Wissenschaft und Technik
Basteln an der Menschmaschine
Steht Japan vor der Roboter-Revolution? Nirgendwo sonst sind so viele Automaten in Fabriken beschäftigt, kaum ein anderes Land ist den Maschinen gegenüber so wohlwollend eingestellt. Das Ziel der Ingenieure: die denkende, lernende und fühlende Kopie des Menschen.
In einem Vorort von Tokio basteln japanische Studenten an der Zukunft – oder an dem, was sie dafür halten. Sie verdrahten ein gummiartiges Gesicht mit Computern, damit es am Ende kann, was sonst nur Menschen können: Gefühle zeigen. Wut, Angst, Trauer, Glück, Überraschung und Ekel – diese sechs grundlegenden Emotionen sollen auf dem künstlichen Antlitz zu erkennen sein.
Kansei heißt der neue Roboter, was so viel wie Empfindsamkeit bedeutet. Die basiert freilich auf Datenbanken und Algorithmen: Hört Kansei ein Wort wie «Krieg», spult er in seinem Inneren ein Programm von Assoziationen ab – und sein Gesicht erzittert unter etwas, das aussieht wie Ekel und Angst. Hört er «Liebe», verziehen sich seine rosa Lippen zu einem Lächeln.
«Um unter Menschen zu leben, müssen Roboter komplexe soziale Aufgaben bewältigen können», sagt Junichi Takeno, der an der Meiji University das Kansei-Projekt leitet. «Roboter werden mit Emotionen arbeiten, sie verstehen und eines Tages auch fühlen müssen.»
«Ifbot»: Der geschwätzige Roboter soll älteren Menschen Gesellschaft leisten. Angeblich besitzt er die Sprachfähigkeiten eines fünfjährigen Kindes. |
Denkende und fühlende Maschinen?
Maschinen, die Gefühle nicht nur simulieren, sondern sie besitzen? Wohl in keinem westlichen Land würde ein seriöser Forscher derzeit so weit gehen. Zu viel haben die Maschinenwesen-Visionäre in den vergangenen Jahrzehnten versprochen, keine ihrer kühnen Ideen von fühlenden und intelligenten Maschinen hat sich allerdings bisher bewahrheitet.
Doch das Roboter-verrückte Japan dürfte einer solchen Zukunft näher sein als irgendein anderes Land. In japanischen Fabriken gehören Roboter bereits so selbstverständlich zur Belegschaft, dass sie an ihrem ersten Arbeitstag manchmal mit religiösen Shinto-Zeremonien begrüßt werden. Roboter bereiten Sushi zu, pflanzen Reis und pflegen die Felder. Sie werden gar als Empfangsmitarbeiter eingesetzt, staubsaugen Büros, servieren Tee, füttern Senioren in Pflegeheimen und machen Smalltalk auf Technologiemessen.
Für Japan scheint die Roboter-Revolution unausweichlich. Mehr als ein Fünftel der Bevölkerung ist 65 Jahre oder älter, weshalb das Land immer stärker auf Roboter setzt, um die schwindende Zahl der Arbeitskräfte aufrechtzuerhalten. Dabei sind Roboter vielen Japanern allemal lieber als Einwanderer.
Viele Millionen für die Roboter-Forschung
In den vergangenen Jahren hat die Regierung in Tokio viele Millionen Euro in die Roboter-Forschung investiert. Amtlichen Schätzungen zufolge haben die Umsätze der Maschinenwesen-Industrie im Jahr 2006 knapp sieben Milliarden Euro betragen. Bis 2010 könnten sie demnach auf fast 17 Milliarden, bis 2025 gar auf 46 Milliarden Euro steigen.
Abgesehen vom wirtschaftlichen Nutzen passen Roboter auch gut zur japanischen Mentalität. In der westlichen Kultur, in der Popkultur zumal, spielt die Menschmaschine bestenfalls eine ambivalente Rolle: Hin und wieder als knuffig-netter R2-D2, mindestens ebenso oft aber als mordender Terminator. Anders in Japan: Dort gilt der Roboter in erster Linie als der freundliche Helfer, nicht zuletzt aufgrund der Shinto-Religion, in der die Grenze zwischen dem Belebten und Leblosen zum Teil verschwimmt. Für Japaner ist die Vorstellung eines denkenden und fühlenden Roboters deshalb nicht so schaurig wie für Bewohner des Abendlands.
Allerdings ist es auch für das technologiebegeisterte Japan noch ein gewaltiger Sprung vom Spielzeug zum intelligenten Maschinenwesen. «Die Leute fragen sich manchmal noch, ob sie wirklich Roboter brauchen, die in ihren Wohnungen herumlaufen und Hemden falten», sagt Damian Thong, Technologie-Analyst der Macquarie Bank in Tokio. «Andererseits ist Japan das einzige Land der Welt, in dem jeder eine elektrische Toilette hat.»
Wie Roboter Millionen Arbeiter ersetzen und im Alltag mit Menschen leben sollen
Für die kommende Revolution spricht, dass schon im Jahr 2005 rund 40 Prozent aller weltweit eingesetzten Fabrik-Roboter in Japan im Einsatz waren – 370 000 an der Zahl. Auf 1000 japanische Fabrikarbeiter kommen so 32 Roboter, wie eine Statistik der Macquarie Bank besagt.
