Главная страница «Первого сентября»Главная страница журнала «Немецкий язык»Содержание №13/2008

Sonderthema

Gustav Klimt – Bohémien und Künstler

Malen und zeichnen kann ich. Von mir gibt es kein Selbstporträt. Ich interessiere mich nicht für die eigene Person als «Gegenstand eines Bildes», eher für andere Menschen, vor allem weibliche, noch mehr jedoch für andere Erscheinungen. Ich male Tag um Tag von morgens bis abends – Figurenbilder und Landschaften, seltener Porträts. Schon wenn ich einen einfachen Brief schreiben soll, wird mir Angst und Bang wie vor drohender Seekrankheit. Wer über mich – als Künstler, der allein beachtenswert ist – etwas wissen will, der soll meine Bilder aufmerksam betrachten und daraus zu erkennen suchen, was ich bin und was ich will.
Gustav Klimt, Sohn eines armen Wiener Graveurs, konnte im kaiserlichen Wien des ausgehenden 19. Jahrhunderts seine besonderen Talente als Künstler und Maler entfalten. Begünstigt durch Förderer und Lehrer in der neu gegründeten Kunstgewerbeschule brachten ihn öffentliche Aufträge für Theater, Prachtbauten und kaiserliche Villen in der «Ringstraßenzeit» in die gehobene Wiener Gesellschaft. Als Dekorateur und Maler genoss er jahrelang hohes Ansehen, bis er sich von der geltenden repräsentativen Kunst abwandte und als Präsident der neuen Künstlervereinigung «Secession» die neue Richtung des Jugendstils mitbegründete.

«Wien, den 20. November 1857. Hiermit verfügen Wir, Franz Joseph I., das Schleifen der Befestigungsanlagen rund um die Wiener Altstadt. Die somit gewonnenen Baugründe werden verkauft, aus den einfließenden Mitteln wird ein ‹Stadterweiterungsfonds› geschaffen. Aus diesem Fonds werden die öffentlichen Gebäude finanziert, die auf dem frei werdenden Gelände entstehen sollen.»

