Wissenschaft und Technik
Schlanke Nichtraucher kommen den Staat teurer als Dicke und Raucher
Was ist billiger für die Gesellschaft: Schlank und gesund länger zu leben oder dick und rauchend früher zu sterben? Wissenschaftler haben jetzt im Staatsauftrag nachgerechnet – und sind zu einem politisch inkorrekten Ergebnis gekommen.
Viele europäische Staaten haben der Zigarette den Kampf angesagt – jetzt ist das Fett der nächste Gegner. Die Bundesregierung plant, mit dem Aktionsplan «Ernährung und Bewegung» die Deutschen um ein paar Pfunde zu erleichtern, vor allem Kinder. Eine internationale Studie hatte den Deutschen bescheinigt, das fetteste Volk Europas zu sein. Und kürzlich bestätigte die Nationale Verzehrstudie der Bundesregierung diese alarmierenden Zahlen noch einmal: Mehr als die Hälfte der Deutschen hat Übergewicht.
Die Folgen von Rauchen und Übergewicht sind: Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Lungenkrebs. Vermeidbare Krankheiten, die die Gesundheitssysteme finanziell über Gebühr belasten, sagen die einen. Stimmt, aber dafür sterben Raucher und Übergewichtige auch früher – und kosten deshalb die Gesellschaft weniger, sagen die anderen.
Wer hat recht?
Niederländische Wissenschaftler um Pieter van Baal vom niederländischen Institut für öffentliche Gesundheit und Umwelt haben die Probe aufs Exempel gemacht und im Auftrag des niederländischen Gesundheitsministeriums eine Kostenkalkulation erstellt. Wie hoch sind die Kosten durch Raucher und Fettleibige tatsächlich?
Das Ergebnis: Gesunde, schlanke Menschen sind für das Gesundheitssystem teurer als Raucher und Übergewichtige, schreiben van Baal und seine Kollegen in der Fachzeitschrift «Public Library of Science Medicine». Der Grund ist einfach: Die längere Lebenserwartung der Gesunden und Schlanken kommt den Staat letztlich teuer.
Raucher lebten sieben Jahre kürzer als schlanke Nichtraucher
Die Forscher hatten die Ergebnisse nicht anhand von statistischen Auswertungen realer Fälle, sondern anhand von Simulationen gewonnen. Dazu schufen sie drei hypothetische Gruppen: schlanke Nichtraucher, schlanke Raucher und fettleibige Nichtraucher (Body-Mass-Index über 30). Als Grundlage für die Simulationen nutzten sie Datenmaterial von 20-jährigen Männern und Frauen aus den Niederlanden.
Anhand von statistischen Erkrankungswahrscheinlichkeiten berechneten sie für jede Gruppe die zu erwartenden Krankheiten im Laufe des Lebens und die damit verbundenen Kosten – bis zum jeweiligen statistischen Todesalter. Gesunde, schlanke Menschen hatten der Erhebung zufolge eine durchschnittliche Lebenserwartung von 84 Jahren. Bei Übergewichtigen waren es etwa 80, bei Rauchern rund 77 Jahre.
Raucher und Fettleibige neigten stärker zu Herzkrankheiten als die gesunde Vergleichsgruppe. Krebserkrankungen traten – abgesehen von Lungenkrebs – bei allen jedoch gleich häufig auf. Diabetes wurde am häufigsten bei den Übergewichtigen festgestellt, dafür hatten die Gesunden die meisten Schlaganfälle.
Das Ergebnis: Die Raucher kamen den Staat am billigsten. Im Alter von 20 bis zu ihrem Tod verursachten sie durchschnittlich rund 220 000 Euro an Behandlungskosten. Die Übergewichtigen kosteten 250 000 Euro. Die gesunde, schlanke Gruppe war am teuersten: 281 000 Euro.
Die lange Lebenserwartung gibt den Ausschlag bei der Kostenberechnung. Das wird auch dadurch deutlich, dass bis zum Alter von 56 Jahren die jährlichen Gesundheitskosten für die Fettleibigen noch am höchsten liegen und für die gesunde, schlanke Gruppe am niedrigsten.
Die Wissenschaftler kommen aufgrund ihrer Ergebnisse zu dem Schluss, dass staatliche Vorsorgeprogramme zwar zu einer Verlängerung des Lebens führen. Weil die gewonnenen Lebensjahre aber für den Einzelnen nicht unbedingt gesunde Jahre sind, haben sie ihren Preis für die Gesellschaft. Vorsorgeprogramme zur Verhinderung von Fettleibigkeit und Rauchen seien daher keine Lösung, um Gesundheitskosten zu senken – so zynisch das auch klingt.
Vorsorgeprogramme taugen nicht zur Kostenersparnis
Der Mechanismus ist einfach: Vorsorgeprogramme bewirken den Forschern zufolge, dass eine tödliche, aber billige Krankheit durch eine weniger schlimme, jedoch teurere Krankheit ersetzt wird.
Vor allem beim Rauchen mache sich das bemerkbar, denn es stehe mit tödlichen und billigen Erkrankungen (zum Beispiel Herzinfarkt) in Verbindung. Vom rein finanziellen Standpunkt sei es daher sinnvoller, eher gegen Fettleibigkeit vorzugehen als gegen Rauchen.
Die Autoren der Studie geben zu, dass sie einige Vereinfachungen vorgenommen haben. Höhere Arbeitsausfälle von Rauchern und Fettleibigen wurden nicht berücksichtigt – also auch nicht die daraus folgenden volkswirtschaftlichen Verluste, die die Behandlungskosten bei weitem überträfen. Außerdem wurden die Belastungen für Angehörige ignoriert, ebenso wie die geringeren Rentenzahlungen und sinkende Tabaksteuereinnahmen.
Aber, schreiben die Forscher, finanzielle Aspekte alleine könnten ohnehin nicht das Hauptkriterium bei der Bewertung sein. Das Ziel eines Gesundheitssystems sei schließlich nicht, dem Staat Kosten zu ersparen – sondern den Menschen Leid.
Von Jens Lubbadeh
Der Text ist entnommen aus: http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/0,1518,533257,00.html