Sonderthema
Friedrich Schlegel: Leben und Werk
Karl Wilhelm Friedrich Schlegel wurde am 10. März 1772 in Hannover als jüngster Sohn des lutherischen Pastors Johann Adolf Schlegel geboren, verbrachte aber große Teile seiner Kindheit bei einem Onkel und bei seinem älteren Bruder Moritz. Anfangs zum Kaufmann bestimmt, begann er seine Lehrzeit bei einem Bankier in Leipzig, fühlte sich aber von diesem Beruf so wenig befriedigt, dass er bald nach Hannover zurückkehrte. Auf den Rat der Eltern widmete er sich zuerst der Rechtswissenschaft in Göttingen, wo sein älterer Bruder August Wilhelm1 studierte. Dieser wurde von nun an sein treuster Freund und innigster Geistesgefährte. Mit ihm versenkte sich Friedrich in künstlerische und philosophische Studien. Er las Winckelmann und Platon. 1791 bezog er die Universität Leipzig. Wieder stand noch die Jurisprudenz im Vordergrund seiner Studien; Kunstgeschichte, Philosophie, Literatur schlossen sich an. Aber auch in das luxuriöse und sittenlose Treiben der Stadt Leipzig tauchte Friedrich Schlegel ein. Aufregungen und Verstimmungen, materielle Opfer und seelische Leiden waren die Folgen dieses Lebens. Indem Schlegel rücksichtslos überall seine Selbstsucht stillte, gelangte er doch nicht aus dem Schwanken zwischen überstiegenem Selbstgefühl und schwermütiger Unruhe zu voller Befriedigung des Geistes und Herzens. Aus Geldnot rettete ihn die Unterstützung August Wilhelms. Dem inneren Schwanken machte er im Frühling 1793 selbst ein Ende durch den Entschluss, die Jurisprudenz und damit die Aussicht auf eine sichere bürgerliche Versorgung endgültig aufzugeben und sich der Wissenschaft und Kunst zu widmen.
Noch mehr aber heilte ihn von seiner Weltverachtung, seinem Lebensüberdruss, seinen sittlichen und geistigen Ausschweifungen der Umgang mit der Freundin seines Bruders Karoline Böhmer2. Sie gab ihm nach seinem eigenen Geständnis erst die Fähigkeit wieder, das zu werden, was er dann wurde. Auch sein Studium nahm er jetzt ernster. Sein Interesse wandte sich vornehmlich der Kunst und dem Altertum zu: Neben den Schätzen der bildenden Kunst zogen ihn vor allem die altgriechischen Dichter an. Schon träumte er von einer Geschichte der griechischen Poesie, in der er den Geist der Griechen erforschen wollte. Aber auch der Gedanke an eine Kritik seines Zeitalters und der Theorie der Bildung schwebte ihm vor. Er wollte für die griechische Literatur das leisten, was Winckelmann für die griechische Kunst geleistet hatte. Aber ihm fehlte die Zeit, um in systematischer Ordnung solche Werke auszuführen. Seine bedrängte materielle Lage nötigte ihn, für Zeitschriften zu arbeiten. So zersplitterten die großen Pläne zu einer Anzahl von kleineren Aufsätzen und Fragmenten, die Schlegel selbst nur als Skizzen bezeichnete und als vermischte Schriften zur Kenntnis der Griechen zu sammeln plante.
