Главная страница «Первого сентября»Главная страница журнала «Немецкий язык»Содержание №1/2008

Hauslektüre im Deutschunterricht

Didaktisierungsvorschlag zum Buch von Christine Nöstlinger «Das Austauschkind»

I. Schorichina ,
Moskau ;
N. Bunjajewa

Fortsetzung aus Nr. 06, 09, 10, 12, 13, 14, 15, 16, 18, 19, 20, 21, 22, 24/2007

Lesetext
Kapitel 10

Die zweite Halbzeit mit Jasper

Montag, 10. August
Dienstag, 11. August
Mittwoch, 12. August
Donnerstag, 13. August
Freitag, 14. August

Die ersten fünf Urlaubstage verbrachten wir am Attersee. Jeden Tag schien die Sonne. Der See war trotzdem schweinskalt. Jasper machte das nichts aus. Stundenlang war er beflosst und beschnorchelt unterwegs. Wir segelten auch mit einem Freund vom Papa, der ein riesiges Segelboot hat. Jasper war begeistert vom Segeln. Wenn er erwachsen ist und sein Vater tot ist und er das Geld von seinem Vater geerbt hat, sagte er uns, dann kauft er sich ein Segelboot und lebt nur noch zu Wasser. Mit einem langen Bart, den er sich wachsen lässt. Im Hotel nannten alle Angestellten den Jasper nur «Ketchup», weil er zu den Mahlzeiten bloß eine Dreifachportion Pommes frites und eine Flasche Ketchup bestellte. Nicht einmal die Hotelfische mochte er, obwohl das Spitzenfische waren. Die Mama behauptete, Jasper müsse einen Defekt in den Geschmackspapillen haben. «Der Fisch, der ihm am besten geschmeckt hat», sagte sie, «war der, der mir am Grill total verkohlt ist!» Jasper hatte wirklich einen abartigen Geschmack. Er legte – zum Beispiel – ein Sackerl mit Drops zuerst einmal ins Wasser und dann auf das heiße Blech des Hotelfensterbretts in die Sonne, bis die Drops nichts als eine klebrige Masse waren. Die tat er dann in den Hotelzimmer-Eisschrank und ließ sie erstarren. Erst dann lutschte er begeistert daran. Gern rührte er sich auch in die Frühstücksmilch sechs Löffel Marillenmarmelade. Und das Achtel Bier, das ihm der Papa zum Nachtmahl genehmigte, zuckerte er. (Die Mama war gegen das Bier für Jasper, aber der Papa sagte, sie brauche sich nicht aufzuregen: in ihrer Nussstrudelfülle sei pro Stück mehr Alkohol als in einem Bierachtel, durch den Rum, den sie hineintut.)
Am Donnerstag wollten wir eine Segelpartie machen. Und Jasper wollte den Blechkoffer mitnehmen, weil sich der Freund vom Papa für die Steine interessierte. Bis heute ist es mir ein Rätsel, wie das vor sich gegangen ist! Bille, Jasper und ich standen in der Hotelhalle, Jasper den Blechkoffer bei Fuß. Wir warteten auf die Mama und den Papa, die noch in ihrem Zimmer waren. Ein kleiner Bub war auch in der Halle, der spielte mit einem Gummiball herum. Der Ball rollte zu uns her, Jasper stoppte ihn und wollte ihn zurückschupfen. Da er annahm, der kleine Kerl könne aus einer so großen Distanz nicht fangen, ging er ein paar Schritte zu ihm hin und schupfte. Der Kleine fing, Bille und ich riefen: «Bravo!» Der Kleine schupfte wieder. Diesmal zu mir. Ich schupfte zurück. Aber das alles dauerte höchstens eine Minute. Als wir dem kleinen Buben wieder den Rücken zukehrten, war der Blechkoffer weg. Wir suchten überall. Vergebens. Bille sagte unentwegt: «Wer stiehlt denn Steine! Das ist doch blödsinnig!» Jasper setzte sich auf einen der dicken Ledersessel in der Halle und weinte leise vor sich hin. Mit so vielen Tränen, dass sogar sein Bauch nass wurde. Dann kamen der Papa und die Mama. Die Mama sagte, weitersuchen habe da keinen Sinn. Der Dieb habe sicher nicht gewusst, dass Steine im Koffer sind. Weil der Koffer ein Luxuskoffer war. Teure Fotoausrüstungen – zum Beispiel – hat man in solchen Koffern. Auf so was, sagte die Mama, wird der Dieb gespitzt haben. Jasper war so verzweifelt, dass er sich von der Mama anstandslos streicheln ließ und an ihrer Brust, mit der Nase tief in ihrem Busen, schluchzte. Im Hotel entstand einige Aufregung und bald suchten alle nach dem Blechkoffer von «Ketchup». Jasper bemerkte das gar nicht. «I wish I were dead!», murmelte er dauernd in den Mamabusen hinein und die Mama murmelte streichelnd: «Oh no, my dear, oh no!»
Das ging so lange weiter, bis der Papa – und dafür vergebe ich ihm etliche seiner Fehler – entschlossen sprach: «Jasper, my honourword! We drive first off, when all stones are back!» Da hörte Jasper zu weinen auf und wischte sich Tränen und Rotz an Mamas Kleiderärmel ab. Die Segelpartie fand an diesem Abend nicht mehr statt.
Der Papa, die Mama, Bille, Jasper, ich, der Freund vom Papa, seine Frau, ihr Bruder und drei ziemlich wildfremde Hotelgäste, die wir nur vom Frühstück her kannten, saßen in der Hotelhalle und entwarfen folgendes Schreiben: Aufruf!
Aus der Halle des Hotels Schaßerg ist ein Alukoffer (60 mal 40 mal 20) abhanden gekommen. Sein Inhalt, eine Steinsammlung, hat wirklich nur für den Besitzer, einen 14-jährigen englischen Knaben, Wert. (Für diesen aber einen enormen!)
Wir ersuchen, den irrtümlich mitgenommenen Koffer ehestens wieder im Hotel Schaßerg abzugeben! Falls sich der momentane Besitzer dieses Koffers von diesem nicht trennen kann, möge er den Inhalt in einem anderen Behältnis retournieren!
Jasper übersetzte den Brief in die englische Sprache. Die Frau vom Freund meines Vaters in die französische, der Bruder der Frau vom Freund meines Vaters in die italienische Sprache und der Hotelportier in die holländische. Weil der Dieb ja auch ein Ausländer sein konnte. Die Mama tippte auf der Hotelschreibmaschine den Aufruf in allen Sprachen ab und der Papa kopierte ihn stoßweise auf dem Hotelkopierer.
Dann, und da war es schon ziemlich spät, machten wir uns in vier Autos auf den Weg. Überall verteilten wir die Zettel. In Wirtshäusern, in Hotels und Restaurants, in den Discos, auf der Straße, rund um den ganzen See.
Wir klebten die Zettel auf Auslagenscheiben und Rollbalken. Sogar an Heustadeln und Kuhställen abseits der Uferstraße klebte der Zettel. Wäre das Unternehmen nicht wegen Jaspers Schmerz so traurig gewesen, wäre es ein Mordsspaß gewesen.
Gegen Mitternacht kamen wir hundemüde ins Hotel zurück.
«We made what we could», sagte der Papa tröstend, «and tomorrow I think what other out!» Am nächsten Morgen musste der Papa aber nichts anderes mehr «out-thinken». Der Blechkoffer wurde im Morgengrauen von einem Stubenmädchen vor der Hoteltür gefunden. Am Henkel hing ein kleiner Beutel. Darin war ein Zettel, darauf stand: «Sorry!» Und zwei Steine waren im Beutel. Ein ganz rosaroter flacher mit weißen Sprenkeln und ein dunkelgrauer, ovaler mit einem weißen Querstreifen. Jasper konnte vor Glück stundenlang kein Wort reden. Und die Mama sagte: «Es gibt doch noch Diebe mit Herz!»

