Главная страница «Первого сентября»Главная страница журнала «Немецкий язык»Содержание №4/2008

Das liest man in Deutschland

Gefährlich, aber frei

Sabine Appels Biografie eines Philosophen, der keine Frage auf dem Herzen

Wie Johann Gottlieb Fichte bemerkte, hängt die Philosophie, die jemand wählt, davon ab, was für ein Mensch er ist. Einer seiner Studenten, Arthur Schopenhauer, fand wenig Gefallen an Fichtes Vorlesungen. So vertrieb er sich die Zeit im Hörsaal damit, kleine Karikaturen mit lustigen Bemerkungen zum Vortrag des Dozenten zu verfertigen. In seinen Werken sollte er ihn später gar der philosophischen «Windbeutelei» bezichtigen. Mit Blick auf Schopenhauers eigene Philosophie scheint aber doch zumindest einiges an Fichtes Bemerkung dran zu sein. Und wenn dem so sein sollte, kann die Lektüre von Philosophen-Biografien gleich einen doppelten Erkenntnisgewinn bieten, indem sie über den Menschen und das Werk belehrt.

Eine Biografie Schopenhauers – nicht die erste freilich – hat nun Sabine Appel auf den Markt gebracht. Laut Untertitel behandelt sie «Leben und Philosophie» ihres Protagonisten: Ohne auf Fichtes Vermutung zu rekurrieren, erklärt auch sie Schopenhauers Philosophie aus seiner Person. Das heißt zunächst, aus den ihn prägenden Erfahrungen und Erlebnissen als Jugendlicher; mehr noch aber – und zumindest das ist fragwürdig – aus seiner «Veranlagung». Diese habe es dem grantigen Meisterpessimisten im Zusammenspiel mit der fehlenden «mütterlichen Liebe» erschwert, «einen bejahenden Zugang zum Leben zu finden».

Ein besonderes Augenmerk richtet die Autorin denn auch auf Schopenhauers Metaphysik der Geschlechtsliebe und -triebe sowie auf seine Misogynie, die sie in besonderem Maße mit der Biografie des Philosophen engführt, wenn nicht gar direkt aus dieser erklärt.

Schuld an Schopenhauers Frau­en­feindlichkeit sei vermutlich zuvörderst seine – wie Appel betont, allerdings wenig zutreffende – Wahrnehmung der «mütterlichen Rolle in der Ehe seiner Eltern». Allerdings mag Appel die Frauenschmähschrift Über die Weiber «nicht ganz ernst nehmen» und entschuldigt sie als «Polemiken eines alten, vergrämten und einsamen Mannes».

Auf Schopenhauers meist nicht ungetrübtes Verhältnis zu seiner Mutter Johanna – und das nicht weniger komplizierte zu seiner Schwester Adele – wirft Appel zu Recht mehr als nur Schlaglichter. Der Vater verstarb hingegen – vermutlich durch eigene Hand – schon früh und war wohl auch das unbedeutendste Familienmitglied. Doch dafür, dass das Erbe des Kaufmanns Schopenhauer ermöglichte, nicht von der Philosophie leben zu müssen, sondern für sie leben zu können, war der Weltverneiner seinem Erzeuger zutiefst dankbar, ungeachtet dessen, dass dieser seinem Werk wohl kaum mit warmem Verständnis begegnet wäre.

Nach dem frühen Tod des Vaters gestattete die Mutter dem jungen Schopenhauer, sich seinen sehnlichsten Wunsch zu erfüllen und Philosophie zu studieren. Allerdings achtete sie stets darauf, dass ein gewisser räumlicher Abstand zwischen beiden gewahrt wurde. Offenbar mochte sich die Witwe von ihrem Sohn nicht in ihre recht unkonventionelle Lebensweise dreinreden lassen, zu der meist auch eine Liaison gehörte.

Über die Autorin Johanna Schopenhauer – sie zählte zu den erfolgreichsten ihrer Zeit – bemerkt Appel: «Ihre Feder floss leicht, sie schrieb anschaulich und gewandt, auch informativ, doch nie so, dass es anstrengte oder zu sehr in die Tiefe ging.» Das lässt sich in etwa auch über Appel selbst sagen. Die ersten Seiten des vorliegenden Buches lesen sich in manchen Formulierungen allerdings fast schon ein wenig schnoddrig und nicht immer wohl durchdacht. Dass etwas «nicht notwendig, ja überflüssig» sei, klingt nun doch ein wenig redundant und eine «Alternative» «entscheidungsreich» zu nennen, zumindest merkwürdig. Doch derlei Schwächen verlieren sich bald. Was aber bleibt, ist die leichte Feder, mit der Appel eine Lebensbeschreibung verfasst hat, die das Werk Schopenhauers nicht zu kurz kommen lässt und zudem die Einflüsse Platons und Immanuel Kants auf die Gedankenwelt ihres Protagonisten ebenso konzis vorstellt, wie denjenigen von Schopenhauers Lehrer Gottlob Ernst Schulze oder das eigene philosophische System des Willensmetaphysikers.

Fünf Jahre arbeitete der junge Philosoph an seinem Hauptwerk Die Welt als Wille und Vorstellung. Als es 1819 erschien, war sein Autor gerade mal 31 Jahre alt. Den – wie er im Vorwort bemerkt – «einzigen Gedanken» des Buches – «Die Welt ist die Selbsterkenntnis des Willens» – sollte er im Laufe seines Lebens zwar weiter entfalten (so etwa im erst 1844, also mehr als zwanzig Jahre später erschienenen zweiten Band), nie jedoch revidieren oder auch nur modifizieren.

