Главная страница «Первого сентября»Главная страница журнала «Немецкий язык»Содержание №7/2008

Sonderthema

Leonhard Euler und die Wonnen der Wissenschaft

Wie viele der heute alteingesessenen Basler Geschlechter sind Eulers Vorfahren aus dem Ausland nach Basel eingewandert. Die ursprüngliche Heimat der Eulers war die freie Reichsstadt Lindau am Bodensee, wo sie vorwiegend als Kammmacher tätig waren. Der Familienname Euler leitet sich vom Wort «Ouwe» ab (Aue: kleines Grundstück am Wasser). Die Lindauer Euler führten dazu den Beinamen  Schölpi, in dem sich das Wort «schelp» (schief, krumm) verbirgt. Als dort das Gewerbe einen Niedergang erlebte, während in Basel Handel und Wandel immer mehr aufblühten, bewarb sich ein Lindauer Euler 1594 um das Basler Bürgerrecht und wurde in den Protokollen des Kleinen Rates von 1594 als «Hans Jerg Öwler genant Schölpin von Lindow der Strelmacher» eingetragen. Die eingewanderten Euler und ihre Nachfahren gingen in Basel ihrem angestammten Handwerk nach.

Eulers Eltern

Leonhard Eulers Vater Paul wurde 1670 in Basel geboren. Er gehörte der vierten Generation der Basler Eulers an. Er gab als Erster das Kammmacherhandwerk auf und wurde reformierter  Pfarrer. Paul Euler absolvierte zunächst das Grundstudium in der philosophischen Fakultät der Universität Basel. In dieser Zeit genoss er den Unterricht Jacob Bernoullis, des Nestors der Basler Mathematikerschule. Dieser schätzte die Begabung Paul Eulers offenbar als überdurchschnittlich ein, denn er übertrug ihm 1688 die öffentliche Verteidigung einer seiner Dissertationen.

Nach dem Magisterexamen im Jahr 1689 studierte Paul Euler Theo­logie. Nach seinem Schlussexamen 1693 wirkte er zunächst als schlecht dotierter Pfarrer am Basler Waisenhaus und dann zu St. Jakob an der Birs. 1708 erhielt er schließlich die Pfarrstelle in Riehen, die er bis zu seinem Tod im Jahr 1745 innehatte.

Margarethe Brucker, die Mutter Leonhard Eulers, wurde 1677 in Basel geboren. Im Gegensatz zu ihrem Ehemann stammte sie aus einer alteingesessenen Basler Familie. Unter ihren Vorfahren waren bekannte Gelehrte und Humanisten.

Über die Mutter ist Leonhard Euler daher mit dem humanistischen Erbe Basels verbunden. Margarethe Brucker schenkte ihrem Mann vier Kinder, die Söhne Leonhard und Johann Heinrich sowie die Töchter Anna Maria und Maria Magdalena.

Nach dem Tod seines Vaters nahm Leonhard Euler die Mutter im Jahr 1750 zu sich nach Berlin. Um sie abzuholen, reiste er allerdings nicht in seine Heimatstadt, sondern traf sie in Frankfurt am Main. Margarethe Euler starb im Jahr 1761 in Berlin.

Eulers Kindheit

Leonhard Euler wurde am 15. April 1707 als erstes Kind seiner Eltern in Basel geboren. Wo sein Geburtshaus stand, ist unbekannt. Da die Kirche zu St. Jakob kein Pfarrhaus besaß, ist zu vermuten, dass die Eltern bis zur Übersiedlung nach Riehen in Basel in Miete wohnten, und zwar in der näheren Umgebung der Martinskirche. Dort wurde Leonhard Euler am 17. April 1707 getauft.
Nach dem Umzug der Eltern nach Riehen Mitte 1708 wuchs Leonhard Euler im dortigen Pfarrhaus auf. Der Familie standen dort nur eine Studierstube und ein Wohnzimmer zur Verfügung, sodass die Verhältnisse sehr beengt waren. Den ersten Unterricht erhielt Leonhard Euler von seinem Vater. Dabei spielte die Mathematik, die den Knaben faszinierte, offenbar von Anfang an eine große Rolle. Dies bezeugt Leonhard Euler, wenn er in seiner Autobiografie über seinen Vater schreibt: «Weil derselbe einer von den Discipeln (Schülern) des weltberühmten Jacob Bernoulli gewesen, so trachtete er, mir sogleich die ersten Gründe der Mathematik beizubringen, und bediente sich zu diesem Ende des Christophs Rudolphs Coss mit Michaels Stiefels Anmerkungen, worinnen ich mich einige Jahre mit allem Fleiß übte.»

Die Lektüre dieses Buches dürfte normalerweise einem Knaben im Alter Eulers recht schwergefallen sein. Bei der erwähnten Coss von Rudolff handelt es sich nämlich um ein Lehrbuch der elementaren Mathematik, das anhand zahlreicher Beispiele Erwachsene in die einfache Algebra und das kaufmännische Rechnen einführt und immerhin bis zur Behandlung quadratischer und kubischer Gleichungen vorstößt.

Zum Besuch des Gymnasiums wurde Leonhard Euler bei seiner Großmutter in Basel in Kost gegeben. Das Basler Gymnasium hatte sieben Klassen, von denen die ersten zugleich Elementarschule waren. In den oberen Klassen wurde vor allem Latein, Griechisch und fakultativ Hebräisch unterrichtet. Mathematik kam höchstens rudimentär am Rand vor. Logik und Rhetorik sollten auf den Lehrbetrieb der Universität vorbereiten. Nach dem Durchlaufen aller Klassen wurde der Schüler «promoviert» und konnte sich in der philosophischen Fakultät einschreiben.

Das Basler Gymnasium befand sich Anfang des 18. Jahrhunderts in keinem guten Zustand. Schon Jacob Bernoulli hatte 1691 in einem Memorial festgehalten, dass es «mit den Pädagogen auf Burg eben auch gar schlecht bestellt». Doch war seither nichts in dieser Richtung geschehen. Ein Reformvorschlag von Johann I. Bernoulli aus dem Jahr 1716 wurde von der Regierung zwar angenommen, zugleich aber dessen Umsetzung hintertrieben. Erst als Johann I. Bernoulli 1725/26 Inspektor des Gymnasiums wurde, konnte er daran gehen, «den Augiasstall auszumisten».