1794 wurde in der «Berliner Monatsschrift» Schlegels Essay Von den Schulen der griechischen Poesie gedruckt, der sich durch den klaren Überblick über die gesamte Entwicklung der althellenischen Dichtkunst auszeichnete. Als bedeutendster Aufsatz aus dieser Periode gilt der Essay Über das Studium der griechischen Poesie (1795). 1797 wurde ein Band historischer und kritischer Versuche über das klassische Altertum unter dem Titel Geschichte der Poesie der Griechen und Römer veröffentlicht. Schlegel wollte damit einen Beitrag zur Philosophie der Geschichte, eine Art von Philosophie der ästhetischen Bildungsgeschichte der Menschheit liefern. Der modernen Poesie, deren Charakter das Streben nach dem Interessanten, dem Neuen, dem Individuellen und deren Endergebnis die höchste Dissonanz, ein «Maximum der Verzweiflung» sei, stellte er die antike Dichtung gegenüber, die nach dem Schönen, Objektiven strebe. Zu der absoluten Schönheit solle die moderne Poesie durch Reflexion gelangen. Die Möglichkeit, dieses Ziel der Sehnsucht zu erreichen, zeige Goethe, dessen Dichtung als Morgenröte echter Kunst und reiner Schönheit schon in der Mitte zwischen dem Interessanten und dem Schönen stehe. Neben ihr erkannte Schlegel die Philosophie Kants und Fichtes, das Eindringen Herders in den griechischen Geist, die Entwicklung der deutschen Poesie durch Klopstock, Wieland, Lessing, Bürger und Schiller als Vorzeichen einer neuen, besseren Periode der modernen Dichtung.
Im August 1796 folgte Friedrich Schlegel seinem Bruder August Wilhelm und dessen Frau Karoline nach Jena. Mit dem bedeutendsten der in Jena lebenden Autoren, mit Schiller, verfeindete sich Schlegel im Laufe eines Jahres durch Rezensionen von dessen «Horen» und «Musenalmanache», die er in immer gröberem Ton für das Journal «Deutschland» verfasste, so gründlich, dass Schiller im Frühling 1797 nicht nur endgültig mit ihm brach, sondern auch sein bisher warmes Verhältnis zu August Wilhelm erkalten ließ. Desto inniger schloss sich Schlegel in Jena an Fichte3 an.
Bereits im Juli 1797 siedelte Friedrich Schlegel nach Berlin über. Alsbald nach seiner Ankunft in der preußischen Hauptstadt verfasste er den großen Aufsatz Über Lessing, eine noch jetzt grundlegende Charakteristik des Lessing’schen Wesens und Geistes aus seinen Schriften und Briefen, reich an Witz, Geist, Satire und prägnanten Schlagwörtern, scharf und treffend, und doch durchweg einseitig und tendenziös, da Schlegel gerade das immer betonte, was Lessings Wesen seinem eigenen verwandt erscheinen ließ, die Mischung von Literatur, Polemik, Witz und Philosophie, das Paradoxe und Revolutionäre, und zwar das Fragmentarische, das Fehlen jeglichen Systems. Den Mangel seiner eigenen Natur, die ihn kein größer angelegtes Werk rein abschließen ließ, machte Schlegel jetzt zu einer Tugend: In Fragmenten erkannte er «die eigentliche Form der Universalphilosophie». In Fragmenten wollte er daher seine neuen Offenbarungen über Literatur, Kunst und Leben aussprechen.
Selbst der innige Verkehr mit dem streng systematisch, geordnet und fleißig arbeitenden Schleiermacher4, den er sich in Berlin zum bewundernden Freund gewann, konnte ihn nicht von diesem Irrtum heilen. Kritische Fragmente veröffentlichte er 1797, 1798 und 1800 in der Zeitschrift «Athenäum», die er als Organ der neuen Schule mit seinem Bruder in Berlin begründete.
