Aus der Schule – Für die Schule
Schwierigkeiten der deutschen Grammatik: Perfekt
Irina Morosowa ,
Staatliche Universität – Hochsschule für Wirtschaftswissenschaften, Moskau
Vorwort
Im vorliegenden Artikel wird ein grammatisches Thema zum Einüben angeboten, welches den fortgeschrittenen Deutschlernern bestimmte Schwierigkeiten bereiten kann: das Perfekt. Ziel ist, die vorhandenen Grundkenntnisse in diesem Problembereich zu erweitern und zu vertiefen. Das ausgewählte Thema der deutschen Grammatik wird detailliert und mit vielen Beispielen erklärt und im Anschluss daran intensiv geübt. Dementsprechend enthält der Artikel außer einem theoretischen Teil eine Reihe von praktischen Aufgaben. Der Beitrag ist sowohl für den Unterricht als auch für das Selbststudium geeignet. Für die Kontrolle werden den Selbstlernern Lösungen angeboten.
Theoretischer Teil
Das Perfekt ist eine verbale Zeitform, die ein Geschehen in der Vergangenheit bezeichnet, das mit der Gegenwart auf irgendeine Weise verbunden ist: Entweder ist dieses Geschehen selbst oder dessen Ergebnis für die Gegenwart aktuell oder es wird vom Standpunkt der Gegenwart bewertet. Auf Grund seiner Gegenwartsbezogenheit wird das Perfekt vorwiegend in der gesprochenen Sprache gebraucht, also in Gesprächen, Dialogen, kurzen aktuellen Mitteilungen u. Ä.
Das Perfekt wird mit dem Hilfsverb haben oder sein und dem Partizip II des Vollverbs gebildet.
Dabei kann gerade die Wahl des Hilfsverbs besondere Schwierigkeiten bereiten, weil der Gebrauch von haben oder sein oft durch die verbale Semantik bestimmt wird, also von der Bedeutung des Verbs und von seiner transitiven oder intransitiven Anwendung abhängig ist. In einigen Fällen kann die Wahl des Hilfsverbs je nach der Bedeutungsschattierung schwanken. Darum ist es zweckmäßig, die Verben in zwei große Gruppen einzuordnen: 1. Verben, die das Perfekt mit haben bilden und 2. Verben, die das Perfekt mit sein bilden. In jeder Gruppe lassen sich kleinere Untergruppen ausgliedern, wo die Verben nach einem bestimmten (meist semantischen) Merkmal zusammengefasst sind und wo es auch neben dem regelmäßigen Gebrauch Ausnahmefälle gibt.
I. Verben, die das Perfekt mit haben bilden
1. TRANSITIVE VERBEN (auch wenn sie ohne Akkusativobjekt im Satz gebraucht werden), z. B. schreiben, lesen, sammeln, kaufen u. a. Ausnahmen: etw./jmdn. loswerden, etw. eingehen, etw. durchgehen.
2. INTRANSITIVE VERBEN,
a) die einen Vorgang (aber keine Fortbewegung) oder einen Zustand angeben, z. B. schlafen, liegen, stehen u. a.
Ausnahmen: sein, bleiben.
b) Verben mit Dativ- und Präpositionalobjekt (ausgenommen Verben der Fortbewegung und Zustandsveränderung), z. B. glauben, vertrauen, mit etw./jmdm. rechnen u. a.
3. REFLEXIVE VERBEN, z. B. sich freuen, sich treffen u. a. Ausnahmen: sich (Dat.) vorkommen, sich (Dat.) durchs Haar fahren, sich (einander) begegnen, sich (einander) ausweichen, sich (einander) entgegenkommen.
Viele von diesen Verben haben reziproke Bedeutung, d. h. sie drücken eine wechselseitige Beziehung zwischen mindestens zwei Personen aus, einige Verben werden dabei in bildlicher Bedeutung gebraucht: sich in die Haare geraten, sich um den Hals fallen, sich in die Quere kommen, sich aus dem Weg gehen u. a.
4. MODALVERBEN, z. B. Er hat das immer gut gekonnt. Wir haben zu Hause bleiben müssen. Aber: Er soll verreist sein. Sie will als Erste gekommen sein. – Hier drücken die Modalverben eine Vermutung aus, das Hilfsverb sein bezieht sich auf die Verben der Fortbewegung.