Die Lehranstalt «auf Burg», die keinen systematischen Mathematik­unterricht kannte, konnte also Leonhard Eulers Wissensdurst kaum befriedigen. Da Eulers Vater die mathematische Begabung seines Sohnes erkannt hatte, engagierte er für seinen Sohn den jungen und ebenfalls für die Mathematik begeisterten Theologen Johannes Burckhardt als Privatlehrer. Burckhardt wirkte später als Pfarrer. Er vermittelte dem Knaben, der erste Kenntnisse durch eigene Lektüre bereits selbst erworben hatte, vertiefte Kenntnisse in der Mathematik.

Euler konnte so in Basel immerhin – wie er schreibt – «teils in dem Gymnasium daselbst, teils durch Privatunterricht den Grund in den Humanioribus (Geisteswissenschaften) legen und zugleich in der Mathematik weiterkommen.»

Eulers Studium

Am 8. Oktober 1720 schrieb sich Leonhard Euler in die Matrikel der philosophischen Fakultät der Universität Basel ein. Mit dreizehn Jahren erfüllte er damit gerade das damals geforderte Mindestalter. Die unteren Klassen der philosophischen Fakultät übernahmen zu jener Zeit ungefähr die Aufgaben der Oberstufe eines heutigen Gymnasiums. Von Basler Bürgern wurde beim Eintritt lediglich verlangt, dass sie mindestens die oberen beiden Klassen des Gymnasiums absolviert hätten. Vorausgesetzt wurde in jedem Fall fehlerfreies Reden und Schreiben in Latein und Kenntnis der ersten Elemente von Dialektik und Rhetorik.

Die Universität Basel war im 18. Jahrhundert die einzige Universität auf dem Gebiet der heutigen Schweiz. Zürich, Bern, Lausanne und Genf besaßen in ihren «Akademien» lediglich Fachschulen, die keine Grade wie Magister oder Doktor verleihen konnten. Wie fast alle Universitäten des 17. und 18. Jahrhunderts war auch die Basler Universität keine Forschungs-, sondern eine Unterrichtsanstalt. Man suchte an der Universität nicht die Wahrheit, sondern man lehrte sie. Daher wurde in den Vorlesungen der Lehrstoff meist anhand eines Lehrbuches und durch Diktat doziert. In öffentlichen Disputationen wurde das Gelernte reproduziert und angewandt. Ebenso viel Gewicht wie auf den Inhalt wurde dabei auf die Form des Vortrags gelegt.

Rhetorik und Eloquenz hatten deshalb eine besondere Stellung und verfügten über eigene Lehrstühle. Lehren und Lernen waren viel enger verbunden als heute. Nicht nur jeder Graduierte war berechtigt, Vorlesungen zu halten, sondern auch jeder Student konnte und sollte dies übungshalber tun.

In den Vorlesungen wurde lediglich der traditionelle Lehrstoff behandelt. Eigene Forschungsergebnisse und neue wissenschaftliche Methoden wurden hingegen höchstens in Privatlektionen vermittelt. Johann I. Bernoulli erteilte z. B. solche Lektionen in Paris oder in Genf. In Basel suchten ihn zu diesem Zweck renommierte Wissenschafter auf und verweilten mehrere Wochen als zahlende Gäste in seinem Haus. Hinter den Privatlektionen stand auch das Bedürfnis der Professoren nach einer Ergänzung ihres Gehaltes. Die Saläre der philosophischen Fakultät in Basel gehörten damals zu den niedrigsten im deutschsprachigen Raum. Die jährliche Besoldung eines Professors mit Familie reichte höchstens für ein halbes bis ein dreiviertel Jahr.

Der wissenschaftliche Diskurs fand damit ebenfalls nicht in den Universitäten, sondern in den privaten Zirkeln oder in den ausgedehnten Netzwerken des Briefwechsels statt. Forschungsergebnisse wurden in den wissenschaftlichen Zeitschriften und den Publikationsorganen der großen Akademien von London, Paris, Berlin oder St. Petersburg publiziert und fanden so internationale Verbreitung.

Die moderne Zeit brachte die strukturellen Mängel der mittelalterlichen Universitäten immer mehr zutage. Jacob Bernoulli schlug daher bereits 1691 in einem anonymen Memorial Maßnahmen zu deren Behebung vor. Eine Haupt­ursache der Mängel sah er z. B. in der unterschiedlichen Besoldung der Professoren je nach Fakultät. Sie provozierte, ja institutionalisierte die Bemühungen der Professoren um einen Wechsel in die oberen Fakultäten ohne Rücksicht auf die Sachkompetenz der Lehrstuhlinhaber. Dadurch wurde die Anpassung der Universität an die veränderten Anforderungen der modernen Zeit, in der sich das Schwergewicht auf die Naturwissenschaften verschob, erschwert oder verhindert.

Leonhard Euler hatte nun das große Glück, während seines Grundstudiums in Basel in engen Kontakt zu Johann I. Bernoulli zu treten. Dieser war seit 1705 Mathematikprofessor in Basel und eine europäische Berühmtheit. In enger Zusammenarbeit mit seinem Bruder Jacob hatte er seit 1684 die Leibniz’sche Differential- und Integralrechnung in eine lehr- und lernbare Disziplin verwandelt, ausgebaut und international weiterverbreitet. Nach zehnjähriger Lehrtätigkeit in Groningen war er 1705 nach Basel zurückgekehrt, wo er den Lehrstuhl für Mathematik seines verstorbenen Bruders übernahm. An der Universität trug er wie üblich nur Elementares vor. Die Geheimnisse der Leibniz’schen Mathematik vermittelte er einerseits privat an eine internationale Elite von Wissenschaftlern, andererseits in vielbeachteten Aufsätzen und durch eine ausgedehnte Korrespondenz mit den großen Gelehrten Europas. Dabei verteidigte Bernoulli seine eigene Rolle und die der Basler Mathematikerschule leidenschaftlich und streitbar gegen die Ansprüche insbesondere der englischen Forscher.