Friedrich von Schlegel (Altersdarstellung)
Diese Schule, bald die romantische genannt, bildete sich Anfang 1798 durch die persönliche und literarische Vereinigung der beiden Schlegel mit Tieck und Schleiermacher, bald trat auch Novalis zu ihnen. Ihre ästhetische Doktrin bestimmten vor allem Schlegels Fragmente. Schlegel schwankte begeistert zwischen Fichte und Goethe, der nunmehr die vorher einseitig verehrten antiken Dichter aus seiner Seele zu verdrängen begann. Als Höhepunkt der Dichtung galt Schlegel jetzt nicht mehr die Tragödie, sondern der Roman, und zwar Goethes Wilhelm Meister, den er bewundernd im «Athenäum» besprach, neben der französischen Revolution und Fichtes Wissenschaftslehre eine der «drei größten Tendenzen des Jahrhunderts». Die echte Romandichtung (oder romantische Dichtung) erschien ihm als absolute, ideale Gattung der Poesie, als eine Art von «progressiver Universalpoesie». Zur Erreichung dieses Ideals forderte Schlegel namentlich Ironie. Gegen die nüchternen Liebhaber des gesunden Menschenverstandes, besonders gegen die «harmonisch platten» Aufklärer, sollte diese Ironie und die von ihr untrennbare witzige Paradoxie sich zunächst verwirrend kehren.
Friedrich Schlegel gab den Ton in diesen Fragmenten an, sein Geist durchwehte die ganze Reihe dieser Aphorismen, einige weitere wurden aber auch von den übrigen Mitgliedern des neuen literarischen Bundes beigesteuert. Allmählich aber änderte sich das. Schleiermachers Reden über die Religion, zu denen Schlegel anfangs kein positives Verhältnis hatte, gewannen, wie auf alle Romantiker, so auch auf ihn mehr und mehr Einfluss, und mit ihnen die Dichtungen von Novalis. Unter solchen Einwirkungen schrieb er die dritte Reihe von Fragmenten unter dem Titel Ideen (1800). Mystisch, unfertig und ungeordnet, sollten sie Schlegels unklare Ansicht verkündigen, dass Religion die «allbelebende Weltseele der Bildung», das «vierte unsichtbare Element zur Philosophie, Moral und Poesie» sei.
Dieselbe Verworrenheit übertrug Schlegel in dem ersten Teil des Romans Lucinde (1799) vom religiösen auf das künstlerische und sittliche Gebiet. Er lieferte damit ein ästhetisches Unding, das in möglichstem Durcheinander verschiedene Formen der prosaischen und dichterischen Darstellung mischte, bald schwülstig-rhetorisch, bald epigrammatisch-spitz, oft aber unklar geschrieben. Schamlos nackt und nüchtern, ohne jede künstlerische Veredlung stellte er sein persönliches Verhältnis zu Dorothea5, der Freundin, die er in Berlin fürs Leben gewonnen hatte, vor aller Welt aus. Dorothea löste 1798 ihre Ehe mit dem Bankier Veit, um ganz Friedrich Schlegel angehören zu können. Aber auch seine eigenen früheren Lebenserfahrungen in Leipzig, seine Beziehungen zu Karoline, Schleiermacher und anderen Freunden zeichnete Schlegel ziemlich unverhüllt in der Lucinde wieder ab. Nahezu einstimmig sprachen sich die führenden Dichter, auch die Romantiker, gegen den Roman aus. Nur Schleiermacher erklärte sich in seinen Vertrauten Briefen über die Lucinde (1800) für das Werk.
Im Herbst 1799 siedelte Schlegel mit Dorothea wieder nach Jena über. Sie fanden zunächst im Hause August Wilhelms Aufnahme. Hier entstand das Gespräch über die Poesie, 1800 im «Athenäum» gedruckt, das Klarste und Beste, was Schlegel bis dahin überhaupt geschrieben hatte. Den Kern des Gesprächs bildeten vier Vorträge: ein Aufsatz über die Epochen der Dichtkunst von Homer bis auf die neuesten Erscheinungen in der deutschen Literatur und ein Versuch über den verschiedenen Stil in Goethes früheren und späteren Werken, beides literargeschichtliche Essays, die ein bedeutendes Reifen seiner Ansichten offenbarten; ferner ein Brief über den Roman und schließlich eine Rede über die Mythologie, den «hieroglyphischen Ausdruck der umgebenden Natur in der Verklärung von Phantasie und Liebe».