5. UNPERSÖNLICHE VERBEN, z. B. es regnet, es gibt u. a. Ausnahmen: es geht um etw./jmdn., es kommt auf etw./jmdn. an.
II. Verben, die das Perfekt mit sein bilden
1. INTRANSITIVE VERBEN DER FORTBEWEGUNG, z. B. fahren, laufen, schwimmen u. a.
2. INTRANSITIVE VERBEN DER ZUSTANDSVERÄNDERUNG, z. B. aufstehen, erwachen, verblühen u. a. Ausnahmen: anfangen, beginnen, aufhören, enden, einsetzen, aussetzen, zunehmen, abnehmen.
3. EREIGNISVERBEN, z. B. geschehen, passieren, gelingen u. a. Ausnahmen: klappen, stattfinden.
Praktischer Teil
In diesem Teil werden hauptsächlich Verben bzw. Verbgruppen betrachtet, bei denen es um gewisse sprachliche Feinheiten geht, die den Gebrauch von haben oder sein beeinflussen können.
1. Verben, die eine Fortbewegung oder eine Bewegung am festen Ort ausdrücken.
2. Verben, die sportliche Betätigungen bezeichnen.
3. Reflexive Verben der Fortbewegung.
4. Verben der Fortbewegung und der Zustandsveränderung, die sowohl intransitiv als auch transitiv gebraucht werden können.
5. Verben der Fortbewegung in Verbindung mit einem adverbialen Akkusativ.
6. Abgeleitete Verben der Zustandsveränderung.
7. Ereignisverben mit sein und haben.
1. Verben, die eine Fortbewegung oder eine Bewegung am festen Ort bezeichnen
Bei Verben, die eine Bewegung als Fortbewegung oder als Lage-/Ortsveränderung ausdrücken, wird das Perfekt mit sein gebildet. Die Verben, die eine Bewegung am festen Ort angeben, wird das Perfekt mit haben gebildet, z. B. flattern, pendeln, sprudeln, tropfen, beben, schweben u. a.
Aufgabe 1
sein oder haben? Ersetzen Sie das Präteritum durch das Perfekt.
1. In der Küche tropfte der Wasserhahn.
2. Tau tropfte von den Blättern.
3. Als er etwas erzählte, pendelte er immer mit den Armen.
4. Ein ganzes Jahr pendelte er zwischen Wohnort und Arbeitsplatz.
5. Die Balletttänzerin schwebte über die Bühne.
6. Drei Tage schwebte der Kranke in Lebensgefahr.
7. Eine weiße Wolke schwebte am Himmel.
8. Die Wäsche flatterte an der Leine.
9. Mein Herz flatterte vor Freude.
10. Der Schmetterling flatterte von Blume zu Blume.
11. In den Gläsern sprudelte Sekt.
12. Aus dem Felsspalt sprudelte eine Quelle.
13. Er sprang ins Becken, dass das Wasser schwappte.
14. Er stieß an den Eimer, und das Wasser schwappte auf den Boden.
15. Die Bäume schwankten im Wind.
16. Wir schwankten lange, ehe wir diesen Beschluss fassten.
17. Die Position der Regierungspartei wankte.
18. Mit unsicheren Schritten wankte er durch die Straße.
19. Der Mast des Schiffes wankte im Sturm.
20. Er taumelte durch das Zimmer zu seinem Bett.
21. Sie taumelte einige Sekunden und fiel in Ohnmacht.
2. Verben, die sportliche Betätigungen bezeichnen
Es gibt eine Reihe von Verben der Bewegung, die verschiedene sportliche Betätigungen ausdrücken,
z. B. klettern, rudern, paddeln, surfen u. a. Die Wahl des Hilfsverbs hängt davon ab, was bei diesen Verben hervorgehoben wird: Wenn die Bewegung vor allem als Fortbewegung gesehen wird (oft in Verbindung mit Raum- oder Zielangaben), dann wird das Perfekt mit sein gebildet. Wenn aber die Dauer oder die Art und Weise der Bewegung in den Vordergrund treten, kann das Perfekt mit haben gebildet werden, z. B. Wir sind zum Ufer geschwommen. – Wir haben mit großem Vergnügen geschwommen. Meist wird aber sein gebraucht.
Aufgabe 2
sein oder haben? Setzen Sie die Verben ins Perfekt.