Leonhard Euler

Wie sehr sich Eulers Liebe zur Mathematik, die ihm der Vater eingepflanzt hatte, unter Bernoullis Einfluss in Begeisterung verwandelte, zeigt eine lateinische Rede des Vierzehnjährigen über Arithmetik und Geometrie, in der er seine Mitschüler auffordert, mit ihm «die Wonnen dieser Wissenschaften zu kosten». Euler hatte Johann Bernoulli zunächst um mathematische Privatvorlesungen gebeten, doch hatte dieser mit ihm etwas anderes vor: Er riet ihm, im Selbststudium einige anspruchsvolle mathematische Werke durchzuarbeiten, dann jeden Samstagnachmittag zu ihm zu kommen und mit ihm die aufgetretenen Schwierigkeiten zu diskutieren. Dieses Verfahren bezeichnete Euler später selbst als «gewiss die beste Methode …, um in den mathematischen Wissenschaften glückliche Progressen zu machen».

In der Tat: Was hätte einem jungen, hochbegabten Studenten Besseres widerfahren können, als die Probleme beim Selbststudium der neuesten Mathematik mit einem der bedeutendsten Fachmänner seiner Zeit diskutieren und auflösen zu können?

Die Fundamente zu Eulers breit angelegter Auseinandersetzung mit den schwierigsten Problemen der Mathematik und der Naturwissenschaften sind auf diese Weise in Basel durch die auf den Hochbegabten zugeschnittene Didaktik Johann Bernoullis zuverlässig gelegt worden. Auf ihnen sollte Euler alsbald das Gebäude seines immensen Oeuvres aufbauen.

Der Beginn von Eulers akademischer Laufbahn

Bereits während des Grundstudiums war Euler mit eigenen kleinen Vorträgen und Abhandlungen hervorgetreten. Mit einem Vortrag De Temperantia, in dem er die Vorzüge der Mäßigkeit pries, erlangte er 1722 den niedrigsten akademischen Grad, die «prima laurea», was etwa dem heutigen Maturitätszeugnis entspricht. Als Respondent zweier Kandidaten trat Euler 1722 bei deren Bewerbungen um den Lehrstuhl der Logik auf. 1724 schloss er sein Grundstudium mit dem Magisterexamen ab. Aus diesem Anlass hielt er eine öffentliche Rede, in der er die naturphilosophischen Systeme von Descartes und Newton verglich. Leider ist deren Text nicht überliefert.

Der Titel eines Magisters entsprach dem eines Doktors der Philosophie. Doch durfte dieser Titel nur geführt werden, falls man in einer der oberen Fakultäten einen höheren Grad erworben hatte. Dann konnte man sich z. B. «Dr. med. et Dr. phil.» nennen. Obwohl Leonhard Euler sich 1724 auf Wunsch des Vaters in der theologischen und 1727 kurz vor seiner Abreise nach St. Petersburg auch in der medizinischen Fakultät einschrieb, legte er dort nie ein Examen ab. Die Absicht, von St. Petersburg aus den medizinischen Doktorgrad von Basel zu erwerben, «falls es nicht zu viel koste», wie er 1734 an Daniel Bernoulli schrieb, hat er jedoch nicht verwirklicht. Er blieb also Zeit seines Lebens der Basler «Magister Euler».

Den öffentlichen Reden folgten bald Eulers erste eigene Veröffentlichungen, von denen eine über die beste Bemastung von Hochseeschiffen sogar den zweiten Preis der Pariser Akademie der Wissenschaften erhielt.

Eine weitere Abhandlung Eulers aus seiner Basler Zeit schließt sich an die Forschungsarbeiten seines Lehrers Johann Bernoulli zum differential­geometrischen Problem der reziproken Trajektorien an. Dazu bemerkte Johann Bernoulli: «Dass die Sache nicht unmöglich ist, ist aus dem zu entnehmen, was Leonhard Euler, ein junger Mann von den glücklichsten Anlagen, geleistet hat, von dessen Klugheit und Scharfsinn wir uns das Größte versprechen, nachdem wir gesehen haben, mit welcher Leichtigkeit und Gewandtheit er in die geheimsten Gefilde der höheren Mathematik unter unseren Auspizien eingedrungen ist.» Dies war der Ritterschlag durch den sonst mit Lob eher sparsamen Meister. Dass Euler alle Erwartungen seines Basler Lehrers erfüllt und sogar übertroffen hat, zeigt ein später Brief Bernoullis an seinen ehemaligen Studenten, in dem er diesen als «den unvergleichlichen Leonhard Euler, den Fürsten unter den Mathematikern» anredet.

Bei seiner Bewerbung um den Basler Lehrstuhl der Physik mit einer Schrift über den Schall erhielt Euler 1727 im komplizierten und auch das Los benutzenden Wahlverfahren wohl aufgrund seiner Jugend nur die Stimme seines Lehrers Johann I. Bernoulli und schied somit bereits nach der ersten Runde aus. Er verließ daher Basel und nahm eine Stelle an der St. Petersburger Akademie der Wissenschaften an.

Euler in St. Petersburg (1727–1741)

Die Tatsache, dass Euler einen gro­ßen Teil seines Lebens in Russland verbrachte, mag heute erstaunen. Was veranlasste diesen hochtalentierten Mathematiker, 1727 in die junge Hauptstadt des Zarenreichs auszuwandern und 1766 nach 25 Jahren in Berlin wieder dorthin zurückzukehren?
Euler war bei Weitem kein Einzelfall: Besonders im 18. Jahrhundert zog es eine ganze Reihe von schweizerischen Gelehrten, hauptsächlich Mathematikern aus Basel, nach St. Petersburg. Hier fanden sie eine Kolonie von Landsleuten vor, denn das 1703 gegründete «Venedig des Nordens» zog Schweizer Spezialisten aus den verschiedensten Berufsgruppen an, allen voran Tessiner Architekten und Baumeister, aber auch Kaufleute, Erzieher, Zuckerbäcker und Offiziere. Diese Kolonie wuchs zu einer stattlichen Größe an, sodass der junge Basler Mathematiker Nikolaus Fuss 1773 erfreut feststellen konnte: «Bei H. Grimm treffe ich immer Landsleute an, ich kenne schon sehr viele, es müssen dem Ansehen nach eine Menge Schweitzer hier sein. Wenn ich mir nicht außerordentliche Mühe gebe, so verspreche ich mir keine großen Progressen in der Russischen Sprache, es wird gar zu sehr Deutsch und Französisch gesprochen.»

