Sonderthema
Über die Sprache und Weisheit der Inder
Nachdem der Jenaer Kreis 1801 auseinandergebrochen war, ging Friedrich Schlegel nach Paris. Dort widmet er sich der Kunstkritik und ab 1803 den «Studien der Sanskrit-Sprache und des indischen Alterthums» – so Schlegels eigene Worte. Diese Studien führt er in Köln fort, wohin er mit seiner Frau 1804 zieht. Ein Ertrag dieser Studien ist die Monographie Über die Sprache und Weisheit der Inder, die 1808 erschien.
Im ersten Satz der Vorrede zu seiner berühmten Schrift nimmt Friedrich Schlegel Bezug auf Sir William Jones. Das ist sehr passend. Denn dieser hatte als einer der Ersten die Ähnlichkeit zwischen Sanskrit einerseits und etlichen europäischen Sprachen andererseits bemerkt. Der berühmte Vortrag Jones’ war in Europa schnell bekannt geworden und elektrisierte viele Forscher in Deutschland und außerhalb. So auch Schlegel, den die Frage umtrieb, ob es nicht analog zu den Primzahlen in der Mathematik Primworte, ursprüngliche Wörter, geben könnte, aus denen die Sprachen der Welt ihre Wörter schöpfen. Jones hatte nun unter Verweis auf Sanskrit eine Teilantwort angeregt, der Schlegel nachgehen wollte.
Schlegels über 300 Seiten starkes Werk besteht aus einer Vorrede, den drei Büchern Von der Sprache, Von der Philosophie und Historische Ideen und schließlich den Übersetzungen ausgewählter Originalliteratur, Indische Gedichte.
Schlegel hält Sanskrit für die gesuchte Ursprache, von der Griechisch, Lateinisch, Persisch und Gotisch abstammen. Heute wissen wir, dass dies nicht richtig ist. Aus dem Indogermanischen haben sich Sanskrit und die meisten europäischen Sprachen entwickelt.
Das dritte Kapitel im zweiten Buch ist mit Von der grammatischen Struktur überschrieben. Schlegel weist darauf hin, dass neben den Wortverwandtschaften «die innere Struktur der Grammatik oder die vergleichende Grammatik» am ehesten geeignet sind, die Verwandtschaftsbeziehungen klarzustellen. Hierin wird ihm einige Jahre später Franz Bopp, der Begründer der Indogermanistik, folgen.
Schlegel übersetzt im Anschluss an seine drei Bücher ausgewählte altindische Texte. Besonders zu erwähnen ist die Teilübersetzung der Bhagavadgita (von Schlegel «Bhogovotgita» geschrieben), des berühmten philosophischen Lehrgedichts, das im Hinduismus eine ganz zentrale Rolle einnimmt. Es ist eingebettet in das altindische Epos Mahabharata. Die erste Übersetzung in eine europäische Sprache hatte der englische Orientalist Charles Wilkins bereits 1785 angefertigt. In Deutschland wurde die Bhagavadgita jedoch durch Friedrichs Bruder August Wilhelm bekannt. Dieser hat 1823 die Bhagavadgita mit indischen Buchstaben drucken lassen und eine vielgelesene lateinische Übersetzung beigefügt.
In der Vorrede zu seiner Schrift hatte Schlegel dargelegt, welche Hoffnungen er damit verknüpft. So möchte er zeigen, «wie fruchtbar das indische Studium dereinst noch werden könne», möchte bekanntmachen, «welche reichen Schätze hier verborgen seien» und will schließlich erreichen, «die Liebe für dieses Studium ... auch in Deutschland anzufachen». Tatsächlich schwebt Schlegel eine Art Renaissance vor. So wie im 15. und 16. Jahrhundert in Italien und Deutschland das Studium der griechischen Sprache und Kultur betrieben und gefördert worden sei, so ähnlich wünscht er sich eine Befruchtung der Gegenwart auch durch das indische Altertum.
Die neuzeitliche Renaissance (zwischen Yoga, Hare Krishna und Hollywood) hätte Schlegels Hoffnungen und Vorstellungen sicherlich nicht entsprochen. Dennoch hat er seine vor 200 Jahren gesteckten Ziele durchaus erreicht. Die Indologie nimmt nicht zuletzt in Deutschland einen deutlichen Aufschwung. Die Indogermanistik wird viele Jahre hauptsächlich an deutschen Universitäten vorangetrieben – in Berlin, Jena, Halle und Leipzig.
In die Fußstapfen Schlegels tritt zunächst Franz Bopp (1791–1867). Franz Bopp besuchte in Aschaffenburg das Gymnasium und hatte dort das große Glück, von seinem Gymnasiallehrer Carl Joseph Windischmann gefördert zu werden. Ganz entscheidend war auch die von Windischmann auf Bopp übertragene Begeisterung für indische Kultur und Sprache. Beide lasen Sprache und Weisheit der Inder. Franz Bopp folgt Schlegels Vorbild und geht 1812, finanziell gefördert von der Bayerischen Regierung, nach Paris.
Bopps in Paris angestellte Studien führen schon 1816 zu seiner bahnbrechenden Arbeit Über das Konjugationssystem der Sanskritsprache in Vergleichung mit jenem der griechischen, lateinischen, persischen und germanischen Sprache. Bopp greift hier (und in seinem Hauptwerk von 1833) den von Schlegel geprägten Begriff der vergleichenden Grammatik auf und untersucht ganz in Schlegels Sinne die «innere Struktur der Grammatik».
Auch Bopps Lehrer und Förderer Windischmann betont die Bedeutung der Schlegel’schen Schrift für Bopps Arbeiten. In den 46 Seiten umfassenden Vorerinnerungen, im Wesentlichen einer Laudatio auf seinen Schüler, betont Windischmann, dass Friedrich von Schlegel «die Sanskritsprache zum Gegenstand ernsten Studiums gemacht und hierin für uns alle die Bahn gebrochen» habe.
Allerdings wird nicht Schlegel, sondern erst der strenger und systematischer arbeitende Bopp als Begründer der Indogermanistik angesehen. 1816, das Erscheinungsjahr des Bopp’schen «Konjugationssystems», gilt denn auch als Geburtsjahr der vergleichenden Sprachwissenschaft und der Indogermanistik. Im Gegensatz zu Schlegel erhielt Bopp universitäre Ehren und Ämter. 1821 wurde er in Berlin auf die Professur für «orientalische Literatur und allgemeine Sprachkunde» berufen.
Das Hauptaugenmerk auf Sanskrit zu richten, ist auch aus heutiger Sicht vernünftig. Tatsächlich sind die altindischen Veden, die ältesten Texte der Hindu-Religion, vor mehr als 3000 Jahren formuliert worden, ohne zunächst schriftlich festgehalten zu werden. Jahrhunderte lang erfolgte die Überlieferung nur mündlich. Es handelt sich also um sehr alte Sprachzeugnisse, und die Indogermanistik verdankt ihre Entstehung der Entdeckung des Sanskrits durch Jones und Schlegel.
Auf dem Gebiet des Sprachvergleichs hat Bopp Großes geleistet. An der Rekonstruktion der indogermanischen Sprache haben zunächst August Schleicher (1821–1868), Professor in Prag und schließlich Jena, und August Friedrich Pott (1802–1887), Professor in Halle, gearbeitet.
Der Text ist entnommen aus: http://de.wikipedia.org/wiki/Friedrich_Schlegel