Gustav Klimt

Das war die Geburt der berühmten Ringstraße. Entlang dieses Prachtboulevards wurde das Parlament gebaut, das neue Rathaus, das Burgtheater, die Oper und große Museen, nicht zu vergessen die Palais reicher privater Bauherren. Eine gewinnbringende Situation nicht nur für Bauunternehmer und Architekten, sondern auch für Kunsthandwerker, Stuckateure, Vergolder und Maler.
Dass der junge Gustav Klimt öffentliche Aufträge für Wandmalereien in solchen Prachtbauten bekam, war fast ein Wunder. Klimt stammte aus einer bitterarmen Familie. Üblicherweise mussten Kinder aus solchen Familien schon mit zwölf Jahren arbeiten, um ihren Anteil am Unterhalt beizutragen.
«Es gab zu Weihnachten nicht einmal Brot im Haus, geschweige denn Geschenke.» So erinnerte sich später Gustav Klimts Schwester Hermine. Der Vater, Graveur von Beruf, hatte größte Mühe, seine sieben Kinder zu ernähren. Seine Frau Anna hatte schwere Depressionen, als eins ihrer Kinder an Unterernährung starb.
Dennoch erlaubten die Eltern, dass Gustav und sein zwei Jahre jüngerer Bruder Ernst sich nach der Volksschule zur Aufnahmeprüfung an der Kunstgewerbeschule anmeldeten. Hier konnte man die Ausbildung zum Zeichenlehrer an Gymnasien machen. Besonders begabte Schüler bekamen ein Stipendium. Und tatsächlich – beiden Brüdern wurde es gewährt.
Die Kunstgewerbeschule war – wie die Ringstraße – ein Produkt des Wirtschaftsbooms, den Wien in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erlebte. Der Kunsthistoriker Rudolf von Eitelberger gründete die Schule und – gleich daneben – das Museum für Kunst und Industrie im Jahr 1868. Das Museum war als Schau­sammlung für das aufblühende österreichische Kunstgewerbe gedacht, die benachbarte Schule sollte den kunsthandwerklichen Nachwuchs heranbilden. Die theoretischen Fächer umfassten Kunstgeschichte, Stilrichtungen, Zentralperspektive, Raumberechnungen und Projektionslehre. In den praktischen Fächern wurden Gipsabgüsse antiker Skulpturen und Ornamente gezeichnet und die Übertragung dreidimensionaler Gegenstände auf Millimeterpapier gelehrt. Perfekte Proportionen und physikalisch korrekte Schatten wurden immer und immer wieder geübt. Von dieser praktischen Ausbildung hat Gustav Klimt sein Leben lang gezehrt, auch wenn an der Kunstgewerbeschule die Kreativität keine Rolle spielte. Die solide Grundlage war für viele spätere Aufträge von Wandmalereien genau das Richtige.
In der Schule lernte Gustav den ein Jahr älteren Franz Matsch kennen, mit dem er sich anfreundete. Als die beiden nach drei Jahren die Prüfung zur Zulassung als Zeichenlehrer machten, Matsch war 18, Gustav 17, wollte Direktor Eitelberger sie nicht gehen lassen.
Er verschaffte ihnen ein weiteres Stipendium und schickte sie für zwei Jahre in die Klasse für «Malerei und dekorative Kunst». Deren Leiter, Ferdinand Laufberger, war zwar kein großer Künstler, aber ein sehr erfahrener Handwerker.
In Italien hatte er die Kunst der al-Fresco-Malerei, der Bemalung von Terrakotta und die Sgrafittotechnik studiert, wusste alles über den richtigen Untergrund und das Mischen von Farben. Er brachte seinen Schützlingen – Gustavs Bruder Ernst stieß noch dazu – nicht nur sein fundiertes Wissen bei, er beteiligte sie auch an seinen öffentlichen Aufträgen.
Im April 1879 feierten Kaiser Franz Joseph und Kaiserin Elisabeth silberne Hochzeit. Der berühmte Maler und Akademieprofessor Hans Makart erhielt von der Stadt Wien den Auftrag, einen Festumzug zu organisieren. Das Kaiserpaar saß in einem Festzelt, das an der Ringstraße aufgebaut worden war. Vierzehntausend Menschen in mittelalterlichen Kostümen paradierten am Festzelt vorbei. Nicht nur die alten Gewerbe – Bäcker, Müller, Fleischhauer, Wagner und Hafner waren vertreten, sondern auch die neue Industrie. Die Eisenbahner saßen auf einem mittelalterlichen Festwagen, der Flügel hatte und damit die Eisenbahn symbolisieren sollte. Dem Kaiser gefiel’s, der Kaiserin weniger. Ihre Nichte schrieb: «Tante Sissi machte eine Miene wie eine indische Witwe, die verbrannt werden soll.»
Doch die Menge fand es köstlich. Die Ausstattung der opulenten Festwagen hatte Hans Makart an Künstlerkollegen wie Ferdinand Laufberger delegiert, und dieser wiederum beauftragte seine drei Lieblingsschüler Franz Matsch und Gustav und Ernst Klimt.
Bei diesem Anlass fielen die drei Freunde zum ersten Mal auf. Das Architektenduo Hermann Helmer und Ferdinand Fellner, das zwischen 1872 und 1915 nicht weniger als 48 Theater in verschiedenen Ländern baute und dabei auch für die Innenausstattung verantwortlich war, wurde auf die jungen Künstler aufmerksam.
1880 kam der erste Auftrag, allerdings nicht für ein Theater, sondern ein Verwaltungsgebäude in Wien: Wien, Schottenring 21. Direktionsgebäude der Neusiedler Aktiengesellschaft für Papierfabrikation. Vier Wandbilder für den Großen Sitzungssaal: Poesie – Musik – Tanz – Theater.
Die Ausbildung der drei jungen Künstler war so fundiert, dass sie jedes Thema wunschgerecht darstellen konnten – im damals üblichen historisierend-akademischen Malstil. Ab 1881 nannten sie sich «Künstler-Compagnie der Gebrüder Klimt und Matsch». Die Compagnie war gut im Geschäft: «Kurhaus in Karlsbad – Deckengemälde mit dem Thema: Die Musik der Nationen!»

Adele Bloch-Bauer I (1907)