Seitdem dürfte die Zahl der Fertigungs-Automaten kaum gesunken sein, und das schon aus wirtschaftlichen Gründen. «Die Kosten für Maschinen sinken, während Arbeitskosten steigen», sagt Eimei Onaga, Geschäftsführer von Innovation Matrix Inc., die japanische Robotertechnologie in den USA vertreibt. Auch meldeten Roboter keine Überstunden an oder wollten Pensionen haben. «Schon bald könnten Roboter sogar Niedriglohn-Arbeiter in kleinen Firmen ersetzen», meint Onaga. «Die Produktivität würde dadurch gewaltig ansteigen.»
Der japanischen Regierung kommt das nur recht. Im vergangenen Jahr stellte das Handelsministerium einen Plan auf, nach dem bis zum Jahr 2025 landesweit eine Million Industrieroboter installiert werden sollen. Gegenüber 2005 wäre das nahezu eine Verdreifachung. Nach Angaben des Ministeriums kann ein Roboter zehn Arbeiter ersetzen. Bei einer Million Robotern wären das zehn Millionen Arbeiter – oder 15 Prozent der derzeitigen Arbeitskraft Japans.
Kleiner Helfer im Krankenhaus
Doch die Maschinen sollen künftig nicht nur monotone Aufgaben in der industriellen Fertigung übernehmen, sondern auch ins Alltagsleben abseits der Fabriken vordringen. Im Aizu-Chuo-Krankenhaus, 300 Kilometer nördlich von Tokio gelegen, rollt ein kleiner, blauweißer Geselle über die Flure und leitet Patienten durch die Klinik. Er grüßt freundlich, reagiert dank seiner Sensoren auf Hindernisse und druckt Lagepläne des Krankenhauses aus.
Das Krankenhaus hat fast 400 Millionen Euro für drei Exemplare der Maschine ausgegeben. Die Reaktion der Patienten sei «überwältigend positiv» ausgefallen, sagte Kliniksprecher Naoya Narita. «Das ist eine gute Arbeitsteilung. Roboter werden niemals zu Ärzten werden, aber sie können Führer und Empfangsmitarbeiter sein.»
Wie weit der Weg zu allgemein akzeptierten Alltagsrobotern dennoch ist, beweist allein die Tatsache, dass es auch in Japan noch keinen kommerziell erfolgreichen Roboter für Normalverbraucher gegeben hat. Der Wakamaru von Mitsubishi Heavy Industries geriet 2003 zum Flop, und auch Sony hat mittlerweile die Produktion seines Maschinenhundes Aibo eingestellt. Ein Grund dürften die hohen Preise gewesen sein: Der Wakamaru sollte 2003 eine Million Yen kosten, was heute rund 6 400 Euro entspricht, für den Aibo verlangte Sony rund 2100 Euro.
Billig-Spielzeug oder Hightech-Menschmaschine?
Inzwischen versuchen japanische Unternehmen, billigere Roboter auf den Markt zu werfen. Der rund 200 Euro i-Sobot von Tomy etwa besitzt 17 Motoren und kann eine Reihe gesprochener Wörter verstehen. Auch Sony hat seit vergangenem Jahr einen rollenden Roboter für etwa 230 Euro im Angebot. «Im Moment brauchen wir nicht den ultimativen humanoiden Roboter», sagt Kyoji Takenaka, Chef des japanischen Robot Business Promotion Council. «Die Ingenieure müssen bei der Entwicklung von Robotern weniger ans Labor und mehr an das Alltagsleben denken.»
Doch Japans Wissenschaftler können das Basteln an der Menschmaschine nicht lassen. An der Universität in Osaka etwa wird derzeit ein Roboter gebaut, der die Entwicklung von Kindern besser verstehen lassen soll, indem er die Bewegungen von Kleinkindern nachahmt. Er reagiert auf Geräusche, kann mit seinen Sensoren-Augen Menschen wahrnehmen, zappeln und glucksen. Teamleiter Minoru Asada arbeitet an einer Software mit künstlicher Intelligenz, die es dem Kind-Roboter ermöglichen soll, selbstständig zu lernen.
«Im Moment sagt er nur ‹ah, ah›», meint Asada. «Aber wir hoffen, dass er schon bald komplexere Sätze von sich gibt und sich aus eigenem Antrieb bewegt.» Denn die Roboter der nächsten Generation, da ist sich Asada sicher, «müssen in der Lage sein, zu lernen und sich zu entwickeln».
Hiroshi Ishiguro, ebenfalls von der Universität in Osaka, geht noch weiter. Für ihn ist der Schlüssel der Roboter-Entwicklung die äußere Ähnlichkeit zum Menschen. Ishiguros Maschine namens «Geminoid» sieht dem Forscher ziemlich ähnlich – bis hin zum drahtigen, schwarzen Haar.
«Schließlich wollen wir uns nicht mit Maschinen oder Computern umgeben», sagt Ishiguro, «sondern mit Technologie, die menschlich wirkt.» Eines Tages würden Roboter wie selbstverständlich unter Menschen «leben», meint der Forscher. «Dann müsste man mich fragen: ‹Sind Sie menschlich? Oder ein Roboter?›»
Emotions-Kopie: Die Mimik dieses humanoiden Roboters soll menschliche Emotionen ausdrücken. |
Der Text ist entnommen aus: http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/0,1518,538962,00.html