Im August 1800 promovierte Friedrich Schlegel und wurde zur Lehrtätigkeit zugelassen. Im Wintersemester 1800/1801 versuchte er sich mit philosophischen Vorlesungen an der Universität Jena. Aber seine paradoxen Einfälle ließen auch dieses Experiment vollständig scheitern. Zu dieser Zeit bereitete Friedrich Schlegel auch die Herausgabe einer Sammlung vermischter Aufsätze aus seiner eigenen und seines Bruders Feder vor, die im Frühling 1801 unter dem Titel Charakteristiken und Kritiken in zwei Bänden erschien.
Im Jahre 1801 entstand das zweiaktige Trauerspiel Alarcos, im folgenden Jahre gedruckt und durch Goethes Gunst in Weimar zur Aufführung ohne jeden wirklichen Erfolg gebracht. Schlegel wollte eine Tragödie im antiken Sinne des Wortes, aber dem Stoff entsprechend, im romantischen Kostüm, machen, eine Mischung des Antiken und des Allermodernsten.
Wie der Jenaer Aufenthalt dem Schriftsteller Schlegel wenig Heil brachte, so auch dem Menschen. Mit Karoline, deren Annäherung an Schelling er mit Argwohn und Groll beobachtete, vertrug er sich von Monat zu Monat schlechter. Deshalb lockerte sich auch sein Verhältnis zu August Wilhelm, der die Partei seiner Gattin ergriff. Endlich zog Friedrich doch nach Berlin, dem Bruder nach. Bereits im Januar 1802 siedelte er aber nach Dresden über. Hier, bei seiner Schwester Charlotte, traf auch Dorothea wieder mit ihm zusammen. Gleichwohl fühlte er sich nach der Auflösung des Jenaer Kreises völlig vereinsamt. Im Frühling 1802 zog er mit Dorothea nach Paris. Dahin lockten ihn die hier aus ganz Europa angesammelten wissenschaftlichen und künstlerischen Schätze.
In Paris näherte Schlegel sich dem Altfranzösischen, überhaupt dem Studium der romanischen Sprachen, dann dem der französischen Geschichte. Die Frucht dieser Arbeit war eine Geschichte der Jungfrau von Orleans (1802). Bald aber fesselten ihn das Persische und das Indische. In der orientalischen Literatur ging für Schlegel eine völlig neue Welt auf. Als wichtigste literarische Frucht dieser Studien erschien (erst 1808) Friedrich Schlegels Buch Über die Sprache und Weisheit der Inder, das alles, was man bisher in Deutschland aus zerstreuten Quellen hatte schöpfen müssen, geistvoll zusammenfasste und dadurch der deutschen Wissenschaft eine bedeutsame Anregung gab. Schon sprach Schlegel hier die Ahnung aus, dass Indien die Wiege aller okzidentalen Völkerbildung sei, ein für die weitere Entwicklung der Sprachwissenschaft, der vergleichenden Literatur- und Völkergeschichte überaus fruchtbares Wort.
Auf weitere Kreise suchte Schlegel durch die Zeitschrift «Europa» zu wirken, die als eine Art Fortsetzung des «Athenäums», nur populärer, praktischer und vielseitiger im Inhalt, in zwei Bänden 1803–1805 erschien. Sie sollte die Kraft der Poesie, das Licht der Schönheit und Wahrheit so weit als möglich verbreiten und alles berühren, was die Ausbildung des menschlichen Geistes angehe. Aber dazu reichten seine Kräfte nicht aus. Seine Freunde, wie Fichte, Schleiermacher, Tieck, konnte er nicht zur Mitarbeit bewegen. Dafür trat die jüngere Generation an: Achim von Arnim, Fouqué u. a. Schlegel selbst eröffnete die Zeitschrift mit Erinnerungen an seine Reise nach Frankreich, dann folgten Aufsätze über die neueste deutsche Literatur und Philosophie, Nachrichten vom Pariser Theater usw.