Samstag, 15. August (Feiertag)
Wir fuhren nach Salzburg und aßen im Tomaselli Eis. Jasper ließ den Koffer nicht aus der Hand. Er überlegte sogar, ob er ihn nicht am Handgelenk festbinden solle. Zu Mittag fuhren wir nach Innsbruck weiter. Es war eine Affenhitze im Auto. Windbäckerei hätte man auf der hinteren Ablage backen können. Ob es von Innsbruck bis Rom «far» sei, fragte mich Jasper.
«Tausend Kilometer far», sagte ich. «Warum fragst du?» Jasper tat, als habe er keinen besonderen Grund dazu gehabt.
In Innsbruck gingen wir das Goldene Dachl anschauen und Tiroler Speckknödel essen. Jasper versorgte sich vorher mit drei Stanitzel Pommes frites und aß, weil die im Speckknödellokal kein Ketchup hatten, eine Plastikflasche Senf leer. Bille jammerte. Sie wollte nicht in Innsbruck bleiben. Sie wollte nicht weiter nach Vorarlberg. Sie wollte über den Brenner, nach Bozen. «Weil es dort hübscher ist», sagte sie. Aber ich kenne sie. Sie wollte wegen der Kleider und der Schuhe nach Bozen. Sie steht auf italienische Mode. Die Mama hatte auch nichts gegen Bozen. Wahrscheinlich ebenfalls wegen der Mode.
Der Papa und ich wollten nicht über den Brenner. Weil das nämlich kaum auszuhalten ist. Wir kennen das schon! Wir müssen dann mit Bille und der Mama vor lauter Auslagen stehen und Pullover und Hosen und Sandalen anglotzen. Und in oder vor Geschäften warten, bis sie sich zu einem Ankauf entschlossen haben. Wir hatten also einen Stand von zwei zu zwei, und bei diesem Stand kam es nun, demokratisch, wie wir uns neuerdings verwalteten, auf Jaspers Meinung an. Jasper fragte, ob Bozen weniger far von Rom entfernt sei als Tirol und Vorarlberg. Als wir ihm dies bejahten, stimmte er schließlich auch für Bozen.

