papa und rieb sich mit einem Zeigefinger den Nasenrücken. Was bei ihm ein Anzeichen dafür ist, dass er heftig nachdenkt. Dabei wollte ich ihn nicht stören. Ich verließ das Wohnzimmer und ging in Jaspers Zimmer auf eine Pokerpartie.

Samstag, 1. August
Der Papa bekam in der Nacht auf Samstag eine Darminfektion und blieb am Samstag in der Früh im Bett; wenn er nicht gerade aufs Klo wanderte. Meine Mama hatte Kopfweh, was sie für die ersten Anzeichen einer Darminfektion hielt, obwohl der Papa immer wieder sagte: «Bei mir hat es aber nicht mit Kopfweh angefangen!»

«Bei jedem fängt es anders an», sagte die Mama und trank vorbeugend Kamillentee und aß Zwieback und schickte Bille einkaufen. Da Bille aber ihre Haare waschen und föhnen wollte, schickte Bille mich einkaufen. Jasper fragte ich nicht, ob er mich in den Supermarkt begleiten will, weil man ihn im Supermarkt nicht brauchen kann. Er steckt nämlich Sachen ein. Ich meine – hart gesagt: Er stiehlt. Kaugummi und saure Drops und Schokolade und überhaupt alles, was ihm möglich scheint. Er macht das geschickt. Bille und ich, wir haben nie im Laden bemerkt, dass er etwas eingesteckt hat. Erst wenn er es uns dann auf der Straße gezeigt hat, haben wir es überrissen. Er sieht nicht ein, dass das blöd ist. Er sagt, der Ladenbesitzer berechnet die Preise sowieso schon so, dass er zehn Prozent Gestohlenes einberechnet. Wenn jetzt niemand mehr stiehlt, sagt er, verdienen die Ladenbesitzer noch mehr. Weil, die gehen dann mit den Preisen auch nicht runter, wenn vier Wochen kein Diebstahl vorkommt. Blöd, sagt er, ist nur, dass immer dieselben Leute stehlen, dadurch zahlen die drauf, die nie stehlen. Aber er kann ja nichts dafür, sagt er, dass manche Leute Ehrlichkeitsfanatiker sind. So ist der Jasper eben!

Ich habe versucht, ihm zu erklären, dass es nicht auf so komische theoretische Überlegungen ankommt, sondern auf die harte Praxis. Die kenne ich nämlich, von der Ilona aus meiner Klasse. Ilona hat auch immer Kaugummi und Kugelschreiber und allen möglichen Kram gefladert, und alle waren sich einig, dass sie es sehr geschickt macht. Aber trotzdem ist sie erwischt worden. Beim ersten Mal haben ihre Eltern nur zahlen müssen, und sie hat nur zu Hause den Krach gehabt. Aber beim zweiten Mal haben es die Schule und das Fürsorgeamt erfahren – oder wie das heißt – und auf der Polizei war sie stundenlang. Ganz fürchterlich muss das gewesen sein. Und die in unserer Klasse, die vorher den Kaugummi von der Ilona genüsslich gekaut und mit den gestohlenen Kugelschreibern geschrieben haben, die haben dann über sie herumgetuschelt. Und wie dem Herbert Pivonka die Stempelmarken weggekommen sind, hat der Emberger gesagt, am ehesten traut er es noch der Ilona zu, weil bei der der Diebstrieb ja schon amtlich ist. Dabei hat sich gerade der Emberger mit dem Diebsgut von der Ilona – soweit essbar – den Bauch vollgestopft. Als ich das dem Jasper erzählt habe, war er doch beeindruckt und hat mir zu 60 % Recht gegeben. Und als dann noch beschwörend dazugefügt hat: «Crime does not pay!», war er zu 90 % beeindruckt. Aber die restlichen zehn Prozent waren mir doch Unsicherheitsfaktor genug! Man muss einen gefährdeten Menschen ja nicht gerade vorsätzlich der Gefahr aussetzen. Nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn man den Jasper wegen ein paar blöder Chewinggums mit der Polizei abgeführt hätte! Wo er schon vierzehn vorbei ist und daher straffähig – oder wie das heißt.

Also wanderte ich allein in den Supermarkt und traf dort – Wagen schiebend – den Peter Stollinka. «Habt ihr ihn immer noch?», fragte mich Peter. «Logo!», sagte ich. So, als wäre das ganz selbstverständlich. Und dann fragte ich Peter: «Warum magst du ihn denn eigentlich nicht?»

