Sonderthema
Carl Zuckmayer zu Gründgens’ Art, «auf dem Rasiermesser Seil zu tanzen»
Für den Dramatiker Carl Zuckmayer (1896–1977) ist der durch die NSDAP umworbene Theaterstar Gustaf Gründgens politisch sehr wendig, aber «kein eiskalter Ehrgeizling» gewesen. «Ohne sich direkt für andere zu riskieren – und vermutlich sehr subjektiv, nach persönlicher Neigung oder Abneigung, aber auch vielfach aus Respekt vor Niveau und Können, hat er in seiner Machtposition vielen Künstlern geholfen und viele (wie etwa Erich Ziegel), die ganz ausgeschaltet waren, wieder auf dem Theater durchgesetzt», heißt es in einem kürzlich veröffentlichten Dossier Zuckmayers. Der Dramatiker hatte 1943/1944 im US-Exil rund 150 Charakterstudien mit politischer Einschätzung über deutsche Künstler und Intellektuelle für den amerikanischen Geheimdienst geschrieben. Die im Literaturarchiv Marbach lagernden Studien wurden wissenschaftlich kommentiert herausgegeben.
«Aber natürlich sind seine fouché1-haften Züge nicht zu übersehen», urteilte Zuckmayer weiter und fuhr fort: «Immerhin ist sein Umschwung vom radikalen ‹Kulturbolschewisten› zum Götterliebling der Nazis eher begreiflich, weil ‹naturgemäßer› als der anderer Gesinnungshelden.» Zuckmayer schloss auch einen künftigen «Salto mortale» von Gründgens zum 1943 gegründeten Nationalkomitee Freies Deutschland nicht aus, das in Opposition zum NS-Regime stand. «Vielleicht werden wir mit ihm (Gründgens) noch Überraschungen erleben.»
1Fouché, Joseph, Herzog von Otranto (ab 1809), * Le Pellerin bei Nantes 21. 5. 1759, † Triest 25. 12. 1820, frz. Politiker. Während der Frz. Revolution Mgl. des Konvents (Bergpartei); leitete 1793 das Blutgericht zu Lyon (1600 Todesurteile); 1794 führend am Sturz Robespierres beteiligt; bereitete den 18. Brumaire vor und war 1799–1802 und 1804–1810 Polizei-Min. Napoleons I.; verhasst wegen seines Spitzelsystems, mit dessen Hilfe er eine gewaltige Macht und großen Reichtum gewann; 1813 Gouverneur der illyr. Prov.; schloss sich 1814 den Bourbonen an; 1815 erneut Napoleons I. Polizei-Min.; bereitete gleichzeitig die Rückkehr Ludwigs XVIII. vor und trat für kurze Zeit an die Spitze der provisor. Regierung; 1816 als «Königsmörder» verbannt.