Bildung und Erziehung
Rolle der Lehrer hat sich stark verändert
Schulen übernehmen mehr und mehr Eigenverantwortung – von der Steuerung eigener Budgets bis zur Personalgewinnung. Dadurch hat sich auch die Rolle des Staatlichen Schulamts in Rüsselsheim drastisch verändert.
Schulamtsdirektor Christian Vilmar kennt beide Seiten. Bis vor einigen Jahren hat er als Schulleiter in Gernsheim gearbeitet, heute schaut er als Schulaufsicht von übergeordneter Warte auf einzelne Schulen im Kreis Groß-Gerau. Die Schulentwicklungsgespräche haben sich hier seit 2002 zu einem «wichtigen Instrument» entwickelt, wie Vilmar betont.
Mit dem Pilotprojekt «Schule gemeinsam verbessern» habe man sich im Schulamtsbezirk der Kreise Groß-Gerau und Main-Taunus im Landesvergleich einen Vorsprung erarbeitet. Im Rahmen regelmäßiger, intensiver Gespräche mit den einzelnen Schulleitungen gehe es darum, die Eigenverantwortung der Schulen zu stärken, aber auch die Schulen dabei zu unterstützen, ihre Ergebnisse qualitativ zu verbessern.
Dabei beschränke man sich nicht auf vage Ankündigungen. Die Kontraktgespräche unterlägen einer «hohen Verbindlichkeit». In Kooperation zwischen Schulen und Staatlichem Schulamt würden schriftliche Zielvereinbarungen getroffen. Es gehe nicht darum, Schulen etwas aufzuzwingen. Aber: «Wir wollen hinterher gemeinsame Erfolge nachweisen.»
Ein greifbares Beispiel wäre etwa die Verringerung der Zahl von Schulabgängern ohne Abschluss. Um ein solches Ziel zu erreichen, seien die Schulen «frei in der Konzeptentwicklung». Dabei könnten Bildungseinrichtungen durchaus Erfahrungen austauschen und voneinander profitieren. Das Schulamt unterstütze derlei Kontakte mit der Bildung von Netzwerken.
Neben strategischen Zielen, einer verlässlichen Schule, Förderkonzepten und Fortbildungsmaßnahmen kommen bei den Schulentwicklungsgesprächen auch individuelle Vorhaben der jeweiligen Einrichtung wie musischer Schwerpunkt oder Schulhofgestaltung zur Sprache.
Schulen befänden sich in einem spannenden, aber auch sehr intensiven Prozess, der Lehrern neben dem Unterricht ein hohes Maß an Engagement als Schulberater abverlange. «In Einstellung und Rolle der Lehrer hat sich einiges verändert», so Vilmar. Ein beträchtlicher Teil der Arbeitszeit außerhalb des Unterrichts finde heute in der Schule statt – teilweise auch während der Ferien. «Die Arbeitsfülle und die Belastung ist größer geworden.» Zudem arbeiteten Pädagogen ohnehin wesentlich häufiger in Team-Projekten.
Auf diese Entwicklung reagierten Lehrer unterschiedlich. Ein Großteil arbeite sehr motiviert an neuen Konzepten, andere stünden den Reformen skeptisch gegenüber. «Die Zielrichtung ist gut», ist sich Vilmar sicher. Es könne seiner Meinung nach aber auch nicht schaden, das enorme Reformtempo etwas zu drosseln. «Es braucht Zeit, neue Strukturen in den Schulen zu festigen.» Umso erfreuter zeigt sich Vilmar, dass etwa mit der Fachberatung Mathematik innerhalb kurzer Zeit Erfolge erzielt werden konnten, die sich in den Ergebnissen von Vergleichsarbeiten dokumentieren ließen.
Wo es an einzelnen Schulen noch Nachholbedarf – beispielsweise in der Leseförderung oder im Methodentraining – gibt, zeige sich bei den Schulentwicklungsgesprächen. Ergänzend fördern dies die Schulinspektionen zu Tage. Im Schulentwicklungsgespräch verfolge das Schulamt eine Doppelstrategie: Man wolle schnelle Beratung und Hilfe in die Schulen bringen, aber auch «zügig und kraftvoll» Entwicklungsprozesse anstoßen und langfristig weiterverfolgen.
«Die Gespräche finden zunehmend datengestützt statt», betont Vilmar. Wenn beispielsweise Mathematik-Defizite aufgeholt werden sollen, werden Projekte gezielt entwickelt, deren Ergebnisse dokumentiert und über einen längeren Zeitraum ausgewertet werden. Dass Schulen dadurch unter Druck geraten, positive Ergebnisse vorzuweisen, bleibt nicht aus. «Das sind große Herausforderungen an die Schulleiter und Lehrkräfte und deren Qualitätsbewusstsein», so der Schulamtsdirektor. Viele hätten jedoch das enorme Potenzial dieser zielgerichteten prozesshaften Arbeit erkannt und arbeiteten daran mit.
Alles entwickele sich ständig weiter. Seien die ersten Schulprogramme im Jahr 2000 noch sehr statisch formuliert und in gehefteter Form vorgelegt worden, so würden sie heute ständig fortgeschrieben und mit klaren Arbeitsplänen und Strukturen versehen. Vilmar: «Trotz des großen Veränderungsdrucks gibt es viele positive Entwicklungen.»
Susanne Wildmeister