Es ist zu langweilig und zu mühsam, jetzt Rede von Peter und Gegenrede von mir detailgetreu wiederzugeben. Nach einer halben Stunde Herumfahren im Supermarkt jedenfalls war mir vieles sehr klar, und zwar kurz gefasst Folgendes:

Jaspers Mutter hatte sich von Jaspers Vater scheiden lassen, als Jasper noch ein Embryo in ihrem Bauch war. Laut Peter, weil dieser Vater genauso ein Ekel war, wie Jasper eines ist! Dann hatte sie, ein Jahr später, den Mr. Pickpeer geheiratet. Und Jaspers Vater hatte auch wieder geheiratet. Eine gewisse Mary. Und Jaspers Vater hatte plötzlich gefunden, dass der kleine Jasper ihm zustehe. Und Jaspers Mutter, die jetzt gerade den Tom gekriegt hatte, war damit einverstanden. So kam Jasper zu seinem Vater und Mary. Als er dann acht oder neun Jahre alt war, so genau wusste das Peter nicht, ließ sich der Jasper-Vater wiederum von der Mary scheiden. Oder sie von ihm. Oder beide voneinander. Und Mary wollte den Jasper behalten. Weil sie ihn ja schon so lange hatte. Weil er ja irgendwie wie ihr Kind war. Aber die Mutter von Jasper sagte, da sei sie nicht einverstanden. Sie verlangte Jasper zurück. Weil sie sich nicht einigen konnten, gingen sie zu Gericht. Dort wurde bestimmt, dass Jasper der Mary überhaupt nicht zusteht, weil sie mit ihm nicht verwandt ist. Es wurde bestimmt, dass Jasper unter der Woche der Mutter gehört und am Sonntag und an den Feiertagen dem Vater. Jasper hielt sich aber nicht an diese Abmachung. Kaum ließ man ihn ein bisschen allein, ob unter der Woche oder am Sonntag, lief er weg und zu Mary. Und die musste ihn dann wieder zurückbringen, weil sie sonst eine Kindesentführerin gewesen wäre. «Und darum», erklärte mir Peter Stollinka, «haben sie ihn dann auch in die Internate gegeben. Weil die dort mehr Zeit und Möglichkeiten haben, einen am Weglaufen zu hindern!»

Natürlich erfuhr ich von Peter Stollinka noch eine Menge mehr: Dass der Jasper den Tom einmal derart gebissen hatte, dass der Tom verarztet werden musste. Dass er sich einmal tückisch auf dem Klo eingesperrt hatte und einen ganzen Tag lang nicht herausgekommen war und die Familie Pickpeer zur Nachbarin aufs Klo hatte gehen müssen. Dass er das Schachspiel, das ihm sein Vater zu Weihnachten geschenkt hatte, sofort nach der Übergabe zum Fenster hinausgeworfen hatte. Nur um Haaresbreite hatte der schwere Holzkasten den Kopf eines Passanten verfehlt. Und dem Peter Stollinka hatte er vergangenen Sommer einen Teller voll heißer Tomato-Soup über den Kopf gegossen. Und ihm ein anderes Mal so heftig gegen das Schienbein getreten, dass es «fast» gebrochen war. Und den Tom hatte er oft angespuckt. Und an den schwarzen Haaren gezogen. Und schließlich erfuhr ich noch, dass Jasper seit Anfang des Jahres nicht mehr davonlief, weil Mary wieder geheiratet hat und jetzt in Amerika wohnt. «Und dass er übers Meer zu ihr schwimmen kann», sagte Peter, «glaubt er ja doch nicht!» Und darum musste Jasper jetzt auch nicht mehr ins Internat. «Leider», sagte Peter, «jetzt hat ihn der Tom komplett am Hals! Aber in der letzten Zeit, hat mir der Tom geschrieben, ist er gar nicht mehr so wütend-wild-bös. Er haut nicht mehr und brüllt nicht mehr. Er muffelt nur und stinkt und frisst sich auf einen Sack!»

Ich schleppte zwei Einkaufstaschen und drei Plastiksäcke voll Nahrung nach Hause und hievte sie in zwei Touren die Wendeltreppe hinauf.

