Theater im Deutschunterricht
Heinrich Heine: Liebe, Spott und Vaterland
Marina Fedotowa ,
Staatliche Universität Twer
Gedicht «Sie erlischt» von H. Heine (Tonband- oder CD-Aufnahme).
Auf die Bühne treten 10 Schauspieler, sie halten in den Händen kleine Heine-Bücher, lesen darin und bewegen sich frei auf der Bühne. Man sieht, das Gedicht ruft bei den Lesenden verschiedene Gefühle hervor: Begeisterung, Langeweile, Interessiertheit, Gleichgültigkeit, Unzufriedenheit, Empörung... Die bunte Palette der Gefühle ist von ihren Gesichtern abzulesen.
Sie erlischt
Der Vorhang fällt, das Stück ist aus,
Und Herrn und Damen gehn nach Haus.
Ob ihnen auch das Stück gefallen?
Ich glaub’, ich hörte Beifall schallen.
Ein hochverehrtes Publikum
Beklatschte dankbar seinen Dichter.
Jetzt aber ist das Haus so stumm,
Und sind verschwunden Lust und Lichter.
Doch horch! ein schollernd schnöder Klang
Ertönt unfern der öden Bühne; –
Vielleicht, daß eine Saite sprang
An einer alten Violine.
Verdrießlich rascheln im Parterr’
Etwelche Ratten hin und her,
Und alles riecht nach ranzgem Öle.
Die letzte Lampe ächzt und zischt
Verzweiflungsvoll und sie erlischt.
Das arme Licht war meine Seele.
Wörterschlacht
Wenn der Text nicht mehr zu hören ist, beginnt die Wörterschlacht. Es entstehen zwei Lager: «Begeisterung» und «Missbilligung». Die Repliken kommen von den beiden Seiten, von der Peripherie zum Zentrum und umgekehrt. Die Wörterschlacht erfolgt in drei Runden. Bei jeder Runde verändert sich die Konfiguration der Für- und Gegensprecher. Die Spannung wächst.
Begeisterung |
Missbilligung |
Runde 1: |
|
– ein europäisches Ereignis |
– ein Ärgernis in Deutschland |
– ein Glück für Deutsch land |
– nichts war ihm heilig |
– ein Ritter ohne Furcht und Tadel |
– ein Dichter ohne Heimat |
– ein deutscher Dichter |
– ein deutscher Skandal |
– ein Patriot |
– ein Verräter |
Runde 2: |
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– ein Kritiker |
– ein Zerstörer |
– ein Rebell |
– voller Hass |
– der größte Lyriker nach Goethe |
– ein Feind der Ordnung |
– Ausnahme von allen Regeln |
– lauter Widersprüche |
– Verkörperung des Zeitgeistes |
– keiner Richtung zuzuordnen |
Runde 3: |
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– Kampf gegen Dummheit |
– Zerrissenheit |
– Liebesdichter |
– ein unglücklicher Dichter – einer unglücklichen Liebe |
– die riesige Welt Heine |
– ein Spötter |
– die unheilbare Wunde Heine |
– unangenehm satirisch |
– bezaubernd musikalisch |
– lächerlich überspannt |
– das Genie Heine |
|
– Heine... Heine... Heine... |
Das Leitmotiv (Melodie des Liedes «Lorelei» von F. Silcher) unterbricht den Streit. Es wird still.
SCHAUSPIELER 1: Hört nur, das ist die Seele des Dichters. Die Seele des Dichters ist der Mittelpunkt der Welt!
Kalender:
Im Hintergrund hängt ein Abreißkalender, die Kalenderblätter symbolisieren die wichtigsten Etappen und Ereignisse im Leben des Dichters. Die Schauspieler reißen je ein Blatt mit Datum ab, treten damit nach vorne.
SCHAUSPIELER 1: Geburtsjahr: 1797.
Geburtsname: Harry Heine.
Geburtsort: Düsseldorf.
«Die Stadt Düsseldorf ist sehr schön, und wenn man in der Ferne an sie denkt und zufällig dort geboren ist, wird einem wunderlich zu Mute. Ich bin dort geboren und es ist mir, als müßte ich gleich nach Hause gehen.»
SCHAUSPIELER 2: 1805: das erste gelesene Buch in der Kindheit: Cervantes’ «Leben und Taten von Don Quixote».