Die drei verstanden sich als Team, jeder konnte die Aufgabe des anderen übernehmen. Keiner hielt sich für eine bedeutende Künstlerpersönlichkeit – alle drei wollten Geld verdienen. Besonders die Brüder Klimt waren glücklich, den Eltern das bisher so karge Leben erleichtern zu können. Ausstattung der «Hermesvilla» in Lainz mit Decken- und Wandfresken! Ein Auftrag aus dem Kaiserhaus. Franz Joseph gab sich große Mühe, seiner Frau das Leben in Wien angenehm zu machen. 1884 ließ er ihr die «Hermesvilla» bauen, ein Refugium im Lainzer Tiergarten, wo sie sich vom höfischen Zwang erholen konnte.
Verschiedene Künstler wurden angeworben. Die «Compagnie Klimt und Matsch» bekam den Auftrag, das Schlafzimmer mit Szenen aus Elisabeths Lieblingsstück, Shakespeares Sommernachtstraum, zu schmücken. Das Hauptgemälde an Elisabeths Prunkbett schuf Gustav Klimt. Titania liebkost den Esel. Ob das dem Kaiser gefallen hat...? Beschwert hat er sich jedenfalls nicht. Der Auftrag wurde pünktlich bezahlt, das war die Hauptsache. Die Compagnie verdiente inzwischen sehr gut und kam – dank Helmer und Fellner – auch weit herum. Die Theater in Reichenberg, Fiume und Bukarest wurden von ihnen ebenso ausgemalt wie das rumänische Königsschloss in Pelesch. Doch nach einigen Jahren waren sie des Reisens müde und beschlossen, sich auf Wien zu konzentrieren. Ein Brief an ihren alten Schuldirektor Eitelberger sollte helfen: «Wir glauben, dass unser gemeinschaftliches Wirken von entschiedenem Vorteil ist, weil vermöge der größeren Schaffenskraft eine rasche Erledigung des Auftrages herbeigeführt wird. Unsere bisherige Tätigkeit war größtenteils für die Provinz und das Ausland bestimmt. Unser sehnlichster Wunsch wäre daher, wenn wir in unserer Vaterstadt eine größere Arbeit ausführen könnten, und vielleicht wäre eben jetzt die Möglichkeit vorhanden, da die neuen Monumentalbauten Wiens ihrer Vollendung nahen, deren malerische Ausgestaltung gewiss nur in den bedeutendsten Teilen vergeben sein wird und dadurch die hervorragendsten Künstler vollauf beschäftigt sind.»
Der Brief hatte Erfolg. Eitelberger gab ihn an den Architekten Karl von Hasenauer weiter, der eben dabei war, das neue Hofburgtheater zu vollenden. Er kannte die Arbeiten der Compagnie und gab ihnen im Oktober 1886 einen Auftrag: «Zehn Deckengemälde in beiden Stiegenhäusern des Burgtheaters! Und zusätzlich zum Honorar zwei Eintrittskarten jeden Abend! Parkettfauteuils!»
Die Themen waren festgelegt: Die Geschichte des Theaters von der Antike bis zur Gegenwart. Gustav Klimt malte vier der zehn Bilder: den Altar des Dionysos, das Theater in Taormina auf Sizilien, den Thespiskarren und Shakespeares Globe Theatre. Die Bilder sind bis heute erhalten. Das Burgtheater wurde zwar 1945 durch Bomben getroffen, aber die beiden Treppenaufgänge blieben unbeschädigt. Doch zurück ins Jahr 1888.
Im September wurden die Gerüste abgebaut. Architekt Hasenauer erschien mit dem Oberhofmeister Fürst Hohenlohe zur Abnahme und war hochzufrieden. Es gab sogar eine kaiserliche Gunstbezeugung: «Wir verleihen der Künstlercompagnie Brüder Klimt und Matsch in Allerhöchster Anerkennung das Kaiserliche Verdienstkreuz.»
Die drei hatten es geschafft. Die gehobene Gesellschaft Wiens kannte sie. Das war – vor allem – das Verdienst von Gustav Klimt. Als der Auftrag für die Treppenhäuser erteilt wurde, hatte der Hof einen zusätzlichen Wunsch: In zwei Gemälden sollte das alte Hoftheater aus Maria Theresias Zeit festgehalten werden, bevor es 1888 abgerissen wurde. Franz Matsch und Gustav Klimt losten unter sich aus, wer den Zuschauerraum malen sollte – das Los traf Klimt. Eine knifflige Aufgabe: Zweihundert Persönlichkeiten der Wiener Gesellschaft sollten als Stammgäste des Theaters und Zuschauer auf ihren Plätzen dargestellt werden. Während Klimt noch darüber grübelte, wie er zweihundert Prominente malen sollte, ohne dass sie ihm Modell stünden, rannten sie ihm schon die Türe ein. Alle wollten unbedingt zu den Zweihundert gehören, die auf dem Gemälde verewigt wurden. 1890 erhielt Gustav Klimt für das Bild, das heute im Historischen Museum der Stadt Wien hängt, den mit 400 Gulden dotierten Kaiserpreis.