Seinen Unterhalt in Paris verdiente Schlegel durch Vorlesungen über deutsche Literatur. Im Herbst 1803 mieteten sich einige junge Kölner, unter ihnen die beiden Brüder Boisserée, bei ihm und Dorothea auf Kost und Logis ein. Am 6. April 1804 wurde Dorothea getauft und Friedrich nun auch kirchlich angetraut. Kurz darauf folgten die beiden der Einladung der Brüder Boisserée nach Köln, wo er seine philosophischen Vorlesungen fortsetzte. Gleichzeitig gab Schlegel Bearbeitungen mittelalterlicher Sagen und Rittergeschichten heraus und war dichterisch für das Poetische Taschenbuch tätig, das er in zwei Jahrgängen 1805 und 1806 veröffentlichte. Allmählich wurde Schlegels Hinneigung zum Katholizismus immer entschiedener. Unaufhaltsam näherte sich Schlegel dem Übertritt zur alten Kirche. Am 16. April 1808 legte er mit Dorothea in Köln das katholische Glaubensbekenntnis ab.
Bald darauf reiste er über Dresden nach Wien, wo er eine Staatsanstellung zu finden hoffte. Im März 1809 wurde er zum Sekretär bei der kaiserlichen Hof- und Staatskanzlei ernannt. Dabei betätigte sich Friedrich Schlegel auch literarisch. In seinen besten Gedichten aus dem Jahr 1809 war der vaterländische Ton deutlich zu spüren. Zwar nahm die national deutsche Begeisterung des in österreichischen Diensten tätigen Dichters oft einen spezifisch habsburgischen Charakter an; das Heil Deutschlands erhoffte Schlegel doch nur von dem festen Anschluss aller Stämme an die katholische Kaisermacht. Doch gehörten seine patriotischen Gesänge zu den frühesten Vorboten der Lyrik der Befreiungskriege, und zugleich waren sie so ziemlich die einzigen poetischen Versuche Schlegels, in denen es ihm gelang, einen volkstümlich frischen und echten Ton zu treffen.
Dorothea Schlegel, die Frau des Dichters
Vom Februar bis zum Mai 1810 hielt Schlegel vor zahlreichen, zum Teil fürstlichen Zuhörern Vorlesungen über die neuere Geschichte. Was er bot, waren mehr allgemeine, philosophische Betrachtungen über die Geschichte des Mittelalters und der folgenden Jahrhunderte. Nur die Geschichte Deutschlands und speziell Österreichs kam für ihn in Betracht. Seine Darstellung wurde durch die verschönernde Beleuchtung der meisten früheren Habsburger und ihrer Bestrebungen oft einseitig.
Vor einem nicht minder ansehnlichen Publikum hielt Schlegel im Frühling 1812 in Wien Vorlesungen über die Geschichte der alten und neuen Literatur, welche 1815 in zwei Bänden im Druck erschienen und bald in mehrere Fremdsprachen übersetzt wurden. In der Gesamtausgabe seiner Werke stellte er diese Vorlesungen an die Spitze, weil sie die Ergebnisse seiner früheren kritischen Arbeiten am vollständigsten enthielten. Selten aber betrachtete er die einzelnen Perioden der Literatur noch in demselben Lichte wie früher. So blickte er jetzt mit einer gewissen Skepsis auf die neueren romantischen Literaturen, pries fast nur Camoens und Calderon, sonst von neueren Autoren noch Shakespeare, unbedingt. Liebe zum Vaterland und zur Religion, deutsch-nationalen und christlich-katholischen Sinn zu erwecken, galt ihm durchweg als Hauptzweck. Stets verband er ästhetisches Urteil und geschichtliche Betrachtung. Gerne setzte er die einzelnen Erscheinungen in der Literatur der verschiedenen Völker in Zusammenhang mit und in Gegensatz zueinander. Seine persönlichen Ansichten sprach er möglichst klar und einfach, nüchtern und bestimmt aus. Seine Gabe, scharf zu charakterisieren, verleugnete sich auch hier nicht.
