Главная страница «Первого сентября»Главная страница журнала «Немецкий язык»Содержание №10/2008

Literatur

Paul Nizon: Das Jahr der Liebe

Fortsetzung aus Nr. 09/2008

und später, endlich, wendet sich diese etwas stark gewordene, sehr groß gewachsene Livia, einst war sie eine Bohnenstange, die sich sylphenhaft wähnte und benahm, nun wendet sie sich geradezu gelangweilt an mich mit der Frage, ob ich immer noch journalistisch tätig sei, und ich antworte beinah entrüstet, dies sei ich doch schon lange nicht mehr, ich sei nun wirklich längst ein ausschließlich und professionell Bücher schreibender Autor, ja, das habe sie auch gehört, aber ich käme nicht durch, meint sie, und wie ich energisch abwehre, wendet sie sich bereits wieder anderem zu, und was soll nun so ein Traum, doch ich wachte vergnügt auf in das Gelärm und die Stimmen aus dem Hof, dieses Geröll menschlich-französischen Lebens, pariserischen Lebens, das stimmenreich in meinen Hof einfällt, dieses Dudeln, Reden, dieses Lebensgebrüll, das hier nie aufhört. Und das Leben geht da nie aus, schrieb ich einmal und meinte DAS ANDERE LAND, das gesuchte oder verheißene Land – unerschöpflichen ewigen Lebens und jetzt denke ich in meinem Zimmer an Dorothée, so nennt sich die Kleine in Madame Julies maison de rendez-vous,ich hatte sie aus dem raschen Reigen der vortrabenden Mädchen in Madame Julies grandiosem Salon ausgewählt, und ich hatte gut gewählt, es ist nämlich nicht leicht, sich so schnell zu entscheiden, wenn so viele, eine hinter der anderen, zu dir an die Bar treten und dich anlächeln, während siedir die Hand reichen und Madame Juliedazu ihren Namen nennt, und während du einen Eindruck zu gewinnen suchst und dir den Namen merken willst, der ja einDeckname ist, kommt schon die nächste – aber ich hatte mich ohne Zögern entschlossen, obwohl noch zwei drei andere für mich inFrage gekommen wären diese besah ich mir dann oben näher, weilich nicht ganz sicher war, ob sie es ist,die ich gemeint hatte, aber hübsch, sehr hübsch sah sie auch oben noch aus, in unserem feudalen Schlafgemach, sie hatte blondgefärbtes, kurzes schmiegsames Haar um einkeckes Französinnengesicht, in dem zwei braune Augen wunderbar schimmerten, nette lachende von Anfang an freundliche Kameradschaft anbietende Augen, und der Mund war verführerisch, voll, nichtzu groß, geworfen, wie von einem Bienenstich leicht geschwollen, las ich einmal und fand das wunderbar gesagt, und ich merkte gleich, daß das Haar blondiert war, eine Dunkle ist sie in Wirklichkeit, mein Gott, ist sie schön, wenn sie nun nackt dasteht, das enge schwarze Abendkleid über den Kopf abstreift und darunter aber auch gar nichts trägt, schön ist sie, denke ich, die wunderbare Glätte, Weichheit und Rundung im Schlanksein, herrlich wie Bauch und Popo und Schenkel sich wölben, nicht zu viel, aber in der Wirkung betörend, trinken möchte man einen solchen Leib, einen leichten Leib haben Sie, sagt Der Räuber in Robert Walsers Roman zu einer Zimmerwirtin, das ist so verdammt nett ungeschickt und deserotisierend gesagt, während dieser Leib bei aller Schlankheit Weib aussagt, was seltsam istals Vorstellung bei einem ganz jungen Mädchen, und die Brüste waren dermaßen aufreizend gebogen, fest und prall und leicht nach oben gekurvt, aber so einemöchte man trinken, austrinken wie eineMuschel, und dabei wäscht siesich nun ganz ungeniert auf dem Bidet,und ich stehe im Türrahmen und plaudere mit ihr, und wenn wir dann im großen breiten französischen Bett sind, gehört alles zu mir, alle unsere Glieder sind nun zusammengelegt in diesem wunderbaren Vertrauensbeweis, den es nur in der Liebe gibt, das siehst du am Schamhaar, daß ich keine echte Blonde bin, sagt sie, und überhaupt hat sie mir freimütig – ob das das richtige Wort ist – allerlei von sich erzählt Dorothée arbeitete in einem Modegeschäft, im Verkauf war sie, aber auch um den Einkauf hat sie sich gekümmert, sagt sie, und als man vergrößerte und eine obere Etage hinzukam und sie oben ganz allein zuständig wurde und darum meinte, jetzt komme eine Gehaltsaufbesserung in Frage, sie verdiente keine zweitausend, eher um die tausend, sagt sie, und der Chef ablehnte, habe sie aus einem zornigen Impuls gekündigt, kein Jahr hat sie dort gearbeitet, und nun ist sie bei Madame Julie, sie hat einen Freund, achtundzwanzig ist er und schreibt Musik für Chansonniers, habe sogar für Sardou geschrieben, kenne ich nicht, sage ich. Was, aber du hörst doch Radio und schaust Tele, Sardou, den müßtest du kennen

