Sonderthema
Parzival von Wolfram von Eschenbach
Im Parzival verbindet Wolfram von Eschenbach wie seine Hauptquelle, Li Contes del Graal (1180/90) von Chrétien de Troyes, die rein religiöse Grals- mit der säkularen Parzival-Geschichte aus dem Sagenkreis um König Artus. Kennzeichnend für Wolframs Bearbeitung ist u. a. die enge Verzahnung zwischen Rittertum, Religion (speziell Sündenlehre), weltlicher Liebe und vor allem Eheliebe. Auffällig ist die besondere Rolle, die der Genealogie bei Wolfram zukommt: Zwischen den zahlreichen Personen, die er teils aus seinen Quellen übernommen, teils selbst eingeführt hat, werden immer wieder Verwandtschaftsverhältnisse konstruiert.
In Anlehnung an die durch Initialen gekennzeichnete Einteilung einiger Handschriften hat der erste Herausgeber das knapp 25 000 Verse umfassende Epos in 16 «Bücher» eingeteilt. Die Handschriften verfahren aber nicht alle gleich, und es ließen sich auch andere sinnvolle Großabschnitte bilden. Kennzeichnend für die Struktur des Epos ist ein mehrfacher Perspektivenwechsel durch das Nacheinander von personendominierten Handlungsblöcken. Die Grenzen dieser Blöcke decken sich oft mit denen der sogenannten Bücher oder von Buchgruppen, verlaufen aber teilweise auch innerhalb von Büchern. Wie Wolfram selbst sich die Struktur gedacht hat, ist nicht mehr rekonstruierbar, da keine vom Autor selbst stammende Handschrift erhalten blieb.
Kurzinhalt
Parzivals Vater Gahmuret stirbt im Kampf. Die Mutter Herzeloyde isoliert den Sohn, um ihm ein ähnliches Schicksal zu ersparen, von jedem Kontakt mit der adligen Gesellschaft. Nachdem er aber im Wald drei Ritter getroffen hat, will er an den Artushof ziehen. Trotz seines naiven Wesens erregt er dort auch positive Beachtung. Indem er einen Ritter mit seinem Jagdspieß tötet, erwirbt sich Parzival eine Rüstung und wird wegen deren Farbe «der rote Ritter» genannt. Der alte Gurnemanz nimmt ihn in seine Obhut und unterweist ihn im Kampf und im höfischen Benehmen. Danach zieht Parzival aus, um sich zu bewähren, hilft der Königin Condwiramurs, deren Stadt von einem Bewerber belagert wird, und heiratet sie anschließend. Obwohl sie von ihm schwanger wird, zieht er weiter. Er findet die Gralsburg Munsalvaesche und erlebt das Zeremoniell eines Speisewunders mit. Den kranken Gralskönig Anfortas nach dem Grund für sein Leiden zu fragen, unterlässt er, weil er bei Gurnemanz gelernt hat, im Gespräch zurückhaltend zu sein. Durch diese Frage hätte Anfortas jedoch erlöst werden können. Am nächsten Morgen ist die Gralsburg verschwunden.
Parzival kehrt wieder zum Artushof zurück und wird in die Tafelrunde aufgenommen. Bei einem Fest erscheint die Gralsbotin Cundrie und verflucht ihn wegen der unterlassenen Frage. Viereinhalb Jahre zieht er umher, um den Gral zu finden, fühlt sich von Gott verlassen und sagt ihm sogar Fehde an. An einem Karfreitag kehrt er bei dem Einsiedler Trevrizent ein. Dieser klärt ihn sowohl über die Geschichte des Grals als auch über Details seiner Familiengeschichte auf: Trevrizent und Anfortas sind Brüder von Herzeloyde, und auch der Ritter, den Parzival getötet hat, um seine Rüstung zu erhalten, war mit ihm verwandt. Parzival ist erschüttert, aber es gelingt Trevrizent, ihn von der Barmherzigkeit Gottes zu überzeugen.
Bei seinem nächsten Kampf unterliegt Parzival. Der Sieger ist, wie sich herausstellt, sein Halbbruder Feirefiz, Sohn Gahmurets und der Heidenkönigin Belakane. Gemeinsam ziehen sie zum Artushof, wo erneut Cundrie erscheint – diesmal aber, um zu verkünden, dass Parzival zum Gralskönig berufen worden sei. Feirefiz und Parzival reiten los und finden die Gralsburg wieder. Diesmal stellt Parzival die «Erlösungsfrage». Er holt Condwiramurs zu sich und lebt mit ihr zusammen als neuer Gralskönig.