Daneben war Schlegel in Wien vor allem journalistisch tätig. Den auf Metternichs Betreiben im März 1810 begründeten «Österreichischen Beobachter» leitete er während der ersten Zeit und nahm auch später als Mitarbeiter daran regen Anteil. 1812/1813 gab er die Monatsschrift «Deutsches Museum» heraus. Als ihren Hauptzweck bezeichnete er, Geschichte, Philosophie, Kunst und Literatur in einem vaterländischen und durchaus deutschen Geiste zu betrachten und weiter zu fördern. Philosophie des Lebens, germanisches Recht, ältere deutsche Verfassungs- und Kulturgeschichte, altdeutsche Sprach- und Literaturkunde, Poesie, Theater, Kunst und Ästhetik überhaupt sollten hier eine Pflegestätte finden, Politik im engeren Sinne jedoch ausgeschlossen bleiben. Schlegel selbst steuerte verhältnismäßig wenig und nicht immer Bedeutendes zu seiner Monatsschrift bei, gewann aber dichterisch oder wissenschaftlich hochbedeutende Mitarbeiter. Zu ihnen zählten außer seinem Bruder August Wilhelm Matthias Claudius, Jean Paul, Fouqué, Wilhelm von Humboldt, Jacob Grimm u. a. So kam auch die Leserwelt der Zeitschrift wohlwollend entgegen. An ihrem immerhin frühen Abschluss waren nach Schlegels Erklärung allein die Kriegsereignisse schuld.
Später arbeitete er an der größten kritischen Zeitschrift, den «Wiener Jahrbüchern der Literatur», fleißig mit. Noch einmal trat er 1820 als Herausgeber einer Zeitschrift hervor: In diesen und den folgenden Jahren erschienen sechs Hefte der Zeitschrift «Concordia», 1823 zu einem Band gesammelt. Schlegel wollte hier den gesamten moralischen Zustand des Zeitalters, das ganze intellektuelle Leben des deutschen Volkes untersuchen und vom Standpunkt des Christentums aus dauerhaft begründen und neu bearbeiten, die streitenden Ansichten über Staat und Kirche versöhnen.
Etwa zur Zeit der Befreiungskriege hatte Schlegel seine völlige Lösung von seiner literarischen Vergangenheit und von seinen früheren Gefährten vollendet. Damals erst wurde auch sein Übertritt zum Katholizismus in weiteren Kreisen bekannt. Im Ministerium Metternichs war er mehrfach tätig, ohne jedoch etwas Bedeutendes zu leisten oder für seine Ideen und Vorschläge die Beachtung und Belohnung zu finden. Während des Wiener Kongresses reichte er einen Verfassungsentwurf für Deutschland ein, aber auch dieser wurde ad acta gelegt.
Im Oktober 1815 wurde Schlegel zum ersten Legationssekretär bei der österreichischen Gesandtschaft am Deutschen Bundestag in Frankfurt am Main ernannt. Zur gleichen Zeit erhielt er vom Papst den Christusorden. In Frankfurt vertrug sich Schlegel weder mit den unterstellten Beamten noch mit dem Chef des Büros, so wurde er schon bald von seiner Stelle wieder abberufen. Bei der Unsicherheit seiner künftigen Lage ließ er seine Gattin im April 1818 nach Rom zu zweijährigem Aufenthalt bei ihren Söhnen reisen. Er selbst reiste erst im Herbst langsam nach Wien zurück. Im Frühling und Sommer 1819 konnte er eine Reise nach Italien als Begleiter des Fürsten Metternich unternehmen. Nach der Rückkehr fühlte er sich krank, sodass er wiederholt während der nächsten Jahre in Baden bei Wien Erholung suchen musste. Seine Vermögensverhältnisse gestalteten sich immer trauriger. Und die wiederaufgenommene Schriftstellerei konnte er jetzt auch nicht mehr so fördern wie in jüngeren und gesünderen Jahren. Zu dieser Zeit beschäftigte ihn die Sammlung seiner Schriften. Zum großen Teil völlig umgearbeitet, seinen jetzigen christlich-konservativen Anschauungen möglichst angepasst, auch von mancher formalen Rauheit und Schroffheit entkleidet, erschienen diese in Wien 1822–1825 in zehn Bänden.