1884 war Hans Makart, der berühmteste Maler Wiens, unerwartet im Alter von 44 Jahren gestorben. Er hatte auf Jahre hinaus Aufträge angenommen und skizziert, einige wurden nach seinem Tod der Künstlercompagnie anvertraut. Dazu gehörten auch die Wand- und Deckenbilder im neuen Kunsthistorischen Museum. Die Fürstin Hohenlohe setzte aber ihren Lieblingsmaler durch, den Ungarn Munkácsy, und so blieben für Klimt und Matsch nur die schma­len Streifen zwischen den Säulen und die sogenannten Zwickel zwischen den Arkaden. Klimt erinnerte sich später: «Die Geschichte des Kunstgewerbes vom alten Ägypten bis heute! Jeder Entwurf ist den Beamten des Museums vorzulegen!»
Ein undankbarer und schwieriger Auftrag. Doch kam ihnen zugute, dass sie schon im rumänischen Königsschloss akribisch alte Kostüme und historische Szenen dargestellt hatten. Sie lösten die Aufgabe – 40 Wandbilder mit unschönen Formaten – lange Rechtecke oder Zwickel – bravourös. Freilich traten hier die Charakterunterschiede der Künstler zutage.
Franz Matsch, der vor allem an seine Karriere dachte, malte im Bild Antike Theaterszene die umschwärmte Burgtheaterschauspielerin Charlotte Wolter als schöne Griechin. Er wurde bald dafür belohnt: Als ihr Ehemann Graf O’Sullivan unerwartet starb, nahm die Wolter Matsch als Liebhaber. Er zog zu ihr in die Villa und bekam ein großes Atelier im Wintergarten. Charlotte, die in den höchsten Kreisen verkehrte, vermittelte ihm Porträtaufträge in der Aristokratie. 1893 wurde er Professor an der Kunstgewerbeschule, 1912 in den Adelsstand erhoben. Sein Malstil blieb der gleiche – er entwickelte sich nicht mehr weiter.
1892 starb Ernst Klimt mit nur 28 Jahren an einer Lungenentzündung. Gustav war verzweifelt. Das Verhältnis der beiden Brüder war besonders innig gewesen, es hatte nie eine Konkurrenz zwischen dem älteren und dem jüngeren gegeben. Gustav übernahm die Vormundschaft für Ernsts sechs Monate alte Tochter.
In den folgenden Jahren löste er sich von der historisierenden Malweise. Sein künstlerisches Genie brach sich Bahn – allerdings stieß er damit auch auf Widerspruch.
Ein Professor der Universität Wien über ein Bild Gustav Klimts: «Die Universität ist für das Bild keine geeignete Stätte. Wir kämpfen nicht gegen die nackte oder die freie Kunst, sondern gegen die hässliche Kunst.» Was war geschehen?
Die Universität hatte für die große Aula drei Deckenbilder bei Klimt bestellt und einen Vorschuss bezahlt. Klimt sollte die drei Fakultäten Philosophie, Medizin und Jurisprudenz darstellen. Die Professoren erwarteten akademisch repräsentative Bilder, so wie sie sie von der Künstlercompagnie gewöhnt waren. Doch die Compagnie war nach Ernst Klimts Tod zerfallen. Klimt ging neue Wege, er lieferte drei düstere Visionen. Als das erste Fakultätsbild, die Philosophie, in einer Ausstellung gezeigt wurde, war der Kunstkritiker Ludwig Hevesi einer der wenigen, dem es gefiel: «Wir sehen ein Stück Weltraum voll rätselhafter Gärung, ein steinernes unbewegtes Antlitz tritt hervor, dunkel, wie das einer ägyptischen Basalt-Sphinx. Es ist das Bild des Welträtsels. Und an diesem Schweigenden vorbei schwebt von oben herab ein heller Strom von Leben, lichte Kinder, blühende junge Leiber, Lust und Qual, Arbeit, Kampf, Leidende, zuletzt das Vergehende, der eisgraue Greis, der, die Hände vor das Antlitz gepresst, wie eine kraftlose Hülle zur Tiefe niedersinkt. Unten aber taucht ein lebendiges Haupt auf, mit weiten, schauenden Augen, es schaut und denkt. Die Gestalt ist die Wissenschaft oder die Philosophie. Sie wird natürlich zu Anfang nicht recht verstanden werden, aber wir haben Vertrauen zum Publikum. Es wird sich mit diesem bedeutenden Werk beschäftigen und anfreunden.»