Fortsetzung folgt

 

wäh|nen <sw. V.; hat> [mhd. wænen, ahd. wan(n)en, zu Wahn] (geh.): a) irrigerweise annehmen: er wähnte, die Sache sei längst erledigt; b) irrigerweise annehmen, dass es sich mit jmdm., einer Sache in bestimmter Weise verhält: ich wähnte dich auf Reisen, in Rom.

ent|rüs|ten <sw. V.; hat> [mhd. entrüsten = die Rüstung abnehmen, entwaffnen; aus der Fassung bringen, in Zorn versetzen]: a) <e. + sich> seiner Empörung Ausdruck geben, sich aufregen: sich über jmdn., jmds. Verhalten [sittlich] e.; b) jmdn. zornig machen u. dadurch in Empörung versetzen: er war entrüstet über das, was hier geschah; ein entrüstetes (Empörung verratendes) Gesicht.

ab|weh|ren <sw. V.; hat>: 1. abschlagen, zurückschlagen: den Feind, einen Angriff a.; (Sport:) einen Eckball a. 2. erfolgreich abwenden; vereiteln: ein Unheil, eine Gefahr a.; das Schlimmste konnte ich a. 3. von sich weisen; zurückweisen; sich gegen etw. wehren: eine Zumutung, einen Verdacht, jmds. Dank a. 4. nicht zulassen; fernhalten; verscheuchen: einen Besucher, Neugierige, Fliegen von jmdm. a. 5. auf etw. ablehnend reagieren: als sie das hörte, wehrte sie erschrocken ab; abwehrend die Hand heben.

ver|hei|ßen <st. V.; hat> [mhd.  = versprechen; verloben] (geh.): nachdrücklich, feierlich in Aussicht stellen: jmdm. Glück, eine große Zukunft v.; Ü ihre Miene, der Unterton im Klang ihrer Stimme verhieß nichts Gutes (ließ nichts Gutes erwarten).

be|tö|ren <sw. V.; hat> (geh.): a) hinreißen, berücken, in sich verliebt machen: sie, ihr Blick betörte ihn, sein Herz; ein betörender Blick, Duft; sie ist betörend schön; b) jmdn. der nüchternen Überlegung berauben, zu etw. verführen: die verführerischen Auslagen betören die Käufer.

frei|mü|tig <Adj.>: ohne Ängste u. falsche Rücksicht seine Meinung bekennend; offen: eine -e Aussprache; sie äußerte sich sehr f.

zu|stän|dig <Adj.>: 1. zur Bearbeitung, Behandlung, Abwicklung von etw. berechtigt, verpflichtet, dafür verantwortlich; die Kompetenz für etw. besitzend; kompetent: die -e Behörde, Stelle; das -e Amt, Gericht; die Genehmigung wurde von -er Seite erteilt; dafür sind wir nicht z.; es fühlte sich niemand z. 2. nur in der Verbindungz. nach(österr. Amtsspr.; heimat-, wohnberechtigt in):sie ist nach Linz z.

(kün|di|gen  <sw. V.; hat> sein Arbeits-, Dienstverhältnis zu einem bestimmten Zeitpunkt für beendet erklären, lösen: ich habe [schriftlich] bei der Firma gekündigt; sie will zum 1. April k.

Aus: Paul Nizon: Das Jahr der Liebe. Suhrkamp Verlag, Frankfurt/M. 1981. S. 7–17.