SCHAUSPIELER 3: 1819–1824: Studium in Bonn, Göttingen, Berlin.
«So ein bisschen Bildung ziert den ganzen Menschen.»
SCHAUSPIELER 4: 1824: Begegnung mit Goethe in Weimar.
SCHAUSPIELER 5: 1831: Übersiedlung nach Paris.
«Wenn der liebe Gott sich im Himmel langweilt, dann öffnet er das Fenster und betrachtet die Boulevards von Paris.»
SCHAUSPIELER 6: 1835: Verbot der Schriften Heines in Deutschland.
SCHAUSPIELER 7: 1843/1844: die letzten Reisen nach Deutschland.
«Eine große Vorliebe für Deutschland grassiert in meinem Herzen, sie ist unheilbar.»
SCHAUSPIELER 8: 1844: «Deutschland. Ein Wintermärchen».
SCHAUSPIELER 9: 1848: durch schwere Krankheit ans Bett gefesselt.
SCHAUSPIELER 10: 1856: Tod Heines. Beerdigung auf dem Friedhof Montmartre in Paris.
«Gott wird mir verzeihen, das ist sein Beruf.»
Im Einklang mit Natur
Alle gehen auf ihre Plätze zurück, auf der Bühne bleiben zwei Schauspieler.
SCHAUSPIELER 1: Es wird schon heller im Osten. Die Natur erwacht und ich erwache zum neuen Leben.
SCHAUSPIELER 2: Ich zweifle nicht – die Natur wirkt auf den Menschen – warum auch nicht der Mensch auf die Natur, die ihn umgibt? In Italien ist die Natur leidenschaftlich wie das Volk, das dort lebt; bei uns in Deutschland ist sie ernster, sinniger und geduldiger. O Natur, du stumme Jungfrau, wohl verstehe ich dein Schweigen und du tust mir so leid, dass ich weine. Aber dann verstehst du auch mich und lachst mich an aus goldnen Augen. Schöne Jungfrau, ich verstehe deine Sterne und du verstehst meine Tränen.
Es folgt ein Tanz, der das Erwachen der Natur symbolisiert. Anschließend verteilt die Tänzerin an die Mädchen der Truppe verschiedene Blumen: Lilien, Rosen, Veilchen. An ihrer Brust ist auch eine Rose angesteckt.
DIE TÄNZERIN (zum Heine-Darsteller): Möchten Sie meine Rose haben?
HEINE-DARSTELLER 1: Ich bin der höflichste Mensch von der Welt und um die Welt und möchte nicht mal eine Rose beleidigen.
Du bist wie eine Blume,
So hold und schön und rein;
Ich schau dich an, und Wehmut
Schleicht mir ins Herz hinein.
Mir ist, als ob ich die Hände
Aufs Haupt dir legen sollt,
Betend, daß Gott dich erhalte
So rein und schön und hold.
Die Mädchen mit Blumen bilden hinter Heine einen Halbkreis.
HEINE-DARSTELLER 1: Im Morgengrauen sah ich einen seltsamen Traum: Das war ein Garten, wunderschön, und viele schöne Blumen sahen mich an.
Die Mädchen machen einen Schritt zum Heine-Darsteller und umgeben ihn, lesen dabei eine Strophe vor:
LILIEN: Ich will meine Seele tauchen
In den Kelch der Lilie hinein;
Die Lilie soll klingend hauchen
Ein Lied von der Liebsten mein.
ROSEN: Warum sind denn die Rosen so blaß,
O sprich, mein Lieb, warum?
VEILCHEN: Warum sind denn im grünen Gras
Die blauen Veilchen so stumm?
Sie reichen ihre Blumen dem Dichter hin:
Die blauen Veilchen der Äugelein,
Die roten Rosen der Wängelein,
Die weißen Lilien der Händchen klein,
Die blühen und blühen noch immerfort... (laufen auseinander)
HEINE-DARSTELLER 1: Und nur das Herzchen ist verdorrt. ... Ja, herrlich ist der Garten meines Traums. Aber ist die Gegenwart nicht auch herrlich?
Spaziergang
Die Schauspieler gehen in Kleingruppen wie auf der Promenade spazieren.
SCHAUSPIELER 1: Die geputzte Gesellschaft geht in diesem Garten spazieren.