Bille war im Bad und föhnte noch immer an ihren langen Haaren herum. Jasper hockte in seinem Zimmer auf dem Boden und sortierte Steine. (Es verging kein Tag, ohne dass er sich eine Zeit lang dieser Beschäftigung hingab.) Ich stellte meine Taschen und Säcke in die Küche. Ordentlicher Knabe, der ich bin, räumte ich sogar den verderblichen Teil der Ware in den Kühlschrank. Dann las ich die Zeitung, die ich mitgebracht hatte, bis das Föhngebrumme nicht mehr zu hören war, dann rief ich: «Bille!» Und als Bille fragend zur Badezimmertür herausschaute, winkte ich sie heran und sagte ihr, dass ich ihr etwas erzählen müsse, dass ich das aber auch dem Papa und der Mama erzählen müsse und dass sie daher mit mir ins Schlafzimmer kommen möge, damit ich nicht zweimal dasselbe erzählen muss. Wir gingen also ins Schlafzimmer. «Wo ist meine Zeitung?», fragte der bettlägrige Papa. «Hast du mir Kamillentee gekauft?», fragte meine Spiegel putzende Mama. (Im Schlafzimmer steht ein achttüriger Schrank, der hat auf jeder Tür einen Spiegel montiert. An diesen Spiegeln wischt meine Mutter täglich eine halbe Stunde herum.)

Ich sagte, dass Tee und Zeitung eingekauft seien, dass ich ihnen aber etwas Wichtiges zu berichten habe. Und dann erzählte ich ihnen Jaspers Lebenslauf. Ich weiß nicht, ob ich ihn speziell ergreifend schilderte, meine Mutter war auf alle Fälle speziell ergriffen. Schon bei der Stelle, wo Mary den Jasper nicht mehr hergeben will, hörte die Mama zu putzen auf. Und bei Jaspers Internatsverschickung zündete sie sich eine Zigarette an. Obwohl sie fürs Schlafzimmer Rauchverbot ausgegeben hat. Als ich mit meinem Jasperbericht fertig war, hockte eine rauchende, tief erschütterte Mama auf der Kante vom Bett eines rauchenden, tief erschütterten Vaters, und Bille, die manchmal leicht gerührt sein kann, stand beim Fenster und wischte Tränen aus den Augen. «Ist ja schrecklich», murmelte mein Vater. «Was man Kindern so antut! Ist ja kein Wunder, wenn sie dann so werden! Ist ja ein Wunder, wenn sie sich nicht umbringen!»

Die Mama drückte ihre Zigarette in der Untertasse von Papas Kamillenteehäferl aus (für jeden, der sie kennt, eine unvorstellbare Fehlleistung) und stand auf. Dann sagte sie: «Tut mir leid! Ehrlich!», und ging mit dem Tschick in der Untertasse aus dem Zimmer. Der Papa starrte vor sich hin und rieb sich den Nasenrücken. Bille sagte zum Papa: «Und ihr denkt nur daran, wie man ihn schnell loswird! Fein find ich das!» Der Papa bekam ein verschrecktes Gesicht. «Wieso – aber nein, aber gar nicht», stammelte er. Er wusste ja nicht, dass ich mich lauschend über die Abschubpläne informiert hatte.

Die Mama kam zur Schlafzimmertür zurück. «Ich hab ja nicht gewusst, dass er so arm dran ist», sagte sie. «Jetzt weißt du es!», rief Bille. Die Mama nickte!

Sonntag, 2. August
Die Mama gab sich mehr Mühe, als ich für möglich gehalten hatte. Die Speisekammer sperrte sie wieder auf und ließ dem Jasper durch Bille ausrichten, er möge sich bedienen, sooft er wolle. Und dem Jasper lächelte sie, wenn sie ihm begegnete, zaghaft zu. Der Papa erhob sich gegen Mittag vom Krankenlager. Er sagte, es gehe ihm schon besser, und er fragte, ob wir etwas unternehmen wollten. (Ich bitte zu beachten: Er gab keine Lösung aus, er fragte nach unseren Wünschen!) Zu Jasper sagte er: «Have you a wish to forbring the day?»

Jasper grinste ein wenig und antwortete: «Ja! Die Untergehung von Prater mit Flipper zu wünschen!» (Jasper kann viel besser Deutsch. Er wollte bloß eine sprachlich ebenbürtige Antwort geben.)

Der Papa fuhr wirklich mit uns in den Prater. Er flipperte sogar. Ziemlich heftig. Ich glaube, es machte ihm Spaß. Bille sagte, sie finde ihn richtig rührend. Sie hatte recht.

Montag, 3. August
Dienstag, 4. August
Mittwoch, 5. August
Donnerstag, 6. August
Freitag, 7. August

Bei uns zu Hause roch es komisch, weil die Mama viermal am Tag Pommes frites für Jasper herstellte. Und abwechselnd für ihn Makrelen, Heringe und sogar Forellen auf den Grill legte, um ihm halbwegs sein Leibgericht Fish and Chips zu ersetzen. Jasper futterte wie verrückt. Und schenkte der Mama bei der Übernahme jeder Portion ein breites Lächeln, das die Mama erwiderte. Eigentlich grinsten sie einander ständig an wie frisch lackierte Hutschpferde. Aber so weit, dass sie miteinander reden konnten, waren sie halt noch nicht. Der Papa brachte jeden Abend englische Comics für Jasper. Die las Jasper bis spät in die Nacht hinein. Manchmal las er aber auch in einem Buch, das er mitgebracht hatte. Es hieß Finnegans Wake und war von einem James Joyce. Jasper sagte uns, er verstehe das ganze Buch überhaupt nicht, aber es sei trotzdem wunderschön.