Sonntag, 16. August
Wir schauten in Bozen Auslagen an. Den ganzen Tag. Nur Schuhe und Hosen und Pullover und Röcke. Ganz schwindlig wird man davon im Kopf und fußmüder als vom Matterhornerklettern. Dabei war ich am Morgen schon todmüde. Weil wir nur noch ein Zweibett- und ein Dreibettzimmer bekommen hatten – wir hatten ja nichts vorbestellt –, schliefen Bille und ich zusammen mit Jasper. Sein Schnarchen ist tatsächlich fast tödlich. Ich habe so was noch nie erlebt! Und er schnarchte ja nicht nur, er grunzte, er wimmerte, er murmelte. Manchmal klang es auch fast wie Weinen.

Montag, 17. August
Bille und die Mama kauften ein. Was sie alles kauften, weiß ich nicht genau. Ich kann nur sagen, sie kauften vier Tragetaschen voll. Das weiß ich, denn die Mama zählte sie, sooft wir zum Eisessen, Kaffeetrinken oder sonst was Rast machten, hinterher immer wieder ab. Damit sie nicht irgendwo eine stehen ließ. Am Abend gingen der Papa, Jasper und ich allein spazieren. Bille und die Mama blieben im Hotelzimmer und probierten Schuhe und Kleider und tauschten unentwegt miteinander. So auf die Art: «Bille, das Rosane ist doch nichts für mich! Willst du es nicht lieber?» Und: «Mama! Die gelben Sandalen täten mir jetzt doch fast besser passen!» (Ein Glück, dass die zwei dieselbe Schuhnummer und Kleidergröße haben!) Bille und die Mama waren an diesem Tag ein Herz und eine Seele! Dass sie sonst oft ärgere Schwierigkeiten miteinander haben, hätte an diesem Kleidertag niemand für möglich gehalten. (Die Mama benahm sich so wie die «größere Schwester». Ich meine, manche Mütter sagen das ja hin und wieder: «Meine Tochter und ich, wir sind wie Schwestern!» Die «zwei Schwestern» zu Bozen jedenfalls waren ein bisserl wahnsinnige Schwestern. Und auf den Papa und mich waren sie nicht gut zu sprechen. Weil wir keine Textilien gekauft hatten. «Das schaut jetzt so aus», jammerte die Mama, «als ob wir zwei die Verschwender wären und ihr die Sparsamen!» Aber es schaute ja nicht nur so aus, es war so! Und der Papa verlor auch ein paar passende Worte über die nicht unerschöpfliche Reisekasse.)

Dienstag, 18. August
Eine Nacht voll Schnarchen! Und am Morgen bekamen die Mama und Bille plötzlich Sehnsucht nach dem Süden.
«Papa-Darling, zumindestens bis Florenz!», schnorrte Bille. «Unsere Kunsterziehungslehrerin hat gesagt, die Kunstschätze von Florenz muss man gesehen haben!» Hahaha! Kunstschätze! Einen Trenchcoat von Armani meinte sie! Da verwette ich mein linkes Ohrwaschel dagegen! Oder dafür?
Wenn ein Lehrer etwas empfiehlt – siehe englisches Camp –, findet das meine Mutter immer beachtenswert. Und Armani-Trenchcoats schätzt ja auch sie ungemein. Unverzollte besonders.
Aber der Papa und ich, wir wollten wieder nicht. Wegen unserer Haut. Darum fahren wir ja auch nie ans Meer im Urlaub. Wir kriegen in südlicher Hitze, bei südlichem Licht, in südlicher Sonne überall rote Wimmerln, die jucken.
Unsere juckenden Wimmerln taten die Mama und Bille mit dem Hinweis auf kommendes Schlechtwetter ab.
Ab morgen, erklärten sie, sei es in Florenz weder sonnig noch licht noch heiß. Die Gier nach Armani-Schaufenstern und Fiorucci-Auslagen und Laura-Spagnoli-Passagen funkelte ihnen aus den Kulleraugen. Die Entscheidung lag also bei Jasper. Und der fragte wieder, ob Florenz näher an Rom liege als Bozen. Und plädierte nach wahrheitsgemäßer Auskunft für Florenz. Die Frage, warum Jasper Rom möglichst nahe sein wollte, beschäftigte den Papa und mich nun schon ziemlich intensiv.
Nachdem der Papa verkündet hatte, dass wir unseren Urlaub aus Budgetgründen werden verkürzen müssen, fuhren wir also nach Florenz.

Nach: Christine Nöstlinger: Das Austauschkind. Verlag Beltz, 2. Aufl. 2006.

Fortsetzung folgt