Bildung und Erziehung
«Bologna ist in Deutschland gescheitert»
Experten kritisieren Umstellung auf Bachelor- und Masterstudiengänge
Bis 2010 sollen alle Studiengänge1 in Deutschland auf die Abschlüsse Bachelor und Master umgestellt2 sein. Ziel dieses sogenannten Bologna-Prozesses ist das Herstellen eines einheitlichen europäischen Hochschulraums. Doch Kritiker des Prozesses wie der ehemalige Kulturstaatssekretär Julian Nida-Rümelin, halten das Vorhaben schon jetzt für gescheitert.
Das Urteil Julian Nida-Rümelins ist vernichtend: «Bologna ist in Deutschland offenkundig gescheitert», sagte der Philosoph kürzlich in Berlin. Ziel von Bologna war es, das europäische Studiensystem so zu vereinheitlichen, dass Studienabschlüsse sowohl in Europa als auch in anderen Staaten anerkannt werden. Dafür war es nötig, sämtliche Studiengänge auf das Bachelor-Master-System umzustellen, dessen Wurzeln in den USA liegen.
Vier zentrale Punkte aber seien bisher nicht erfüllt worden, so Nida-Rümelin. Internationale Wettbewerbsfähigkeit sei nicht möglich, weil mit der Verkürzung des Schulbesuchs auf 12 Jahre die Ausbildung in Verbindung mit der Universität nur noch 15 Jahre dauert, in den USA dagegen seien es 16, weshalb der deutsche Bachelor dort nicht anerkannt werde. Zudem gebe es zwar ein Maß, um die Vergleichbarkeit und Vereinbarkeit der Studiengänge zu messen, das aber zeige, dass es immer noch extreme Variationen in Europa gebe, so der Philosoph. Und auch die viel gepriesene3 Mobilität und Flexibilität gebe es in der Wirklichkeit nicht: neben zu wenigen Modulangeboten (früher: Studiengang) sei vor allem die Verschulung4 des Studiums ein Problem, die Einheit von Forschung und Lehre in Verbindung mit Selbststudium à la Humboldt bleibe einmal mehr auf der Strecke. Und wenn man alles homogenisieren und ökonomisieren wolle, könne man viertens eben nicht in Konkurrenz mit den USA treten, die mehr Wert auf Bildung legten als Deutschland, mahnt Nida-Rümelin.
Allein, was soll man tun, denn der Zug ist abgefahren, ein Zurück ist nicht mehr möglich, die Studiengänge werden spätestens 2010 umgestellt sein? Das wichtigste Kriterium scheint wohl die Finanzierung zu sein, meint jedenfalls der Präsident der Humboldt-Universität, Christoph Markschies. Nicht nur, dass die Universitäten seit Jahren unterfinanziert seien, vor allem aber könne es bei allem Reformbedarf, den es gab, nicht sein, dass man mehr Forschung und Lehre und mehr Betreuung kostenneutral umsetzen solle, so Markschies. Die Bologna-Expertin Imke Buß vom «freien zusammenschluss von studentInnenschaften» (fzs) fordert neben der Aufhebung der Defizite vor allem auch eine bessere Studienbetreuung und Methodenvermittlung, die Abschaffung von Teilnahmelisten und die Möglichkeit, dass Studenten bei der Ausarbeitung von Studiengängen partizipieren5 können. Nur so könne man dem Anspruch, Lehre und Forschung zu verbinden, gerecht werden.
Nicht ganz so schwarz sieht Georg Winckler, Rektor der Universität Wien, die Zukunft von Bologna. Er plädiert6 für mehr Differenzierung und Autonomie an den Universitäten. Bologna habe dort geklappt, wo die Universitäten mehr Entscheidungsfreiheit hätten, so Winkler. In Deutschland habe die Politik dagegen viel Bürokratie geschaffen, weil sie sich das Steuer nicht aus den Händen nehmen lassen wollte. Kurzum: Die Abbrecherquoten seien zwar auch in den neuen Studiengängen hoch, allerdings liegen sie nicht mehr wie früher bei über 60 Prozent.
Von Maik Forberger
1Stu|di|en|gang, der: [vorgeschriebene] Abfolge von Vorlesungen, Seminaren, Übungen, Praktika im Verlauf eines Studiums bis zum Examen.
2um|stel|len <sw. V.; hat>: a) auf etw. anderes einstellen; zu etw. anderem [mit etw., jmdm.] übergehen: die Heizung [von Öl] auf Erdgas u.; sie hat ihre Ernährung [auf Rohkost] umgestellt; die Produktion auf Spielwaren u.; ein Feld auf Bioanbau u.; sich [auf einen anderen Lebensstil] u.; <auch o. Akk.-Obj.:> wir haben auf Spielwaren, auf Selbstbedienung, auf Erdgas umgestellt; b) auf veränderte Verhältnisse einstellen, veränderten Verhältnissen anpassen: sein Leben [auf die moderne Zeit] u.; sich auf ein anderes Klima u.
3prei|sen <st. V.; hat> (geh.): die Vorzüge einer Person od. Sache begeistert hervorheben, rühmen, loben: Gott p.; die Nachkommen werden ihn dafür p.; er preist sich als [ein] sicherer/(seltener:) [einen] sicheren Bergsteiger; jmdn., sich glücklich p. [können] (jmdn., sich glücklich nennen; über etw. froh sein [können]); die gepriesenen Zwanzigerjahre.
4ver|schu|len <sw. V.; hat> (oft abwertend): der Schule, dem Schulunterricht ähnlich gestalten: das Studium wird immer mehr verschult.
5par|ti|zi|pie|ren <sw. V.; hat> (bildungsspr.): von etw., was ein anderer hat, etw. abbekommen; teilhaben.
6plä|die|ren <sw. V.; hat>: 1. (Rechtsspr.) ein Plädoyer halten, in einem Plädoyer beantragen: auf/für «schuldig» p. 2. (bildungsspr.) sich für etw. aussprechen: für jmds. Beförderung p.
Der Text ist entnommen aus: http://www.neues-deutschland.de