Am Abend pokerten wir zu fünft. Manchmal mit Karten, manchmal mit Würfeln. Dabei stellte sich heraus, dass die Mama eine unheimliche Karten- und Würfelspielerin ist. Eine richtige Hasardeurin. «Genau wie dein Vater», sagte der Papa.

Und die Mama sagte: «Eben! Darum bin ich ja so dagegen!»

Den Freitagnachtfilm schauten wir auch an und lachten dabei viel, weil der Papa dauernd einschlief und nur bei den Schüssen munter wurde und dann «so was Brutales» murmelte und wieder einschlief.

Und Freitagabend – vor dem Nachtfilm – badete Jasper. Ohne Aufforderung. Die Mama war stolz darauf. «Soll ich ihn loben nachher?», fragte sie mich. Das fand ich übertrieben. Aber ein Lob für die Mama hielt ich angebracht. Ich sagte ihr, dass sie in den letzten Tagen einfach Spitze gewesen sei.

Die Mama freute sich enorm. «Ich bin ja wirklich kein Unmensch», sagte sie. «Wenn ich weiß, wie es kommt, dass jemand so verquer ist, dann hab ich Verständnis dafür!»

Bille, die das mit anhörte, sagte rügend: «Und genau das geht mir auf den Wecker! Auf die Idee, Leute einfach so zu mögen, ohne dass man sie versteht, kommst du nicht!»

Ich deutete der Bille, Ruhe zu geben. Aber die wollte nicht, die fuhr fort: «Du bist nämlich nur bereit, Leute zu lieben, die sich absolut wohl verhalten! Für Wohlverhalten kriegt man von dir als Gegenleistung Liebe! Und den Jasper liebst du ja auch gar nicht! Mitleid hast du mit ihm! Aber Liebe ist was ganz anderes! Und uns würdest du auch nicht lieben, wenn wir nichts mehr lernen täten und Hasch rauchten und Geld stehlen würden!»

Die Mama wurde, je länger Bille redete, immer blasser und verwirrter. «So hör doch auf», rief ich.

Ich fand das unerhört. Bille benahm sich wie die Mutter von Robert. Der war in Mathe auf einem Fünfer gewesen, einem katastrophalen. Dann hatte er sich unheimlich bemüht und gelernt wie eine Brummhummel und hatte bis zum Schulschluss einen ordentlichen Vierer geschafft. Und als er den ordentlichen Vierer zu Hause stolz verkündete, gratulierte ihm seine Mutter nicht etwa, sondern sie hielt ihm einen langen Vortrag, dass er leicht ein Befriedigend oder ein Gut haben könnte, wenn er mehr gelernt hätte.

Wenn sich wer bemüht, Wurscht, ob es sich um ein Kind oder eine Mutter handelt, finde ich, soll man das anerkennen und nicht davon reden, was der noch alles nicht richtig macht!

Aber sonst war das, alles in allem, eine wirklich schöne Woche. Und wenn’s tatsächlich in Familien so was gibt wie Harmonie, dann war’s ein bisschen von der, was ich in der Woche gespürt habe.

Samstag, 8. August
Sonntag, 9. August

Wir packten für die Urlaubsfahrt, die eine österreichische werden sollte. Die Mama ging mit Jasper eine Badehose und Schwimmflossen kaufen. Und der Papa kaufte dem Jasper einen Wahnsinnskoffer. Einen außen blechernen, innen samtenen, mit vielen Abteilungen und verschließbaren Behältern. Für die Steinsammlung. Jasper war sprachlos vor Glück. Um meinem Vater das zu zeigen, badete er am Samstag und am Sonntag. Und hob fast alle Papiertaschentücher, die er fallen gelassen hatte, wieder auf.

Mich fragte er Sonntag am Abend, warum sich meine Parents so geändert haben. Da ich nicht gut sagen konnte: Weil sie über deinen unglücklichen Lebenslauf erschüttert sind, sagte ich: «Ach, die brauchen immer eine gewisse Zeit, bis sie ihren vollen Liebreiz entfalten!» «So geht es mir auch», sagte Jasper und grinste.

Fortsetzung folgt

Nach: Christine Nöstlinger: Das Austauschkind. Verlag Beltz, 2. Aufl. 2006.