Die von Peter dem Großen initiierte St. Petersburger Akademie der Wissenschaften war nach dessen Tod von seiner Nachfolgerin, der Kaiserin Katharina I., 1726 eröffnet worden. Da Russland damals noch über keinen eigenen wissenschaftlichen Nachwuchs verfügte, suchte man in Westeuropa nach geeigneten Wissenschaftern. Der damals in Marburg lehrende Mathematiker und Philosoph Christian Wolff hatte eine Berufung zum Präsidenten der Akademie abgelehnt, erbot sich aber, nach «geschickten Leuten, die was präsentieren können», Ausschau zu halten. Erfolgreich empfahl er an eigener Statt einen bereits renommierten Basler Forscher, den damals in Frankfurt/Oder lehrenden Bernoulli-Schüler Jacob Hermann, sowie als Nachwuchstalente die beiden ältesten Söhne von Johann I. Bernoulli, Nicolaus II. und Daniel. Da die neue Akademie den Forschern sehr gute Saläre und glänzende Arbeitsbedingungen bot, folgten alle drei 1725 dem Ruf nach St. Petersburg. Sie trugen ihrerseits entscheidend zum Renommee der nordischen Akademie bei. Der Einfluss der Basler Professoren überstieg den quantitativen Anteil bei Weitem, sowohl was die wissenschaftliche Ausstrahlung als auch ihre Mitwirkung in der Verwaltung der Akademie betraf.

Auch Leonhard Euler, der an der Universität Basel trotz der Bemühungen Johann I. Bernoullis nicht zum Zug gekommen war, wäre den beiden befreundeten Bernoulli-Söhnen gerne sofort gefolgt. Doch war in St. Petersburg zunächst keine Stelle frei. Die beiden Bernoulli hatten jedoch bei ihrer Abreise von Basel versprochen, Euler in St. Petersburg eine Stelle zu verschaffen. Dies gelang ihnen auch. Allerdings sollte Euler als Adjunkt dort Physiologie und Anatomie vertreten. Euler immatrikulierte sich zu diesem Zweck noch rasch in der medizinischen Fakultät in Basel, reiste aber bereits wenige Tage danach nach St. Petersburg ab. Als er bei der Durchreise in Marburg Christian Wolff besuchte, erklärte dieser ihm, dass er ins «Paradies der Gelehrten» reise. In der Tat waren bei Eulers Ankunft die Bauarbeiten an zahlreichen Akademiegebäuden, wie an den Sitzungsräumen, der Bibliothek, dem anatomischen Theater, der Kunstkammer und dem Observatorium in vollem Gang. Zugleich musste Euler aber auch erfahren, dass die Kaiserin Katharina I. soeben verstorben war und die Kämpfe um die Inthronisierung des zwölfjährigen Peters II. begonnen hatten. Doch sollte sich die Lage, wenigstens was die Akademie betraf, bis zum frühen Tod Peters II. im Jahr 1730 einigermaßen stabilisieren.

Euler wohnte in den ersten sechs St. Petersburger Jahren im Haus von Daniel Bernoulli. Dessen Bruder Nicolaus II. war leider 1726 im Alter von 31 Jahren verstorben. Alsbald wurde Euler zum Adjunkten der mathematischen Klasse ernannt, der Jacob Hermann als «professor primarius» vorstand. Zu den drei Basler Akademikern kam in St. Petersburg ein starkes württembergisches Kontingent sowie einige Gelehrte aus anderen deutschen Ländern.

Angesichts des starken deutschsprachigen Kontingents ist es nicht verwunderlich, dass der größte Teil der Publikationen in Latein, die Protokolle der St. Petersburger Akademie in den ersten Jahren aber in deutscher Sprache verfasst sind.

Als Jacob Hermann und Georg Bernhard Bilffinger 1730 in ihre Heimat zurückkehrten, erhielt Euler Hermanns Stelle eines Professors der Mathematik. Nach dem Weggang Daniel Bernoullis konnte er dann 1733 dessen Professur der Physik übernehmen.

Eine Stelle als Lehrer am Kadettencorps brachte weitere Einkünfte, sodass Leonhard Euler am 7. Januar 1733 Katharina Gsell, die Tochter eines aus St. Gallen stammenden und ebenfalls in St. Petersburg ansässigen Malers, heiraten konnte.

Katharina Gsell schenkte ihrem Gatten dreizehn Kinder, von denen die ersten fünf in St. Petersburg geboren wurden. Den Vater haben jedoch nur die drei Söhne Johann Albrecht, Karl Johann und Christoph überlebt.

St. Petersburger Kunstkammer

In St. Petersburg entstanden Eulers erste große Monographien wie eine Mechanica, eine Einleitung in die Algebra, eine Schiffstheorie und der Versuch einer neuen Musiktheorie.
Hinzu kamen zahlreiche Abhandlungen zur Differentialgeometrie, zur Integralrechnung, zur Zahlentheorie, zur Theorie der unendlichen Reihen, zur Variationsrechnung und zur Bewegung der Himmelskörper. Hervorzuheben sind auch Eulers Abhandlungen über die Natur und die Eigenschaften des Feuers sowie über Ebbe und Flut, die beide von der Pariser Akademie der Wissenschaften 1738 bzw. 1740 preisgekrönt wurden.

Euler in Berlin (1741–1766)

1740 hatte sich die innenpolitische Situation nach dem Tod der Kaiserin Anna immer mehr verschärft, bis 1741 die Kaiserin Elisabeth nach einem Putsch auf den Thron kam. Auch an der Akademie hatten sich die Verhältnisse durch die Verlagerung des Hofes nach Moskau und durch die Einsetzung des stark autokratisch auftretenden Verwalters Johann Daniel Schumacher nicht verbessert. Zudem betrieb Elisabeth I. bald auch eine Art «Russifizierung» der Akademie, die den ausländischen Mitgliedern unbequem wurde. Euler selbst nennt auch die Arbeit im geografischen Departement «fatal». Immerhin hatte er in St. Petersburg durch eine Krankheit bereits sein rechtes Auge verloren. Hinzu kam der Wunsch seiner Frau, St. Petersburg zu verlassen, da sie sich mit Recht vor den dort grassierenden verheerenden Bränden fürchtete und in ihrem Holzhaus stets ein Fluchtgepäck bereithielt. Euler nahm daher gerne den Ruf an, den er 1741 von König Friedrich II. von Preußen an die Berliner Akademie erhielt. Friedrich der Große war bereits kurz nach seiner Thron­besteigung 1740 daran gegangen, die von Leibniz initiierte Berliner Akademie der Wissenschaften, die unter seinem Vater stark vernachlässigt und heruntergekommen war, neu zu konstituieren.