1. Im Sommer segelten wir viel.
2. Ich surfte oft den ganzen Tag.
3. Wir ruderten schnell zum Ufer.
4. Manchmal surfte er ins offene Meer.
5. Die Kinder rodelten den Berg hinab.
6. Die Jungen schwammen zur Insel.
7. Der Mann ritt im Galopp durch den Wald.
8. Früher schwamm ich täglich eine Stunde.
9. In der Kindheit rodelte ich sehr gern.
10. Er segelte einmal um die ganze Welt.
11. Vor dem Wettkampf ruderten wir stundenlang.
3. Reflexive Verben der Fortbewegung
Die meisten Reflexivverben bilden das Perfekt mit haben, wenn sie auch eine Fortbewegung bezeichnen, z. B. sich verlaufen, sich begeben u. a. Nur eine begrenzte Zahl der reflexiven Verben der Fortbewegung bilden das Perfekt mit sein. Es geht vor allem um Verben mit einem Reflexivpronomen im Dativ (sich vorkommen, sich in die Haare fahren) oder um Verben mit reziproker Bedeutung (sich/einander ausweichen), die oft in bildlicher Bedeutung gebraucht werden (sich/einander in die Haare geraten, sich/einander aus dem Weg gehen).
Aufgabe 3
sein oder haben? Ersetzen Sie das Präteritum durch das Perfekt.
1. Eines Tages gerieten sich die Nachbarinnen in die Haare.
2. Nach dem Streit gingen sie sich aus dem Wege.
3. Das Mädchen kam sich in der fremden Stadt ziemlich hilflos vor.
4. Sie verlief sich oft in einem unbekannten Stadtteil.
5. Die Kollegen freuten sich sehr, als sie sich auf der Konferenz begegneten.
6. Die Eheleute gingen sich oft auf die Nerven.
7. Es kam vor, dass sie sich einige Tage auswichen.
8. Nach der Versöhnung kamen sie sich wieder näher.
9. Unser Gesprächspartner verspätete sich bei einer Verabredung erheblich.
10. Die Freundinnen fielen sich um den Hals und weinten vor Freude.
11. Sie stritten sich zwar oft, vertrugen sich aber meistens gut.
4. Verben der Fortbewegung und Zustandsveränderung, die sowohl intransitiv als auch transitiv gebraucht werden können.
Manche Verben der Fortbewegung und der Zustandsveränderung können auch transitiv, also mit Akkusativobjekt, gebraucht werden und bilden dann das Perfekt mit dem Hilfsverb haben: fahren, fliegen, reiten, rollen, starten, ziehen, ersticken, schmelzen, verderben, verbrennen u. a., z. B.: Er ist zum Bahnhof gefahren. – Er hat uns zum Bahnhof gefahren. Die Suppe ist verdorben. – Sie hat die Suppe verdorben.
Manchen intransitiven Verben entsprechen transitive Verben mit Vorsilbe: treten – betreten, reisen – bereisen, fahren – befahren u. a.
Aufgabe 4
sein oder haben?
1. Ich ______ meine Kinder zur Großmutter gefahren.
2. Wir ______ ein neues Programm gestartet.
3. Unsere Nachbarn ______ in eine andere Stadt gezogen.
4. Der Pilot ______ Lebensmittel und Medikamente in die Krisenregion geflogen.
5. Ich ______ zum ersten Mal auf einem Kamel geritten.
6. Er ______ in die Garage gefahren.
7. Sie ______ ihr Pferd in den Stall geritten.
8. Wir ______ den Einkaufswagen an die Kasse gerollt.
9. Die Maschine ______ mit Verspätung gestartet.
10. Der Rennwagen ______ zum Start gerollt.
11. Wegen der Hitze ______ alle Lebensmittel verdorben.
12. Der Gärtner ______ trockene Blätter verbrannt.
13. Beim Brand ______ einige Hausbewohner im Qualm erstickt.
14. Unser Kollege ______ uns den ganzen Spaß verdorben.
15. Der eifersüchtige Ehemann ______ seine Frau beinahe erstickt.
16. Er hat stundenlang in der Sonne gelegen und ______ verbrannt.
17. Sie ______ leise ins Zimmer getreten.
18. Mit seiner Familie ______ er ganz Europa bereist.
19. Die Delegation ______ den Konferenzsaal betreten.
20. Die Archäologen ______ nach Ägypten gereist.
Fortsetzung folgt