SCHAUSPIELER 2: Sehen Sie dort den Elegant in der Weste?
SCHAUSPIELER 3: Hören Sie die Bemerkungen, die er seiner Dame flüstert?
SCHAUSPIELER 4: Riechen Sie die Pomaden, mit welchen er parfümiert ist?
SCHAUSPIELER 5: Er fixiert Sie durch die Lorgnette, lächelt, ordnet die Haare.
HEINE-DARSTELLER 1: Aber schauen Sie die schönen Damen!
HEINE-DARSTELLER 2: Welche Gestalten! Ich werde poetisch!
Ja, Freund, hier unter den Linden
Kannst du dein Herz erbaun.
Hier kannst du beisammen finden
Die allerschönsten Fraun.
Liebeserklärung
Alle gehen zurück auf ihre Plätze. Ein Mädchen sitzt etwas abseits und liest ein Buch.
HEINE-DARSTELLER 1: Meine erste Liebe fand ich in Hamburg, im Haus meines reichen Onkels. Ich war 19 Jahre alt und schon bald verliebte ich mich rettungslos in meine Cousine Amalie.
Im wunderschönen Monat Mai,
Als alle Knospen sprangen,
Da ist in meinem Herzen
Die Liebe aufgegangen.
Sehnsucht, Hoffnung, Verzweiflung zerrissen mich und eines Tages erklärte ich mich ihr (geht auf das Mädchen zu, reicht ihr eine Blume). Amalie, ich liebe dich – ich habe dich vom ersten Tag an geliebt, ich liebe dich vom ganzen Herzen, von der ganzen Seele.
Amalie (stößt den jungen Dichter weg): Harry, du bist verrückt. Du bist ein Kleinhändler von meines reichen Vaters Gnaden. Glaubst du wirklich, dass ein Mädchen wie ich würde an deiner Seite leben wollen? (lacht, wirft die Blume und geht weg.)
R. Schumann «Dichterliebe», Nr. 7 «Ich grolle nicht, und wenn das Herz auch bricht».
(Das Gedicht «Ein Jüngling liebt ein Mädchen» wird strophenweise vorgelesen und als Kettenspiel dargestellt.)
– Ein Jüngling liebt ein Mädchen,
– Die hat einen andern erwählt;
– Der andre liebt eine andre
Und hat sich mit dieser vermählt.
– Das Mädchen heiratet aus Ärger
Den ersten besten Mann,
Der ihr in den Weg gelaufen;
– Der Jüngling ist übel dran.
– Es ist eine alte Geschichte,
doch bleibt sie immer neu;
– Und wem sie just passieret,
Dem bricht das Herz entzwei.
Lorelei
Das Leitmotiv «Lorelei» ertönt.
HEINE-DARSTELLER 1: Ich konnte sie nicht vergessen. Immer wieder sah ich sie vor mir, das schöne Mädchen mit dem glänzenden Haar. Das erinnerte mich an eine alte Sage, die ich in der Kindheit gehört habe.
Die Erzählerin sammelt alle um sich herum, die Schauspieler bilden kniend einen Halbkreis auf der Vorderbühne, senken die Köpfe, geben einander die Hände und schwenken sie wellenartig im Takt der Erzählung. Ein Mädchen und ein Junge spielen im Hintergrund Lorelei und den jungen Grafen.
ERZÄHLERIN: Am Rhein, zwischen Bingen und Koblenz, steht der Loreleifelsen. Früher konnte man dort oft eine Jungfrau sehen. In der Nacht kam sie auf den Felsen und sang Lieder. Viele Schiffer fanden den Tod in den Wellen des Rheins, weil sie nur auf ihren Gesang hörten und nicht auf die Felsenriffe schauten.
Eines Tages hörte auch der Sohn eines Grafen von der Lorelei, er wollte sie selbst sehen: «Ich finde sie, tot oder lebendig.» Er stieg in ein Boot und fuhr zum Felsen. Im Mondlicht sah er sie und hörte ihr Lied. «Wen suchst du hier, Mann der Erde?», rief die Lorelei. «Dich suche ich», sagte der junge Graf. Sie winkte ihm mit der Hand zu: «Komm, komm zu mir.» Der Graf fuhr nahe an den Felsen und wollte ans Land springen. Er machte einen Sprung, fiel in den Fluss und veschwand in den Wellen. Die Lorelei lachte und sang ihr Lied. Während sie sang, bedeckten Wolken den Himmel. Ein Sturm begann, und aus dem Rhein stiegen zwei Wellen, die wie Pferde aussahen. Sie trugen die Jungfrau in den Fluss hinunter.