Bereits zwei Monate nach dem Tod seines Vaters berichtet er voll Enthusiasmus an Voltaire: «Ich habe Wolff gewonnen, Maupertuis, Vaucanson und Algarotti. Ich warte auf die Antworten von Gravesande und Euler.» Letzterer traf dann bereits am 25. Juli 1741 in Berlin ein. Die Akademie befand sich allerdings noch in ihrem alten bedauernswerten Zustand, der sich wegen des Beginns des 1. Schlesischen Krieges erst nach ihrer Wiederherstellung im Jahr 1744 ändern sollte. Immerhin konnte Euler noch fünf Abhandlungen veröffentlichen und damit fast den gesamten Beitrag der mathematischen Klasse leisten. Dem König empfahl sich Euler durch eine Reihe von Gutachten zu praktischen Fragen, so z. B. über die Nivellierung des Finow-Havel-Kanals, über Salzbergwerke, über einen Lotterieplan oder über die Gründe des Versagens der Wasserspiele von Sanssouci. Für einige dieser Gutachten hat sich Friedrich der Große auch artig bei Euler bedankt.

Ab 1744 fungierte Euler dann als Direktor der mathematischen Klasse der Akademie. Als Akademiepräsidenten hatte Friedrich der Große Pierre Louis Moreau de Maupertuis berufen, dem es gelungen war, auf einer Expedition zur Gradmessung in Lappland die Abplattung der Erde an den Polen nachzuweisen.

Da dies die Theorie Newtons bestätigte und diejenige von Descartes widerlegte, war Maupertuis eine europäische Berühmtheit geworden. Maupertuis hatte während seiner früheren Aufenthalte in Basel mit den Bernoulli Freundschaft geschlossen.

Durch die Empfehlungen von Eulers Alters- und Studiengenossen Johann II. Bernoulli kamen in der Folge zahlreiche junge Schweizer zu einer begehrten Stelle an der Berliner Akademie der Wissenschaften. Euler selbst nahm in seinen Berliner Haushalt auch junge Russen auf, die dort für einige Jahre seinen Unterricht genossen.

Zahlreiche Abhandlungen Eulers sind in seiner Berliner Zeit entstanden. Sie wurden meist in der «Histoire» der Berliner Akademie publiziert. Euler steuerte aber auch den «Commentarii» der St. Petersburger Akademie, von der er seit 1742 eine Pension erhielt, Aufsätze bei. Einige Arbeiten wurden wiederum von der Pariser Akademie preisgekrönt und erschienen in deren «Mémoires». An Monographien entstanden in Berlin grundlegende Werke zur Variationsrechnung, zur Ballistik, zur Einführung in die Analysis und zur Integralrechnung.

Eulers Weggang von Berlin

Allmählich wurde Euler mit seiner Situation in Berlin immer unzufriedener. Es gab auch Gründe, von denen hier nur einige angeführt seien. Hauptgrund für Eulers Unzufriedenheit war wohl die Tatsache, dass er einsehen musste, nach dem Tod Maupertuis’ keine Chance zu haben, das Präsidentenamt der Berliner Akademie zu übernehmen. Als Gesprächspartner hätte der biedere Euler Friedrich den Großen wohl kaum fasziniert. In der Tafelrunde in Sanssouci hatten nur geistreiche französische Causeurs wie Voltaire oder Algarotti Zugang, und bereits Maupertuis galt dem König als Langweiler. Was hätte er wohl erst von Euler gehalten?

Ein weiterer Grund der Unzufriedenheit war die Tatsache, dass Friedrich der Große die Akademie zunehmend französisierte und dabei vor allem die Aufklärer begünstigte. Letztere verabscheute der fromme Euler, der dem Konsistorium der französisch-reformierten Kirche angehörte, als «Freigeister» zutiefst.

Dass er diese Abscheu in einer Schrift Rettung der göttlichen Offenbarung gegen die Einwürfe der Freygeister von 1747 auch noch gedruckt zum Ausdruck brachte, dürfte beim atheistischen Preußenkönig kaum auf besonderes Wohlwollen gestoßen sein.

Hinzu kam Eulers Ablehnung der Leibniz’schen und Wolff’schen Philosophie, womit er ebenfalls konträr zu den Vorlieben des Königs stand, der sich vor seiner Thronbesteigung ausführlich mit Wolff befasst hatte. Erwähnt seien auch einige kleinere Ungeschicklichkeiten Eulers. So musste z. B. seine Intervention beim König wegen eines Heiratsdispens für den in der preußischen Armee diensttuenden Bräutigam seiner Tochter Charlotte wie immer in solchen Fällen auf schroffe Ablehnung stoßen, was sich Euler eigentlich hätte ausrechnen können.

Weitaus gravierender war dann eine Finanzaffäre um einen gewissen David Köhler, der die Gelder aus dem Kalenderprivileg der Akademie und damit deren Haupteinnahme verwaltete. Köhler wurde verdächtigt, dabei Gelder unterschlagen zu haben. 1763/64 verlangte der König daher eine Neuordnung der Finanzen der Akademie. Eine Akademiekommission diskutierte die Frage, ob sie selbst als Kontrollorgan die Verwaltung übernehmen solle oder ob es besser wäre, das Kalenderprivileg zu verpachten. Euler, der bisher in letzter Instanz für die Kalendergelder verantwortlich war, widersetzte sich jeder Neuordnung, die er wohl mit Recht auch als Ausdruck des Misstrauens des Königs ihm gegenüber auffasste. Unter Umgehung der Kommission wurde er selbst brieflich beim König vorstellig und schlug vor, am bisherigen System und an seinem Verwalter Köhler festzuhalten. Der König antwortete ihm jedoch angesichts der bei einer Verpachtung zu erwartenden höheren Einnahmen: «Ich verstehe zwar keine Kurven zu berechnen, aber das weiß ich, dass 16 000 Taler mehr sind als 13 000.» Als die Kommission von Eulers Briefwechsel mit dem König hinter ihrem Rücken erfuhr, war sie entrüstet und zwang Euler, die königliche Antwort in der Akademie öffentlich zu verlesen, wodurch dieser in peinliche Verlegenheit geriet.