Allee im Park von Schloss Kammer, 1912

Hevesi lag fehl mit seiner Einschätzung. Das Bild löste den bis dahin größten Kunstskandal in Wien aus. Es kam zum Protest im Reichsrat. Klimt wurde der Lehrstuhl, für den ihn das Kollegium an der Akademie der Bildenden Künste vorgeschlagen hatte, verweigert. Auch die Zeitungen fielen über den Künstler her: «Es ist nicht jeder schon ein Richard Wagner, weil ihm ein paar Opern durchgefallen sind. Das Bild passt nicht in den Repräsentationsraum einer Universität, weil es durch Rohheit der Auffassung und Mangel an Ästhetik das große Publikum tief verletzen muss.»
«Man muss an Zolas Roman L’Oeuvre denken, wo der geniale Claude, vom Misserfolg wahnsinnig geworden, die Welt und die Menschheit in einem Bild vereinigen will und einen gemalten Rache­akt verbricht.»
Den beiden anderen Fakultätsbildern erging es nicht besser. Der Medizin lag dasselbe Kompositionsprinzip zugrunde. Ein Strom von Leibern zwischen Werden und Vergehen, in ihrer Mitte der Tod, treibt willenlos durch das All, am unteren Rand hält Hygieia, die heilkundige Tochter des Aeskulap, eine Schale hoch, gleichzeitig windet sich eine Schlange um ihren Arm. Da sie in ein prachtvolles gold­rotes Gewand gekleidet ist, klagt ein Rezensent: «Wir gehen wohl nicht fehl in der Annahme, dass die griechische Göttin der Heilkunde als weiblicher Arzt verkörpert ist. Während sie selbst die Nacht einem Mummenschanze geopfert hat und auch noch bei bläulichem Morgenlicht mit närrischem Flitter angetan ist, haben die Kranken vielleicht nach ihrer Hilfe geseufzt.»
Im Bild Jurisprudenz steht ein uralter, gebeugter Mann im Vordergrund, der von einem krakenartigen Tier gefesselt ist und jede Hoffnung aufgegeben hat. Er ist umgeben von drei Furien, die wie Vollzugsbeamte der Justiz wirken. Am oberen Bildrand, abgehoben, thronen die drei Figuren – Wahrheit, Gerechtigkeit und Gesetz – so fern, dass von ihnen keine Hilfe zu erwarten ist.
Alle Zeitungen berichteten davon, dass die Fürstin Metternich zur Ausstellungseröffnung kam und vor dem Bild laut und deutlich gesagt habe: «Bevor ich nicht schreiben gelernt hab, hab ich keine Briefe geschrieben. Der Maler sollte keine Bilder malen, bevor er nicht malen gelernt hat!»
Nur wenige – unter ihnen der Architekt Otto Wagner – verstanden die Bilder. Als ein Besucher der Ausstellung ihn fragte, was er denn von dem Bild hielte, rief er aus: «Alles! Das Größte!» Doch das waren Ausnahmen. Die offizielle Bewertung der Kunstfachwelt fiel erst Jahrzehnte später positiv aus. Werner Hofmann im Jahr 1980: «Nicht die philosophische Kathederwissenschaft klärt den Menschen auf, nicht der medizinische Fortschritt erlöst ihn von seinen Qualen, nicht die zur prunkvollen Institution erstarrte Jurisprudenz vermag ihn gegen die verschlingende Willkür der Rachegöttinnen zu beschützen. Nur das Kunstwerk, das zeigt, wie preisgegeben die Kreatur ist, ist imstande, den Blinden sehend zu machen.»
Der Skandal endete damit, dass Klimt dem Unterrichtsministerium den Vorschuss zurückzahlte und die Bilder behielt. Aufträge vom Staat bekam er nun nicht mehr, aber viele junge Künstler zollten ihm Anerkennung.
Am 3. April 1897 wurde die «Vereinigung bildender Künstler Österreichs» gegründet, die bald unter dem Namen «Secession» bekannt wurde. In ihr fanden sich alle Künstler, die mit dem traditionellen Berufsverband, der «Künstlerhausgenossenschaft» unzufrieden waren: «Wir sind von der Notwendigkeit überzeugt, dass das Wiener Kunstleben in lebendigeren Zusammenhang mit der Kunst des Auslands gebracht werden muss und das Ausstellungswesen auf eine rein künstlerische, vom Marktcharakter freie Basis gestellt werden muss.»
Dass die jungen Künstler Klimt zu ihrem Präsidenten wählten, lag an seiner Persönlichkeit. Er setzte sich ohne Neid und Selbstsucht für andere Talente ein. Die Jungen spürten instinktiv, dass er der Künstler war, der sie aus der Enge des Althergebrachten befreien würde.