Bitter kränkte es Friedrich, dass sein Bruder August Wilhelm gegen seine neuesten Arbeiten in verschrobenen Briefen ebenso wie in öffentlichen Broschüren und Vorreden zu eigenen Sammlungen eine unzweideutig feindliche Stellung einnahm und so ein Herzensbündnis schroff zerriss, das Friedrich trotz aller Gegensätze der Lebensanschauung gerne unverletzt bis zu seinem Ende erhalten hätte.
Im Frühling 1827 hielt Schlegel in Wien wieder vor zahlreichen Damen und Herren, die zum Teil der höchsten Gesellschaft angehörten, Vorlesungen, diesmal über Philosophie des Lebens (1828 gedruckt). Schlegel ließ sich durch den äußeren Erfolg dieser Vorlesungen ermuntern und hielt im Frühjahr 1828 wieder Vorlesungen in Wien, nun über Philosophie der Geschichte (1829 in Druck erschienen). Statt einer systematisch genügend gegliederten, geistig freien und wissenschaftlich tiefen Philosophie der Geschichte lieferte er somit in der Hauptsache eine von religiösem und oft auch philosophischem Geiste durchwehte kulturgeschichtliche Betrachtung der Entwicklung der Menschheit. Von einseitigem Fanatismus war seine Darstellung durchaus frei, gelegentliche Polemik vermied er nicht.
Grab des Dichters auf dem Alten Katholischen Friedhof Dresden
Den dritten Teil in dieser philosophischen Enzyklopädie, die auf sieben Zyklen von Vorlesungen berechnet war, sollten Vorlesungen über Philosophie der Sprache und des Wortes bilden, die Schlegel im Dezember 1828 und Anfang 1829 in Dresden hielt, wohin ihn Familienangelegenheiten geführt hatten. Als wichtigstes Verbindungselement des menschlichen Bewusstseins betrachtete Schlegel die Sprache, deren Wesen, Ursprung und mannigfacher Entwicklung er eine besondere, von seinen Zuhörern dankbar anerkannte Aufmerksamkeit widmete. Von den Bestandteilen der Sprache entlehnte er denn auch die bildlichen Ausdrücke für das Grundschema des menschlichen Bewusstseins, dessen gemeinsamen Mittelpunkt das Gefühl, dessen Schlussstein die lebendige Idee des lebendigen Gottes bildet.
Aber ehe Schlegel diese Vorlesungen abschließen konnte, wurde er am 12. Januar 1829 in Dresden durch einen plötzlichen Tod hinweggerafft. Er erlag einem Schlaganfall, dessen Vorboten, Schwindelanfälle und sonstige Kränklichkeit, ihn seit Jahren wiederholt heimgesucht hatten. Persönlich scheint Friedrich Schlegel, dessen Egoismus früher keine Rücksicht kannte, in späteren Jahren liebenswürdiger und milder geworden zu sein. Dem Toten wurden von den verschiedensten Seiten Worte nachgerufen, die von ungeheuchelter, warmer Liebe zeugten. Geistig anregend wirkte er auch zuletzt noch auch wie früher, aber in ganz anderen Kreisen und in einem prinzipiell verschiedenen Sinne. Der geistsprühende, revolutionäre Vorkämpfer der neuesten und freiesten Bestrebungen war zum Verteidiger eines wiederbelebten geistigen Mittelalters geworden.