Alle diese großen und kleinen Widrigkeiten zusammen mit der allgemeinen Teuerung als Folge des Siebenjährigen Krieges veranlassten Euler, sich nach einer neuen Stelle umzusehen.

Eine Übernahme des Basler Lehrstuhls von Johann I. Bernoulli, der 1748 gestorben war, hatte er bereits früher abgelehnt, wohl nicht zuletzt im Hinblick auf die jämmerlichen Basler Professorengehälter.

Den Gedanken, nach England zu gehen, gab Euler ebenfalls bald auf. Immer entschiedener streckte er hingegen seine Fühler nach St. Petersburg aus. Das Einzige, was ihn noch zurückhielt, war die Sorge, seine Kapitalien in St. Petersburg nicht so gut anlegen zu können wie in Berlin, und die ausstehende Erlaubnis des Königs, den Dienst zu quittieren.

1765 erhielt Euler endlich ein offizielles Angebot aus Russland. Doch erst der Druck der Kaiserin Katharina II. veranlasste Friedrich den Großen, Euler am 2. Mai 1766 lakonisch mitzuteilen, dass er nach Russland gehen darf.

Euler wieder in St. Petersburg (1766–1783)

Schon auf der Reise nach St. Petersburg war Euler von König Stanislaus II. Poniatowski in Warschau und vom Herzog von Kurland in Mitau höchst ehrenvoll begrüßt und beherbergt worden. Schon kurz nach seiner Ankunft in St. Petersburg wurde er der Kaiserin Katharina II. vorgestellt und von ihr zur Tafel geladen. Von materiellen Sorgen befreit, konnte Euler jetzt an die Aufgabe gehen, durch eigene Arbeit und durch Berufung fähiger Leute der Akademie von St. Petersburg zu neuem Glanz zu verhelfen.

Mehr als 400 Abhandlungen Eulers zu Themen aus den verschiedensten Gebieten von Mathematik, Physik und Astronomie entstehen jetzt. Dies ist umso erstaunlicher, als Euler seit 1771 fast vollständig erblindet war. Seine Formeln schrieb er mit Kreide auf Tafeln, von wo sie durch seine Mitarbeiter in ein Buch übertragen wurden. Aus diesen Materialien entstanden dann nach Diktat unter seiner Aufsicht die Texte der Publikationen.

Zu den großen Arbeiten aus der zweiten Petersburger Periode zählen die dreibändige Einführung in die Integralrechnung, die dreibändige Dioptrik, seine Arbeiten zur Mondtheo­rie, welche z. B. für die Navigation auf See größte Bedeutung hatten, und schließlich eine zweite Schiffstheorie, welche speziell für den praktischen Gebrauch der Seeleute konzipiert wurde. Zu nennen ist auch Eulers Vollständige Anleitung zur Algebra, die zu einem Bestseller wurde und bis heute mehrfach als Reclam-Bändchen aufgelegt ist.

1773 ist Eulers Gattin Katharina verstorben. Der Witwer nahm 1776 deren Stiefschwester Salome Abigail Gsell zu seiner zweiten Ehefrau, die mütterlicherseits eine Enkelin der berühmten Maria Sibylla Merian war. Euler blieb bis in die letzten Stunden seines Lebens wissenschaftlich tätig. Am 18. September 1783 erteilte er noch einem seiner Enkel Unterricht und diskutierte beim Mittagsmahl mit seinen Mitarbeitern Nikolaus Fuss und Anders Johan Lexell Fragen der Umlaufbahn des erst jüngst entdeckten Planeten Uranus. Gegen fünf Uhr scherzte er mit einem Enkel und trank einige Tassen Tee, als er auf dem Sofa sitzend vom Schlag getroffen wurde und mit den Worten «Ich sterbe» das Bewusstsein verlor. Gegen 11 Uhr abends verstarb dann Leonhard Euler im Alter von 76 Jahren. Er hatte – wie es in seiner Eloge hieß – «aufgehört, zu rechnen und zu leben».

Euler wurde mit allen Ehren auf dem Lutheranischen Smolenski-Friedhof auf der Wassiliewski-Insel zu St. Petersburg beigesetzt. Seine Gebeine sind dann in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts auf den St. Lazarusfriedhof beim Alexander-Newski-Kloster überführt worden, wo heute zahlreiche Geistesgrößen Russlands ruhen.

Eulers Kinder und Nachfahren

Aus Eulers erster Ehe mit Katharina Gsell gingen insgesamt 13 Kinder hervor. Nur drei Söhne überlebten den Vater. Sein Sohn Johann Albrecht (1734–1800) wurde zum engsten Mitarbeiter des Vaters. Er wurde Physikprofessor und übernahm 1769 das Amt des Sekretärs der Akademie. Damit war er für den Austausch mit westeuropäischen Korrespondenten und gelehrten Gesellschaften, für das Protokoll der Sitzungen und den Druck der Publikationen verantwortlich.

Mit dem jungen Nikolaus Fuss (1755–1825) holte sich der inzwischen erblindete Leonhard Euler einen fähigen Mitarbeiter und Schüler von Daniel Bernoulli nach St. Petersburg. Mit Unterstützung seines Lehrers stieg Fuss vom Gehilfen zum faktischen Leiter der Akademie und maßgeblichen Gestalter der Schulreformen unter Zar Alexander I. auf. Als Nachfolger von Johann Albrecht Euler übernahm er das Amt des Akademiesekretärs.

Schließlich stieß 1786 ein weiterer Spross der Familie Bernoulli hinzu: Der junge Jacob II. folgte dem Ruf J. A. Eulers. Sowohl Fuss wie Jakob Bernoulli heirateten eine Tochter von J. A. Euler, wodurch diese drei Basler Familien noch enger miteinander verbunden waren. Tragischerweise kam der junge Bernoulli kurz nach seiner Hochzeit bei einem Badeunfall in der Newa ums Leben.

Die von Leonhard Euler für seine Kinder erreichte Bestätigung des Basler Bürgerrechts führte dazu, dass dieses 1930 auch für einen aus Russland nach Basel einwandernden Nachfahren anerkannt wurde. Damit sind heute unter den Basler Bürgern direkte Nachkommen Eulers vertreten.