Schon anderthalb Jahre später wurde das neue Gebäude der Secession mit einer großen Ausstellung eröffnet. In den sieben Jahren, die Klimt Präsident der Secession war, wurden 23 Ausstellungen mit österreichischen und ausländischen Künstlern gezeigt, die den Anschluss an das europäische Kunstgeschehen vollzogen.
1902 gab es eine Beethoven-Ausstellung mit einer Plastik von Max Klinger und Fresken von Gustav Klimt, in denen er Themen wie «Die Sehnsucht nach dem Glück» und «Die Leiden der schwachen Menschheit» gestaltete. Berta Zuckerkandl, Salondame und Journalistin, berichtete vom Besuch des Bildhauers Auguste Rodin: «Es waren wunderschöne Frauen da, die Klimt und Rodin umschwärmten. Alfred Grünfeld hatte sich im großen Saal an den Flügel gesetzt und spielte Schubert. Da beugte sich Rodin zu Klimt hinüber: ‹So etwas wie bei Euch hier habe ich noch nie gefühlt. Ihre Beethoven-Fresken, so tragisch und selig, Eure unvergessliche Ausstellung, und nun diese Frauen, diese Musik. Und um Euch und in Euch die­se kindliche Freude. Was ist das nur?› Klimt neigte den Kopf und sagte nur ein Wort: ‹Österreich.›»
Der Hof und die Aristokratie waren zu konservativ, um die neue Kunstrichtung, den Jugendstil, zu schätzen und zu kaufen. Zum Glück gab es reiche Unternehmer, die Klimts Genie erkannten und ihm Aufträge erteilten. Klimt wurde zum Porträtisten der schönen Wienerinnen aus dem Großbürgertum.
Deren Gatten waren nicht knauserig: Zwischen 30 000 und 40 000 Kronen bekam Klimt für ein Porträt, unerhört viel. Dafür sind die Damen, im für Klimt typischen ornamentalen Jugendstil dargestellt, traumhaft schöne Projektionen des Weiblichen. Die Figuren elegant in die Länge gezogen und so gekleidet, dass ihr gesellschaftliches Ansehen sofort ins Auge springt. Klimts Freund, der Schriftsteller Peter Altenberg: «Sie sind weniger Porträts als Einkleidungen, die die Frauen in ein irreales Dasein vor ornamentalem Hintergrund stellen. Alle befinden sich außerhalb der Erdenschwere, alle sind Prinzessinnen für bessere zartere Welten. Das sind die Augenblicke für den Künstler! So erschaue er die Frau!»
Klimt huldigte den Frauen, aber nicht nur den Prinzessinnen der Hochfinanz. Seine erotischen Zeichnungen und seine Aktbilder wie Danae oder Judith befreiten die Erotik von den moralischen Vorstellungen von Sünde. Er war der Erste, der – unter dem Titel Hoffnung – eine Hochschwangere nackt malte – eine schöne junge Frau, die auch mit dem großen Bauch zart wie eine Elfe wirkt. Im Vorzimmer seines Ateliers saßen immer ein paar junge Frauen, die darauf warteten, dass der Meister sie hereinrief zum Modellsitzen. Auch fürs Warten zahlte er fünf Kronen die Stunde, weshalb diese Tätigkeit sehr beliebt war. Mit vielen Modellen hatte er ein Verhältnis, zur Heirat konnte er sich aber nie entschließen. Ob ihn mit seiner Lebensgefährtin Emilie Flöge, einer selbstständigen Frau, die ein erfolgreiches Schneideratelier mit 80 Angestellten betrieb, etwas anderes verband als eine enge platonische Freundschaft, ist bis heute ungeklärt.
Seinem Herzen war sie jedenfalls die nächste. Als er im Januar 1918 nach einem Schlaganfall halbseitig gelähmt war, rief er wie ein Kind: «Die Emilie soll kommen.» Kurz darauf starb er, nur 55 Jahre alt.
Seinen Bildern stand ein besonderes Schicksal bevor. Das berühmteste Der Kuss, ein Rausch in Gold, hängt noch heute in der Österreichischen Staatsgalerie im Oberen Belvedere. Die größte und erlesenste Klimt-Sammlung allerdings besaß die jüdische Familie Lederer, die den Künstler immer gefördert und auch die Fakultätsbilder gekauft hatte. 1938 wurden die Besitzer von den Nazis enteignet und ihre Bilder – zusammen mit Museumsbesitz – nach Schloss Immendorf in Nieder­österreich ausgelagert, wo sie 1945 verbrannten. Es war der größte Verlust österreichischer Kunstschätze im Zweiten Weltkrieg.