Aus: Allgemeine Deutsche Biographie. Duncker & Humblot, Leipzig. Bd. 33, S. 737–752 (gekürzt).
1Schlegel, August Wilhelm von (seit 1815), * Hannover 5. 9. 1767, † Bonn 12. 5. 1845, dt. Schriftsteller, Sprach- und Literaturwissenschaftler. Bruder von Friedrich von S.; 1796–1803 verheiratet mit Karoline S.; Mitarbeit an Schillers «Horen» und «Musenalmanach»; 1798–1800 mit seinem Bruder Hg. der romant. Zeitschrift «Athenäum»; ab 1804 Sekretär, Reisebegleiter und literar. Ratgeber der Madame de Staël; Begründer der altind. Philologie; bed. v. a. auch als Vermittler der romant. Ästhetik (Vorlesungen über schöne Literatur und Kunst, hg. 1884); glänzende Übersetzungen (Dante, Calderon und Shakespeare).
2Schlegel, Karoline, * Göttingen 2. 9. 1763, † Maulbronn 7. 9. 1809, dt. Schriftstellerin. Wegen ihrer Verbindungen zum jakobin. Mainzer Klub 1793 inhaftiert; 1796 verheiratet mit August Wilhelm S., mit dem sie in Jena zum Mittelpunkt des frühromant. Kreises wurde; ab 1803 verheiratet mit F. W. J. von Schelling.
3Fichte, Johann Gottlieb, * Rammenau bei Bischofswerda 19. 5. 1762, † Berlin 29. 1. 1814, dt. Philosoph. Sohn eines Bandwirkers; 1811/12 erster frei gewählter Rektor der neu gegründeten Univ. Berlin. Wichtigster Vertreter des dt. Idealismus vor und neben Schelling und Hegel. Im Mittelpunkt seiner von ihm als «Wissenschaftslehre» bezeichneten Philosophie steht der Gedanke von der zentralen Bedeutung des Ichs, das sich selbst schöpfer. setzt. In Anwendung auf die polit. Zeitereignisse machte F. in Grundlage des Naturrechts nach Prinzipien der Wiss.lehre (1796) und Die Grundzüge des gegenwärtig. Zeitalters (1800) seine Erkenntnisse geschichtsphilosoph. produktiv. F. war nicht nur für sein Jh. von Bed. (Schelling und Hegel, Proudhon und Marx), er wirkte auch im 20. Jh. weiter (u. a. Max Weber, J.-P. Sartre). Weitere Werke: Grundlage der gesamten Wiss.lehre (1794), Der geschlossene Handelsstaat (1800), Rechtslehre (1812).
4Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst, * Breslau 21. 11. 1768, † Berlin 12. 2. 1834, dt. ev. Theologe, Philosoph und Pädagoge. Gehörte in Berlin zum Kreis der Romantiker um die Brüder Schlegel; verband Glauben mit der Intellektualität universeller Bildung (u. a. Übers. von Platons Dialogen); wirkte mit Erfolg für die Union zw. Lutheranern und Reformierten in Preußen. – In seinem philos. Hauptwerk Dialektik (hg. 1839) entwickelt S. ein method. Kunstverfahren zur Konstruktion gesicherten Wissens und leitet damit die Wende zu einer universalen Hermeneutik, verstanden als «Kunstlehre des Verstehens» ein. – Weitere Werke: Über die Religion, Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern (1799), Der christl. Glaube, nach den Grundsätzen der ev. Kirche im Zusammenhange dargestellt (2 Bde., 1821/22).
5Schlegel, Dorothea von (seit 1815), * Berlin 24. 10. 1763, † Frankfurt am Main 3. 8. 1839, dt. Schriftstellerin. Tochter von M. Mendelssohn; ab 1804 verheiratet mit Friedrich von S.; schrieb u. a. den fragmentar. Roman Florentin (1801).