Sonderthema
Das Rittertum zur Zeit Wolframs von Eschenbach
Wolfram von Eschenbach schrieb sein berühmtestes Werk Parzival ungefähr in der Mitte des staufischen Zeitalters, das von 1152 bis 1250 währte. Es war ein Zeitalter sowohl höchster Macht und Blüte wie jäher Zusammenbrüche.
Eike von Repkow, ein Altergenosse Wolframs von Eschenbach, beschreibt die damalige Zeit mit folgenden Worten: «Zwei Schwerter verlieh Gott dem Erdreiche, zu beschirmen die Christenheit, dem Papste das geistliche, dem Kaiser das weltliche.» Das bedeutete die unter Karl dem Großen entstandene Ordnung des Abendlandes. Christentum und Kirche standen dabei über allem Zweifel. Auf ihnen beruhte bei aller Verschiedenheit der Länder, Völker und Sprachen die Einheit des germanisch erneuerten römischen Caesaren(Kaiser)-Reiches. Der Papst verbürgte die geistliche, der Kaiser die weltliche Einheit. So gab es eine allumfassende Ordnung. In der Praxis aber entstand daraus ein Kampf um den Vorrang, um die Über- und Unterordnung: Wird der Papst erst Papst durch die kaiserliche Anerkennung oder wird der Kaiser erst Kaiser durch die päpstliche Anerkennung?
Die Christlichkeit des Mittelalters führte zu der großen kriegerischen Bewegung der Kreuzzüge. Jerusalem und Palästina, als die Landschaft Jesu Christi, sollten unter christlicher Herrschaft den christlichen Pilgern frei zugänglich werden. Das führte zu Kämpfen mit den mohammedanischen Staaten. Aber eine klare Vorstellung von Mohammedanern hatte man im Abendlande freilich nicht. Sie wurden einfach als «Heiden» bezeichnet, die «Götter» anbeteten. Doch das Rittertum kann auch einen Heiden ehren und ein deutscher Ritter kann ungetadelt einem heidnischen Herrscher dienen. Es ist also die Ritterlichkeit, die den Kämpfern über den religiösen Gegensatz hinweg einen gemeinsamen Rang gibt.
Die Ritter hatten sich im 12. Jahrhundert zu einem «internationalen Stand» entwickelt. Sie waren die vornehmen, mit dem «Ritterschlag» geweihten Krieger hoch zu Ross, im Harnisch, mit Lanze, Schild und Schwert, die in einer nach bestimmten Regeln festgelegten Waffenkunst miteinander kämpften. Es hatte sich dabei ein bestimmtes Ethos des Rittertums herausgebildet, dessen höchste Begriffe der «hohe» Mut (nicht Hochmut, sondern froher, stolzer Sinn) und die «Maße» (das Maßhalten in allem, was man tut) waren.
Ein anderes Ethos jenes Zeitalters war durch das Mönchtum gegeben, das Gegenteil des ritterlich-festlichen Ethos: die Entsagung. Die Gelübde des Mönches lauteten: Gehorsam, Keuschheit und Armut. Die Entsagung nahm aber auch Formen des Einsiedlertums an. Zur Buße für die Sünden zog sich der Ritter oder die Fürstin, dem festlichen Leben entsagend, völlig in die Einsamkeit des Waldes zurück.
In seinen Werken lässt Wolfram von Eschenbach beide Formen des Lebens gelten, die ritterliche wie die mönchische. In der Ritterschaft der mystischen Gralsburg verbindet er beide. Dabei hat ihm eine wirkliche Vereinigung von Rittertum und Mönchtum den Weg gewiesen, eine Lebensform, die durch die Kreuzzüge entstanden war: die «Ritterorden». Schon vor dem ersten Kreuzzug war in Jerusalem ein Hospital für christliche Wallfahrer, die zu Christi Grab pilgerten, gegründet worden. Man nannte es nach dem Namen des heiligen Johannes von Alexandrien. Daraus erwuchs der Orden der in späterer Zeit weit verbreiteten Johanniter.
Nach dem ersten Kreuzzug taten sich sieben oder neun Ritter unter der Führung des burgundischen Ritters Hugo von Payens zusammen zu einem Orden, der sich zur Aufgabe machte, die christlichen Pilger auf ihrem Weg durch Kleinasien zu schützen. Das Ordenshaus lag an einer Moschee, die sich auf jener Stelle befinden sollte, wo einst der Tempel Salomos gestanden hatte. Daher nannten diese Ritter sich die Tempelritter oder Tempelherren. Wolfram von Eschenbach bezeichnete sie als «Tempeleisen», die geheimnisvollen Gralsritter der Parzival-Sage.
Die Zeit Wolframs von Eschenbach war aber nicht nur die Blütezeit des Rittertums und des Mönchtums, sondern auch der deutschen Dichter. An die Stelle der lateinischen Dichtung trat nun die mittelhochdeutsche Dichtung, die über die Dialekte hinweg eine Sprache der höfischen und ritterlichen Welt heranbildete.
An den Höfen der Fürsten trafen sich die dichtenden Ritter, um ihre Werke vorzutragen. Wolfram von Eschenbach, dessen Gönner der Landgraf Hermann von Thüringen war, weilte des Öfteren auf der Wartburg und war dort zusammen mit Herrn Walther von der Vogelweide.
Er verteidigte sich gegen Angriffe, die Meister Gottfried von Straßburg in seinem Epos Tristan und Isolde gegen ihn richtete. Es war ein Menschenalter, in dem die deutsche Dichtung ihren ersten Gipfel erreichte. Die Parzival-Dichtung von Wolfram von Eschenbach ist dabei die Krönung dieser kampferfüllten und hochgemuten staufischen Zeit, einer der größten Epochen der deutschen Geschichte.
Walther von Klingen [Damen beim Turnier] (1310–1330). Universitätsbibliothek Heidelberg |
Auszug aus dem Buch Wolfram von Eschenbach: Parzival. In Prosa übertragen von Wilhelm Stapel. Langen Müller-Verlag 1950.
Der Text ist entnommen aus:
http://www.admacum.com/leben11.htm