Seit diesem Tag hat man sie nur selten auf dem Felsen gesehen. Und wenn man sie ruft «Lorelei!», kommt nur ein starkes Echo zurück. Lorelei... Lorelei... Lorelei...
Bücherverbrennung
Alarmierende Musik stürmt in die romantische Atmosphäre der Sage hinein. Die Schauspieler springen auf, einige halten rote Stoffstreifen in den Händen und schwingen sie in der Luft:
– Ein Feuer!
– Was verbrennen diese Leute in Uniform?
– Was brennt da?
(im Chor) – Bücher!
– Diese Bücher sind verbrennungswürdig!
– Aktion gegen den undeutschen Geist!
– Auf dem Berliner Opernplatz verbrennen!
– Bücherverbrennung!
Die Schauspieler bilden einen Halbkreis. Sie werfen auf den imaginären Scheiterhaufen in der Mitte der Bühne Blätter – Bücher von progressiven Schriftstellern und Gelehrten.
– Bertolt Brecht: «Die Dreigroschenoper».
– Albert Einstein: «Vorlesungen über Relativitätstheorie».
– Maxim Gorki: «Meine Universitäten».
– Ilja Ilf, Jewgeni Petrow: «12 Stühle».
– Bernhard Kellermann: «Der 9. November».
– Jack London: «Martin Eden».
– Heinrich Mann, Thomas Mann, Klaus Mann.
– Erich Maria Remarque: «Im Westen nichts Neues».
– Stefan Zweig: «Der Kampf mit dem Dämon».
– Heinrich Heine... alles!
Zu dem Scheiterhaufen stürzt ein Mädchen, es fällt auf die Knie, sammelt hastig Blätter vom Fußboden und drückt sie an die Brust. Sich in den Halbkreis umkehrend wendet sie sich an die anderen:
SCHAUSPIELER 1: Alles?! Auch die Lorelei verbrennen? Sie steht gedruckt in allen Lehrbüchern, und jedes Kind kennt sie!
SCHAUSPIELER 2: Gut, lassen wir die Lorelei leben. Aber schreiben wir: «Der Autor ist unbekannt.»
HEINE-DARSTELLER 2: (öffnet das Buch, blättert darin) Lorelei, Autor unbekannt… Dort, wo man Bücher verbrennt, verbrennt man am Ende auch Menschen. (Nach einer kurzen Pause, nachdrücklich) Lieben die Deutschen die Freiheit? Ja, aber anders als die anderen Völker. Der Engländer liebt die Freiheit wie seine Ehefrau, und wenn er sie auch nicht mit Zärtlichkeit behandelt, so kann er sie im Notfall auch verteidigen. Der Franzose liebt die Freiheit wie seine Braut. Er flammt für sie, er wirft sich zu ihren Füßen, er schlägt sich für sie auf Tod und Leben. Der Deutsche liebt die Freiheit wie seine alte Großmutter... Wunderlich sind doch die Menschen!
(grotesk) Die Freiheit hat man satt am End’,
Und die Republik der Tiere
Begehrte, daß ein einz’ger Regent
Sie absolut regiere.
(wendet sich an die Zuschauer)
Und weil ich ein Esel, so rat ich euch,
Den Esel zum König zu wählen;
Wir stiften das große Eselreich,
Wo nur die Esel befehlen.
Die Schauspieler – Wahlesel – treten an den König heran:
Wir sind alle Esel! I-A! I-A!
Wir sind keine Pferdeknechte.
Sie schneiden dabei Grimassen, strecken jubelnd die Hände nach oben und preisen den König. Zum Schluss stellt eine Hand mit ausgestreckten Fingern über dem Kopf des Königs die Krone dar:
Fort mit den Rossen! Es lebe, hurrah!
Der König vom Eselsgeschlechte!
Die Menge beginnt zu wallen und zu drängen, der Protest wächst. Von links und rechts kommen die anklagenden Stimmen:
– Unerhört!
– Verräter!
– Raus aus Deutschland!
– Die Werke verbieten!