Autorin: Susanne Tölke
Redaktion: Brigitte Reimer
© Bayerischer Rundfunk

Glossar

akribisch
sehr genau, exakt
Aeskulap
lateinischer Name des griechischen Gottes Asklepios, Gottes der Heilkunst. Viele Apotheken tragen heute noch diesen Namen.
Ästhetik
das Geschmackvolle, Schöne, auch die Wissenschaft der Harmonie und Schönheit
Arkade
Durchgang, Bogengang, Passage
bravourös
prima, toll, hervorragend
Compagnie
auch «Kompanie»: Unternehmen, Gruppe von Personen
Dionysos
jüngster griechischer Gott, Gott der Freude, der Trauben, des Weines und der Fruchtbarkeit
Fauteuil
Sessel
Fonds
Stiftung, Kapitalanlage, Förderung
fundiert
gründlich, grundlegend, ausgearbeitet
Furie
wütende Frau, rasendes Weib
Graveur
Handwerksberuf, sticht, ritzt, sägt Motive in Metalle, z. B. in Silber, Gold
Hafner
Handwerksberuf des Ofensetzers
Hygieia
griechische Göttin des Heilwesens, Tochter des Asklepios. Das Wort «Hygiene» wurde von ihrem Namen hergeleitet.
opulent
überladen, üppig, reich
ornamental
zur Zier, zur Zierde, schmückend
Palais
reich verziertes und prächtiges Wohnhaus, Gebäude
paradieren
vorbeimarschieren, vorbeiziehen
Projektion
Abbild eines Originals
Refugium
Zuflucht, Unterstand
repräsentativ
prächtig, eindrucksvoll, stattlich
Stuckateur
Handwerksberuf, Bauhandwerker, arbeitet mit Gips
Terrakotta
Material aus gebranntem Ton, verwendet man für Gefäße, auch als Bau­keramik, Fliesen

Personen

Eitelberger, Rudolf von (1817–1885)
Wiener Kunsthistoriker des Historismus, erster Lehrstuhlinhaber für Kunstgeschichte an der Universität Wien.
Fellner, Ferdinand
(1847–1916)
Wiener Architekt, erbaute mit Hermann Helmer viele österreichische Theater.
Franz Joseph I.
(1830–1916)
Österreichischer Kaiser und König von Ungarn aus der Dynastie Habsburg-Lothringen in der Doppelmonarchie Österreich-Ungarn.
Grünfeld, Alfred
(1852–1924)
Österreichischer Komponist, Pianist und Klavierlehrer.
Hasenauer, Karl Freiherr von
(1833–1894)
Österreichischer Architekt des Historismus, baute die Wiener Ringstraße.
Helmer, Hermann (1849–1919)
Deutscher Architekt, der in Wien zusammen mit Ferdinand Fellner zahlreiche österreichische Theater entwarf und baute.
Klimt, Ernst
(1864–1892)
Österreichischer Dekorationsmaler, Bruder von Gustav Klimt, die beiden Brüder hatten in Wien ein gemeinsames Atelier und eine gemeinsame Firma, die «Künstler-Compagnie der Gebrüder Klimt und Matsch». Ernst Klimt starb mit 28 Jahren.
Klinger, Max
(1857–1920)
Deutscher Maler, Grafiker, Bildhauer. Bedeutender Wegbereiter der modernen Kunst in Deutschland, seine Werke gehören stilistisch zu den Kunstrichtungen Jugendstil und Symbolismus. Sehr bekannt ist seine Skulptur Beethoven.
Maria Theresia von Österreich
(1717–1780)
Römisch-deutsche Kaiserin, Erzherzogin von Österreich, Königin von Ungarn und Böhmen, Ehefrau von Kaiser Franz I., mächtige Herrscherin aus dem Hause Habsburg.
Matsch, Franz Josef Karl Edler von
(1861–1942)
Österreichischer Bildhauer und Maler. Gründete mit den Brüdern Klimt eine eigene «Künstler-Compagnie» in Wien der «Ringstraßenzeit».
Munkácsy, Mihály (1844–1900)
Ein berühmter ungarischer Maler des 19. Jahrhunderts
Rodin, François Auguste René (1840–1917)
Französischer Maler und Bildhauer. Rodin gilt als Wegbereiter der modernen Kunst, etwa des Expressionismus und Kubismus, besonders in den Bereichen Plastik und Skulptur.
Schubert, Franz Peter (1797–1828)
Österreichischer Komponist. Seine Musik ist in den Richtungen der Romantik, Klassik, Sturm und Drang und Biedermeier angesiedelt und wird oftmals als «typisch wienerisch» empfunden: Weltschmerz und Heiterkeit in einem.
Wagner, Otto
(1841–1918)
Österreichischer Architekt. Professor der Akademie der Bildenden Künste in Wien. Ende des 19. Jahrhunderts trug er in Wien mit Gebäuden und Projekten zur Stadtgestaltung der «Ringstraßenzeit» bei.
Wolter, Charlotte
(1834–1897)
Berühmte Schauspielerin ihrer Zeit, vor allem am Wiener Burgtheater, an dem sie als tragische Heldin in vielen Rollen – ihre berühmteste war die Iphigenie – gefeiert wurde. Ihre kräftige Mezzosopranstimme («Wolter-Schrei») war unverwechselbar.