Zu Recht verweist Appel auf das «revolutionär Neuartige» des «Primats des Willens vor dem Erkennen». Hinzu tritt, dass die damit verbundene pessimistische Grundhaltung «den philosophischen Zeitströmungen diametral entgegengesetzt» war. Dies gilt insbesondere für die, wie Schopenhauer schrieb, «ruchlose optimistische Denkungsart» seines philosophischen Lieblingsfeindes Georg Wilhelm Friedrich Hegel, eines – wie Schopenhauer weiter wettert – «Unsinnsschmierers», dessen «Afterweisheit» nichts anderes als «hohler Wortkram» und letztlich eine «philosophische Hanswurstiade» sei.

Da der jugendliche Heißsporn sich seinem etablierten Konkurrenten weit überlegen fühlte, zögerte er nicht, seine erste Vorlesung an der Berliner Universität exakt für die Uhrzeit anzusetzen, zu der Hegel die seine hielt; fest davon überzeugt, ihm die Hörer so ziemlich samt und sonders abspenstig zu machen. Mag Schopenhauer mit der ersten Annahme auch richtig gelegen haben, in dem zweiten Punkt irrte er gewaltig: In den Vorlesungen des bekannten Weltgeist-Erfinders drängten sich nicht weniger als 200 Hörer, zu Schopenhauer verirrte sich kaum eine Handvoll. So wurde die Vorlesung zwar über etliche Semester immer wieder angekündigt. Tatsächlich durchgeführt wurde sie jedoch nur ein einziges, das erste Mal, um künftig mangels Hörermasse Jahr für Jahr auszufallen.
Nicht nur für Hegel und Fichte hatte Schopenhauer kaum mehr als Verachtung übrig, sondern etwa auch für Schelling, den dritten bekannten Idealisten zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Und Schleiermacher, der (in den Worten Appels) verkündete, «keiner könne Philosoph sein, ohne religiös zu sein», hielt er – auch hier wie so oft mit treffender Klarheit – entgegen: «Keiner, der wirklich philosophiert, ist religiös; er geht ohne Gängelband, gefährlich, aber frei.» Genauso wenig wie für den Gottesglauben konnte sich Schopenhauer für den Nationalstolz erwärmen. Diesem würden nur die armseligsten Wichte anhängen, erklärte der Kosmopolit. Nur sie, die selbst nichts zustande brächten, auf das sie stolz sein könnten, rekurrierten behelfsweise auf etwas gänzlich Zufälliges, das sie mit Millionen anderen teilen: das Land, in dem sie geboren sind.

Erst im hohen Alter sollte Schopenhauer die Genugtuung einer beginnenden Anerkennung genießen dürfen. Bis dahin behalf er seiner Eitelkeit mit Belobigungen von Zufallsbekanntschaften, die er eifrig zu notieren pflegte, wie Appel anmerkt. Sie selbst ist alles andere als eine – gar blinde – Verehrerin des Philosophen. Vielmehr ist es ihr gelegentlich geradezu eine Lust, ihn zu verspotten. «Eine Welt», lästert sie etwa über den Pudelbesitzer und Misanthropen, «die sich zusammensetzte aus lauter Hunden, welche ihm nicht widersprachen, wäre eine sicher sehr wünschenswerte für Arthur Schopenhauer gewesen. Doch er musste sie mit seinen zweifüßigen Mitgeschöpfen leider so hinnehmen, wie sie nun einmal war.» Er wird den Spott aushalten müssen. Schließlich war er selbst ein mit geradezu begnadet böser Zunge ausgestatteter Schmähredner.

Die «abschließende Phase» des Lebens ihres Protagonisten lässt die Autorin mit dem Jahr 1833 beginnen. Es war das Jahr, in dem Schopenhauer nach Frankfurt am Main zog und dort ein Dasein «mit festen Lebensgewohnheiten» und «Ritualen» zu pflegen begann, das er zeitlebens nicht mehr aufgeben sollte. Er war nun 45 Jahre alt und hatte noch rund weitere dreißig Jahre vor sich. Im Laufe der Zeit gehörte das «Frankfurter Stadtunikum» mit seiner «verschrobenen» und gelegentlich «geifernden» Art «gleichsam zum Inventar».

Ungeachtet des Untertitels widmet sich Appels Buch Schopenhauers Leben um einiges ausführlicher als seiner Philosophie, was allerdings durchaus in Ordnung geht, schlägt das Titelblatt das Werk doch dem Genre der Biografie zu. Eine solche ist es, und zwar eine der populär gehaltenen Biografien, die sich gelegentlich lesen, als habe die Autorin ihren Protagonisten auf so mancher Lebensstation persönlich begleitet. Ein solcher Stil ist diesen nun einmal eigen und darum in einem solchen Fall auch nicht zu monieren. Zumal es ja durchaus zu begrüßen wäre, wenn Appels Buch dazu beitragen würde, dass Schopenhauer und seine Philosophie ein wenig populärer oder doch wenigstens bekannter werden. Und Zitate weist die Autorin immerhin stets nach. Ein Vorzug, dessen sich wahrhaftig nicht jede Biografie rühmen kann.

Von Rolf Löchel

Sabine Appel: Arthur Schopenhauer. Leben und Philosophie. Artemis & Winkler Verlag, Düsseldorf 2007.

Der Text ist entnommen aus:
http://www.literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id=11393&ausgabe=200712