Mit jedem neuen Ausruf stellen sich die Schauspieler vor den Heine-Darsteller hin, sodass eine Sperre zwischen ihm und den Zuschauern entsteht, und schließen nach der letzten Replik die Reihen.
Weberaufstand
«Revolutionsetüde» von F. Chopin stürmt herein. Bei den ersten Passagen treten die Schauspieler langsam rückwärts. Ein Zeitungsjunge läuft in die Mitte der Bühne und ruft laut:
– Juni 1844! Weberaufstand! In den schlesischen Städten Peterswaldau und Langenbielau ausgebrochen!
Weber:
– Wir sind verarmt!
– Wir hungern...
– Unsere Kinder müssen arbeiten!
– Beruhigt euch!
Die Weber ballen die Hände zu Fäusten, halten die Arme lang nach unten gestreckt. Das Gedicht «Die Weber» wird zu einer Protestdemonstration. Sie marschieren im Gleichschritt – zunächst zu zweit, mit jeder weiteren Strophe wächst ihre Zahl so, dass eine Demonstrantenreihe am Ende entsteht. In der Strophe gehen sie nach vorne, beim Refrain «Wir weben, wir weben» machen sie zwei Schritte zurück, was an die Arbeit eines Webstuhls erinnern soll:
Im düstern Auge keine Träne,
Sie sitzen am Webstuhl und fletschen die Zähne:
«Deutschland, wir weben dein Leichentuch,
Wir weben hinein den dreifachen Fluch –
Wir weben, wir weben!
Ein Fluch dem König, dem König der Reichen,
Den unser Elend nicht konnte erweichen,
Der den letzten Groschen von uns erpreßt,
Und uns wie Hunde erschießen läßt –
Wir weben, wir weben!
Ein Fluch dem falschen Vaterlande,
Wo nur gedeihen Schmach und Schande,
Wo jede Blume früh geknickt,
Wo Fäulnis und Moder den Wurm erquickt –
Wir weben, wir weben!
Das Schiffchen fliegt, der Webstuhl kracht,
Wir weben emsig Tag und Nacht –
Altdeutschland, wir weben dein Leichentuch,
Wir weben hinein den dreifachen Fluch,
Wir weben, wir weben!»
– 11 Menschen erschossen...
– 24 verletzt...
– Der Aufstand niedergeschlagen... (drehen sich mit dem Rücken zum Publikum um)
Deutschland. Ein Wintermärchen
HEINE-DARSTELLER 2: (tritt an den Bühnenrand vor)
Oh, Deutschland, meine ferne Liebe... Ich sehne mich nach Deutschland... 12 lange Jahre habe ich meine Heimat, meine Familie und meine Mutter nicht gesehen.
Denk’ ich an Deutschland in der Nacht,
Dann bin ich um den Schlaf gebracht,
Ich kann nicht mehr die Augen schließen,
Und meine heißen Tränen fließen.
Die Jahre kommen und vergehn!
Seit ich die Mutter nicht gesehn,
Zwölf Jahre sind schon hingegangen;
Es wächst mein Sehnen und Verlangen.
Ich fahre... Ich fahre!!! (alle wenden sich ihm zu) Doch sagen Sie niemand ein Wort, ich muss heimlich reisen, wegen des Haftbefehls... (verlässt die Bühne).
Die Schauspieler gehen in Paaren auf die Vorderbühne, das Gedicht wird im Zwei-Zeilen-Takt vorgetragen. Die Paare bilden einen engen Korridor:
Im traurigen Monat November war’s,
Die Tage wurden trüber,
Der Wind riß von den Bäumen das Laub,
Da reist ich nach Deutschland hinüber.
Und als ich an die Grenze kam,
Da fühlt ich ein stärkeres Klopfen
In meiner Brust, ich glaube sogar
Die Augen begunnen zu tropfen.
Und als ich die deutsche Sprache vernahm,
Da ward mir seltsam zu Mute;
Ich meinte nicht anders, als ob das Herz
Recht angenehm verblute.
Ein kleines Harfenmädchen sang.
Sie sang mit wahrem Gefühle
Und falscher Stimme, doch ward ich sehr
Gerühret von ihrem Spiele.
HEINE-DARSTELLER 2: (sich den Weg zwischen den Stehenden bahnend)
Während die Kleine von Himmelslust
Getrillert und musizieret,
Ward von den preußischen Douaniers
Mein Koffer visitieret.