Fragen zum Text

1. Wann entstand die berühmte Ringstraße in Wien?

2. Welche Ausbildung genoss Gustav Klimt?

3. Wann bekam Gustav Klimt das erste Mal einen öffentlichen Auftrag?

4. Was gründeten die drei Freunde?

5. Welche kaiserliche Villa in Wien hat Gustav Klimt ausgestattet?

6. Was folgte in den nächsten Jahren?

7. Was wünschten sich die drei Freunde am meisten?

8. Welcher Auftrag erfolgte dann?

9. Was folgte aus diesem Auftrag?

10. Warum fiel Gustav Klimt später in Ungnade?

11. Wohin wandte sich Gustav Klimt danach?

Fragen & Antworten im Überblick

1. Wann entstand die berühmte Ringstraße in Wien?
Lösungshinweis: Der österreichische Kaiser Franz Joseph I. verfügte 1857, einen Prachtboulevard zu errichten. Entlang dieser Ringstraße wurden öffentliche Gebäude errichtet wie das Parlament, das neue Rathaus, das Burgtheater, die Oper und große Museen.

2. Welche Ausbildung genoss Gustav Klimt?
Lösungshinweis: Trotz der Armut seiner Familie mit sieben Kindern konnte er nach der Volksschule die Kunstgewerbeschule in Wien besuchen und eine Ausbildung als Zeichenlehrer an Gymnasien absolvieren. Später bekam er noch ein Stipendium für die Klasse «Malerei und dekorative Kunst».

3. Wann bekam Gustav Klimt das erste Mal einen öffentlichen Auftrag?
Lösungshinweis: Zum Festumzug anlässlich der silbernen Hochzeit des Kaiserpaares 1879 wurden Gustav Klimt und sein Bruder Ernst Klimt sowie der gemeinsame Freund Franz Matsch mit der Ausstattung der reichlich verzierten Festwagen beauftragt. Dabei wurde man auf sie aufmerksam. Der erste öffentliche Auftrag erfolgte 1880. Gustav Klimt sollte vier Wandbilder für einen großen Sitzungssaal gestalten.

4. Was gründeten die drei Freunde?
Lösungshinweis: Die «Künstler-Compagnie der Gebrüder Klimt und Matsch».

5. Welche kaiserliche Villa in Wien hat Gustav Klimt ausgestattet?
Lösungshinweis: Die «Hermesvilla», eine Villa für die Kaiserin Elisabeth.

6. Was folgte in den nächsten Jahren?
Lösungshinweis: Gustav Klimt und die Compagnie gestalteten im Ausland zahlreiche Theater aus, die das Architektenduo Helmer und Fellner bauten.

7. Was wünschten sich die drei Freunde am meisten?
Lösungshinweis: In ihrer Heimatstadt Wien eine größere Arbeit zu bekommen und hier künstlerisch tätig zu werden.

8. Welcher Auftrag erfolgte dann?
Lösungshinweis: 1886 erhielten sie den Auftrag, zehn Deckengemälde im Wiener Burgtheater auszugestalten. Zusätzlich zu ihrem Honorar erhielten sie jeden Abend Eintrittskarten im Parkett des Theaters.

9. Was folgte aus diesem Auftrag?
Lösungshinweis: Als Anerkennung bekamen sie das Kaiserliche Verdienstkreuz und wurden in der gehobenen Wiener Gesellschaft bekannt und berühmt.

10. Warum fiel Gustav Klimt später in Ungnade?
Lösungshinweis: Er löste sich von dem historisierenden Stil und malte düstere Bilder, die als nicht repräsentativ galten. Er bekam so keine Aufträge mehr vom Staat.

11. Wohin wandte sich Gustav Klimt danach?
Lösungshinweis: Er wurde Präsident der Künstlervereinigung «Secession». Er prägte eine neue Stilrichtung, den Jugendstil, und portraitierte schöne Wienerinnen aus dem Großbürgertum. Sein berühmtestes Bild, Der Kuss, ist bis heute erhalten. Allerdings verbrannte die größte Klimt-Sammlung 1945 im Zweiten Weltkrieg.

Der Text ist entnommen aus: http://www.br-online.de/wissen-bildung/collegeradio/medien/geschichte/klimt/manuskript/