In die Parzivalgeschichte ist die Geschichte Gawans, des «Musterritters» der Tafelrunde, eingelagert. Auch Gawan bricht vom Artushof auf, weil ihn eine schwere Beschuldigung getroffen hat: Er soll ein Mörder sein und wird zum Zweikampf gefordert. Auf dem Weg dorthin wird er in mehrere Kämpfe und Abenteuer verwickelt, gewinnt die Liebe Orgeluses und lädt Artus und seinen Hofstaat zu einem Fest ein. Ohne sich gegenseitig zu erkennen, kämpfen Parzival und Gawan gegeneinander und können nur mit Mühe getrennt werden. Dann gelingt es Artus, alle Feindschaften zu beenden. Es folgt ein Fest, bei dem einige Hochzeiten stattfinden. Parzival verlässt schließlich die feiernde Gesellschaft.
Literaturgeschichtliche Einordnung
Unter den Versromanen der mittelhochdeutschen Literatur hebt sich Wolframs wilde maere – von Gottfried von Straßburg im sogenannten ‹Literaturexkurs› des Tristan eigentlich polemisch abwertend gemeint – gleich in mehrfacher Hinsicht hervor.
Mit seiner komplexen Sinnstruktur und aufwendigen erzählerischen Komposition ist der Parzival keineswegs «leichte Lektü-
re» – dennoch hat das Epos mit über 80 überlieferten Textzeugnissen eine einzigartige Wirkungsgeschichte, es wird quasi ein «Bestseller» des Mittelalters. Das war eine «literarische Sensation», die das Werk gewesen sein müsse, so häufig zitiert und kopiert wie kein anderes im 13. Jahrhundert. Wolfram verarbeitet alle geläufigen Problemstellungen der literarischen Epoche – teilweise kritisch ironisierend, teilweise für seine Zeit neuartig zuspitzend; dem Roman kommt damit exemplarische Bedeutung für die Themenkomplexe der höfischen Literatur insgesamt zu.
Dabei verfolgt der Autor parallel zum Hauptgeschehen um Parzival eine Vielzahl von weiteren Handlungssträngen. In immer neuen «Würfelwürfen« (Metapher Wolframs im Prolog des Parzival in Bezug auf sein eigenes narratives Verfahren) spielt er die politischen, gesellschaftlichen und religiösen Probleme, vor die sich Parzival gestellt sieht, mit anderen Protagonisten durch und entfaltet die Romanhandlung so zu einer umfassenden Anthropologie. Wolfram selbst war sich dessen bewusst, dass seine oft sprunghafte, bildreich assoziierende Erzählweise neu und ungewöhnlich war; er vergleicht sie mit dem «Hakenschlagen eines Hasen auf der Flucht vor Ignoranten» («tumben liuten») und betont damit, wiederum gegenüber Gottfried, der dieselbe Metapher spöttisch abwertend verwendet, selbstbewusst seine auffällige sprachkünstlerische Formkraft und inhaltliche, thematische Fantasie.
Auffällig und ungewöhnlich für einen mittelalterlichen Autor ist schließlich, wie souverän Wolfram den vorgefundenen Stoff neu arrangiert und gemäß den eigenen literarischen Ideen und Intentionen bearbeitet.
Bildseite von Parzival, dreigeteilt: 1. festliche Tafel am Artushof, 2. Zweikampf Parzivals mit seinem Halbbruder Feirefiz, 3. Parzival und Feirefiz erkennen sich als Brüder. |
Wirkung
Die große Wirkung des Parzival im Mittelalter lässt sich aus der Zahl der Handschriften ebenso erschließen wie aus Bildzeugnissen, Erwähnungen einzelner Personen in anderen Werken und der Tatsache, dass Adlige ihre Kinder nach Figuren des Epos benannt haben. Im 14. Jahrhundert entstand eine erheblich erweiterte Neubearbeitung. Seit 1783 haben Editionen und Übersetzungen für ein reges Weiterleben des Stoffs gesorgt, wobei die Übersetzungen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts eine oft erstaunliche Zahl von Auflagen erreichten. Noch höher ist die Zahl der dichterischen Bearbeitungen, unter denen die von Johann Jacob Bodmer (1698–1783), Friedrich de la Motte Fouqué (1777–1843), Ludwig Uhland (1787–1862), Gerhart Hauptmann, Tankred Dorst, Dieter Kühn und Adolf Muschg die literaturwissenschaftlich bekanntesten, wenn auch nicht immer folgenreichsten sind. Hinzu kommen eigene Fassungen für die «Jugend», mindestens 15 Dramatisierungen und etwa ebenso viele lyrische, aber auch zwei parodistische Bearbeitungen. Eine Bühnenfassung mit Musik von D.L. Meinecke (1905) ist heute so gut wie vergessen; anders natürlich das «Bühnenweihfestspiel» Parsifal von Richard Wagner (uraufgeführt 1882), in dem der Komponist zwar – wie in allen seinen Bearbeitungen mittelalterlicher Stoffe – massive individuelle Umdeutungen vorgenommen, zugleich aber das Interesse am Stoff bis in unsere Zeit wachgehalten hat.
Der Text ist entnommen aus:
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http://de.wikipedia.org/wiki/Parzival