Sonderthema
Das Brecht-Kollektiv
In vollem Ernst hat Bertolt Brecht als unverzichtbare «Produktionsmittel» Zigarren und Kriminalromane bezeichnet. Bei dem notorischen Wenigschläfer gehörten vor allem in seinen letzten Jahren zumindest die letzte Stunde des Abends einem Krimi. Auch nicht fehlen durfte das Bier zum Essen, wobei er im Gegensatz zu den Krimis auf Qualität achtete. 1952 suchte er bei der Radeberger Brauerei um die monatliche Zusendung von zwei Kästen nach. Er komme aus Bayern und brauche deshalb zum Essen sein Bier, schrieb er den Sachsen. Die gewünschte Menge wurde daraufhin auch regelmäßig geliefert.
Lehrer und Lernender statt Dichter
So weit zu Brechts Bedürfnissen, was tote oder vergorene Materie anging. Hinsichtlich seiner Arbeit ist Brechts Werk ohne andere Menschen, ob Schriftsteller, Intellektuelle, Musiker oder Schauspieler, nicht denkbar. Der mit Brecht bis zu dessen Tod befreundete Literaturwissenschaftler Hans Mayer schreibt, Brecht habe sich weniger als «Dichter» verstanden denn als «Lehrer» und gleichzeitig «Lernender». Dieses Begriffspaar prägt auch seine theatertheoretischen Schriften Der Messingknauf und Kleines Organon für das Theater.
Fordernd und freundlich
Brecht war von seinem Wesen her fordernd und in seiner Wissenschaft radikal. Bei der Theaterprobe pflegte er jedoch einen Austausch auf einer Augenhöhe, der für alle Beteiligten in der Regel eine bis dahin noch nicht gemachte Erfahrung war. Fast jeder Vorschlag wurde laut Beteiligten ausprobiert, auch wenn er von einem noch so unerfahrenen Assistenten kam. Keine Interpretation egal welcher Textpassage war unantastbar. Der Umgangston war «freundlich», eines von Brechts Lieblingswörtern. Was sich als nicht nützlich oder unzulänglich herausstellte, wurde umgeschrieben. Diese kollektive Arbeitsweise, die sich von Augsburg über München, Berlin und das Exil wieder nach Berlin verfolgen lässt, macht Brecht aus. Sie wurde nach dem Krieg zum Grundkonzept des Berliner Ensembles perfektioniert. Diesem Vorgehen und der Klasse seiner Schauspieler, die sich nicht zuletzt durch dieses Konzept entwickeln konnte, verdankte es seine jahrzehntelange Spitzenposition nicht nur unter den deutschsprachigen Theatern.
Neue Anforderungen an Schauspieler
Brechts episches Theater stellte gleichzeitig völlig neue Anforderungen an Schauspieler. Brecht schrieb «Schau-Spieler». Sie sollten wie er selbst durch Beobachten des Alltäglichen lernen und ihre Rollen erzählen, statt sich in sie zu verwandeln. Bereits vor seinem Exil und vehement nach dem Krieg legte er deshalb Wert darauf, mit Neulingen zusammenzuarbeiten. Einerseits musste er ihnen nicht das Einfühlungstheater abtrainieren, andererseits versprach er sich eigenen Lernerfolg von ihren Fragen. Gemeinsames Scheitern nahm Brecht auf seine Kappe. Am Tag der angekündigten Berliner Uraufführung des Kaukasischen Kreidekreises stand er persönlich vor der Tür, um das Publikum wieder nach Hause zu schicken: «Wir sind noch nicht fertig geworden.»
Der Text ist entnommen aus:
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