Eulers Werke
Analysis

Seit der Entdeckung der Infinitesimalrechnung durch Leibniz und Newton hatten die Mathematik und die Naturwissenschaften einen ungeheuren Aufschwung erfahren. Dank des Ausbaus des neuen «calculus», an dem der Basler Bernoulli-Kreis und auch Euler wesentlichen Anteil hatten, konnten eine Fülle schwieriger wissenschaftlicher Probleme gelöst und unzählige glänzende neue Entdeckungen gemacht werden. Was aber bis in das zweite Viertel des 18. Jahrhunderts fehlte, war eine systematische Zusammenstellung der Grundlagen und der Methoden der neuen Rechnungsart. Diese Lücke zu schließen, hatte sich Leonhard Euler vorgenommen und die Aufgabe glänzend gelöst. Jeder Wissenschafter konnte sich nun die unverzichtbaren Instrumente aktuellen Forschens ohne Umwege erwerben.

1748 erschien Eulers zweibändige Einleitung in die Analysis des Unendlichen, in der er zunächst einmal eine Funktionentheorie aufstellte, weil er die Analysis zu Recht als eine Wissenschaft der Funktionen auffasste. So finden sich in seinem Einführungswerk die Eigenschaften der algebraischen und transzendenten Funktionen ebenso abgehandelt wie die Theorie der unendlichen Reihen, die der Logarithmus- und Exponentialfunktion, der Winkel- und der Kreisfunktionen. Im zweiten Teil schließt sich dem eine allgemeine Kurventheorie sowie eine Theorie der Körper und Oberflächen an.

1755 lässt Euler seiner Einleitung in die Analysis eine zweibändige Einführung in die Differentialrechnung folgen. In ihr stellt er seiner Absicht gemäß die Grundsätze dieser Rechnungsart und die bis zu seiner Zeit erreichten und durch eigene Beiträge vermehrten Resultate in systematischer Form vor und zeigt deren Anwendungsmöglichkeiten auf die Lehre von den unendlichen Reihen und bei der Bestimmung von Maxima und Minima auf.

1768 bis 1770 folgen schließlich die drei Bände seiner Integralrechnung. Hier zeigt sich nun das Genie Eulers in seiner ganzen Stärke, da die Integration von Funktionen nicht wie die Differentiation nach allgemeingültigen Regeln erfolgen kann, sondern in den meisten Fällen eine große Kunstfertigkeit erfordert.
Durch zahlreiche höchst geschickte Integrationen hat Euler hier die Grenzen unseres Wissens beträchtlich erweitert. Im dritten Band der Integralrechnung führt Euler schließlich auch in die Variationsrechnung ein, die von seinem Lehrer Johann I. und dessen Bruder Jacob Bernoulli begründet worden war und mit deren Hilfe auch heute zahlreiche praktische Probleme gelöst werden können.

Mit seinen großen Monographien zur Analysis schuf Euler somit eine Trilogie, welche eine umfassende Synopsis aller wichtigen mathematischen Entdeckungen des 18. Jahrhunderts auf diesem Gebiet darstellt und deren Methoden sowie deren Anwendungsmöglichkeiten umfassend demonstriert. Wegen der Klarheit ihrer Sprache und des didaktisch geschickten Aufbaus wurden diese drei Werke Eulers Fundamente und Vorbilder der mathematischen Lehrbuchliteratur des folgenden Jahrhunderts.

Mechanik

Zur Zeit Eulers gab es nur wenige Werke, welche das gesamte Gebiet der Mechanik mit den neuen mathematischen Methoden der Infinitesimalrechnung systematisch behandelt, geschweige denn die Mechanik als ein lehr- und lernbares System vorgetragen hätten. Newtons Principia und Hermanns Phoronomia kleideten ihren Stoff noch in das klassische Gewand der synthetisch-geometrischen Verfahren und versteckten damit die neuen Wege, auf denen sie ihre Resultate erzielt hatten. Eulers Mechanica von 1736 stellte dagegen diesen Wissenschaftszweig erstmals planmäßig geordnet und durchgehend in analytischer Form, das heißt ganz in der Sprache der neuen Infinitesimalrechnung, vor. Die Mechanica wurde damit zu einem Markstein in der Geschichte der Wissenschaften und zum Lehrbuch mehrerer Generationen von Physikern, die aus ihr nicht nur die analytischen Methoden, sondern auch deren Anwendung auf das ganze Spektrum physikalischer Bewegungsphänomene erlernten.

Ballistik

Als Friedrich der Große Euler nach dem besten Werk über die Probleme der Artillerie fragte, nannte dieser ihm das Werk des Engländers Benjamin Robins. Dieser hatte Euler kurz zuvor Flüchtigkeitsfehler und Nachlässigkeiten in seiner Mechanica von 1736 vorgeworfen und diese noch dazu als Folgen der fehlerhaften Begriffsbildungen der Leibniz’schen Infinitesimalmathematik bezeichnet. Euler reagierte darauf nicht, sondern er schlug Friedrich dem Großen sogar vor, Robins’ 1742 erschienenes Hauptwerk ins Deutsche zu übersetzen. Bei der Übersetzung versah er es jedoch mit so vielen Berichtigungen, Anmerkungen und Zusätzen, dass der Umfang auf das Vierfache anschwoll und die «Übersetzung» eigentlich zu einem neuen Buch über die Theorie geworfener Körper wurde. Erst dank dieser Euler’schen Überarbeitung wurde Robins’ Werk benutzbar und so bekannt, dass es sogar ins Englische zurückübersetzt und in einer französischen Übersetzung als Lehrbuch an den französischen Artillerieschulen eingeführt wurde.

Schiffstheorie

In seiner Scientia navalis von 1736 behandelt Euler systematisch die Theorie des Gleichgewichts und der Bewegung schwimmender Körper sowie die Lehre vom Widerstand der Flüssigkeiten. Er stellt somit allgemeine Prinzipien der Hydrostatik auf und gründet darauf eine wissenschaftliche Theorie des Schiffsbaus. Das Werk von 1736 richtete sich jedoch in erster Linie an Wissenschafter. Praktiker hätten seine Sprache nicht verstanden. Daher veröffentlichte Euler 1773 eine weitere Schiffstheorie, die er ausdrücklich zum Gebrauch all jener, die sich mit Navigation befassen, verfasst hatte. Dieses Werk hatte größten Erfolg. Der französische König belohnte Euler mit 6000 Livres und führte das Werk an seinen Marineschulen ein. Für eine russische Übersetzung erhielt Euler von Katharina II. ebenfalls 2000 Rubel Belohnung.

