Bildung und Erziehung
Besser Lernen durch Abfragen
Wann ist der Lernprozess wirklich abgeschlossen? Forscher zeigen, dass Abfragen wirksamer als Auswendiglernen ist. Millionen Eltern stehen regelmäßig vor dieser Frage: Wie ist die Antwort zu interpretieren, wenn ihr Nachwuchs behauptet, für die Schulaufgabe gelernt zu haben? Das Problem besteht darin, dass der Lernprozess nie wirklich abgeschlossen ist. Dass jemand eine Antwort gelesen und dann aus dem Gedächtnis rezitiert hat, heißt noch nicht, dass er sich auch morgen noch daran erinnern kann. Die Wissenschaft stellt das Lernen üblicherweise als Prozess dar, als Lernkurve: Durch wiederholtes Einprägen eines Fakts, so die These, kann man sich Schritt für Schritt besser an diesen erinnern. Der Test, ob dem tatsächlich so ist, das Abfragen also, wird in diesem Modell eher als Möglichkeit der Erfolgskontrolle betrachtet.
Die Forscher Jeffrey Karpicke und Henry Roediger von der amerikanischen Purdue University zeigen nun in der aktuellen Ausgabe des Wissenschaftsmagazins «Science», dass diese Vorstellung womöglich unvollständig ist. In einem Experiment testeten sie an College-Studenten, welche Rollen das Studieren und das Abfragen im Lernprozess tatsächlich spielen – und wie die Studenten ihren eigenen Lernerfolg beurteilten. Schließlich versuchten sie auch noch eine Beziehung herzustellen zwischen der Lerngeschwindigkeit und der Geschwindigkeit, mit der man etwas vergisst. Behält man langsam gelerntes Wissen eventuell länger im Gedächtnis?
Dazu ließen sie die Probanden eine Liste von 40 Wortkombinationen in Swahili und Englisch auswendig lernen. Und zwar, nach Abschluss der ersten, für alle Teilnehmer identischen Studienphase, auf verschiedene Weise: einmal in einem Standardprozess – ganz egal, wer sich an welches Wort erfolgreich erinnerte, wurde immer die komplette Wortliste gelernt und abgefragt.
Eine zweite Gruppe musste jedes Wortpaar, das sie beim Abfragen korrekt genannt hatte, ab sofort nicht mehr lernen – es wurde aber weiterhin abgefragt. Bei der dritten Gruppe wurden erfolgreich erinnerte Wortpaare ab sofort nicht mehr abgefragt – sie wurden ihr aber trotzdem noch zum Lernen vorgelegt. Die vierte Gruppe schließlich lernte Wortpaare nur so lange, bis sie sich daran erinnern konnte – und wurde dann auch nicht mehr danach gefragt.
Am Ende der kompletten Versuchsphase fragten die Forscher die Studenten schließlich nach ihren Erwartungen – an wie viele der 40 Wortpaare würden sie sich nach einer weiteren Woche erinnern können? Die Ergebnisse waren zunächst nicht überraschend: Egal, wie die Studenten gelernt hatten, nach der ersten Versuchsphase waren die kumulativen Lernerfolge weitgehend identisch, alle Teilnehmer hatten alle Wortpaare im Gedächtnis. Auch die Erwartungen der Lernenden in Bezug auf den Test eine Woche später unterschieden sich nicht.
Nach einer Woche...
Sieben Tage später sahen die Ergebnisse aber deutlich anders aus: Wenn die Vokabeln während des ursprünglichen Lernprozesses regelmäßig abgefragt worden waren (also bei den Gruppen Eins und Zwei), konnten sich die Studenten nach einer Woche noch an 80 Prozent der Wortkombinationen erinnern.
Wurde das Abfragen aber weggelassen, also in den Gruppen Drei und Vier, fiel den Probanden nach einer Woche nur noch ein Drittel der Wortpaare ein. Und das, obwohl ja zumindest Gruppe Drei alle Wortpaare bis zum Schluss weiterhin studiert hatte. Regelmäßiges Abfragen, so die Folgerung, ist also für den Lernprozess weit wichtiger als regelmäßiges Einprägen.
Die unterschiedliche Lernweise der Gruppen Eins und Zwei wirkte sich auf das Ergebnis hingegen nicht signifikant aus – man darf also mit Recht die effizientere Lernstrategie anwenden, sich einmal gewusste Wörter nicht mehr einzuprägen – Hauptsache, auch diese Fakten werden weiterhin abgefragt. Der Test, die Abfrage, ist offenbar kein neutraler Teil des Lernprozesses, sondern ein wichtiges, direkt mit dem Lernerfolg zusammenhängendes Element.
Matthias Gräbner
Der Text ist entnommen aus: http://www.heise.de/tp/r4/artikel/27/27295/1.html