Der Zollbeamte prüft Heines Papiere:
DER ZOLLBEAMTE: Vorname?
HEINE-DARSTELLER 2: Heinrich.
DER ZOLLBEAMTE: Name?
HEINE-DARSTELLER 2: Heine.
DER ZOLLBEAMTE: Reiseziel?
HEINE-DARSTELLERr 2: Deutschland.
DER ZOLLBEAMTE: Nichts Zollbares?
HEINE-DARSTELLER 2: Nichts, außer meinen Gedanken und Schulden.
DER ZOLLBEAMTE: Ihren Koffer bitte (öffnet den Koffer, wühlt darin).
SCHAUSPIELER 1:
Beschnüffelten alles, kramten herum
In Hemden, Hosen, Schnupftüchern;
Sie suchten nach Spitzen, nach Bijouterien,
Auch nach verbotenen Büchern.
HEINE-DARSTELLER 2:
Ihr Toren, die ihr im Koffer sucht!
Hier werdet ihr nichts entdecken!
Die Konterbande, die mit mir reist,
Die hab ich im Kopfe stecken.
Und viele Bücher trag ich im Kopf!
Ich darf es euch versichern,
Mein Kopf ist ein zwitscherndes Vogelnest
Von konfiszierlichen Büchern.
In demselben Rhythmus treten je zwei Schauspieler in die Mitte. Jedes nächste Paar stellt sich vor das vorhergehende Paar, so bilden sie zusammen eine Mauer, die die Bühne teilt.
SCHAUSPIELER 2: 130 Jahre später schrieb Wolf Biermann im geteilten Deutschland noch ein «Wintermärchen»:
Im deutschen Dezember floss die Spree
Von Ost- nach Westberlin
Da schwamm ich mit der Eisenbahn
Hoch über die Mauer hin.
Da schwebte ich leicht übern Drahtverhau
Und über die Bluthunde hin
Das ging mir seltsam ins Gemüt
Und bitter auch durch den Sinn
Das ging mir so bitter durch das Herz
– Da unten die treuen Genossen –
So mancher, der diesen gleichen Weg
Zu Fuß ging, wurde erschossen. ...
Ich dachte auch kurz an meinen Cousin
Den frechen Heinrich Heine
Der kam von Frankreich über die Grenz
Beim alten Vater Rheine.
Die beiden Heine-Darsteller treten auf den Bühnenrand.
HEINE-DARSTELLER 1: Ich weiß wirklich nicht, ob ich es verdiene, dass man mich mit einem Lorbeerkranz verziert. Die Poesie, wie sehr ich sie auch liebte, war mir immer nur Spielzeug. Ich habe nie großen Wert gelegt auf Dichter-Ruhm, und ob man meine Lieder lobt oder tadelt, es kümmert mich wenig.
HEINE-DARSTELLER 2: Aber ein Schwert sollt ihr mir legen, denn ich war ein braver Soldat im Befreiungskriege der Menschheit. Wird es ein schöner Tag werden? Ja, es wird ein schöner Tag werden. Die Freiheitssonne wird die Erde glücklich wärmen, und in den Menschen werden freie Gedanken und Gefühle kommen.
Ich bin das Schwert, ich bin die Flamme.
Ich habe euch erleuchtet in der Dunkelheit,
und als die Schlacht begann, focht ich voran,
in der ersten Reihe...
Ich bin das Schwert, ich bin die Flamme.
(alle im Chor) Ich bin das Schwert, ich bin die Flamme!
Quellenverzeichnis:
Gedruckte Quellen
H. Heine: Werke. Bd. 1–4. Frankfurt am Main: Insel Verlag, 1968.
H. Heine: Deutschland. Ein Wintermärchen. Frankfurt am Main: Insel Verlag, 1983.
E. Thurmar, D. Ahrens: Im schönsten Wiesengrunde. Deutsche Volkslieder und wie sie entstanden. Zürich: Ferenczy Verlag, 1979. S. 45–52.
Elektronische Quellen
http://www.allthelyrics.com/de/song/739021/
http://de.wikiquote.org/wiki/Heinrich_Heine
http://de.wikipedia.org/wiki/Bücherverbrennung_1933_in_Deutschland
http://www.heinrich-heine.net/