Eulers Grab

Mondtheorie

Euler hat in seiner Mondtheo­rie in mehreren Anläufen versucht, die Diskrepanz zwischen der Newton’schen Theorie und der praktisch beobachteten Mondbewegung zu verkleinern.

Bereits 1746 hat er Mondtafeln und 1753 eine Theorie der Mondbewegungen herausgegeben. Aufgrund dieser Theorien Eulers erstellte damals der Göttinger Tobias Mayer Tafeln zur Mondbewegung, die eine genauere Positionsbestimmung von Schiffen auf See ermöglichten. Mayers Witwe, aber auch Euler erhielten hierfür Geldpreise des Britischen Parlaments.

In weiteren teils preisgekrönten Schriften hat Euler immer wieder Versuche zur Verbesserung der Beschreibung der Mondbewegungen unternommen. Diese sind wegen der starken Wechselwirkung des Mondes mit anderen Himmelskörpern, vor allem der Erde, außerordentlich kompliziert und schwierig zu erfassen. Mit seinem Näherungsverfahren für das Dreikörperproblem begründete Euler die analytische Behandlung von Störungsphänomenen.

1772 verfasste Euler schließlich eine zweite Mondtheorie, in der es ihm gelang, zahlreiche Unregelmäßigkeiten der Bewegung, die zuvor rechnerisch nicht erfasst werden konnten, mit höchst raffinierten Kunstgriffen neu zu bestimmen. Etwas voreilig und geblendet vom Erfolg seiner Methoden verkündete Euler hier, eine Lösung des Dreikörperproblems zu besitzen. Der Beweis der prinzipiellen Unmöglichkeit einer solchen Lösung sollte allerdings erst der folgenden Generation von Wissenschaftern gelingen.

Briefe an eine deutsche Prinzessin
In den Jahren 1760 bis 1762 verfasste Euler im Auftrag des Markgrafen Friedrich Heinrich von Brandenburg-Schwedt über 200 Lehrbriefe in französischer Sprache für dessen damals 15-jährige Tochter, die Prinzessin Sophie Friederike Charlotte Leopoldine (1745–1808). Die Briefe enthalten eine populäre Darstellung der Physik um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Sie geben Euler aber zugleich auch Gelegenheit, seine Ansichten zu Philosophie, Erkenntnistheorie, Logik, Ethik und Theologie darzulegen.

Die Briefe sind damit ein Zeugnis für Eulers philosophische Bemühungen, die von starken, gegen die Monadenlehre Wolffs und die «Freigeister» gerichteten Tendenzen getragen sind.

Eulers Briefe fanden wegen ihrer populären Sprache, die weitgehend auf mathematische Formeln verzichtet, ein großes Echo. 1768 ist die erste Ausgabe in St. Petersburg erschienen. Es folgten alsbald deutsche und russische Übersetzungen, denen sich solche ins Niederländische, Schwedische, Italienische, Englische usw. anschlossen. Bis heute liegen etwa 40 Ausgaben dieses Bestsellers aus dem 18. Jahrhundert vor.

Vollständige Anleitung zur Algebra
Nach den Briefen an eine deutsche Prinzessinist die Vollständige Anleitung zur Algebra das verbreitetste und populärste Werk Eulers. Der Legende nach soll es der blinde Euler einem ehemaligen Schneidergesellen diktiert haben, der dabei die Algebra erlernte. Euler erblindete allerdings erst 1771 vollständig, als das Werk bereits in mehreren Auflagen erschienen war.

Die Vollständige Anleitung zur Algebra, die 1768 zunächst in russischer Übersetzung erschien, macht den absoluten Anfänger mit dem Umgang mit Zahlen vertraut, erläutert die Grundrechenoperationen, führt aber schließlich ausgehend von der elementaren Gleichungslehre bis in das Gebiet der diophantischen Gleichungen, d. h. bis an die Schwelle zur höheren Algebra.

Wieder faszinierte dieses Werk die Leser wegen seiner klaren Sprache und seines didaktisch geschickten Aufbaus. Es erfuhr zahlreiche Übersetzungen und erzielte dank seiner Aufnahme in Reclams Universalbibliothek mit 100 000 Exemplaren die wohl höchste Auflage eines Werkes von Euler.

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Hier wurde ein bescheidener Versuch unternommen, den Forderungen gerecht zu werden, die sich der erste Biograf Eulers, Nikolaus Fuss, einst gestellt hat, d. h. «die Mittel anzeigen, derer die Natur sich bedient, große Männer hervorzubringen».

Man will «den Umständen nachspüren, die ihr bei Entwicklung vorzüglicher Talente behilflich gewesen sind». Die hier erwähnten Werke Eulers stellen dabei lediglich eine Auswahl von Marksteinen aus dem weiten Feld seiner wissenschaftlichen Tätigkeit dar. Euler hat fast den gesamten Kosmos des Wissens seiner Zeit abgeschritten und ihn durch eigene Entdeckungen bereichert. Seine Erkenntnisse hat er darüber hinaus in eine systematische Ordnung gebracht und sie zusammen mit den von ihm angewandten Methoden der Mit- und Nachwelt vermittelt. Dadurch hielt er den Horizont möglichen Wissens und dessen Anwendungen auch für andere, ja sogar für ganze Generationen von Forschern bis heute offen.

Die von allen Zeitgenossen bezeugte Gelassenheit und Heiterkeit Eulers sind ein Zeichen dafür, dass er seine Arbeit nicht als Mühsal, sondern als bereichernden Lebensinhalt empfand. Die Geschichte seines Lebens, die zugleich die Geschichte seiner Werke ist, zeigt daher, dass Euler das erreicht hat, wozu er sich und seine Kameraden schon als Knabe während seiner Basler Lehrjahre aufgerufen hatte: «die Wonnen der Wissenschaften zu kosten».

Von Fritz Nagel

Der Text ist entnommen aus: http://www.euler-2007.ch/ ausstell.htm